Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 07.07.2011


BVerwG 07.07.2011 - 10 C 27/10

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsdatum:
07.07.2011
Aktenzeichen:
10 C 27/10
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 27. März 2007, Az: 8 A 2632/06.A, Urteil

Tatbestand

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Der Kläger begehrt Asyl und Flüchtlingsschutz sowie hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf die Türkei.

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Der 1975 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Ende 2002 reiste er auf dem Luftweg nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung gab er an: Er habe in der Türkei schon als Schüler mit der Dev Sol (inzwischen: DHKP/C) sympathisiert und von Ende 1993 bis Anfang 1995 in den Bergen den bewaffneten Guerillakampf unterstützt. Nach seiner Verhaftung im Februar 1995 sei er schwer körperlich misshandelt und unter Folter zu einer Aussage gezwungen worden. Im Dezember 1995 habe man ihn zu lebenslanger Haft verurteilt. 2001 sei er während der Haft ein weiteres Mal zu lebenslanger Haft verurteilt worden, nachdem er die Tötung eines der Spitzeltätigkeit verdächtigten Mitgefangenen auf sich genommen habe. Im Herbst 2000 habe er sich an einem Todesfasten beteiligt. Aufgrund der hierbei erlittenen gesundheitlichen Schäden sei er im Dezember 2002 für sechs Monate aus der Haft entlassen worden. Aus Angst vor erneuter Verhaftung habe er das Land verlassen. Inzwischen werde er auch von der DHKP/C als Verräter angesehen.

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Mit Bescheid vom 14. September 2004 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab (Ziff. 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Flüchtlingsanerkennung nach damaligem Recht) offensichtlich nicht vorliegen (Ziff. 2). Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, der Kläger sei vom Asyl- und Flüchtlingsschutz ausgeschlossen, weil schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigten, dass er vor seiner Aufnahme eine schwere nichtpolitische Straftat begangen habe (damals: § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG, später: § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG, jetzt: § 3 Abs. 2 AsylVfG). Zugleich stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen (Ziff. 3), und drohte dem Kläger die Abschiebung in die Türkei an (Ziff. 4).

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Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Mit Urteil vom 13. Juni 2006 hat es die Beklagte unter Aufhebung der Ziff. 1, 2 und 4 des Bescheids des Bundesamts verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

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Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 27. März 2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei als Asylberechtigter und als Flüchtling anzuerkennen. Er habe vor seiner Ausreise aus der Türkei Verfolgung erlitten. Die ihm während der Haft gezielt zugefügten Rechtsverletzungen hätten an seine politischen Überzeugungen und Aktivitäten angeknüpft und seien über eine asylrechtlich unerhebliche strafrechtliche Ahndung hinausgegangen. Der Terrorismusvorbehalt stehe der Asylanerkennung nicht entgegen, da für eine Fortführung der im Heimatland unternommenen Unterstützung einer gewalttätigen extremistischen Organisation von Deutschland aus keine Anhaltspunkte vorlägen. Bei einer Rückkehr sei der Kläger vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher. Trotz der umfassenden Reformbemühungen, insbesondere der "Null-Toleranz-Politik" gegenüber Folter, komme es in der Türkei weiterhin zu Verfolgungsmaßnahmen asylerheblicher Art und Intensität, die dem türkischen Staat zurechenbar seien. Da er sich während einer befristeten Haftaussetzung ins Ausland abgesetzt habe und ausweislich der beiden strafrechtlichen Verurteilungen einer linksextremistischen Terrororganisation zugerechnet werde, sei anzunehmen, dass sich die türkischen Sicherheitskräfte im Falle einer Rückkehr für ihn interessierten. Dabei bestehe die Gefahr, dass er befragt werde, um Erkenntnisse über seine Aktivitäten im Bundesgebiet und etwaige Kontakte zu Organisationsangehörigen im In- und Ausland zu erlangen, und es hierbei zu asylerheblichen Übergriffen komme. Die Ausschlussklauseln stünden einer Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nicht entgegen. Der allein in Betracht kommende Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat sei in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention bei gemeinschafts- und verfassungskonformer Auslegung dahin zu verstehen, dass er nicht allein der Sanktionierung eines in der Vergangenheit begangenen, schweren nichtpolitischen Verbrechens, sondern auch der Gefahrenabwehr diene und eine am Sinn und Zweck der Vorschrift und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte umfassende Würdigung des Einzelfalls erfordere. Der Ausschlussgrund könne daher entfallen, wenn von dem Ausländer keine Gefahr mehr ausgehe, etwa weil feststehe, dass er sich von allen früheren terroristischen Aktivitäten losgesagt habe. Ob der Kläger ein schweres nichtpolitisches Verbrechen begangen habe, könne offenbleiben, da die Einzelfallwürdigung zu seinen Gunsten ausfalle. Er habe als Heranwachsender fast acht Jahre in der Türkei in Haft verbracht. Angesichts der damaligen Haftbedingungen sei der Strafzweck zu einem erheblichen Teil erreicht. In die Abwägung seien auch die gesundheitlichen Folgen der Haft einzustellen. Die Erlebnisse während der Haft, deretwegen er noch heute psychotherapeutischer Behandlung bedürfe, stellten eine Zäsur dar, die eine Neuorientierung plausibel erscheinen lasse. Vom Kläger gehe keine Gefahr mehr aus. Aufgrund eines glaubhaften Sinneswandels habe er jeden Kontakt zur DHKP/C abgebrochen und distanziere sich von deren Zielen.

