Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 24.02.2011


BVerwG 24.02.2011 - 10 C 7/10

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsdatum:
24.02.2011
Aktenzeichen:
10 C 7/10
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 10. Juli 2006, Az: 16 A 4045/05.A, Urteilvorgehend EuGH, 2. März 2010, Az: C-175/08, Urteil

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung.

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Der 1971 in Khanakin (Zentralirak) geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung trug er u.a. vor, er habe seit 1975 in Bagdad gelebt und sei nach dem Schulabschluss als Händler zwischen Kurdistan und Bagdad tätig gewesen. Er gehöre einer kommunistischen Familie an, zwei seiner Brüder seien Mitglieder der kommunistischen Partei in Arbil. Er sei von den Irakern verdächtigt worden, Informationen für die kommunistische Partei in Kurdistan zu sammeln, und deshalb sowie wegen seiner Desertion vom Militär 1988 vier Monate inhaftiert gewesen. Da die irakischen Behörden auch 1997 nach ihm gesucht hätten, habe er die Teilnahme an einer Trauerfeier in Arbil genutzt, um aus dem Irak auszureisen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - lehnte im Oktober 1997 den Asylantrag ab. Die Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 10. August 2000 hinsichtlich der Asylanerkennung ab, da das Vorbringen des Klägers über seine Verfolgung im Irak in wesentlichen Punkten unauflösbar widersprüchlich und insgesamt unglaubhaft sei. Das Gericht verpflichtete aber das Bundesamt, für den Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG) festzustellen, weil dieser im Irak wegen seiner Asylantragstellung politische Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins zu befürchten habe. Dieser Verpflichtung kam das Bundesamt mit Bescheid vom 30. Oktober 2000 nach.

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Im Januar 2005 leitete das Bundesamt wegen der veränderten Verhältnisse im Irak ein Widerrufsverfahren ein. In der Anhörung berief sich der Kläger darauf, dass bei einem Widerruf auch seine persönliche Situation zu berücksichtigen sei, also sein langjähriger Aufenthalt in Deutschland und der Umstand, dass er wegen der Verbindungen seiner Familie zur kommunistischen Partei bei einer Rückkehr nunmehr von Islamisten bedroht sei; er sei auch als Rückkehrer besonders gefährdet, und es gebe keine Institution, die willens und in der Lage sei, ihn vor Übergriffen und Bombenattentaten zu schützen. Das Bundesamt widerrief mit Bescheid vom 28. Juni 2005 die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Nr. 1 des Bescheids), und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Nr. 2 des Bescheids) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Nr. 3 des Bescheids) nicht vorliegen.

