Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 21.07.2016


BVerwG 21.07.2016 - 10 BN 1/15

Aufklärungsmaßnahmen des Tatsachengerichts; Fernwärmesatzung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsdatum:
21.07.2016
Aktenzeichen:
10 BN 1/15
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:210716B10BN1.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 11. November 2014, Az: 4 C 36/13, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 14 Abs 1 GemO SN 2014

Gründe

1

Die Antragstellerin, eine Wohnungsgenossenschaft, wendet sich gegen die Fernwärmesatzung der Antragsgegnerin. Sie ist Eigentümerin mehrerer Grundstücke auf dem Gemeindegebiet der Antragsgegnerin. Die Liegenschaften sind mit elf Wohnblöcken bebaut, in denen sich 458 Wohnungen befinden. Die Gebäude sind an das Fernwärmeversorgungsnetz angeschlossen und nehmen etwa ein Drittel der bereitgestellten Fernwärme ab. Im November 2012 kündigte die Antragstellerin den Fernwärmelieferungsvertrag zum 31. Dezember 2013 in der Absicht, zukünftig die Versorgung ihrer Liegenschaften durch eigene dezentrale Einzelanlagen zu gewährleisten. Am 6. Mai 2013 beschloss der Stadtrat der Antragsgegnerin die streitgegenständliche Fernwärmesatzung, deren Geltungsbereich sich auch auf die Liegenschaften der Antragstellerin erstreckt und die rückwirkend zum 1. Januar 2013 in Kraft trat. Sie sieht in ihrem Geltungsbereich einen Anschluss- und Benutzungszwang vor. Den hiergegen erhobenen Normenkontrollantrag lehnte das Oberverwaltungsgericht ab. Die Revision gegen sein Urteil ließ es nicht zu.

2

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, die ausschließlich Verfahrensrügen erhebt, hat keinen Erfolg. Sie legt keinen Verfahrensmangel dar, auf dem das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

3

1. Die Antragstellerin macht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, durch Einholen eines Sachverständigengutachtens aufzuklären, ob die Fernwärme (mindestens auch) dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen diene, die durch den Betrieb vieler Einzelanlagen entstehen könnten. Dieses Vorbringen, mit dem die Antragstellerin der Sache nach eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) rügt, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Welche Aufklärungsmaßnahmen die Tatsachengerichte ergreifen, haben sie auf der Grundlage ihrer materiell-rechtlichen Rechtsauffassung zu entscheiden. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangt nicht, dass ein Tatsachengericht Ermittlungen anstellt, auf die es nach seiner Rechtsansicht für den Ausgang des Rechtsstreits nicht ankommt (BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 - 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 Rn. 25). Ebenso wenig verletzt ein Gericht seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat und die sich dem Gericht auch nicht aufdrängen musste (BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2015 - 10 B 7.15 - juris Rn. 7). Nach diesem Maßstab liegt eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nicht vor. Die Antragstellerin hat es unterlassen, auf die von ihr für nötig gehaltene Sachverhaltsaufklärung durch geeignete Beweisanträge hinzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO). Sie legt auch nicht schlüssig dar, dass sich dem Oberverwaltungsgericht die von ihr vermisste Aufklärung von Amts wegen - auch unter Berücksichtigung ihrer schriftsätzlichen Anregungen - hätte aufdrängen müssen. Im Einzelnen:

4

Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Fernwärmeeinrichtung dem öffentlichen Wohl im Sinne des § 14 Abs. 1 der Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen (Sächsische Gemeindeordnung - SächsGemO) i.d.F. vom 3. März 2014 (SächsGVBl. S. 146), zuletzt geändert durch Art. 18 des Gesetzes vom 29. April 2015 (SächsGVBl. S. 349 und 358) dient, wenn die Fernwärme (mindestens auch) dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen dienen soll, die durch den Betrieb vieler Einzelanlagen entstehen können (UA S. 14 Rn. 40). Zur Ausfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzung hat es zum einen auf den Betrieb der Fernwärmeversorgung als öffentliche Einrichtung zur Gewährleistung einer möglichst umweltschonenden und emissionsarmen Versorgung des von der Satzung erfassten Gebietes abgestellt; zum anderen hat es auf die in der Präambel der Fernwärmesatzung formulierten Ziele (Umweltschutz und Reinhaltung der Luft im Stadtgebiet durch Senkung des Ausstoßes von Kohlendioxid und Einsparung von konventionellen Energieträgern wie Erdgas und Heizöl) Bezug genommen. Für das Oberverwaltungsgericht kam es für die Frage, ob der Betrieb der Fernwärmeversorgungsanlage der Antragsgegnerin dem öffentlichen Wohl dient, allein darauf an, ob dieser im Vergleich zum Betrieb vieler Einzelanlagen dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen dienen soll. Der von der Antragstellerin demgegenüber für aufklärungsbedürftig gehaltene energetische Vergleich zwischen dem Betrieb der Fernwärmeversorgungsanlage der Antragsgegnerin im gesamten Satzungsgebiet einerseits und dem Nebeneinander des Betriebs der Anlage unter Ausschluss der Liegenschaften der Antragstellerin und der gleichzeitigen dezentralen Versorgung dieser Liegenschaften durch Einzelanlagen andererseits war nach der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz für die Frage des öffentlichen Wohls ohne Bedeutung. Danach musste sich dem Oberverwaltungsgericht die Einholung des von der Antragstellerin vermissten Sachverständigengutachtens mangels Entscheidungserheblichkeit nicht aufdrängen.