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Die Beklagte erstrebt mit der Revision die Abweisung der Klage. Der Kläger sei nach § 60 Abs. 8 Satz 2 Alt. 2 und 3 AufenthG a.F. (inzwischen: § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG) sowohl vom Asyl als auch vom Flüchtlingsschutz ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzten die Ausschlussgründe weder eine fortbestehende Gefährlichkeit des Ausländers noch eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus.

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Mit Beschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union verschiedene Fragen zur Auslegung der inzwischen unionsrechtlich geregelten Ausschlussgründe in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c und zu Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Gerichtshof hat die Vorlagefragen mit Urteil vom 9. November 2010 (Rs. C-57/09 und C-101/09 - NVwZ 2011, 285) beantwortet.

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Die Beklagte sieht sich in ihrer Auffassung durch das Urteil des Gerichtshofs bestätigt. Dem schließt sich der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht an.

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Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil. Seiner Auffassung nach fehlt es an der Feststellung seiner persönlichen Verantwortung für konkrete terroristische Aktionen der DHKP/C.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Berufungsentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht zu vereinbaren ist (1.). Zwar hat es im Ergebnis zu Recht die positiven Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG bejaht (1.1). Es hat aber das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG (früher: § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG 1990) mit einer Begründung verneint, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist. Es hat zu Unrecht angenommen, dass ein Ausschluss nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG voraussetzt, dass von dem Betreffenden auch noch gegenwärtig die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten oder Handlungen im Sinne dieser Bestimmungen ausgeht (1.2). Dieses fehlerhafte Verständnis der Ausschlussgründe durch das Berufungsgericht erfasst über § 30 Abs. 4 AsylVfG auch die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter (2.). Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat nicht selbst abschließend entscheiden, ob der Kläger durch seine Aktivitäten für die DHKP/C einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 3 AsylVfG verwirklicht hat (3.). Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigter ist die neue, seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltende Rechtslage. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. Urteil vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, juris Rn. 7 m.w.N.).

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1. Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen des § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Dies gilt allerdings (u.a.) dann nicht, wenn er einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 AsylVfG verwirklicht hat.

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1.1 Das Berufungsgericht ist vorliegend im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger die positiven Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt.

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Auf der Grundlage der das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat der Kläger sein Heimatland verlassen, nachdem er dort wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt worden ist. Die gegen ihn in der Haft ergriffenen Maßnahmen beschränkten sich nicht auf die strafrechtliche Ahndung des in der Durchsetzung politischer Ziele mit gewaltsamen Mitteln liegenden kriminellen Unrechts, sondern gingen in Anknüpfung an politische Überzeugungen und Aktivitäten im Sinne eines Politmalus darüber hinaus (UA S. 19).

