Entscheidungsdatum: 07.07.2011
Der Kläger begehrt Flüchtlingsschutz und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf die Türkei.
Der 1980 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste im März 2007 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung gab er im Wesentlichen an: Er sei, wie auch seine frühere Ehefrau, die er 2002 geheiratet habe, aktiver Anhänger der DHKP/C gewesen. Nach der Eheschließung hätten sie ihre politischen Aktivitäten gemeinsam fortgesetzt und sich dabei verstärkt für die DHKP/C engagiert. Er habe sich später insbesondere für den Verein TAYAD wie auch die prokurdische Partei DEHAP/DTP eingesetzt. Seine Frau habe sich zunehmend bei der DHKP/C betätigt, sich dabei radikalisiert und bewaffnete Anschläge befürwortet. Dadurch seien Konflikte zwischen ihnen entstanden und er habe deshalb im Juni 2006 die eheliche Wohnung verlassen. Die Wohnung sei aber weiterhin auf seinen Namen gelaufen und von ihm finanziert worden. Ende Dezember 2006 sei seine Ehe geschieden worden. Im Januar 2007 sei seine Frau verhaftet und eine polizeiliche Razzia in der Wohnung durchgeführt worden. Dabei sei dort ein Waffenlager entdeckt worden. In diesem Zusammenhang habe die Polizei dann auch nach ihm gesucht. Er sei gewarnt worden, dass er ebenfalls mit einer Verhaftung rechnen müsse. Daraufhin sei er mit Hilfe eines Schleppers nach Deutschland ausgereist.
Mit Bescheid vom 1. August 2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage insgesamt ab.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugelassen und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei, als er die Türkei verlassen habe, unmittelbar von politischer Verfolgung bedroht gewesen. Ihm müsse daher der für Vorverfolgte geltende herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugute kommen. Die Gefahr einer ihm erneut drohenden politischen Verfolgung könne nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Denn Aktivisten der in der Türkei verbotenen, gewaltbereiten linksextremistischen Organisationen wie gerade auch der DHKP/C müssten befürchten, Opfer schwerwiegender Übergriffe bis hin zu Misshandlungen und Folterungen zu werden. Dies müsse auch der Kläger befürchten vor dem Hintergrund der Festnahme seiner früheren Ehefrau als Gebietsleiterin der DHKP/C und nach Aufdeckung des in seiner Wohnung aufgefundenen Waffenlagers wie aber auch seiner eigenen langjährigen Aktivitäten für den Verein TAYAD. Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft stehe kein Ausschlusstatbestand entgegen. Der Kläger habe sich nicht in ähnlicher Weise wie seine Ehefrau radikalisiert. Es könne deshalb nicht angenommen werden, dass von ihm künftig eine Gefahr ausgehe, wie sie in den flüchtlingsrechtlichen Ausschlusstatbeständen vorausgesetzt sei.
Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die Abweisung der noch anhängigen Klage. Der Kläger sei nach § 60 Abs. 8 Satz 2 Alt. 2 AufenthG a.F. (inzwischen: § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG) vom Flüchtlingsschutz ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzen die Ausschlussgründe keine fortbestehende Gefährlichkeit des Ausländers voraus.
Mit Beschluss vom 16. Juli 2009 - BVerwG 10 C 3.09 - hat der Senat das Verfahren ausgesetzt, nachdem er dem Gerichtshof der Europäischen Union in zwei anderen Verfahren verschiedene Fragen zur Auslegung der inzwischen unionsrechtlich geregelten Ausschlussgründe in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c und zu Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte. Der Gerichtshof hat die Vorlagefragen mit Urteil vom 9. November 2010 (Rs. C-57/09 und C-101/09 - NVwZ 2011, 285) beantwortet (vgl. auch die Senatsurteile vom heutigen Tag in den Verfahren BVerwG 10 C 26.10 und BVerwG 10 C 27.10).
Die Beklagte sieht sich in ihrer Auffassung durch das Urteil des Gerichtshofs bestätigt. Dem schließt sich der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht an.
Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil. Seiner Auffassung nach fehlt es an der Feststellung seiner persönlichen Verantwortung für konkrete terroristische Aktionen der DHKP/C.
