Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 04.05.2017


BPatG 04.05.2017 - 11 W (pat) 10/13

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – "Störungsmaschine, insbesondere Abgasturbolader" – an die Stelle der erteilten patentgeschützten Erfindung kann kein davon wesensverschiedenes Aliud gesetzt werden


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsdatum:
04.05.2017
Aktenzeichen:
11 W (pat) 10/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2004 028 133

hat der 11. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr.-Ing. Höchst sowie der Richter v. Zglinitzki, Dr.-Ing. Fritze und Dipl.-Ing. Wiegele

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 1.13 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. Mai 2011 aufgehoben und das Patent DE 10 2004 028 133 widerrufen.

Gründe

I.

1

Gegen das am 9. Juni 2004 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldete und am 1. Juni 2006 veröffentlichte Patent 10 2004 028 133 mit der Bezeichnung

2

„Strömungsmaschine, insbesondere Abgasturbolader“

3

ist Einspruch erhoben worden.

4

Die Patentinhaberin hat ihr Patent in der erteilten Fassung und in der Fassung mit den in der Anhörung vom 19. Mai 2011 überreichten Hilfsanträgen 1 und 2 verteidigt.

5

Die Patentabteilung 1.13 des Deutschen Patent- und Markenamts hat am Ende der Anhörung das Patent im Umfang des Hilfsantrags 2 beschränkt aufrechterhalten.

6

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden.

7

Sie macht geltend, das Patent weise in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung eine Schutzbereichserweiterung auf, Hilfsantrag 2 sei unzulässig, der Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag 2 sei unklar und sein Gegenstand beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

8

Die Beschwerdeführerin und Einsprechende beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das angegriffene Patent zu widerrufen sowie die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

9

Die Patentinhaberin hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

10

Der geltende Patentanspruch 1 des Patents in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung hat den folgenden Wortlaut (Gliederungsziffern ergänzt):

11

1. Strömungsmaschine

12

2. mit radial durchströmtem Verdichterrad (2),

13

3. das auf einer in einem Lagergehäuse gelagerten Welle (1) aufgenommen und in einem Verdichtergehäuse mit einem schneckenförmigen Strömungskanal angeordnet ist,

14

4. wobei eine Außenkontur einer Nabe des Verdichterrads (2) und eine Innenkontur des Verdichtergehäuses den von einer axialen Richtung in eine radiale Richtung umgelenkten Strömungskanal ausbilden,

15

5. wobei das Verdichtergehäuse aus einem äußeren Spiralgehäuse (5) und einem inneren Gehäuseeinsatzstück (6) gebildet ist,

16

6. wobei das äußere Spiralgehäuse (5) mittels einer starren Fixierung am Lagergehäuse festgelegt ist, und

17

7. wobei das innere Gehäuseeinsatzstück (6) zwischen dem Spiralgehäuse (5) und dem Verdichterrad (2) angeordnet und

18

8. mittels einer lösbaren flexiblen Fixierung (8) am Spiralgehäuse (5) festgelegt ist,

19

dadurch gekennzeichnet, dass

20

8.1 die flexible sowie lösbare Fixierung (8) Elemente zur Aufnahme von Axialkräften und zur Aufnahme von Umfangskräften umfasst,

21

8.2 wobei zur Aufnahme der Axialkräfte mehrere konventionelle Kopfschrauben (18) vorgesehen sind,

22

8.3 wobei zwischen den Schraubköpfen (13) der Kopfschrauben (18) und der Stirnseite (9) des Gehäuseeinsatzstückes (6) Kraftabsorptionselemente (19) in Form von Federelementen oder Dehnhülsen vorgesehen sind,

23

8.4 und zur Aufnahme der in Umfangsrichtung wirkenden Kräfte Kraftabsorptionselemente (16, 17) angeordnet sind.

24

Wegen des Wortlauts der rückbezogenen Ansprüche 2 bis 4 sowie weiterer Einzelheiten wird auf die Amts- und Gerichtsakten verwiesen.

II.

25

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

26

Der Einspruch ist zulässig. Er ist rechtzeitig eingelegt und innerhalb der Einspruchsfrist im Einzelnen substantiiert auf den Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit, hier mangelnde erfinderischer Tätigkeit, gestützt worden.

A.

27

Das Streitpatent betrifft eine Strömungsmaschine, insbesondere einen Abgasturbolader, gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1.