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Allerdings hat das Berufungsgericht bei seiner Prüfung, ob dem Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei (erneut) Verfolgung droht, mit Blick auf dessen Vorverfolgung auf den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung abgestellt (UA S. 11), wie er in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht für Fälle der Vorverfolgung entwickelt und dann auf den Flüchtlingsschutz übertragen worden ist. Dieses materiellrechtliche Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose ist der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) fremd. Sie geht vielmehr von einem einheitlichen Prognosemaßstab aus, der dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nach bisheriger deutscher Rechtslage entspricht, und verfolgt einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er etwa bei der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum Ausdruck kommt. Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 hat der deutsche Gesetzgeber deshalb bei der Flüchtlingsanerkennung die bisherigen unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe des nationalen Rechts aufgegeben und sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu eigen gemacht (vgl. zum Vorstehenden im Einzelnen Urteil des Senats vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, m.w.N.).

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Gleichwohl ist die Berufungsentscheidung in diesem Punkt im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn die einzelnen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen den Schluss, dass die Furcht des Klägers vor (erneuter) Verfolgung auch bei Zugrundelegung des nunmehr maßgeblichen einheitlichen Prognosemaßstabs nach den unionsrechtlichen Vorgaben begründet ist. Die Tatsache, dass der Kläger bereits verfolgt wurde, ist nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist. Den - revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden - tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (UA S. 22 ff.) kann auch nicht entnommen werden, dass stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats im Vorlagebeschluss vom 14. Oktober 2008 (- BVerwG 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 Rn. 14 f.) verwiesen.

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1.2 Erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG, kommt es entscheidend darauf an, ob er durch die ihm zur Last gelegten Aktivitäten für die DHKP/C vor seiner Ausreise einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllt hat. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt, die sich ihrerseits an den in Art. 1 F GFK aufgeführten Ausschlussgründen orientieren (BTDrucks 16/5065 S. 214). Die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es das Vorliegen eines Ausschlussgrundes bei dem Kläger verneint hat, sind mit revisiblem Recht nicht vereinbar.

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a) Das Berufungsgericht hat allein den jetzt in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG (früher in § 60 Abs. 8 Satz 2 Alt. 2 AufenthG) geregelten Ausschlussgrund einer schweren nichtpolitischen Straftat in Betracht gezogen, der dem Ausschlussgrund nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG sowie nach Art. 1 F Buchst. b GFK entspricht. Nach dieser Bestimmung ist ein Ausländer nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden. Die Regelung gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG in Umsetzung von Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG). Das Berufungsgericht hat die Vorschrift dahingehend ausgelegt, dass der Ausschlussgrund nicht allein der Sanktionierung eines in der Vergangenheit von dem Ausländer begangenen schweren nichtpolitischen Verbrechens, sondern daneben auch der Gefahrenabwehr diene und eine am Sinn und Zweck der Vorschrift sowie am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte umfassende Würdigung des Einzelfalls erfordere. Der Ausschlussgrund könne daher entfallen, wenn von dem Ausländer unter keiner Betrachtungsweise mehr eine Gefahr ausgehe, etwa weil feststehe, dass er sich von allen früheren terroristischen Aktivitäten losgesagt habe (UA S. 28). Hiervon ausgehend hat es das Eingreifen des Ausschlussgrundes im Falle des Klägers verneint. Dabei hat es offengelassen, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass der Kläger die ihm ausweislich der türkischen Strafurteile zur Last gelegten, von ihm aber - zumindest teilweise - bestrittenen Taten begangen hat und ob die von ihm eingeräumten Aktivitäten während seiner mehr als einjährigen Zugehörigkeit zur Guerilla bereits für sich genommen ein schweres nichtpolitisches Verbrechen darstellen. Denn auch wenn der Kläger ein schweres nichtpolitisches Verbrechen begangen haben sollte, finde die Ausschlussklausel auf ihn keine Anwendung, da die Einzelfallwürdigung zu seinen Gunsten ausfalle. In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht insbesondere auf die vom Kläger in der Türkei wegen der ihm zur Last gelegten Taten verbüßte Strafhaft, die dabei erlittenen gesundheitlichen Folgen und den Umstand, dass von ihm aufgrund eines glaubhaften Sinneswandels keine Gefahr mehr ausgehe, abgestellt (UA S. 52 f.). Diesem rechtlichen Ausgangspunkt ist nach Einholung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union durch den Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu folgen (vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 10 C 26.10, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen).