Die Revision der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Die Berufungsentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht zu vereinbaren ist (1.). Es hat die positiven Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG auf zu schmaler Tatsachengrundlage und damit entgegen den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung bejaht und ist dabei von einem rechtlich unzutreffenden Maßstab ausgegangen (1.1). Vor allem aber hat es das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG (früher: § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG 1990) mit einer Begründung verneint, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist. So hat es zunächst auf zu schmaler Tatsachengrundlage angenommen, dass der Kläger keine Ausschlussgründe verwirklicht habe. Im Übrigen ist es der Sache nach zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Ausschluss nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG voraussetzt, dass von dem Betreffenden auch noch gegenwärtig die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten oder Handlungen im Sinne dieser Bestimmungen droht (1.2). Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat nicht selbst abschließend entscheiden, ob der Kläger Verfolgung zu befürchten hat, aber gegebenenfalls durch seine Aktivitäten insbesondere für die DHKP/C einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 3 AsylVfG verwirklicht hat (2.). Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist die neue, seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltende Rechtslage.
1. Rechtgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen des § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Dies gilt allerdings (u.a.) dann nicht, wenn er einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 AsylVfG verwirklicht hat.
1.1 Das Berufungsgericht ist vorliegend davon ausgegangen, dass der Kläger die positiven Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt. Es hat dies allerdings auf unzureichende tatsächliche Feststellungen gestützt und sich dabei von einem rechtlich unzutreffenden Maßstab leiten lassen.
Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der Kläger sein Heimatland verlassen hat, nachdem er dort wegen seiner politischen Überzeugung unmittelbar von politischer Verfolgung bedroht war (UA S. 8 f.). Bei seiner Prüfung, ob dem Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei (erneut) Verfolgung droht, hat es mit Blick auf dessen Vorverfolgung auf den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung abgestellt (UA S. 10), wie er in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht für Fälle der Vorverfolgung entwickelt und dann auf den Flüchtlingsschutz übertragen worden ist. Dieses materiellrechtliche Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose ist der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) fremd. Sie geht vielmehr von einem einheitlichen Prognosemaßstab aus, der dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nach bisheriger deutscher Rechtslage entspricht und verfolgt einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er etwa bei der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum Ausdruck kommt. Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 hat der deutsche Gesetzgeber deshalb bei der Flüchtlingsanerkennung die bisherigen unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe des nationalen Rechts aufgegeben und sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu eigen gemacht (vgl. zum Vorstehenden im Einzelnen Urteil des Senats vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, m.w.N.).
Dass der Kläger tatsächlich vor seiner Ausreise unmittelbar von politischer Verfolgung bedroht war, hat das Berufungsgericht auf zu schmaler Tatsachengrundlage angenommen. Denn es hat sich hierbei vor allem auf die Angaben des Klägers gestützt und bezüglich deren Glaubhaftigkeit nicht gewürdigt, dass der Kläger nach der eingeholten Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 1. September 2008 in der Türkei weder im Zusammenhang mit dem gegen seine geschieden Ehefrau eingeleiteten Strafverfahren noch wegen seiner eigenen früheren Aktivitäten gesucht wird. Der Senat kann diese Frage nicht abschließend beurteilen. Sollte der Kläger sein Heimatland vorverfolgt verlassen haben, wäre dies nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründet ist. Dann bleibt zu prüfen, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen.
1.2 Erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG, kommt es entscheidend darauf an, ob er durch die ihm zur Last gelegten Aktivitäten insbesondere für die DHKP/C vor seiner Ausreise einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllt hat. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt, die sich ihrerseits an den in Art. 1 F GFK aufgeführten Ausschlussgründen orientieren (BTDrucks 16/5065 S. 214). Die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es das Vorliegen eines Ausschlussgrundes bei dem Kläger verneint hat, sind mit revisiblem Recht nicht vereinbar.
