Entscheidungsdatum: 09.04.2014
1. Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden.
2. Wird die Arbeitsleistung dem Arbeitgeber mit dieser Einschränkung angeboten, handelt es sich um ein ordnungsgemäßes Angebot iSd. §§ 294, 295 BGB.
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Mai 2013 - 5 Sa 78/13 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin als Krankenschwester ohne Ableistung von Nachtschichten zu beschäftigen, außerdem über Ansprüche auf Arbeitsentgelt unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.
Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der sogenannten Vollversorgung. Hieraus ergibt sich die Verpflichtung eines rund um die Uhr zu gewährleistenden Krankenhausbetriebs. Das Krankenhaus hat ca. 1.000 Betten und beschäftigt etwa 2.000 Mitarbeiter.
Die im Jahr 1963 geborene Klägerin ist seit dem 1. September 1983 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängern als Krankenschwester beschäftigt. Arbeitsvertraglich bestimmt sich das Arbeitsverhältnis „nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag Ost (BAT-O) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung sowie nach den für Angestellte des Arbeitgebers im Gebiet nach Art. 3 des Einigungsvertrags jeweils geltenden sonstigen Regelungen“ und „finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung“. Nach der Regelung in einem Haustarifvertrag sind die Beschäftigten im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten verpflichtet, Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit zu leisten. In einer Betriebsvereinbarung über die Grundsätze der Dienstplangestaltung vom 1. August 2011 heißt es ua.:
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„§ 3 |
Grundsätze der Dienstplangestaltung |
(1) |
Der Dienstplan ist für einen Geltungszeitraum von einem Kalendermonat zu erstellen. |
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(4) |
Die Stations-/Bereichsleitungen sollen den Einsatz der Beschäftigten aktiv steuern, unter Beachtung arbeitsphysiologischer Gesichtspunkte vorwärts rotierend in Früh-, Spät- und Nachtdiensten. Hierbei ist eine gleichmäßige Planung in Bezug auf Freizeitausgleich, freie Tage, Schichtfolgen, Einsatz an Feiertagen, Voll- und Teilzeitbeschäftigung unter Erreichung der individuell geschuldeten Arbeitszeit anzustreben. Sofern betriebliche Erfordernisse oder berechtigte Belange anderer Beschäftigter nicht entgegenstehen, sind individuelle Wünsche bei der Dienstplangestaltung zu berücksichtigen. |
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… |
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(6) |
Die Schichtfolge im Nachtdienst ist auf maximal drei Nächte beschränkt. Nach schriftlicher Vereinbarung mit dem Beschäftigten kann die Schichtfolge freiwillig im Nachtdienst auf maximal fünf Nächte in Folge erhöht werden. Diese Vereinbarung kann der Beschäftigte schriftlich ohne Angabe von Gründen mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende kündigen. Diese Vereinbarung ist für den Mitarbeiter jederzeit zugänglich aufzubewahren (Vordruck s. Anlage 1). |
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Protokollnotiz: |
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Die Schichtfolge im Nachtdienst kann ohne freiwillige schriftliche Einwilligung des Mitarbeiters über den Zeitraum der hohen Feiertage (Ostern; Pfingsten; Weihnachten; Neujahr) auf maximal fünf Nächte in Folge erhöht werden.“ |
Die Krankenschwestern bei der Beklagten arbeiten im Schichtdienst, bis zu ihrer Erkrankung im Jahr 2010 auch die Klägerin. Die Frühschicht dauert von 06:00 Uhr bis 14:30 Uhr, die Zwischenschicht von 11:30 Uhr bis 22:00 Uhr, die Spätschicht von 14:00 Uhr bis 22:30 Uhr und die Nachtschicht von 21:45 Uhr bis 06:15 Uhr.