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Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. November 2010 (a.a.O. Rn. 104 f.) setzt der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie nicht voraus, dass von dem Ausländer eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmestaat ausgeht. Den Ausführungen des Gerichtshofs zufolge, die sich gleichermaßen auf den Ausschlussgrund des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen (Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie, § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG) beziehen, wurden die Ausschlussgründe mit dem Ziel geschaffen, von der Flüchtlingsanerkennung Personen auszuschließen, die hinsichtlich des Schutzes, der sich aus der Anerkennung ergibt, als unwürdig angesehen werden, und zu verhindern, dass die Anerkennung den Urhebern bestimmter schwerer Straftaten ermöglicht, sich ihrer strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen. Nach der Systematik der Richtlinie 2004/83/EG ist eine möglicherweise von einem Flüchtling für den betreffenden Mitgliedstaat ausgehende gegenwärtige Gefahr nicht im Rahmen des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie zu berücksichtigen, sondern im Rahmen des Art. 14 Abs. 4 bzw. des Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie (vgl. § 3 Abs. 4 und § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG jeweils i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG). Mit den Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie sollen hingegen nach ihrem Wortlaut Handlungen geahndet werden, die in der Vergangenheit begangen wurden (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 101 ff.). Auf eine fortbestehende von dem Betreffenden ausgehende aktuelle Gefahr kommt es daher nicht an.

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Für diese Ausschlussgründe bedarf es nach dem Urteil des Gerichtshofs auch keiner (nachgelagerten) auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Erfüllt eine Person die in den Ausschlussgründen festgelegten Voraussetzungen, ist sie zwingend und ohne Ausnahme von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen. Der Ausschluss nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie hängt mit der Schwere der begangenen Handlungen zusammen, die von einem solchen Grad sein muss, dass die betreffende Person nicht in berechtigter Weise Anspruch auf den Schutz als Flüchtling im Sinne der Richtlinie erheben kann. Da bereits im Rahmen der Beurteilung der Schwere der begangenen Handlungen und der individuellen Verantwortung des Betreffenden alle Umstände berücksichtigt werden, die für diese Handlungen und für die Lage des Betreffenden kennzeichnend sind, ist eine zusätzliche weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr geboten (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 107 ff.).

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b) Das Berufungsurteil hält auch hinsichtlich des Ausschlussgrundes des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, der nunmehr als Umsetzung von Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG geregelt ist, einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat diesen Ausschlussgrund im Fall des Klägers nicht näher in Betracht gezogen, weil es sich der Auffassung des UNHCR zur Auslegung des entsprechenden Ausschlussgrundes in Art. 1 F Buchst. c GFK angeschlossen hat, wonach solche Zuwiderhandlungen nur von Personen begangen werden können, die eine gewisse Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen besessen und zu einer Verletzung der Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen durch ihren Staat direkt beigetragen haben (UA S. 37 f., 43 unter Hinweis auf UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf, September 1979 Nr. 163). Dieser restriktiven Auslegung kann, jedenfalls soweit es um Handlungen des internationalen Terrorismus geht, nach dem Urteil der Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. November 2010 (a.a.O. Rn. 82 ff.) nicht mehr gefolgt werden.