28

Bei einer solchen Strömungsmaschine könne das Verdichterrad im Betrieb bersten, die Trümmerteile müssten in einem Containment zurückgehalten werden. Zur Gewährleistung der Containment Sicherheit von Strömungsmaschinen unter Verzicht auf einen zusätzlichen Berstschutz außerhalb des Spiralgehäuses schlage die EP 1 233 190 A1 (D1) vor, das Verdichtergehäuse zweiteilig aus einem äußeren Spiralgehäuse und einem inneren Gehäuseeinsatzstück auszubilden. Das Spiralgehäuse umfasse einen in die radiale Richtung nach außen umgelenkten Kanalabschnitt des Strömungskanals. Das innere Gehäuseeinsatzstück sei in radialer Richtung zwischen dem äußeren Spiralgehäuse und dem Verdichterrad positioniert. Das Spiralgehäuse ist mit einem das innere Gehäuseeinsatzstück zumindest teilweise umgebenden Innenzylinder ausgeführt, an welchem das Gehäuseeinsatzstück zur Ausbildung eines Hohlraums mittels einer flexiblen Fixierung angebaut sei. Die flexible Fixierung des inneren Gehäuseeinsatzstücks am äußeren Spiralgehäuse sei mittels einer Dehnschraubenfixierung in axialer Richtung durch den Innenzylinder des Spiralgehäuses ausgeführt. Es bestehe jedoch die Gefahr, dass die flexible Fixierung des inneren Gehäuseeinsatzstücks am äußeren Spiralgehäuse während der Energieabsorption in Folge von in Umfangsrichtung wirkenden Kräften versagen könne.

29

Hiervon ausgehend besteht die Aufgabe, eine Strömungsmaschine zu schaffen, die eine erhöhte Containment-Sicherheit aufweist.

30

Der für die Lösung des Problems zuständige Fachmann ist ein Ingenieur des Maschinenbaus mit vertieften Fachkenntnissen über Strömungsmaschinen, insbesondere Turbolader.

B.

31

Gegenstand der Beschwerde ist die beschränkt aufrechterhaltene Fassung des Patents nach Hilfsantrag 2. Einen weiteren Antrag hat die Patentinhaberin im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht gestellt. Ihr Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde und die Bezugnahme auf die gestellten Anträge kann sich nur auf den Hilfsantrag 2 beziehen, zumal sie keine Anschlussbeschwerde eingelegt hat.

32

Der der beschränkten Aufrechterhaltung zugrunde liegende Hilfsantrag 2 vom 19.  Mai 2011 ist unzulässig. Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin sowie der Patentabteilung schränkt der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht weiter ein.

33

Der Patentinhaber kann sein Patent im Einspruchsverfahren beschränken, wie das für das Nichtigkeitsverfahren anerkannt ist (BGHZ 21, 8 ff.). Er darf dabei aber nicht an die Stelle der ihm erteilten patentgeschützten Erfindung eine andere setzen (BGH, Beschl. v. 16.01.1990 – X ZB 24/87 – Spreizdübel). Denn dadurch wäre der erteilte Patentanspruch nicht weiter eingeschränkt. Vielmehr würde sich der Patentschutz auf ein davon wesensverschiedenes "Aliud" beziehen, was vor allem mit dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht vereinbar wäre.

34

Der Oberbegriff des erteilten Anspruchs 1 ist gleich dem des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2.

35

Der Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung enthält in seinem kennzeichnenden Teil die Merkmale „dass die flexible sowie lösbare Fixierung (8) Elemente zur Aufnahme von Axialkräften und zur Aufnahme von Umfangskräften umfasst, in Form mehrerer konventioneller Kopfschrauben (18), wobei zur Aufnahme der Axialkräfte zwischen den Schraubköpfen (13) der Kopfschrauben (18) und der Stirnseite (9) des Gehäuseeinsatzstückes (6) Kraftabsorptionselemente (19) in Form von Federelementen oder Dehnhülsen vorgesehen sind“.

36

Dies ist dahingehend zu verstehen, dass die Fixierung Elemente umfasst, die sowohl zur Aufnahme von Axialkräften als auch von Umfangskräften geeignet sind. Namentlich werden hierzu (konventionelle) Kopfschrauben genannt mit der Präzisierung, dass die Axialkräfte von zwischen den Schraubköpfen und Gehäuseeinsatzstück vorgesehenen Federelementen oder Dehnhülsen aufgenommen werden.

37

Die ursprünglich eingereichte Anmeldung (vgl. die OS, dort den Anspruch 1 und Abs. [0008] i. V. m. dem ersten Ausführungsbeispiel nach den Fig. 1 und 2 sowie Abs. [0020] bis [0022]) geht, wie die Beschreibung des Streitpatents in der erteilten Fassung (vgl. Abs. [0007] und [0019] bis [0021]), ausschließlich von Dehnpassschrauben als geeigneten Elementen aus, die sowohl Axialkräfte als auch Umfangskräfte aufnehmen können.

38

Der allgemeine Beschreibungsteil enthält zu alternativen Ausgestaltungen der Fixierung (Strömungsmaschine) nur den Verweis auf den unabhängigen Patentanspruch 4, der in der erteilten Fassung des Patents jedoch nicht existiert.

39

In den Figuren 3 bis 8 des Streitpatents sind alternative Ausführungsformen der Fixierung gezeigt und in den Absätzen [0022] bzw. [0023] ff. beschrieben. Nur aus der Figur 8 geht eine Fixierung mit Kopfschrauben hervor, bei der zwischen den Schraubköpfen der Kopfschrauben und der Stirnseite des Gehäuseeinsatzstückes Kraftabsorptionselemente in Form von Federelementen oder Dehnhülsen vorgesehen sind (vgl. auch Abs.[0029] und nebengeordneter Patentanspruch 4 i. V. m. 11 und 12 der OS bzw. Abs. [0028] des Streitpatents). Zur Aufnahme der Umfangskräfte sind weitere zusätzliche Kraftabsorptionselemente vorgesehen. Weder Beschreibung noch Ansprüche der ursprünglichen Anmeldung bieten einen Anhalt für die Annahme, der Fachmann entnehme ihr, dass die Kopfschrauben auch Umfangskräfte aufnehmen können und/oder sollen.