Die Klägerin muss gesundheitlich bedingt Medikamente einnehmen, die zum Einschlafen führen und einen nächtlichen Schlaf bewirken. Sie ist deshalb seit dem Ende ihrer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2011 nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leisten. Soweit sie zum Nachtdienst eingeteilt wurde, was seit Dezember 2011 durchschnittlich zweimal im Monat der Fall war, tauschte sie die Dienste mit anderen Mitarbeitern.
Eine betriebsärztliche Untersuchung am 30. April 2012 bestätigte den Befund, dass die Klägerin keine Nachtdienste mehr leisten kann. Hierauf schickte der Pflegedirektor die Klägerin nach deren Frühdienst am 12. Juni 2012 nach Hause mit dem Bemerken, sie sei arbeitsunfähig krank und werde für die nächsten sechs Wochen Entgeltfortzahlung erhalten.
Mit Schreiben vom 14. Juni 2012 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie könne ihren Dienstverpflichtungen hinsichtlich der Früh-, Spät-, Zwischen-, Wochenend- und Feiertagsdienste nachkommen, sei deshalb nicht arbeitsunfähig und biete ihre Arbeitsleistung „hiermit weiterhin ausdrücklich an“. Die Nachtdienste hätten bisher nicht mehr als 5 % der Gesamtarbeitszeit betragen. Sie bitte um Mitteilung, wann sie wieder zum Dienst erscheinen dürfe. Die Beklagte bekräftigte daraufhin mit Schreiben vom 12. Juli 2012 ihren Standpunkt, es liege eine Arbeitsunfähigkeit vor; die Klägerin könne ihre Tätigkeit wieder aufnehmen, sobald sie wieder nachtdiensttauglich und damit arbeitsfähig sei. Ärztlicherseits wurde der Klägerin Arbeitsunfähigkeit nicht bescheinigt. Ab dem 25. Juli 2012 bezog sie Arbeitslosengeld.
Mit ihrer am 1. August 2012 erhobenen und am 8. November 2012 erweiterten Klage hat die Klägerin Beschäftigung und Zahlung von Arbeitsvergütung für die Zeit vom 25. Juli 2012 bis zum 31. Oktober 2012 in unstreitiger Höhe von 9.665,16 Euro brutto abzüglich 3.525,95 Euro bezogenen Arbeitslosengeldes geltend gemacht. Die Beklagte müsse sie gemäß § 106 GewO für alle Schichten mit Ausnahme der Nachtschichten einteilen. Das sei organisatorisch möglich und zumutbar. Der Zahlungsanspruch ergebe sich aus Annahmeverzug, hilfsweise als Schadensersatz.
Die Klägerin hat beantragt,
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1. |
die Beklagte zu verurteilen, sie auf der Basis des Arbeitsvertrags vom 17. September 1982 in der Fassung des Änderungsvertrags vom 1. Juli 1991 und vom 20. April 2012 als Krankenschwester ohne Ableistung von Nachtschichten zu beschäftigen; |
2. |
die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.665,16 Euro brutto abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 3.525,95 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. November 2012 zu zahlen. |
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie sei zur Beschäftigung der Klägerin nicht verpflichtet, da diese die geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr in vollem Umfang erbringen könne. Da es keine Tagesarbeitsplätze gebe, könne auch kein leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden. Eine gleichmäßige Verteilung des Nachtbetriebs auf die Arbeitnehmer sei aus Gründen der Gleichbehandlung und wegen ihrer eingeschränkten finanziellen und personellen Möglichkeiten erforderlich. Wegen der tarifvertraglichen Festschreibung der Tätigkeit der Klägerin im Schichtdienst könne sie ihr Direktionsrecht auch nicht anders ausüben. Die Zuweisung einer Tätigkeit als Krankenschwester ohne die Ableistung von Nachtschichten würde keine Ausübung des Direktionsrechts bedeuten, sondern wäre nur im Wege einer Änderungskündigung möglich. Mangels Leistungsfähigkeit habe die Klägerin keinen Anspruch auf Vergütung aus Annahmeverzug. Es mangele auch schon an einem hinreichend präzisierten Angebot der Klägerin. Im Übrigen sei ein Angebot seitens der Klägerin unerheblich, solange die Arbeitsleistung nicht durch Ausübung des Direktionsrechts bestimmt sei. Zu beachten seien insbesondere die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Ein Schadensersatzanspruch bestehe mangels schuldhafter Pflichtverletzung ebenfalls nicht.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält die Beklagte an ihrem Klageabweisungsantrag fest.