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Die für einen Ausschluss nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG maßgeblichen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen sind in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt und u.a. in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu den Antiterrormaßnahmen verankert, in denen erklärt wird, "dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen" und "dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen" (vgl. Erwägungsgrund 22 zur Richtlinie 2004/83/EG). Wie sich aus den UN-Resolutionen 1373 (2001) und 1377 (2001) ergibt, geht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von dem Grundsatz aus, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Daraus folgert der Gerichtshof, dass dieser Ausschlussgrund auch auf Personen Anwendung finden kann, die im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu einer in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführten Organisation an terroristischen Handlungen beteiligt waren, die eine internationale Dimension aufweisen (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82 bis 84). Danach können Zuwiderhandlungen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG jedenfalls bei Aktivitäten des internationalen Terrorismus auch von Personen begangen werden, die keine Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen oder zumindest in einer staatsähnlichen Organisation innehaben. Bei diesem Ausschlussgrund bedarf es ebenfalls weder einer gegenwärtigen Gefahr noch einer (nachgelagerten) Verhältnismäßigkeitsprüfung (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 105 und 111).

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2. Hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG beruht das Berufungsurteil ebenfalls auf der Verletzung von Bundesrecht. Wenn der Kläger durch seine Aktivitäten für die DHKP/C einen Ausschlussgrund im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylVfG verwirklicht haben sollte, wäre er nicht nur von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern über § 30 Abs. 4 AsylVfG auch von der Anerkennung als Asylberechtigter ausgeschlossen. Danach ist ein Asylantrag (u.a.) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen. Das Vorliegen eines Ausschlussgrundes stünde mithin auch einer Asylanerkennung zwingend entgegen.

24

Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9. Januar 2002 (BGBl I S. 361) - Terrorismusbekämpfungsgesetz - mit Wirkung zum 1. Januar 2002 die Ausschlussgründe der Genfer Flüchtlingskonvention beim Flüchtlingsschutz eingeführt (vgl. § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG 1990) und über § 30 Abs. 4 AsylVfG auf die Asylanerkennung übertragen. Offenbleiben kann, ob er hierdurch die verfassungsimmanenten Grenzen des Asylgrundrechts zutreffend und in hinreichend bestimmter Weise nachgezeichnet hat (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 - juris Rn. 23 f.) oder ob diese Grenzen anders zu bestimmen sind als nach der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. hierzu Beschluss vom 14. Oktober 2008 a.a.O. Rn. 36 ff. sowie Urteil vom 31. März 2011 - BVerwG 10 C 2.10 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, juris Rn. 45 ff.). Dies bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da die einfachgesetzliche Erstreckung der Ausschlussgründe auf die Asylanerkennung - wie der Senat bereits mit Urteil vom 31. März 2011 entschieden hat - jedenfalls mit Blick auf die zwingenden Vorgaben der Richtlinie 2004/83EG und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts nicht zu beanstanden ist (Urteil vom 31. März 2011 a.a.O. Rn. 50 ff.).

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Zwar wird das durch Art. 16a GG gewährleistete verfassungsrechtliche Asylgrundrecht nicht unmittelbar von der Richtlinie 2004/83/EG erfasst. Wie sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. November 2010 (a.a.O. Rn. 113 ff.) ergibt, wirkt sich die Richtlinie aber insofern auf das nationale Asylgrundrecht aus, als es dem in Art. 3 der Richtlinie niedergelegten Vorbehalt zuwiderläuft, wenn ein Mitgliedstaat Bestimmungen erlässt oder beibehält, die die Rechtsstellung eines Flüchtlings einer Person gewähren, die hiervon nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen ist (a.a.O. Rn. 115). Die Mitgliedstaaten dürfen zwar Schutz aus anderen Gründen gewähren als denjenigen, auf denen der internationale Schutz beruht. In Betracht kommt etwa eine Schutzgewährung aus familiären oder humanitären Gründen (a.a.O. Rn. 118). Diese andere Form des Schutzes, zu deren Gewährung die Mitgliedstaaten befugt sind, darf indessen nicht mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne der Richtlinie verwechselbar sein (a.a.O. Rn. 119). Nur soweit die nationalen Rechtsvorschriften, die von der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie ausgeschlossenen Personen ein Asylrecht gewähren, eine klare Unterscheidung des nationalen Schutzes von dem Schutz gemäß der Richtlinie erlauben, beeinträchtigen sie daher das von der Richtlinie geschaffene System nicht (a.a.O. Rn. 120).