5

2. Auch die weitere Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob die Wärmeversorgung der Antragsgegnerin die Reinhaltung der Luft und die Verringerung des CO2-Ausstoßes besser fördere als ein Nebeneinander von lediglich optional genutzter Fernwärme und dezentraler Versorgung, führt nicht auf einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht des § 86 Abs. 1 VwGO. Die Antragstellerin hat hierzu weder einen entsprechenden Beweisantrag gestellt, noch musste sich dem Oberverwaltungsgericht die von ihr vermisste Beweiserhebung aufdrängen. Letzteres gilt auch in Ansehung der in den Schriftsätzen der Antragstellerin enthaltenen Beweisanregungen.

6

Das Oberverwaltungsgericht ist in Auslegung der irrevisiblen landesrechtlichen Vorschrift des § 14 Abs. 1 SächsGemO davon ausgegangen, dass ein öffentliches Bedürfnis im Sinne dieser Vorschrift vorliege, wenn für die Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs an eine Fernwärmeversorgung ausreichende generelle Gründe des öffentlichen Wohls sprächen, ohne dass diese bei jedem Grundstück gegeben sein müssten. Das Vorliegen solcher Gründe sei anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Hierzu hat es festgestellt, dass das Vorbringen der Antragsgegnerin ein öffentliches Bedürfnis für den Anschluss- und Benutzungszwang belege. Dabei hat es die Reinhaltung der Luft und die Möglichkeit der Einflussnahme auf die energetische Entwicklung in dem betroffenen Stadtteil durch die bereits bestehende intakte Fernwärmeversorgungsanlage als öffentliches Bedürfnis anerkannt. Aus der materiell-rechtlichen Sicht des Oberverwaltungsgerichts war es nicht entscheidungserheblich, welche technischen und wirtschaftlichen Folgen der Ausstieg der Antragstellerin aus der zentralen Fernwärmeversorgung haben könnte, sodass es die Frage nach der Aussagekraft der diesbezüglichen Unterlagen offen lassen konnte. Unerheblich war aus dieser Sicht auch der von der Antragstellerin vermisste energetische Vergleich zwischen der Wärmeversorgung der Antragsgegnerin und dem Nebeneinander von optional genutzter Fernwärme und dezentraler Versorgung. Dementsprechend hat das Oberverwaltungsgericht die Ausführungen der Antragstellerin zur Veränderung des Wirkungsgrades der Fernwärmeversorgung und der zu erwartenden Kostensteigerung im Falle der dezentralen Versorgung ihrer Liegenschaften als Gesichtspunkte gewertet, die (nur) im Rahmen einer Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang von Bedeutung sein könnten.

