Entscheidungsdatum: 04.04.2012
Virtuelle Arbeitspunktbestimmung
1. Die in § 35 Abs. 2 Satz 2 PatG festgelegte Rechtsfolge, wonach die Anmeldung als nicht erfolgt gilt, tritt nicht ein, wenn im Nachgang zu einer teilweise fremdsprachigen Anmeldung innerhalb von drei Monaten überhaupt keine Übersetzung eingereicht wird, sofern die Mindesterfordernisse für die Zuerkennung des Anmeldetags von vornherein durch die deutschsprachigen Teile der Unterlagen erfüllt worden sind (im Anschluss an BGH GRUR 2012, 91 - Polierendpunktbestimmung).
2. Der Umstand, dass die Rechtfolge des § 35 Abs. 2 Satz 2 PatG trotz Ausbleibens einer vollständigen Übersetzung innerhalb der Dreimonatsfrist nicht ausgelöst wird, bedeutet nicht dass ein Anmelder von der Vorlage einer deutschen Übersetzung für die fremdsprachigen Teile der Anmeldung befreit wäre, denn eine Übersetzungspflicht folgt un mittelbar aus § 126 PatG, wonach die Sprache vor dem DPMA deutsch ist.
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Patentanmeldung 10 2007 056 773.3
(hier: wegen Übersetzungserfordernis, § 35 Abs. 1 Satz 1 PatG)
hat der 10. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 4. April 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Rauch, der Richterin Püschel und des Richters Eisenrauch
beschlossen:
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts – Prüfungsstelle 32 – vom 16. September 2008 aufgehoben.
I.
Die Anmelderin hat am 23. November 2007 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) eine Erfindung mit der Bezeichnung „Verfahren zum automatischen Bestimmen eines virtuellen Arbeitspunktes“ zum Patent angemeldet. Die Anmeldungsunterlagen bestehen aus dem ausgefüllten amtlichen Anmeldeformular, einer Seite Zusammenfassung, 28 Seiten Beschreibung, sieben Seiten Patentansprüchen sowie neun Blatt Zeichnungen mit insgesamt elf Figuren (Fig. 1, 2, 3a, 3b, 4a, 4b und 5 bis 9). Die Figuren 2, 3a, 3b und 4b enthalten Begriffe in englischer Sprache. Eine deutsche Übersetzung der fremdsprachigen Teile der Anmeldung hat die Anmelderin innerhalb von drei Monaten nach Einreichung der Anmeldung nicht zur Akte nachgereicht.
Nach entsprechendem Zwischenbescheid hat die Prüfungsstelle 32 mit Beschluss vom 16. September 2008 festgestellt, dass die am 23. November 2007 beim DPMA eingegangene Anmeldung als nicht erfolgt gelte. Zur Begründung wird ausgeführt, die Anmelderin habe es versäumt, die fremdsprachigen Teile der Anmeldung, nämlich die englischen Begriffe in den Zeichnungsblättern zu übersetzen. Das Übersetzungserfordernis ergebe sich aus § 35 Abs. 1 Satz 1 PatG und betreffe alle Teile der Anmeldungsunterlagen, die zur Offenbarung der Erfindung dienen könnten, daher auch die Zeichnungen. Für den Fall der Nichteinhaltung des Übersetzungserfordernisses - wie im vorliegenden Fall - bestimme § 35 Abs. 2 Satz 2 PatG, dass ein Anmeldetag nicht begründet werden könne.
Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit der Beschwerde.
Sie beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und festzustellen, dass den beim DPMA eingegangenen Unterlagen als Anmeldetag der 23. November 2007 zukommt.
Der angefochtene Beschluss sei fehlerhaft, weil es nicht gerechtfertig sei, allein wegen fremdsprachiger Begriffe, die sich in den Zeichnungen befänden, die Zuerkennung eines Anmeldetages zu verweigern. Im Falle vollständig fehlender Zeichnungen habe der Anmelder gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 PatG die Option, keine Zeichnungen nachzureichen und dennoch für seine Anmeldung den ursprünglichen Einreichungstag als Anmeldetag zu sichern. Wenn der Gesetzgeber es als zulässig betrachte, dass ein Anmelder trotz Nichtnachreichung von nicht vorhanden Zeichnungen den Anmeldetag behalten könne, so sei es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren, wenn die Zuerkennung eines Anmeldetages nur deshalb scheitern würde, weil in tatsächlich eingereichten Zeichnungen fremdsprachigen Begriffe vorhanden seien. Zudem würde eine Entfernung von fremdsprachigen Begriffen aus den Zeichnungen zu keiner unzulässigen Erweiterung des Erfindungsgegenstandes führen.
II.
Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die von der Prüfungsstelle getroffene Feststellung, wonach die Anmeldung als nicht erfolgt gelte, erweist sich nach dem vorliegenden Sachverhalt als unzutreffend. Das Fehlen einer Übersetzung zu den Figuren 2, 3a, 3b und 4b, die Begriffe in englischer Sprache enthalten, hat die Rechtsfolge des § 35 Abs. 2 Satz 2 PatG nicht ausgelöst.
Als Anmeldetag einer Patentanmeldung ist gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PatG der Tag anzusehen, an dem die Unterlagen nach § 34 Abs. 3 Nr. 1 und 2 PatG und Unterlagen, soweit sie jedenfalls Angaben enthalten, die dem Anschein nach als Beschreibung anzusehen sind, nach § 34 Abs. 3 Nr. 4 PatG beim Patentamt eingehen. Erforderlich für die Zuerkennung eines Anmeldetages ist somit, dass die an dem betreffenden Tag eingereichte Anmeldung den Namen (Firma) des Anmelders, einen Antrag auf Erteilung des Patents, in dem die Erfindung kurz und genau bezeichnet ist, sowie Ausführungen, die als Beschreibung der Erfindung angesehen werden können, enthält. Im Falle vollständig oder teilweise in einer fremden Sprache abgefasster Unterlagen ist jedoch gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 PatG die Zuerkennung eines Anmeldetages zusätzlich davon abhängig, dass eine Übersetzung innerhalb der in § 35 Abs. 1 Satz 1 PatG vorgesehenen dreimonatigen, mit Einreichung der Anmeldung beginnenden Frist nachgereicht wird. Der vorliegende Sachverhalt erfüllt indessen nicht den Tatbestand dieser Regelung, der nämlich eng auszulegen ist.
Im vorliegenden Fall hat die Anmelderin am 23. November 2007 beim DPMA in deutscher Sprache, unter Nennung ihrer Firma sowie einer kurzen und genauen Bezeichnung der Erfindung, einen Antrag auf Erteilung eines Patents eingereicht. Dem Antrag sind 47 Seiten Anlagen beigefügt, wobei auf drei Zeichnungsblättern insgesamt vier Figuren mit Begriffen in englischer Sprache versehen sind. Aufgrund der fehlenden Übersetzung für diese Teile der Anmeldungsunterlagen hat die Anmelderin zwar dem in § 35 Abs. 1 Satz 1 PatG festgelegten Erfordernis nicht genügt. Daraus folgt aber nicht zwingend, dass die Anmeldung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 PatG als nicht erfolgt gilt. Denn nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. Juli 2011, Az. X ZB 10/10 (GRUR 2012, 91, 92 - „Polierendpunktbestimmung“), ist § 35 Abs. 2 Satz 2 PatG in Zusammenhang mit § 35 Abs. 2 Satz 1 PatG zu lesen. Die Rechtsfolge, die in der Nichtzuerkennung des Anmeldetages besteht, tritt somit nur dann ein, wenn solche Teile der Anmeldung ursprünglich in einer Fremdsprache eingereicht worden sind, die nach § 35 Abs. 2 Satz 1 PatG für die Begründung des Anmeldetages unabdingbare Voraussetzung sind. Nur wenn diesbezüglich das Erfordernis der Nachreichung einer Übersetzung innerhalb von drei Monaten nicht erfüllt wird, kommt kein Anmeldetag zustande.
Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die in § 35 Abs. 2 Satz 2 PatG festgelegte Rechtsfolge nicht eintritt, wenn eine Übersetzung geliefert wird, die zwar unvollständig ist, aber immerhin solche Teile der Anmeldung umfasst, die zu den Mindesterfordernissen für die Zuerkennung des Anmeldetages zählen. Dasselbe gilt, wenn im Nachgang zu einer teilweise fremdsprachigen Anmeldung innerhalb von drei Monaten überhaupt keine Übersetzung eingereicht wird, sofern die Mindesterfordernisse von vornherein durch deutschsprachige Teile der Unterlagen erfüllt worden sind.