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Bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Asylberechtigung nach Art. 16a handelt es sich um einen nationalen Schutzstatus, der der Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der Richtlinie weitgehend entspricht und damit eine Verwechslungsgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs begründet. Bei der Asylberechtigung nach Art. 16a GG handelt es sich nicht um einen gegenüber der Flüchtlingsanerkennung andersartigen Schutzstatus - gegründet etwa auf familiäre oder humanitäre Motive. Vielmehr genießt ein Asylberechtigter nach § 2 Abs. 1 AsylVfG im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Seine Rechtsposition entspricht innerstaatlich auch der unionsrechtlichen Stellung von Flüchtlingen, wie sie durch die Richtlinie 2004/83/EG ausgestaltet ist (vgl. Hailbronner, ZAR 2009, 369 <371 ff.>). Damit liefe es aber dem Vorbehalt in Art. 3 der Richtlinie zuwider, wenn Deutschland Personen eine dem Flüchtlingsstatus weitgehend entsprechende Rechtsstellung gewährte, die hiervon nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen sind. Die Vorgaben des Unionsrechts verlangen somit, dass die Ausschlussgründe des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie auch auf Asylberechtigte anzuwenden sind (Urteil vom 31. März 2011 a.a.O. Rn. 53).

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Folglich ist die einfachgesetzliche Erstreckung der Ausschlussklauseln auf den Asylanspruch nach Art. 16a GG schon deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil der deutsche Gesetzgeber hierdurch seiner Verpflichtung zur innerstaatlichen Umsetzung des Unionsrechts nachgekommen ist. Die Bindung an zwingende Vorgaben einer Richtlinie nach Art. 288 Abs. 3 AEUV befindet sich in Übereinstimmung mit den in Art. 23 Abs. 1 GG genannten Rechtsgrundsätzen, solange die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 - BVerfGE 118, 79 <95 ff.>). Dass dieser unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz auf unionsrechtlicher Ebene in Bezug auf das Asylrecht generell nicht gewährleistet wäre, kann angesichts des in Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgten Rechts auf Asyl und der dem Schutzstandard der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichteten Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. etwa Erwägungsgründe 3 und 17 der Richtlinie) nicht angenommen werden. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts hat zwar nicht die Nichtigkeit entgegenstehenden nationalen Rechts zur Folge. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ist entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht aber grundsätzlich unanwendbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 - NJW 2010, 3422). Der Anwendungsvorrang gilt in Deutschland allerdings nur kraft des durch Zustimmungsgesetz zu den Verträgen erteilten Rechtsanwendungsbefehls. Er reicht für in Deutschland ausgeübte Hoheitsgewalt daher nur so weit, wie die Bundesrepublik Deutschland dieser Kollisionsregel zugestimmt hat und zustimmen durfte (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08 u.a. - BVerfGE 123, 267 <343>). Innerhalb dieser Grenzen ist das Unionsrecht aber auch bei der Auslegung des Grundgesetzes zu beachten. Dies hat hier zur Folge, dass mit der Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG das Grundrecht auf Asyl richtlinienkonform auszulegen ist und die Ausschlussklauseln selbst im Falle einer nicht durch richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung dieses Grundrechts behebbaren Kollision jedenfalls über den Anwendungsvorrang des vom nationalen Gesetzgeber in einfaches Gesetzesrecht umgesetzten Unionsrechts beachtlich sind (Urteil vom 31. März 2011 a.a.O. Rn. 54).

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3. Auch wenn das Berufungsurteil danach sowohl hinsichtlich der Flüchtlings- als auch hinsichtlich der Asylanerkennung auf der Verletzung von Bundesrecht beruht, kann der Senat hierüber nicht selbst entscheiden. Denn aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob der Kläger einen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 3 AsylVfG verwirklicht hat.

