Entscheidungsdatum: 17.06.2010
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde hält zunächst der Sache nach für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob bei zielstaatsbezogenen Gefahren § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch auf hier geborene und aufgewachsene ausländische Kinder Anwendung findet oder ob im Hinblick auf die staatliche Verantwortlichkeit für hier geborene und/oder aufgewachsene Kinder und den Menschenrechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) in diesen Fällen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG direkt anzuwenden ist.
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen wird eine klärungsbedürftige Frage nicht dargelegt. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Danach kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten ausgesetzt wird. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass mit dieser Regelung nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden soll, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr einer großen Zahl der im Abschiebezielstaat lebenden Personen gleichermaßen droht, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme nicht im Einzelfall durch das Bundesamt, sondern für die ganze Gruppe der potentiell Betroffenen einheitlich durch eine politische Leitentscheidung der obersten Landesbehörde befunden werden soll. Trotz bestehender konkreter erheblicher Gefahr ist damit die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Verfahren eines einzelnen Ausländers gesperrt, wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht. Diese Entscheidung des Gesetzgebers haben die Verwaltungsgerichte zu respektieren; sie dürfen daher im Einzelfall einem Ausländer, der einer gefährdeten Gruppe angehört, für die kein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG besteht, nur dann ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zusprechen, wenn einfachgesetzlich kein anderes Abschiebungsverbot vorliegt, eine Abschiebung aber Verfassungsrecht verletzen würde (stRspr, vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <328> und vom 27. April 1998 - BVerwG 9 C 13.97 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 12 zu der in den Tatbestandsvoraussetzungen übereinstimmenden Vorgängerregelung in § 53 AuslG).
Soweit die Beschwerde der Auffassung ist, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG finde bei hier geborenen und aufgewachsenen Kindern schon vom Wortlaut her keine Anwendung, da sie nicht der "Bevölkerung des Herkunftslands der Eltern" angehörten, übersieht sie, dass es bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht auf das Herkunftsland des Ausländers, sondern auf den Zielstaat der Abschiebung ankommt. Dabei ist zu prüfen, welchen Gefahren der Ausländer dort ausgesetzt wäre und ob diese zugleich einer Vielzahl weiterer Personen drohen. In diesem Zusammenhang ist das Berufungsgericht (UA S. 16) in der Sache zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger - unabhängig von seinem bisherigen Aufenthaltsort - im Falle einer Abschiebung in die D.R. Kongo der Bevölkerungsgruppe der (aus Europa stammenden) kongolesischen Kinder angehören würde.
2. Soweit die Beschwerde der Sache nach weiter für klärungsbedürftig hält, ob bei verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG der Abschiebungsschutz trotz der staatlichen Verantwortung für hier geborene und aufgewachsene Kinder auf das menschenrechtliche Mindestmaß beschränkt ist und ob diese Beschränkung dem Menschenrechtsschutz aus Art. 1 Abs. 1 bis 3, Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 3 Abs. 3 GG entspricht, fehlt es ebenfalls an einer hinreichenden Darlegung.
Wie oben bereits ausgeführt, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass allgemeine Gefahren von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch dann nicht erfasst werden, wenn sie den Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Individuelle Gefährdungen, die sich aus einer allgemeinen Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ergeben, können auch dann nicht als Abschiebungsverbot unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber gleichwohl insgesamt nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage sind (vgl. Urteil vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77 <82>). Nur wenn der Ausländer sich auf kein anderes Abschiebungsverbot berufen kann, er aber gleichwohl nicht abgeschoben werden darf, weil die Grundrechte die Gewährung von Abschiebungsschutz unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 3, § 60a AufenthG gebieten, kann im Einzelfall einem Ausländer, der einer gefährdeten Gruppe angehört, für die ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zugesprochen werden. Dies ist nur gerechtfertigt, wenn dem Ausländer im Falle seiner Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit extreme Gefahren drohen (vgl. UA S. 16 ff.). Die hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts der allgemeinen Gefahr für den jeweiligen Ausländer markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint (Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 <9 f.>). Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 a.a.O. m.w.N. sowie Beschluss vom 14. November 2007 - BVerwG 10 B 47.07 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 55).
Die Beschwerde zeigt insoweit keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Sie legt nicht dar, inwiefern diese Rechtsprechung hier keine Anwendung findet. Der allgemeine Hinweis auf die "Verantwortlichkeit" des deutschen Staates für hier geborene und aufgewachsene Kinder und deren - nicht vom Aufenthaltsstatus ihrer Eltern abhängende - Grundrechte genügt hierfür nicht. Die Beschwerde setzt sich in diesem Zusammenhang weder konkret mit der gegenteiligen, im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehenden Auffassung des Berufungsgerichts auseinander noch legt sie unter Aufarbeitung einschlägiger Rechtsprechung und Literatur dar, weshalb in diesen Fällen eine weitergehende Beschränkung verfassungsrechtlich geboten ist. Allein der Umstand, dass ihrer Auffassung nach in diesen Fällen dem Kindeswohl Vorrang zu gewähren ist, begründet keine grundsätzliche Bedeutung.