40

Demnach ist der erteilte Patentanspruch 1 auf einen Gegenstand gerichtet, der keines der in der ursprünglichen Anmeldung (und auch in der Patentschrift) geschilderten Ausführungsbeispiele erfasst. Vielmehr ist er auf eine Kombination der Ausführungsbeispiele nach den Figuren 2 und 8 gerichtet, bei der es sich auch nicht um eine bloße Einschränkung des einen oder anderen Ausführungsbeispiels handelt.

41

Im Ergebnis zu Recht hat die Patentabteilung daher angenommen, dass der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und das Patent in der erteilten Fassung daher nicht bestandsfähig ist.

42

Durch Streichen „in Form mehrerer konventionellen Kopfschrauben“ als Definition der Elemente zur Aufnahme von Axialkräften und zur Aufnahme von Umfangskräften und Ersetzen durch konventionelle Kopfschrauben zur Aufnahme der Axialkräfte (Merkmal 8.2) sowie durch zusätzliche Kraftabsorptionselemente zur Aufnahme der in Umfangsrichtung wirkenden Kräfte (Merkmal 8.4) ist die flexible sowie lösbare Fixierung gemäß dem beschränkt aufrechterhaltenen Anspruch 1 abweichend von der Fixierung in der erteilten Fassung definiert. Dies mag zwar eine in der ursprünglichen Anmeldung als zur Erfindung gehörend offenbarte Ausführungsform darstellen, stellt jedoch keine Beschränkung des Gegenstandes des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung (§ 21 Abs. 2 PatG) sondern ein „Aliud“ dazu dar. Die vorgenommene Änderung missachtet auch § 22 Abs. 1, 2. Alternative PatG).

43

Die beschränkt aufrechterhaltene Fassung des Patents nach Hilfsantrag 2 vom 19. Mai 2011 ist demnach unzulässig und das Patent zu widerrufen (vgl. PatG § 59: Schulte, 9. Auflage, Rn. 166; Busse, 7. Auflage, Rn. 243; Benkard, Rn. 127 u. 137).

44

Auch beim Hilfsantrag 1 hat es sich um keine Beschränkung gehandelt, was hier keiner weiteren Ausführungen bedarf, weil der Hilfsantrag 1 nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist.

III.

45

Der Senat sieht keine Veranlassung, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.

46

Die Einsprechende macht geltend, im vorliegenden Fall sei das rechtliche Gehör verletzt und somit die Rückerstattung der Beschwerdegebühr gerechtfertigt. Sie führt hierzu aus, dass sie die unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs auch mit Blick auf den Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag 2 geltend gemacht habe, sei dem Beschluss der Patentabteilung nicht zu entnehmen. Des Weiteren rügt die Einsprechende, ihrem Antrag, im Beschluss zu vermerken, dass die Patentinhaberin die hinzugenommenen Kraftabsorptionselemente ausschließlich als „separate“ Elemente ansieht, sei nicht entsprochen worden.

47

Damit sind keine Gründe gegeben, die eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach § 80 Abs. 3 PatG rechtfertigen könnten. Die Rückzahlung erfolgt ausnahmsweise nur dann, wenn es unter Berücksichtigung aller Umstände unbillig wäre, die Gebühr einzubehalten (vgl. Benkard, PatG, 11. Aufl., § 80, Rdn. 22). Als solche Gründe kommen insbesondere Verfahrensfehler seitens des Deutschen Patent- und Markenamts in Betracht, die aber nur dann eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr begründen können, wenn sie für die Beschwerdeeinlegung ursächlich waren. Fehlt es an der Kausalität für die Einlegung der Beschwerde, findet § 80 Abs. 3 PatG keine Anwendung (vgl. Busse, Patentgesetz, 8. Aufl., § 80, Rdn. 94).

48

Der Einsprechenden wurde, wie von deren Vertreter in der mündlichen Verhandlung bestätigt und auch ihrem Beschwerdevorbringen zu entnehmen, während der Anhörung vor der Patentabteilung die Möglichkeit gegeben, zur Erweiterung des Schutzbereichs des Patents in der Fassung nach Hilfsantrag 2 Stellung zu beziehen. Darin, dass der Beschluss nicht alle Einzelheiten des Vorbringens der Einsprechenden aus der mündlichen Verhandlung wiedergibt, ist kein die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigender, schwerwiegender Verfahrensmangel zu sehen. Denn auch wenn der Senat bei der Beurteilung zu einem anderen Ergebnis gelangt als die Patentabteilung, so ist der Beschluss der Patentabteilung nachvollziehbar und mit Gründen versehen.