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Das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG setzt voraus, dass schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Betreffende vor seiner Einreise in das Bundesgebiet eine schwere nichtpolitische Straftat begangen, zu einer solchen Tat angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Als schwere Straftaten in diesem Sinne sind, wie der Gerichtshof der Europäischen Union betont hat (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 81), u.a. terroristische Handlungen anzusehen, die durch ihre Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet sind, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden. Allerdings rechtfertigt allein der Umstand, dass eine Person einer Organisation angehört hat, die - wie hier die DHKP/C - wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der sog. EU-Terrorliste (Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 17. Juni 2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2002/340/GASP - 2002/462/GSAP - ABl EG Nr. L 160 vom 18. Juni 2002 S. 32) aufgeführt ist, und sie den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch die Annahme eines Ausschlussgrundes nach dieser Vorschrift. Es bedarf vielmehr in jedem Einzelfall einer Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, um zu ermitteln, ob die von der Organisation begangenen Handlungen schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne des Ausschlussgrundes sind und ob der betreffenden Person eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung dieser Handlungen zugerechnet werden kann, wobei dem in der Vorschrift verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 99). Entsprechendes gilt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs für den vom Berufungsgericht nicht näher geprüften Ausschlussgrund des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG, der Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG entspricht (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 99).

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Daran gemessen genügen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts auch unter Berücksichtigung des anzulegenden (abgesenkten) Beweismaßes nicht, um über das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 AsylVfG abschließend zu entscheiden. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die ihm ausweislich der türkischen Strafurteile zur Last gelegten, von ihm aber - weitgehend - bestrittenen Taten begangen hat und ob die von ihm eingeräumten Aktivitäten während seiner mehr als einjährigen Zugehörigkeit zur Guerilla bereits für sich genommen ein schweres nichtpolitisches Verbrechen darstellen (UA S. 52). Zwar kann nach den Feststellungen des Berufungsgerichts davon ausgegangen werden, dass die DHKP/C aufgrund der Aufnahme in die EU-Terrorliste im Jahr 2002 und der von ihr angewandten Methoden (UA S. 20) eine terroristische Organisation ist. Den Feststellungen ist weiter zu entnehmen, dass der Kläger - zwischen 1993 und 1995 - in der Türkei den bewaffneten Kampf dieser Organisation unterstützt hat, indem er nach eigenen Angaben zwar nicht selbst an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligt war, die Kampftruppen aber in vielfältiger Weise unterstützt, Wege ausgekundschaftet und Nachschub besorgt hat und hierbei bewaffnet war, was nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedenfalls auf die Bereitschaft schließen lässt, die Waffen notfalls auch einzusetzen (UA S. 18). Dies allein rechtfertigt aber noch nicht automatisch die Annahme einer dem Kläger zuzurechnenden schweren nichtpolitischen Straftat bzw. Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt her folgerichtig - keine weiteren Feststellungen zur eigenen Begehung bzw. individuellen Verantwortung des Klägers für von der DHKP/C begangene terroristische Handlungen getroffen. Ob diese Organisation auch schon während der Zugehörigkeit des Klägers terroristische Methoden angewandt hat und ob und in welchem Umfang der Kläger selbst terroristische Handlungen begangen hat bzw. ihm die Verantwortung für solche Handlungen der Organisation zumindest über § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG i.V.m. Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG zuzurechnen ist, kann ohne weitere tatrichterliche Feststellungen daher nicht abschließend beurteilt werden.

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Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht den Sachverhalt mit Blick sowohl auf den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat als auch den des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen aufzuklären haben und dabei für die Beurteilung der Schwere der begangenen Handlungen und der individuellen Verantwortung des Klägers alle Umstände zu ermitteln und zu berücksichtigen haben, die für diese Handlungen und für die Lage des Klägers kennzeichnend sind.