Das Berufungsgericht hat keinen der jetzt in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG (früher in § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG) geregelten Ausschlussgründe näher in Betracht gezogen. Es hat das Vorliegen aller drei Ausschlussgründe pauschal in einem Satz verneint (UA S. 14). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Aktivitäten des Klägers in der Türkei steht der Ausschlussgrund einer schweren nichtpolitischen Straftat im Vordergrund (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG), der dem Ausschlussgrund nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG sowie nach Art. 1 F Buchst. b GFK entspricht. Nach dieser Bestimmung ist ein Ausländer nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebietes begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr angeblich politische Ziele verfolgt wurden. Die Regelung gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG in Umsetzung von Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG). Das Berufungsgericht hat die Vorschrift offenbar dahingehend verstanden, dass der Ausschlussgrund nicht allein der Sanktionierung eines in der Vergangenheit von dem Ausländer begangenen schweren nichtpolitischen Verbrechens, sondern daneben auch der Gefahrenabwehr diene. Der Ausschlussgrund sei daher zu verneinen, wenn von dem Ausländer keine Gefahr mehr ausgehe (UA S. 14).
Das Berufungsgericht hat das Eingreifen dieses Ausschlussgrundes - und der beiden anderen Ausschlussgründe - im Falle des Klägers verneint, ohne die maßgeblichen Umstände näher festzustellen und zu würdigen (dazu unten unter 2.). Es spricht einerseits von einer "Annäherung" des Klägers an die DHKP/C (UA S. 14). Andererseits ist von den "Verstrickungen" des Klägers in die linksextremistische Szene die Rede, von den gemeinsamen politischen Aktivitäten mit seiner früheren Ehefrau sowie seiner - aus der Sicht der türkischen Sicherheitskräfte - Mitwisserschaft, "wenn nicht gar Mittäterschaft hinsichtlich deren Engagements für die DHKP/C bis hin zur Anlegung eines Waffenlagers in der Ehewohnung" (UA S. 12). Allerdings habe der Kläger - anders als seine Ehefrau, die schließlich sogar den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat befürwortet habe - solch eine Radikalisierung abgelehnt. Von daher könne nicht angenommen werden, dass vom Kläger die Gefahr ausgehe, dass er es künftig zu derartigen Verhaltensweisen - wie in den Ausschlussgründen normiert - kommen lassen werde (UA S. 14). Abgesehen davon, dass diese Annahmen des Berufungsgerichts auf zu schmaler Tatsachengrundlage beruhen, kann den rechtlichen Erwägungen nach Einholung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union durch den Senat nicht gefolgt werden (vgl. hierzu auch die Urteile des Senats vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 10 C 26.10, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, sowie im Verfahren BVerwG 10 C 27.10).
Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. November 2010 (a.a.O. Rn. 104 f.) setzt der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie nicht voraus, dass von dem Ausländer eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmestaat ausgeht. Den Ausführungen des Gerichtshofs zufolge, die sich gleichermaßen auch auf den Ausschlussgrund des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen (Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie, § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG) beziehen, wurden die Ausschlussgründe mit dem Ziel geschaffen, von der Flüchtlingsanerkennung Personen auszuschließen, die hinsichtlich des Schutzes, der sich aus der Anerkennung ergibt, als unwürdig angesehen werden, und zu verhindern, dass die Anerkennung den Urhebern bestimmter schwerer Straftaten ermöglicht, sich ihrer strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen. Nach der Systematik der Richtlinie 2004/83/EG ist eine möglicherweise von einem Flüchtling für den betreffenden Mitgliedstaat ausgehende gegenwärtige Gefahr nicht im Rahmen des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie zu berücksichtigen, sondern im Rahmen des Art. 14 Abs. 4 bzw. des Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie (vgl. § 3 Abs. 4 und § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG jeweils i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG). Mit den Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie sollen hingegen nach ihrem Wortlaut Handlungen geahndet werden, die in der Vergangenheit begangen wurden (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 101 ff.). Auf eine fortbestehende von dem Betreffenden ausgehende aktuelle Gefahr kommt es daher nicht an.
