Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 18.03.2010


BPatG 18.03.2010 - 10 W (pat) 23/08

Patentbeschwerdeverfahren – zum Rechtsschutzbedürfnis einer Beschwerde: Patentanmeldung gilt wegen Nichtzahlung der Anmeldegebühr schon zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde als zurückgenommen – Beschluss geht über gesetzliche Rücknahmefiktion hinaus – Rechtsschutzbedürfnis besteht


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsdatum:
18.03.2010
Aktenzeichen:
10 W (pat) 23/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze
Art 4 Abschn A Abs 3 PVÜ

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2007 020 165.8

wegen Übersetzungserfordernis, § 35 Abs. 1 Satz 1 PatG

hat der 10. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 18. März 2010 durch die Richterin Püschel als Vorsitzende, den Richter Eisenrauch und den Richter Lehner

beschlossen:

Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts- Prüfungsstelle 1.32 - vom 16. Januar 2008 wird aufgehoben.

Gründe

I

1

Die Anmelderin hat per Telefax am 26. April 2007 beim Deutschen Patent- und Markenamt einen Antrag auf Erteilung eines Patents mit der Bezeichnung  „Kühlwasserkreislauf eines Hydrogenerators“ eingereicht. Dem Antrag waren zwei Seiten Beschreibung und ein Blatt Zeichnungen mit zur Erläuterung in englischer Sprache gehaltenen Begriffen nebst zwei Figuren beigefügt.

2

Das Deutsche Patent- und Markenamt - Prüfungsstelle 1.32 - hat nach vorhergehendem Zwischenbescheid mit Beschluss vom 16. Januar 2008 festgestellt, dass die Anmeldung als nicht erfolgt gelte. Zur Begründung ist ausgeführt, die Patentanmeldung sei teilweise fremdsprachig eingereicht. Da sich das Übersetzungserfordernis des § 35 Abs. 1 Satz 1 PatG auf sämtliche Offenbarungsunterlagen erstrecke, seien hiervon auch die in englischer Sprache gehaltenen Begriffe in den der Beschreibung der Erfindung beigefügten Zeichnungen erfasst. In einem solchen Fall sei zur Vermeidung einer Zurückweisung der Anmeldung innerhalb einer Frist von drei Monaten eine deutsche Übersetzung nachzureichen. Dem sei die Anmelderin nicht nachgekommen.

3

Das Aktenzeichen wurde am 13. Februar 2008 gelöscht. Anmeldegebühren hat die Anmelderin nicht entrichtet.

4

Gegen den Beschluss vom 16. Januar 2008 wendet sich die Anmelderin mit ihrer am 13. März 2008 beim Patentamt eingegangenen Beschwerde, für die sie am selben Tag eine Gebühr von 200,-- € entrichtet hat. Sie stellt die Anträge,

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den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. Januar 2008 aufzuheben und die Löschung des Aktenzeichens aus dem Register rückgängig zu machen.

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Zur Begründung führt sie aus, vom Übersetzungserfordernis des § 35 Abs. 1 Satz 1 PatG seien die verfahrensgegenständlichen fremdsprachigen Begriffe in den Zeichnungen nicht erfasst. Dies folge bereits daraus, dass § 35 Abs. 2 Satz 1 PatG nicht auf § 34 Abs. 3 Nr. 5 PatG verweise. Nachdem die Vorlage von Zeichnungen nicht zu den Mindesterfordernissen zur Begründung eines Anmeldetages zähle, könnten darin enthaltene Mängel nicht dazu führen, den Anmeldetag nicht zuzuerkennen. Dies gelte im Streitfall umso mehr, als den der Anmeldung beigefügten Zeichnungen lediglich eine bevorzugte Ausführungsform der Erfindung zugrunde liege. Deren Offenbarungsgehalt erschließe sich ausschließlich aus der Beschreibung. Diese enthalte auch keine Verweise auf die Zeichnungen.

7

Eine Übersetzung der Beschriftung der Zeichnungen hat die Anmelderin beim Patentamt nicht eingereicht.

II.

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1. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere fehlt ihr nicht deshalb, weil die Patentanmeldung - unterstellt, sie ist rechtswirksam - schon zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde wegen Nichtzahlung der Anmeldegebühr als zurückgenommen gilt, das Rechtsschutzbedürfnis. Der patentamtliche Beschluss, wonach die Anmeldung als nicht erfolgt gelte, geht rechtlich über die gesetzliche Rücknahmefiktion hinaus. Eine Anmeldung, die wirksam eingereicht und später zurückgenommen worden ist oder als zurückgenommen gilt, kann ein Prioritätsrecht begründen, eine rechtsunwirksame Anmeldung, der kein Anmeldetag zukommt, dagegen nicht. Voraussetzung für die Entstehung und Inanspruchnahme einer Priorität ist die vorschriftsmäßige Hinterlegung einer ersten Anmeldung, wobei die Erfüllung der Formerfordernisse genügt, die das Erstanmeldeland für die wirksame Begründung des Anmeldetags fordert (vgl. Schulte , PatG, 8. Aufl., § 41 Rn. 13 ff). Das spätere Schicksal der Erstanmeldung ist nach Art. 4 A Abs. 3 PVÜ für das Prioritätsrecht ohne Bedeutung. Die Anmelderin hat daher ein schutzwürdiges Interesse an der Entscheidung, ob der vorliegenden Patentanmeldung ein Anmeldetag zuzuerkennen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - 10 W (pat) 24/04).