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Bei der Prüfung des Ausschlussgrunds des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG ist zu berücksichtigen, dass die vom Gerichtshof geforderte individuelle Verantwortlichkeit eine Verantwortlichkeit im strafrechtlichen Sinne erfordert, wobei allerdings auch hier das im Vergleich zum Strafrecht abgesenkte Beweismaß ("wenn aus schwerwiegenden Gründe die Annahme gerechtfertigt ist") zu beachten ist (zu diesem Beweismaßstab vgl. Urteil vom 31. März 2011 a.a.O. Rn. 26). Dabei liegt mangels einheitlicher internationaler Kriterien (vgl. die Länderberichte in: Sieber/Cornils, Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, Teilband 4 Tatbeteiligung, Berlin 2010) grundsätzlich zunächst eine Orientierung an den Regeln des nationalen Strafrechts zur Täterschaft und Teilnahme nahe. Erfasst wird mithin sowohl der Täter als auch der Anstifter einer schweren nichtpolitischen Straftat. Auch der in sonstiger Weise Beteiligte ist für eine schwere nichtpolitische Straftat verantwortlich, wenn er eine strafrechtlich relevante Beihilfe begangen hat. Allerdings muss auch im Fall der Beihilfe der Tatbeitrag nach seinem Gewicht dem einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne dieser Vorschrift entsprechen. Denn durch die Regelung über die Anstiftung und Beteiligung in sonstiger Weise in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG und § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG sollte der Ausschlussgrund des Art. 1 F GFK, der eine solche Regelung nicht enthält, nicht erweitert, sondern mit Rücksicht auf das unterschiedliche Verständnis von Täterschaft, Anstiftung und sonstigen Beteiligungsformen in den Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten lediglich präzisiert werden (ebenso UK Supreme Court, Urteil vom 17. März 2010, <2010> UKSC 15, Rn. 33). Das Berufungsgericht wird daher prüfen müssen, ob vorliegend schwerwiegende Gründe für die Annahme sprechen, dass der Kläger während seiner Zugehörigkeit zur DHKP/C in der Türkei als Täter oder Teilnehmer eine schwere nichtpolitische Straftat begangen hat, etwa im Zusammenhang mit der Ermordung des Mitgefangenen oder Terroranschlägen der DHKP/C vor seiner Inhaftierung. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Kläger in der Türkei wegen der ihm zur Last gelegten Straftaten rechtskräftig verurteilt worden ist. Hierbei sind aber auch die Ausführungen des Klägers zum Zustandekommen der den Verurteilungen zugrunde liegenden Geständnisse zu würdigen.

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Beim Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG, der jedenfalls bei Handlungen des Terrorismus mit internationaler Dimension auch von Personen verwirklicht werden kann, die keine Machtposition in einem Staat oder einer staatsähnlichen Organisation haben (vgl. oben Rn. 22), setzt der Tatbestand nicht notwendig die Begehung einer strafbaren Handlung voraus (ebenso zu Art. 1 F Buchst. c GFK: UK Court of Appeal, Urteil vom 24. März 2009, <2009> EWCA Civ 226, Rn. 30). In den hier einschlägigen UN-Resolutionen zu Antiterrormaßnahmen (vgl. Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2004/83/EG) wird in Bekräftigung dessen, dass jede Handlung des internationalen Terrorismus eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt, ausdrücklich erklärt, "dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen und dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen" (Resolution 1373 <2001> des Sicherheitsrats vom 28. September 2001, Nr. 5). Daraus ergibt sich, dass Handlungen des internationalen Terrorismus allgemein und unabhängig von ihrer strafrechtlichen Relevanz im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen. Von diesem Ausschlussgrund können auch Personen erfasst werden, die im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten solcher terroristischen Aktivitäten vornehmen. Zusätzlich wird allerdings - um der Funktion des Ausschlussgrundes gerecht zu werden - in jedem Fall zu prüfen sein, ob der individuelle Beitrag ein Gewicht erreicht, das dem der Ausschlussgründe in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG entspricht.

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Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass einer Anerkennung des Klägers als Flüchtling und als Asylberechtigter ein Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 AsylVfG entgegensteht, wird es schließlich den vom Kläger hilfsweise gestellten Anträgen auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nachzugehen haben. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu prüfen, ob der Kläger sich mit Blick auf die ihm drohende Behandlung bei einer Rückkehr nicht zumindest auf das - keinem Ausschluss unterliegende - Abschiebungsverbot des Art. 3 EMRK berufen kann.