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben.
I. Der mit einem hinreichend konkreten und damit zulässigen Klageantrag (vgl. BAG 22. Oktober 2008 - 4 AZR 735/07 - Rn. 53 ff.) geltend gemachte Beschäftigungsanspruch folgt aus den §§ 611, 613 iVm. § 242 BGB.
1. Der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers im bestehenden Arbeitsverhältnis wird aus den §§ 611, 613 iVm. § 242 BGB hergeleitet. Er beruht auf der arbeitsvertraglichen Förderungspflicht des Arbeitgebers im Hinblick auf das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG zum Persönlichkeitsschutz. Eine einseitige Suspendierung des Arbeitnehmers ohne vertragliche Vereinbarung ist grundsätzlich nicht zulässig (BAG 21. September 1993 - 9 AZR 335/91 - zu 1 der Gründe). Der Anspruch muss nur dann zurücktreten, wenn überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen (BAG 27. Februar 1985 - GS 1/84 - zu C I 3 der Gründe, BAGE 48, 122; ErfK/Preis 14. Aufl. § 611 BGB Rn. 563).
2. Der Anspruch ist auf die vertragsgemäße Beschäftigung gerichtet. Deren Konkretisierung obliegt gemäß § 106 GewO dem Arbeitgeber. Der Arbeitgeber kann bestimmen, welche Arbeitsleistung der Arbeitnehmer im Rahmen des Arbeitsvertrags und der auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Regelungen zu erbringen hat. Zur Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs muss eine hierfür gegebenenfalls erforderliche Konkretisierung erfolgen (BAG 12. September 1996 - 5 AZR 30/95 - zu 2 der Gründe, BAGE 84, 116). Bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung besteht kein Beschäftigungsanspruch, vielmehr ist der Anspruch auf die Arbeitsleistung ausgeschlossen, § 275 Abs. 1 BGB. Insbesondere entfällt die Leistungspflicht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig ist.
a) Die Klägerin ist nicht deshalb krankheitsbedingt arbeitsunfähig, weil sie gesundheitlich bedingt Medikamente einnehmen muss und aus diesem Grunde Nachtdienste nicht mehr leisten kann.
aa) Ob die Klägerin wegen ihres körperlichen Defizits „krank“ ist, kann dahingestellt bleiben.
Krankheit iSd. EFZG ist jeder regelwidrige Körper- oder Geisteszustand. Was regelwidrig ist, bestimmt sich nach dem Stand der (medizinischen) Wissenschaft (BAG 7. August 1991 - 5 AZR 410/90 - zu I der Gründe, BAGE 68, 196; 7. Dezember 2005 - 5 AZR 228/05 - zu II 1 b der Gründe; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 15. Aufl. § 98 Rn. 10; ErfK/Reinhard § 3 EFZG Rn. 5 ff.).
Im Fall der Klägerin kommt ein regelwidriger Körperzustand in Betracht, der nur durch ständige Behandlung einschließlich Medikation zu beherrschen ist. Das Erfordernis einer Heilbehandlung ist allerdings nicht maßgebend (vgl. ErfK/Reinhard § 3 EFZG Rn. 7 mwN).
bb) Die Klägerin ist jedenfalls nicht arbeitsunfähig.
