Entscheidungsdatum: 26.07.2016
Der Kläger ist Mitglied der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer Kassel (im Folgenden: IHK). Das Verwaltungsgericht hat seine gegen den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführer der IHK gerichtete Klage mit dem Antrag festzustellen, dass die Abgabe zweier im einzelnen bezeichneter Erklärungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages e.V. (DIHK) rechtswidrig gewesen sei, abgewiesen. Die Feststellungsklage sei unzulässig, weil der Kläger kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung habe; dieses bestehe nicht gegenüber den Beklagten. Im Berufungsverfahren hat der Kläger zusätzlich zwei weitere Anträge gestellt. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Berufung hinsichtlich dieser beiden Feststellungsanträge verworfen; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die erstmals im Berufungsverfahren gestellten Anträge zu 2 und 3 stellten eine nachträgliche Klageänderung dar, die unzulässig sei. Weder habe der Beklagte ihr zugestimmt, noch sei sie sachdienlich. Den Antrag zu 1 habe das Verwaltungsgericht zutreffend als unzulässig abgewiesen, weil dem Kläger die Klagebefugnis für diesen Feststellungsantrag fehle. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
1. Der Kläger zeigt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht auf. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, wenn die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Dem Beschwerdevorbringen des Klägers lassen sich sinngemäß die Fragen entnehmen, welche Mitwirkungsmöglichkeiten dem einzelnen Mitglied der Vollversammlung der IHK zur Verfügung stehen, um unzulässige Stellungnahmen des DIHK zu verhindern, sowie welche Mitwirkungspflichten die Beklagten treffen, um in der Vollversammlung der IHK eine Beratung und Beschlussfassung solcher Äußerungen vor ihrer Veröffentlichung sicherzustellen und rechtswidrige Äußerungen des Dachverbandes zu unterbinden. Diese Fragen wären in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Sie beziehen sich der Sache nach auf die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gestellten Anträge zu 2 und 3. Beide Anträge hat der Verwaltungsgerichtshof als unzulässig verworfen, ohne sich in der Sache mit ihnen zu befassen. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen waren aus Sicht der Vorinstanz nicht entscheidungserheblich und würden sich auch in einem Revisionsverfahren nicht stellen.
2. Den geltend gemachten Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) legt der Kläger nicht substantiiert dar. Dieser Zulassungsgrund ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung des Beschwerdeführers divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt und die entscheidungstragende Abweichung muss darauf bezogen konkret herausgearbeitet werden. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder eines der anderen Divergenzgerichte aufgestellt haben, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge hingegen nicht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. April 2015 - 10 B 64.14 - juris Rn. 23 und vom 16. Februar 2016 - 10 BN 4.15 - juris Rn. 4).
Der Kläger macht geltend, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs weiche vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - (BVerwGE 137, 171) zur "Limburger Erklärung" ab. Er benennt aber keinen abstrakten Rechtssatz des angefochtenen Urteils, der von einem Rechtssatz des vorgenannten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts abweicht. Vielmehr rügt der Kläger allein die Rechtsanwendung des Berufungsgerichts und beschränkt sich auf den Vorwurf, dieses habe nicht "im Sinne der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts" entschieden. Damit lässt sich eine Divergenz nicht begründen. Das gilt auch für die vom Kläger wiedergegebene Aussage aus dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, durch einen Zusammenschluss der Industrie- und Handelskammern in einer überregionalen Arbeitsgemeinschaft dürften die Kompetenzen der Kammern nicht erweitert werden. Diese Erwägung war für das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs ohne Bedeutung, da es sich ausschließlich mit Zulässigkeitsfragen befasste.
3. Schließlich liegt auch der geltend gemachte Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht vor. Der Kläger rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe seinen eigenen Erkenntnisstand aus dem Zulassungsbeschluss vom 29. April 2014 ignoriert, weil er in dem angefochtenen Urteil die beiden Anträge 2 und 3 als Klageerweiterung behandelt habe. Damit macht er sinngemäß eine Bindung des Berufungsurteils an die Auslegung des erstinstanzlichen Antrags im Beschluss über die Zulassung der Berufung geltend. Eine solche Bindung sieht die Verwaltungsprozessordnung nicht vor. Dass die Berufungsentscheidung selbst gegen die Pflicht zur sachgerechten Auslegung des Klagebegehrens gemäß § 88 VwGO verstoßen und deshalb die Berufungsanträge zu 2 und 3 zu Unrecht als Klageerweiterung behandelt hätte, legt die Beschwerdebegründung nicht dar.