Für diese Ausschlussgründe bedarf es nach dem Urteil des Gerichtshofs auch keiner (nachgelagerten) auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Erfüllt eine Person die in den Ausschlussgründen festgelegten Voraussetzungen, ist sie zwingend und ohne Ausnahme von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen. Der Ausschluss nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie hängt mit der Schwere der begangenen Handlungen zusammen, die von einem solchen Grad sein muss, dass die betreffende Person nicht in berechtigter Weise Anspruch auf den Schutz als Flüchtling im Sinne der Richtlinie erheben kann. Da bereits im Rahmen der Beurteilung der Schwere der begangenen Handlungen und der individuellen Verantwortung des Betreffenden alle Umstände berücksichtigt werden, die für diese Handlungen und für die Lage des Betreffenden kennzeichnend sind, ist eine zusätzliche weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr geboten (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 107 ff.).
3. Auch wenn das Berufungsurteil demnach hinsichtlich der positiven wie negativen Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung auf der Verletzung von Bundesrecht beruht, kann der Senat hierüber nicht selbst entscheiden. Denn aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob der Kläger, soweit er bei Rückkehr in die Türkei aus politischen Gründen Verfolgung befürchten müsste, einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG verwirklicht hat.
Das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG setzt voraus, dass schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Betreffende vor seiner Einreise in das Bundesgebiet eine schwere nichtpolitische Straftat begangen, zu einer solchen Tat angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Als schwere Straftaten in diesem Sinne sind, wie der Gerichtshof der Europäischen Union betont hat (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 81), u.a. terroristische Handlungen anzusehen, die durch ihre Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet sind, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden. Allerdings rechtfertigt allein der Umstand, dass eine Person einer Organisation angehört hat, die - wie hier die DHKP/C - wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der sog. EU-Terrorliste (Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 17. Juni 2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2002/340/GASP - 2002/462/GSAP - ABl EG Nr. L 160 vom 18. Juni 2002 S. 32) aufgeführt ist, und sie den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch die Annahme eines Ausschlussgrundes nach dieser Vorschrift. Es bedarf vielmehr in jedem Einzelfall einer Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, um zu ermitteln, ob die von der Organisation begangenen Handlungen schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne des Ausschlussgrundes sind und ob der betreffenden Person eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung dieser Handlungen zugerechnet werden kann, wobei dem in der Vorschrift verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 99). Entsprechendes gilt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs für den vom Berufungsgericht nicht näher geprüften und hier eher fernliegenden Ausschlussgrund des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG, der Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG entspricht (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 99; BVerwG, Urteile vom heutigen Tag - BVerwG 10 C 26.10 und BVerwG 10 C 27.10 -).
Daran gemessen genügen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts auch unter Berücksichtigung des anzulegenden (abgesenkten) Beweismaßes nicht, um über das Vorliegen eines Ausschlusses nach § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG abschließend zu entscheiden. In Betracht kommt vor allem der Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass die DHKP/C aufgrund der Aufnahme in die EU-Terrorliste im Jahre 2002 und der von ihr angewandten Methoden eine terroristische Organisation ist. Das Berufungsgericht hat aber keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit sich der Kläger für die DHKP/C engagiert hat und ob seine "Verstrickungen in die linksextremistische Szene", von denen das Berufungsgericht spricht, in Zusammenhang stehen mit der Beteiligung an einer schweren nichtpolitischen Straftat. Von Bedeutung sind insbesondere die Umstände, die mit dem Waffenlager in der Wohnung des Klägers zusammenhängen. Das Berufungsgericht hat einerseits eine "Mittäterschaft" des Klägers hinsichtlich des Engagements seiner früheren Ehefrau für die DHKP/C nicht ausgeschlossen (UA S. 12), ist aber andererseits beim Ausschlusstatbestand der schweren nichtpolitischen Straftat auf das Waffenlager nicht eingegangen (UA S. 14). So gibt es bisher keine Erklärung dafür, warum der Kläger die Wohnung nicht nur nach seinem Auszug, sondern auch nach der Scheidung beibehalten und weiter finanziert hat. Unklar ist auch, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen der Kläger die Wohnung nach seinem Auszug aufgesucht hat und deshalb von dem Waffenlager wissen musste. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hat der Kläger hierzu angegeben, er sei "nicht zu Hause" gewesen, als die Polizei kam (S. 6 des Anhörungsprotokolls) und "viele Waffen und auch Bomben bei uns zu Hause" fand (S. 7 des Anhörungsprotokolls). Unklar ist ferner, aus welchen Gründen der Kläger die Wohnung, wie er angegeben hat, weiter für seine Frau vorhalten wollte, gleichzeitig aber erklärt hat, seine Frau sei schon vor seinem Auszug "selten nach Hause" gekommen (S. 5 der Antragsbegründung vom 29. Mai 2007), im letzten Jahr vor der Scheidung hätten sie "nicht richtig zusammengelebt" (S. 5 des Anhörungsprotokolls). Das Berufungsgericht hat nicht ausgeschlossen, dass der Kläger von dem Waffenlager wusste und die Wohnung gegebenenfalls wegen des Waffenlagers beibehalten hat. All dies bedarf weiterer Klärung, um beurteilen zu können, ob bzw. inwieweit eine individuelle Verantwortung des Klägers für terroristische Handlungen besteht, die die DHKP/C begangen hat. Ob diese Organisation auch schon während der Unterstützung des Klägers terroristische Methoden angewandt hat und ob und in welchem Umfang dem Kläger Verantwortung für terroristische Handlungen der Organisation zumindest über § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG i.V.m. Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG zuzurechnen ist, kann ohne weitere tatrichterliche Feststellungen daher nicht abschließend beurteilt werden.
Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht daher den Sachverhalt vor allem mit Blick auf den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat aufzuklären haben und dabei für die Beurteilung der Schwere der begangenen Handlungen und der individuellen Verantwortung des Klägers alle Umstände zu ermitteln und zu berücksichtigen haben, die für diese Handlungen und für die Beteiligung des Klägers kennzeichnend sind.
Bei der Prüfung des Ausschlussgrundes des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG ist zu berücksichtigen, dass die vom Gerichtshof geforderte individuelle Verantwortlichkeit eine Verantwortlichkeit im strafrechtlichen Sinne erfordert, wobei allerdings auch hier das im Vergleich zum Strafrecht abgesenkte Beweismaß ("wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist") zu beachten ist (zu diesem Beweismaßstab vgl. Urteil vom 31. März 2011 - BVerwG 10 C 2.10 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 26). Dabei liegt mangels einheitlicher internationaler Kriterien (vgl. die Länderberichte in: Sieber/Cornils, Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, Teilband 4 Tatbeteiligung, Berlin 2010) grundsätzlich zunächst eine Orientierung an den Regeln des nationalen Strafrechts zur Täterschaft und Teilnahme nahe. Erfasst wird mithin sowohl der Täter als auch der Anstifter einer schweren nichtpolitischen Straftat. Auch der in sonstiger Weise Beteiligte ist für eine schwere nichtpolitische Straftat verantwortlich, wenn er eine strafrechtlich relevante Beihilfe begangen hat. Allerdings muss auch im Fall der Beihilfe der Tatbeitrag nach seinem Gewicht dem einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne dieser Vorschrift entsprechen. Denn durch die Regelung über die Anstiftung und Beteiligung in sonstiger Weise in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG und § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG sollte der Ausschlussgrund des Art. 1 F GFK, der eine solche Regelung nicht enthält, nicht erweitert, sondern mit Rücksicht auf das unterschiedliche Verständnis von Täterschaft, Anstiftung und sonstigen Beteiligungsformen in den Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten lediglich präzisiert werden (ebenso UK Supreme Court, Urteil vom 17. März 2010, <2010> UKSC 15, Rn. 33). Das Berufungsgericht wird daher prüfen müssen, ob vorliegend schwerwiegende Gründe für die Annahme sprechen, dass der Kläger durch seine Unterstützung insbesondere der DHKP/C in der Türkei zumindest als Teilnehmer eine schwere nichtpolitische Straftat begangen hat.
Sollte das Berufungsgericht - auch nach erneuter Klärung und Bewertung der positiven Voraussetzungen - zu dem Ergebnis kommen, dass einer Anerkennung des Klägers als Flüchtling ein Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 AsylVfG entgegensteht, wird es den vom Kläger hilfsweise gestellten Anträgen auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nachzugehen haben. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu prüfen, ob der Kläger sich mit Blick auf die ihm drohende Behandlung bei einer Rückkehr nicht zumindest auf das - keinem Ausschluss unterliegende - Abschiebungsverbot des Art. 3 EMRK berufen kann.