(1) Für den Begriff der „Arbeitsunfähigkeit“ ist eine vom Arzt nach objektiven Maßstäben vorzunehmende Bewertung des Gesundheitszustands maßgebend (vgl. die in Ausführung von § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V durch den Gemeinsamen Bundesausschuss [§ 91 SGB V] erlassene Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie vom 1. Dezember 2003 idF vom 21. Juni 2012, BAnz. AT 7. September 2012 B4). Die Arbeitsfähigkeit beurteilt sich nach der vom Arbeitnehmer arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung, wie sie der Arbeitgeber ohne die Arbeitsunfähigkeit als vertragsgemäß annehmen muss. Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr ausüben sollte, weil die Heilung der Krankheit nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert würde (BAG 23. Januar 2008 - 5 AZR 393/07 - Rn. 19; Schaub/Linck § 98 Rn. 14, 15).
(2) Die Klägerin kann ihre arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit als Krankenschwester weiterhin ausüben; ihre eingeschränkte Verwendbarkeit hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit steht dem nicht entgegen.
Die Klägerin kann unstreitig sämtliche von ihr als Krankenschwester geschuldeten Arbeiten ausführen, ohne dass von Verhinderung oder Verzögerung einer Heilung die Rede sein kann. Sie ist nach Art und Ort der Arbeitsleistung sowie zeitlicher Dauer der Arbeit uneingeschränkt einsetzbar und unterliegt Einschränkungen nur hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit und insoweit auch nur in Bezug auf die Nachtschicht. Zwar sind die Nachtschichten grundsätzlich von der Arbeitspflicht der Klägerin mit umfasst; jedoch gibt es keine vertragliche Festlegung der Arbeit auf die Nachtzeit. Vielmehr ist es der Beklagten nach § 106 GewO überlassen, die Arbeitszeit im Rahmen ihres Schichtmodells festzulegen, wobei die Nachtschicht gewöhnlich einen ganz untergeordneten Anteil einnimmt.
Damit liegt nicht der Fall einer verminderten Arbeitsfähigkeit vor, den die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als Arbeitsunfähigkeit versteht und für den sie die Annahme einer teilweisen Arbeitsfähigkeit bzw. teilweisen Arbeitsunfähigkeit ausdrücklich ablehnt. Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, die Arbeitsunfähigkeit werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer seine geschuldeten Vertragspflichten anstatt voll nur teilweise zu erbringen vermag (BAG 29. Januar 1992 - 5 AZR 37/91 - zu II 1 der Gründe, BAGE 69, 272). Wie der Zusammenhang der Ausführungen, die zugrunde liegende Fallgestaltung und der Hinweis auf die Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 1973 (- 5 AZR 141/73 -) und vom 25. Juni 1981 (- 6 AZR 940/78 -) zeigen, ist damit eine verminderte Arbeitsfähigkeit gemeint, aufgrund derer der Arbeitnehmer die vertraglich festgelegte volle Arbeitsleistung (im Gegensatz zu einer Teilleistung, § 266 BGB) nach objektiver Beurteilung nicht erbringen kann. Eine Teilarbeitsunfähigkeit mit teilweiser Arbeitspflicht und teilweisem Entgeltfortzahlungsanspruch soll es nämlich nicht geben; jedenfalls braucht sich weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer auf eine Teilleistung einzulassen. Dagegen werden von der Arbeitsunfähigkeit nicht die Fälle umfasst, in denen der Arbeitnehmer eine volle Arbeitsleistung erbringen kann und lediglich gehindert ist, der gesamten Bandbreite der arbeitsvertraglich an sich möglichen Leistungsbestimmungen gerecht zu werden. Vielmehr muss der Arbeitgeber dann im Rahmen des § 106 GewO nach Möglichkeit berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer aus Gründen seiner Gesundheit nicht (mehr) in der Lage ist, alle an sich geschuldeten Tätigkeiten vollumfänglich auszuführen. Ein solcher Fall liegt hier vor.
b) Die Klägerin kann verlangen, dass die Beklagte ihr Weisungsrecht so ausübt, dass für die Klägerin keine Nachtdienste anfallen.
