Entscheidungsdatum: 21.01.2014
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Die Frage,
ob bei der Beurteilung des Tatbestandsmerkmals schwere nichtpolitische Straftat im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG eine strafrechtliche Verurteilung des Ausländers im Heimatstaat, welche unter Verstoß gegen die Garantie eines unabhängigen und unparteiischen Gerichts gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zustande gekommen ist, herangezogen werden darf,
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das Berufungsgericht hat seine Überzeugung, dass der Kläger vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat (Versuch der Tötung eines Dritten am 8. Februar 1978) außerhalb des Bundesgebiets begangen habe, ausdrücklich nicht darauf gestützt, dass der Kläger wegen dieser Tat mit Urteil des türkischen 1. Militärgerichts in Ankara vom 22. Oktober 1991 verurteilt worden ist. Dies hat es damit begründet, dass Urteile der türkischen Militärgerichte während des Ausnahmezustandes grundsätzlich nicht rechtsstaatlichen Maßstäben genügten, so dass sich eine Übernahme der tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Würdigung dieser Gerichte ohne eigene Prüfung verbiete.
Sollte die aufgeworfene Frage dahin zu verstehen sein, ob in einem solchen Urteil wiedergegebene Aussagen von Opfern oder Zeugen geeignet sind, schwerwiegende Gründe für die Annahme zu begründen, ein Schutzsuchender habe eine schwere nichtpolitische Straftat begangen, entzieht sie sich hingegen einer rechtsgrundsätzlichen Klärung, weil sie auf eine einzelfallbezogene Feststellung und Würdigung des Sachverhalts im vorliegenden Fall beschränkt ist.
Aus dem Grundsatz der Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) folgt im Übrigen, dass Tatsachen nicht allein deswegen als Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ausscheiden, weil sie in einem rechtsstaatlichen Maßstäben nicht genügenden Urteil dokumentiert sind. Vielmehr sind auch derartige Umstände der freien Beweiswürdigung zugänglich, müssen allerdings besonders sorgfältig darauf geprüft werden, ob sie an dem rechtsstaatlichen Makel teilhaben, der einem solchen Urteil insgesamt anhaftet. Das erkennende Gericht muss sich daher erkennbar mit der Frage der Verwertbarkeit solcher Tatsachen auseinandersetzen. Diesem Erfordernis ist das Berufungsgericht gerecht geworden. Der von der Beschwerde sinngemäß aufgestellte Rechtssatz, der Tatbestand eines gegen wesentliche Grundsätze der Rechtsordnung verstoßenden Urteils müsse als "nicht geschehen" behandelt werden, folgt auch nicht aus der vom Kläger nur allgemein herangezogenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte oder Art. 6 EMRK selbst.
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
2.1 Das Berufungsgericht hat durch die Heranziehung der Zeugenaussage aus dem türkischen Gerichtsurteil nicht den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 VwGO) verletzt.
Soweit die Beschwerde mit ihrem Vorbringen eine Verletzung von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltend macht (Beschwerdebegründung S. 4 ff.), greift sie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind aber nach ständiger Rechtsprechung revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen (vgl. etwa Beschluss vom 19. Oktober 1999 - BVerwG 9 B 407.99 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 11 m.w.N.). Ein Verfahrensverstoß kann ausnahmsweise u.a. dann in Betracht kommen, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen Denkgesetze verstößt oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. etwa Beschluss vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - NVwZ 2003, 1132 <1135> m.w.N.). Dass die angefochtene Entscheidung derartige Mängel aufweist, macht die Beschwerde zwar geltend, legt dies indes nicht in einer Weise dar, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
Das Berufungsgericht setzt sich bei seiner Bewertung einer den Kläger belastenden Zeugenaussage in dem Verfahren vor dem türkischen Militärgericht mit dem Erklärungsversuch des Klägers, man habe dem Opfer vor der Gegenüberstellung gesagt, wer die Tat begangen habe, auseinander. Es hält diese Erklärung für widersprüchlich, da der Kläger außerdem angegeben habe, er habe bei der Gegenüberstellung auf der Militärstation weder Personen sehen noch verstehen können. Diese Bewertung verletzt Gesetze der Logik nicht und lässt auch im Übrigen keine Überschreitung der Grenzen richterlicher Tatsachen- und Beweiswürdigung erkennen. Der Kritik des Klägers liegt vielmehr - wie ausgeführt - eine unzutreffende Rechtsauffassung zu Grunde, aus der sich die geltend gemachten Mängel nicht ableiten lassen.
2.2 Bei dem angefochtenen Berufungsurteil handelt es sich auch nicht um eine unzulässige Überraschungsentscheidung; der vom Kläger gerügte Gehörsverstoß liegt nicht vor.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt sich eine gerichtliche Entscheidung als unzulässige Überraschungsentscheidung dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit unter Verletzung seiner ihm nach § 86 Abs. 3, § 104 Abs. 1, § 173 VwGO i.V.m. § 139 Abs. 2 ZPO obliegenden Hinweis- und Erörterungspflicht dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (z.B. Beschluss vom 19. Juni 1998 - BVerwG 6 B 70.97 - NVwZ-RR 1998, 759; Urteile vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235 und vom 14. März 1991 - BVerwG 10 C 10.91 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 43 jeweils m.w.N.). Hierfür ist nichts ersichtlich.
Die Frage, ob der Kläger nach § 3 Abs. 2 AsylVfG wegen einer schweren nichtpolitischen Straftat von der Flüchtlingsanerkennung ausgeschlossen ist, bildet die zentrale Begründung für den vorliegend angefochtenen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung. Spätestens mit der Zulassung der Berufung wegen nachträglicher Abweichung des angefochtenen Urteils vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2011 musste es sich dem Kläger deshalb aufdrängen, dass es im Verfahren (auch) auf diese Frage ankommen würde, zumal sie bereits im erstinstanzlichen Verfahren erörtert worden war. Im Übrigen hat der Kläger im Berufungsverfahren zu dieser Frage vorgetragen, die ihm in der Türkei vorgeworfenen Straftaten bestritten und geltend gemacht, dass das Urteil des türkischen Militärgerichts aus Rechtsgründen nicht verwendet werden dürfe. Auch die weitere Rüge, es sei bis zur mündlichen Verhandlung nicht ansatzweise ersichtlich gewesen, dass das Gericht das Tatbestandsmerkmal der nichtpolitischen Straftat als erwiesen ansah, lässt unabhängig von der Richtigkeit dieser Behauptung nicht erkennen, dass dem Kläger unter Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG die Gelegenheit abgeschnitten worden ist, sich zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Entscheidung zu äußern.