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Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 28. September 2005 den Widerrufsbescheid aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 10. Juli 2006 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig. Ihm stehe nicht entgegen, dass die Flüchtlingsanerkennung auf einer rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung beruhe. Denn die Rechtskraft erstrecke sich nur auf die seinerzeit maßgebliche Sachlage. Diese habe sich in der Folgezeit aber mit Blick auf den Wegfall des Regimes Saddam Husseins wesentlich geändert. Deshalb und weil dem Kläger auch nicht aus sonstigen Gründen erneut Verfolgung drohe, lägen auch die Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vor. Dabei könne auf sich beruhen, ob der Kläger den Irak unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung durch das Baath-Regime Saddam Husseins verlassen habe. Denn er sei vor einer solchen Verfolgung jetzt hinreichend sicher. Das Regime Saddam Husseins habe seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die im März 2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA endgültig verloren. Eine Rückkehr des Regimes sei nach den aktuellen Machtverhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die Herausbildung einer Struktur, die vom früheren Regime als Gegner angesehene Personen erneut (wiederholend) verfolge. Dem Kläger drohe auch nicht aus anderen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine - wie auch immer geartete - Verfolgung. Greifbare Anhaltspunkte für asylerhebliche Übergriffe von Seiten der neu gebildeten irakischen Regierung oder dem irakischen Staat sonst zurechenbarer Kräfte einschließlich der multinationalen Streitkräfte und der kurdischen Parteien im Nordirak ließen sich den aktuellen Erkenntnissen nicht entnehmen. Dabei könne auf sich beruhen, ob mit der neuen Regierung ein zu politischer Verfolgung fähiges Machtgebilde in dem Sinne entstanden sei, dass es eine gewisse Stabilität aufweise und die Fähigkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer übergreifenden Friedensordnung besitze. Auch für eine nichtstaatliche Verfolgung gebe das Vorbringen des Klägers nichts Tragfähiges her. Soweit es nach wie vor insbesondere zu Anschlägen und Kampfhandlungen zwischen militanter Opposition sowie regulären Streitkräften und Koalitionsstreitkräften komme, sei nicht erkennbar, dass dieses Geschehen bezogen auf den Kläger an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Die Richtlinie 2004/83/EG entfalte vor Ablauf der Umsetzungsfrist keine unmittelbare Wirkung, außerdem ändere sie § 60 Abs. 1 AufenthG nicht in seinem Kerngehalt. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, die eine Rückkehr in den Irak unzumutbar erscheinen ließen, seien weder geltend gemacht noch ersichtlich. § 73 Abs. 2a AsylVfG sei vorliegend weder direkt noch analog anwendbar. Ob das Bundesamt den Widerruf unverzüglich im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ausgesprochen habe, sei nicht entscheidungserheblich. Dahinstehen könne, ob die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG bei Widerrufsentscheidungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG zu beachten sei, da sie eingehalten wäre. Der Kläger könne auch nicht die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG beanspruchen.

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Mit der vom Senat beschränkt auf den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung (Nr. 1 und 2 des Bescheids) zugelassenen Revision erstrebt der Kläger insoweit die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Mit Beschluss vom 31. März 2008 - BVerwG 10 C 22.07 - hat der Senat das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über die Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 7. Februar 2008 in den Parallelfällen BVerwG 10 C 33.07 u.a. zur Klärung der Voraussetzungen für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG ausgesetzt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Vorlagefragen mit Urteil vom 2. März 2010 beantwortet.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Widerrufsentscheidung bestätigende Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet (1.) und der angefochtene Bescheid nicht schon deshalb rechtswidrig ist, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - kein Ermessen ausgeübt hat (2.). Das Berufungsurteil verstößt hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen aber gegen § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG, der seinerseits im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in seinem Grundsatzurteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist (3.). Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat nicht selbst abschließend in der Sache entscheiden. Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Widerrufs ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte. Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen (vgl. Urteil des Senats vom selben Tag im Parallelverfahren BVerwG 10 C 3.10 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen m.w.N.).

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1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Widerruf nicht an einem formellen Mangel leidet. Insbesondere begegnet die angefochtene Entscheidung weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken (vgl. Urteil des Senats vom selben Tag im Parallelverfahren BVerwG 10 C 3.10 m.w.N.).

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2. Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Die für die Zulassung der Revision ausschlaggebende Frage, ob der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung einer Ermessensentscheidung (bisher nach § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG; nunmehr nach § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG) bedurfte, ist durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG geklärt. Danach ist in Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, vor Prüfung und Verneinung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen in dem seit dem 1. Januar 2005 vorgeschriebenen Verfahren (Negativentscheidung) keine Ermessensentscheidung erforderlich (vgl. Urteil des Senats vom selben Tag im Parallelverfahren BVerwG 10 C 3.10 m.w.N.).

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3. Das Berufungsurteil ist hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen aber nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren, der im Lichte der inzwischen umgesetzten Richtlinie 2004/83/EG und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Grundsatzurteil vom 2. März 2010 (a.a.O.) auszulegen ist. Danach ist - wie der Senat in seinem Urteil vom selben Tag im Parallelverfahren BVerwG 10 C 3.10 im Einzelnen ausgeführt hat - die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund deren der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss.

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Eine abschließende Prüfung dieser materiellen Widerrufsvoraussetzungen ist dem Senat im vorliegenden Verfahren auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht möglich.