Nach § 88 VwGO darf das Gericht nicht über das Klagebegehren hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Diese Bestimmung ist Ausdruck des prozessualen Dispositionsgrundsatzes, nach dem es Sache des Klägers ist zu bestimmen, welches Rechtsschutzziel er mit der Anrufung des Gerichts verfolgt. Das Gericht ist verpflichtet, das Rechtsschutzziel des Klägers zu ermitteln und darauf hinzuwirken, dass er die hierfür sachdienlichen Anträge stellt (vgl. § 86 Abs. 3 VwGO). Maßgebend ist der Wille des Klägers, wie er sich aus seinen prozessualen Erklärungen und seiner für das Gericht erkennbaren Interessenlage ergibt (stRspr; vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2014 - 8 C 50.12 - BVerwGE 149, 265 Rn. 17; Beschluss vom 2. Dezember 2015 - 6 B 33.15 - NVwZ-RR 2016, 225 Rn. 5).
Nach diesem Maßstab hat das Berufungsgericht das Rechtsschutzziel des Klägers nicht verkannt. Im erstinstanzlichen Verfahren hat der damals bereits anwaltlich vertretene Kläger ausdrücklich allein die Feststellung der Rechtswidrigkeit der beiden von ihm benannten Erklärungen des DIHK beantragt, ohne die Klage (auch) gegen den DIHK zu richten. Vor diesem Hintergrund hat das Berufungsurteil das erstinstanzliche Klägervorbringen zu Pflichten der Beklagten, die Abgabe der Erklärungen zu verhindern und jedenfalls die Vollversammlung der eigenen IHK damit zu befassen, erkennbar (nur) als Begründung eines Feststellungsinteresses diesen gegenüber verstanden und nicht als (weitere) Klageanträge ausgelegt. Dazu war es wegen der ausdrücklichen und eindeutigen Beschränkung des anwaltlichen Klageantrags auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Erklärungen des DIHK auch nicht verpflichtet (zum Kriterium ausdrücklicher und eindeutiger Antragsbeschränkung vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 8 C 14.14 - BVerwGE 152, 26 Rn. 29 ff.; Beschlüsse vom 29. August 1989 - 8 B 9.89 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 17 und vom 9. Januar 2009 - 8 B 95.08 - LKV 2009, 132). Der Verwaltungsgerichtshof durfte daher die Anträge des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der Berufungsverhandlung, der den ursprünglichen Klageantrag - geringfügig umformuliert - als ersten Antrag stellte und um zwei weitere Anträge zur Feststellung von Pflichten der Beklagten ergänzte, als Erweiterung des erstinstanzlichen Klageantrags um die Berufungsanträge zu 2 und 3 verstehen.
Die weitere Rüge, es sei verfahrensfehlerhaft, dass der Verwaltungsgerichtshof die Klageerweiterung nicht als sachdienlich im Sinne von § 91 Abs. 1 VwGO behandelt habe, ist ebenfalls nicht berechtigt. Die Entscheidung, ob eine Klageänderung sachdienlich ist, liegt im Ermessen der darüber entscheidenden Instanz. Das Revisionsgericht darf nur prüfen, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit verkannt und damit die Grenze seines Ermessens überschritten hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2003 - 6 B 60.03 - juris Rn. 27 und vom 25. Juni 2009 - 9 B 20.09 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 37). Das kann hier nicht angenommen werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klageerweiterung nicht für sachdienlich gehalten, weil durch die Anträge zu 2 und 3 Streitstoff in das Berufungsverfahren eingeführt werde, dessen Würdigung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Fragen aufwerfe, die für die Entscheidung über den mit dem Antrag zu 1 sowohl erst- als auch zweitinstanzlich verfolgten Streitgegenstand unerheblich seien. Sie beträfen die Feststellung von Rechtsverhältnissen, die sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch im Hinblick auf die jeweils an dem Rechtsverhältnis Beteiligten von dem Rechtsverhältnis, das den Feststellungsantrag zu 1 bilde, verschieden seien. Damit hat der Verwaltungsgerichtshof die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschritten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.