7

3. Die Rüge der Antragstellerin, das Oberverwaltungsgericht habe in Bezug auf die Annahme, bei der Einführung des Anschluss- und Benutzungszwangs sei kein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragsgegnerin erkennbar, den Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt, führt nicht auf einen Verfahrensfehler. Die Antragstellerin legt schon nicht in der gebotenen Weise dar, dass das angefochtene Urteil auf der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung beruht. Hierfür wäre eine Darlegung erforderlich gewesen, inwiefern die aufklärungsbedürftige Tatsache auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts der Vorinstanz zu einer für die Antragstellerin günstigeren Entscheidung hätte führen können. Die Antragstellerin hält die Frage für aufklärungsbedürftig, wann die Antragsgegnerin von der Kündigung des Fernwärmevertrages durch die Antragstellerin und deren Absicht, eigene Wärmeerzeugungsanlagen zu errichten, Kenntnis erlangt hat. Das Oberverwaltungsgericht hat jedoch die von der Antragstellerin behauptete Kenntnis der Antragsgegnerin von der Kündigung bereits Ende 2012 nicht für geeignet gehalten, einen Rechtsmissbrauch der Antragsgegnerin bei Einführung des Anschluss- und Benutzungszwangs zu belegen. Es ist von den Angaben der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung ausgegangen, wonach der Bürgermeister der Antragsgegnerin bereits Ende 2012 von der Kündigung zum 31. Dezember 2013 erfuhr. Dass die Antragstellerin bereits im Februar 2013 Maßnahmen zur Umstellung der Versorgung auf eigene dezentrale Anlagen veranlasste, bevor sie im März 2013 frühzeitig vom Bürgermeister der Antragsgegnerin über den beabsichtigten Anschlusszwang schriftlich informiert wurde, habe sie selbst zu verantworten (UA S. 20 Rn. 56). Diese Ausführungen lassen nur den Schluss zu, dass das Oberverwaltungsgericht selbst bei Zugrundelegung des Vortrags der Antragstellerin keinen Rechtsmissbrauch bei Einführung des Anschluss- und Benutzungszwangs zu erkennen vermochte. Deshalb hätte auch die von der Antragstellerin vermisste Zeugenvernehmung, selbst wenn sie ihren diesbezüglichen Vortrag bestätigt hätte, nicht zu einer günstigeren Entscheidung führen können.

8

4. Schließlich liegt die geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht vor. Die Antragstellerin rügt, das angefochtene Urteil stütze sich auf den Inhalt der von der Antragsgegnerin erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Verwaltungsvorgänge, ohne dass sie sich hierzu habe äußern können. Da das Oberverwaltungsgericht die Vorgänge in der mündlichen Verhandlung auch nicht erörtert habe, habe sie nicht damit rechnen müssen, dass deren Inhalt für den Ausgang des Verfahrens von Bedeutung sein könne. Dieses Vorbringen begründet keinen Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Es trifft zwar zu, dass die Antragsgegnerin der Aufforderung des Gerichts, die Satzungsunterlagen einzureichen, erst in der mündlichen Verhandlung nachgekommen ist und die Antragstellerin keine Einsicht in diese Unterlagen genommen hat. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs scheidet indes aus, wenn der Betroffene von den ihm in der mündlichen Verhandlung zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, keinen Gebrauch macht (BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1997 - 11 B 3.97 - Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 1 S. 6). Die anwaltlich vertretene Antragstellerin hätte im Termin einen Antrag auf Vertagung der mündlichen Verhandlung oder auf Einräumung einer Schriftsatzfrist stellen können, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Das ist ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht geschehen.

9

Ebenso wenig kann sich die Antragstellerin mit Erfolg darauf berufen, sie habe angesichts des bisherigen Verfahrensablaufs nicht damit rechnen müssen, dass der Inhalt der Verwaltungsvorgänge für das angegriffene Urteil von Bedeutung sein könne. Wie sie selbst in ihrer Beschwerdebegründung (S. 25 f.) ausführt, gingen der Vorlage der Verwaltungsvorgänge in der mündlichen Verhandlung mehrfacher Schriftwechsel sowie in den Gerichtsakten dokumentierte Telefonate zwischen dem Oberverwaltungsgericht und den Beteiligten zur Frage der Aktenvorlage voraus. Daraus war auch für die Antragstellerin erkennbar, dass das Oberverwaltungsgericht mit Nachdruck auf die Vorlage vollständiger Satzungsunterlagen hinwirkte, um die Wirksamkeit der Satzung überprüfen zu können (so etwa der auch der Antragstellerin übersandte Vermerk der Berichterstatterin vom 28. Oktober 2014 über ein hierzu geführtes Telefonat mit dem Bürgermeister der Antragsgegnerin). Bei dieser Sachlage musste die Antragstellerin nach dem bisherigen Verfahrensablauf damit rechnen, dass die in der mündlichen Verhandlung vom Bürgermeister der Antragsgegnerin überreichten Unterlagen für das Verfahren von Bedeutung sein würden. Aus dem von der Antragstellerin herangezogenen Urteil vom 4. November 1977 - 4 C 77.76 - (Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 142) ergibt sich nichts anderes. Es beruht auf einem abweichenden Sachverhalt. Anders als im vorliegenden Fall konnten die dortigen Kläger nicht damit rechnen, dass die ebenfalls erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Akten für den Ausgang des Verfahrens von Bedeutung sein könnten, zumal sie sich nicht mit den vom Berufungsgericht angeforderten Akten deckten.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.