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Allerdings ist das Berufungsgericht in Anwendung der sich aus Art. 11 der Richtlinie 2004/83/EG und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebenden Vorgaben im Ergebnis zu Recht von einem Wegfall der der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr ausgegangen. Der Kläger wurde aufgrund des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 10. August 2000 allein deshalb als Flüchtling anerkannt, weil er wegen seiner Asylantragstellung in Deutschland bei einer Rückkehr Verfolgung aus politischen Gründen durch das Regime Saddam Husseins zu befürchten habe. Diese die Furcht des Klägers vor einer staatlichen Verfolgung begründende Tatsache ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dauerhaft beseitigt worden. Nachdem das Regime Saddam Husseins seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die am 20. März 2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA endgültig verloren hat, ist diesen Feststellungen zufolge nach den aktuellen Machtverhältnissen eine Rückkehr des alten Regimes ebenso ausgeschlossen wie die Bildung einer Struktur, die eine vom früheren Regime gesehene Gegnerschaft als solche übernimmt und erneut (wiederholend) verfolgt. Dies gelte auch nach Wiederherstellung der Souveränität des Irak im Juni 2004 und dem nachfolgenden Umstrukturierungsprozess mit Durchführung von Parlamentswahlen, Bildung einer Regierung sowie der Annahme einer neuen irakischen Verfassung mit Referendum vom 15. Oktober 2005, nach der der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat ist und der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (UA S. 6 f.). Aus diesen Feststellungen und dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe ergibt sich, dass der Kläger wegen seiner Asylantragstellung und der deswegen vermuteten Gegnerschaft gegen das Regime Saddam Husseins keine Bestrafung und auch keine sonstige Verfolgung mehr zu befürchten hat. Dies umfasst zugleich die Feststellung, dass mit der neuen irakischen Regierung ein staatlicher Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die frühere Verfolgung wegen der Asylantragstellung und der illegalen Ausreise dauerhaft zu verhindern.

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Soweit das Berufungsgericht an anderer Stelle - im Zusammenhang mit der Prüfung einer staatlichen Verfolgung im Sinne des verfassungsrechtlichen Asylrechts nach Art. 16a GG - offenlässt, ob mit der neuen irakischen Regierung ein "zu politischer Verfolgung fähiges Machtgebilde in dem Sinne entstanden ist, dass es eine gewisse Stabilität aufweist und die Fähigkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer übergreifenden Friedensordnung besitzt" (UA S. 13), kann dem bei verständiger Würdigung der Urteilsgründe nicht entnommen werden, dass damit die zuvor getroffene Feststellung, dass eine Verfolgung des Klägers wegen der Asylantragstellung nunmehr dauerhaft ausgeschlossen ist, in Frage gestellt werden sollte. Insbesondere kann daraus nicht geschlossen werden, dass die neue irakische Regierung im Rahmen der Prüfung des Wegfalls der Umstände nach § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nicht als geeigneter Schutzakteur im Sinne von Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG in Betracht kommt. Denn die Frage, ob ein Akteur im Sinne von Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG ausreichend Schutz bietet, ist bezogen auf die jeweilige der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu beurteilen. Die neue irakische Regierung ist aber angesichts der vom Berufungsgericht festgestellten politischen Entwicklung, die u.a. zur Abschaffung der staatlichen Verfolgung und Bestrafung wegen Asylantragstellung und der deshalb vermuteten Gegnerschaft zum Regime Saddam Husseins geführt hat, insoweit als schutzbietender Akteur anzusehen.