Mit den am 23. November 2007 eingereichten Unterlagen sind die in § 35 Abs. 2 Satz 1 PatG genannten Mindesterfordernisse für den Anmeldetag in deutscher Sprache erfüllt worden. Die Anmelderin hat nämlich nicht nur die Unterlagen gemäß § 34 Abs. 3 Nr. 1 und 2 PatG (Firma der Anmelderin, Erteilungsantrag mit kurzer und genauer Bezeichnung der Erfindung), sondern auch eine 28 Seiten umfassende Beschreibung der Erfindung in deutscher Sprache vorgelegt. Unerheblich ist hierbei, ob die englischsprachigen Begriffe in den Figuren 2, 3a, 3b und 4b ebenfalls als Teil der Beschreibung anzusehen sind. Im Sinne des Mindesterfordernisses gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 PatG genügt es, wenn die ursprünglich in deutscher Sprache eingereichten Ausführungen (oder die innerhalb von drei Monaten eingereichte Übersetzung ursprünglich fremdsprachiger Ausführungen) als eine Beschreibung der Erfindung angesehen werden können und diese für sich genommen die Mindesterfordernisse erfüllen. Dies ist hier in Bezug auf die ausdrücklich als Beschreibung gekennzeichneten 28 Seiten zweifelsohne der Fall. Damit ist am 23. November 2007 der Anmeldetag wirksam begründet worden.
Da der vorliegenden Patentanmeldung somit die Wirksamkeit nicht abgesprochen werden kann, wird das Anmeldeverfahren vom DPMA fortzuführen sein. Die Prüfungsstelle wird somit auf die Nachreichung veröffentlichungsfähiger Unterlagen hinzuwirken haben. Sie kann dies, falls die Anmelderin die Figuren 2, 3a, 3b und 4b nicht insgesamt fallen lässt, z. B. dadurch erreichen, dass sie die Anmelderin zur Nachreichung neuer Zeichnungsblätter auffordert, in denen die englischsprachigen Begriffe durch die entsprechenden deutschen Begriffe ersetzt worden sind, sofern es sich hierbei nicht bereits um üblich gewordene Fachbegriffe handeln sollte, die keiner Übersetzung bedürfen.
Der Umstand, dass die Rechtsfolge des § 35 Abs. 2 Satz 2 PatG trotz Ausbleibens einer vollständigen Übersetzung innerhalb der Dreimonatsfrist nicht ausgelöst wird, bedeutet nicht, dass ein Anmelder von der Vorlage einer deutschen Übersetzung für die fremdsprachigen Teile seiner Anmeldung befreit wäre. Die Pflicht, die gemäß § 34 Abs. 3 PatG erforderlichen (und auch sonstigen) Anmeldungsunterlagen in deutscher Sprache einzureichen, folgt unmittelbar aus § 126 PatG, wonach die Verfahrenssprache beim DPMA deutsch ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juli 2010, Az. 10 W (pat) 10/08, BPatGE 52, 73, 76, Abschnitt II. 1. - „Umschalter“ = GRUR 2011, 360, 361). Durch § 126 PatG wird klargestellt, dass nur Unterlagen in deutscher Sprache die Anforderungen des § 34 Abs. 3 PatG erfüllen. Die Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 1 PatG bestimmt insoweit nur eine Ausnahme von dieser Regel, als sie dem Anmelder eine gesetzliche Nachfrist gewährt, innerhalb der er dem Gebot des § 126 PatG Genüge zu tun hat (vgl. Schulte/Rudloff-Schäffer, PatG, 8. Aufl., § 35 Rn. 12). Durch § 126 PatG soll gewährleistet werden, dass für das gesamte Anmeldeverfahren eine deutsche Fassung der Anmeldung zur Verfügung steht und dass zur Unterrichtung der Öffentlichkeit in Deutschland sowohl die Offenlegungsschrift als auch die Patentschrift in deutscher Sprache erscheinen können (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juli 2010, a. a. O.; vgl. auch Benkard/Schäfers, PatG, 10. Aufl., § 35 Rn. 15 f.).
Die Prüfungsstelle kann daher in jeder Lage des Anmeldeverfahrens - gegebenenfalls auch bereits vor Ablauf der in § 35 Abs. 1 Satz 1 PatG geregelten dreimonatigen Nachreichungsfrist - auf fremdsprachige Teile in den Anmeldungsunterlagen und auf die Notwendigkeit zu deren Übersetzung hinweisen. Nach Ablauf der genannten dreimonatigen Nachreichungsfrist kann die Prüfungsstelle - wenn kein Fall des Anmeldetagverlusts nach § 35 Abs. 2 Satz 2 PatG vorliegt - in unmittelbarer Anwendung von § 42 Abs. 1 i. V. m. § 126 PatG und § 34 Abs. 3 PatG in der Offensichtlichkeitsprüfung oder auch noch in einem späteren Prüfungsverfahren nach § 45 Abs. 1 i. V. m. § 126 PatG und § 34 Abs. 3 PatG das Vorhandensein von fremdsprachigen Teilen in den Unterlagen als einen Mangel der Anmeldung beanstanden und im Falle des fruchtlosen Ablaufs einer gesetzten Frist die Anmeldung nach Maßgabe des § 42 Abs. 3 PatG oder gegebenenfalls nach § 48 PatG zurückweisen.