9

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Patentanmeldung ist am 26. April 2007 rechtswirksam eingereicht worden. Die vom Patentamt getroffene Feststellung, dass sie mangels fristgerechter Einreichung einer Übersetzung der Zeichnungsbeschriftungen als nicht erfolgt zu gelten haben, hat keinen Bestand.

10

Ist eine Anmeldung ganz oder teilweise nicht in deutscher Sprache verfasst, so hat ein Anmelder gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 PatG eine deutsche Übersetzung innerhalb von drei Monaten nach Einreichung der Anmeldung nachzureichen. Dies gilt grundsätzlich auch für fremdsprachige Zeichnungsbeschriftungen (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juni 2009, 10 W (pat) 43/07 - Mobilfunknetzwerk). Im Streitfall ist die Beschreibung der Erfindung in deutscher Sprache gehalten, die beigefügten Zeichnungen weisen allerdings englische Begriffe auf:

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Die auf der linken Seite der der Textbeschreibung beigefügten Zeichnung abgebildete, mit „Closed water cooling circuit with water-water heat exchanger integrated in the penstock “ überschriebene Figur enthält die englischen Begriffe „Waterflow“, „water-water heat exchanger“, „water turbine spiral case or pelton ring pipes“, „water-oil and water-air heat exchanger“ sowie „inlet valve“, versehen mit dem Zusatz „if any“. Die auf der rechten Seite des Zeichnungsblattes wiedergegebene Figur („Conventional open water cooling circuit“) weist die englischen Bezeichnungen „Water Filter“, „water-oil and water-air heat exchanger“ und „Downstream“ auf.

12

Der Senat hat in der Vergangenheit wiederholt entschieden, dass es - unbeschadet dessen, dass die Amtssprache vor dem Deutschen Patent- und Markenamt grundsätzlich deutsch ist (§ 126 PatG) - unschädlich ist, wenn sich in den Unterlagen einer Patentanmeldung bzw. im übersetzten Text englischsprachige Ausdrücke befinden, sofern diese Ausdrücke auf dem einschlägigen Fachgebiet allgemein anerkannt sind oder wenn sich eine einheitliche deutsche Entsprechung noch nicht herausgebildet hat oder wenn sich dem deutsch sprechenden Fachmann ihre Bedeutung auch ohne Übersetzung - etwa im Zusammenhang mit der Beschreibung - erschließt (zuletzt Beschlüsse vom 4. Dezember 2008 - 10 W (pat) 40/08, vom 16. Juni 2009 - 10 W (pat) 43/07 und vom 3. Dezember 2009 - 10 W (pat) 10/08; vgl. auch Schulte/ Rudloff-Schäffer a. a. O., § 126 Rn. 8 m. w. N.). Dies gilt auch für zur Erläuterung der vermeintlichen Erfindung der Textbeschreibung beigefügte Zeichnungen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. September 2007 - 10 W (pat) 22/07).

13

Jedenfalls der zuletzt genannte Gesichtspunkt trifft auf den vorliegenden Streitfall zu. Dem auf dem technischen Fachgebiet der Kühlwassersysteme tätigen, mit Entwicklungsarbeiten befassten Durchschnittsfachmann - auf den entgegen der Auffassung des Patentamts abzustellen ist, nicht hingegen auf die Englischkenntnisse eines Technikers mit Hauptschulabschluss - wird sich aufgrund seiner Fremdsprachenkenntnisse ohne weiteres unter Berücksichtigung des Offenbarungsgehalts der in deutscher Sprache gehaltenen Textbeschreibung der angemeldeten Erfindung die Bedeutung der vorstehend aufgeführten, in den Zeichnungen enthaltenen englischen Begriffe erschließen. Die Worte „if“ und „any“ im Sinne von „falls vorhanden“ zählen zum Grundwortschatz. Gleiches gilt für „Water Filter“ (Wasserfilter) und „Downstream“ (wörtlich zu übersetzen mit: „flussabwärts, stromabwärts“). Ein Blick in die Beschreibung verrät dem Fachmann auch, dass mit „water-water heat exchanger“ nur der dort erwähnte, den Kern der (vermeintlichen) Erfindung berührende „Wasser/Wasser-Wärmeübertrager“ gemeint sein kann. Der Schritt zur Einordnung des „water-oil and water-air heat exchanger“ als „Wasser-Öl und Wasser-Luft Wärmeübertrager“ ist unter Zugrundelegung dieser Kenntnisse ebenso gering wie die Erkenntnis, dass mit „water turbine spiral case or pelton ring pipes“ die Medien gemeint sind, an die die Verlustwärme abgeführt werden soll und die in der Beschreibung explizit erwähnt werden (z. B. Generatoren, Turbinenlager, Transformatoren). Ebenso erschließt sich dem Fachmann ohne weiteres, dass die Erfindung (bzw. das in der Beschreibung erwähnte bevorzugte Ausführungsbeispiel) auf der linken Seite der Zeichnung dargestellt ist (betitelt als „Closed water cooling circuit with water-water heat exchanger integrated in the penstoc “), wohingegen diese auf der rechten Seite den Stand der Technik wiedergibt „(conventional open water cooling circuit“ als der in der Beschreibung erwähnte „offene Wasser-Kühlkreis“).