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Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung setzt neben dem Wegfall der der Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr aber weiter voraus, dass der Betreffende auch nicht wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung hat. Insoweit hat der Kläger im Widerrufsverfahren geltend gemacht, dass er wegen der Verbindungen seiner Familie zur kommunistischen Partei bei einer Rückkehr nunmehr von Islamisten bedroht sei. Auf seine Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Familie und eine daraus folgende Gefährdung seiner Person durch das damalige Regime Saddam Husseins hatte er sich auch schon - allerdings erfolglos - im Anerkennungsverfahren berufen. Auf dieses Vorbringen des Klägers ist das Berufungsgericht in den Urteilsgründen nicht eingegangen, sondern hat nur pauschal festgestellt, dass sich für eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure aus seinem Vorbringen nichts Tragfähiges ergebe. Soweit es nach wie vor zu terroristischen Anschlägen und fortgesetzten offenen Kampfhandlungen zwischen militanter Opposition im Irak sowie regulären Sicherheitskräften und Koalitionsstreitkräften komme, sei nicht erkennbar, dass derartiges Geschehen an asylerhebliche Merkmale des Klägers anknüpfe (UA S. 15).

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Diese Feststellung beruht auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage und wird den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO) nicht gerecht. Darin liegt eine Verletzung materiellen Rechts. Nachdem sich der Kläger im Widerrufsverfahren darauf berufen hat, er habe im Irak wegen anderer Umstände Verfolgung im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG zu befürchten, hätte das Berufungsgericht die Befürchtungen des Klägers anhand der Erkenntnisquellen auf ihre Glaubhaftigkeit und Entscheidungserheblichkeit überprüfen müssen und ihn gegebenenfalls persönlich hierzu anhören müssen. Dies war hier auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Verwaltungsgericht im Anerkennungsverfahren seinerzeit den Vortrag des Klägers über seine Vorverfolgung im Irak, die u.a. auch mit Aktivitäten von Familienangehörigen für die kommunistische Partei begründet worden war, für widersprüchlich und unglaubhaft gehalten hat. Denn diese Feststellungen werden von der Rechtskraft des damaligen Urteils nicht erfasst und haben deshalb auch für das Widerrufsverfahren keinerlei Bindungswirkung. Vielmehr hätte das Bundesamt bzw. das Gericht sich im Widerrufsverfahren auf das entsprechende Vorbringen des Klägers hin insoweit unter Berücksichtigung der maßgeblichen aktuellen Sachlage eine eigene Überzeugung bilden müssen. Erst auf der Grundlage einer dergestalt aufgearbeiteten Tatsachengrundlage hätte zuverlässig beurteilt werden können, ob tatsächlich keine Anhaltspunkte für die vom Kläger geltend gemachte Verfolgung bestehen.

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4. Hinsichtlich des weiteren Vorgehens weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht insbesondere zu klären hat, ob dem Kläger nach Wegfall der seiner Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr im Irak wegen anderer Tatsachen oder Umstände Verfolgung droht. Hierzu hat es den Kläger zu den von ihm geltend gemachten anderen Verfolgungsgefahren anzuhören und festzustellen, inwieweit diese auf dem gleichen Verfolgungsgrund im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG beruhen wie seine Anerkennung. Hiervon dürfte bei einer etwaigen an Verbindungen seiner Familie zur kommunistischen Partei anknüpfenden Verfolgungsgefahr durch Islamisten auszugehen sein. Denn eine solche Verfolgung würde ebenso wie die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung an den Verfolgungsgrund der (vermuteten) politischen Überzeugung anknüpfen. Sollte dem Kläger mit Blick auf Verbindungen seiner Familie zur kommunistischen Partei Verfolgung drohen, wäre dies daher normalerweise schon im Rahmen der Prüfung nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG bei der Frage zu berücksichtigen, ob die festgestellte Veränderung der Umstände, nämlich die Beseitigung der Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins und die Etablierung einer neuen Regierung als Schutzakteur im Sinne von Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG, hinreichend erheblich ist, um die Furcht des Klägers vor Verfolgung als nicht mehr begründet ansehen zu können (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 98 f. und Urteil des Senats vom selben Tag im Parallelverfahren BVerwG 10 C 3.10, Leitsatz 3 und Rn. 24). Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass dem Kläger zumindest in Teilen des Irak Verfolgung droht, müsste es schließlich auch die Voraussetzungen für eine innerstaatliche Fluchtalternative nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG prüfen.