aa) Nach § 106 Satz 1 GewO hat der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Ob die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB (vgl. näher ua.: BAG 11. April 2006 - 9 AZR 557/05 - Rn. 35 mwN, BAGE 118, 22; 15. Mai 2013 - 10 AZR 679/12 - Rn. 34 f. mwN).
bb) Die vertragliche Arbeit als Krankenschwester ist der Klägerin nicht ganz oder teilweise unmöglich geworden, § 275 Abs. 1 BGB. Vielmehr kann die Klägerin, wie ausgeführt, alle Arbeiten einer Krankenschwester in vollem zeitlichem Umfang weiterhin erbringen. Die Nachtarbeit, deren Ausklammerung und Ersetzung durch andere Arbeitszeiten die Klägerin verlangt, betrifft nur eine untergeordnete Modalität ihrer Arbeitsleistung insgesamt. Wenn die Beklagte auch in der Revision weiterhin auf die klägerische Verpflichtung zur Ableistung von Nachtdiensten abstellt, verwechselt sie nach wie vor den allgemeinen Umfang ihres Weisungsrechts mit dem festgelegten Inhalt der Arbeitspflicht der Klägerin.
cc) Der Beklagten ist die vollumfänglich vertragsgemäße Beschäftigung der Klägerin nicht unmöglich geworden. Auch wenn die Klägerin nicht mehr zu Nachtdiensten eingeteilt wird, handelt es sich um eine vertragsgemäße Beschäftigung in diesem Sinne. Nach den weder mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag noch mit zulässigen Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist eine solche Beschäftigung möglich. Die Besonderheiten des Schichtdienstes stellen kein unüberwindbares tatsächliches Hindernis dar, die Klägerin nicht zu Nachtdiensten einzuteilen. Soweit die Revision rügt, das Landesarbeitsgericht hätte auf ein entsprechendes Vortragsdefizit zur Ermöglichung ergänzenden Vortrags durch die Beklagte hinweisen müssen, fehlt es schon an der Angabe, was auf einen Hinweis noch vorgetragen worden wäre (vgl. nur BAG 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 3 e aa der Gründe, BAGE 109, 145); außerdem liegt klar auf der Hand, dass die anwaltlich vertretene Beklagte diese Problematik von sich aus erkennen musste und dazu im Einzelnen auch ohne besondere Hinweise vorzutragen hatte.
Rechtliche Gründe stehen dem Begehren der Klägerin ebenfalls nicht entgegen, wie das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat. Eine Rechtspflicht, die Klägerin gegen ihren Willen in den Schichtdienst mit sämtlichen Schichtarten einzubeziehen, lässt sich weder arbeitsvertraglich noch kollektivrechtlich, sondern allenfalls über § 106 GewO und den Grundsatz der Gleichbehandlung begründen. Die tarifliche Verpflichtung der Beschäftigten begründet ebenso wie die Betriebsvereinbarung vom 1. August 2011 lediglich das Recht, nicht aber die Pflicht der Beklagten, einen entsprechenden Einsatz vorzusehen. Hierfür gelten dann § 106 GewO und der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz.
dd) Das Landesarbeitsgericht hat § 106 GewO rechtsfehlerfrei und zutreffend angewendet. Soweit die Revision hiergegen überhaupt Rügen erhebt, greifen diese nicht durch.
Die Interessen der langjährig bei der Beklagten beschäftigten Klägerin treten deutlich zutage: Die Klägerin vermag Nachtdienste nicht mehr zu leisten, alle anderen Arbeitspflichten kann sie im vertraglichen Umfang erfüllen. Sie verlangt deshalb (lediglich) die Befreiung von Nachtdiensten. Daran hat sie ein hohes Interesse. Hätte die Beklagte Recht, könnte die Klägerin bei der Beklagten nicht mehr arbeiten. Auch eine Arbeit in anderen Krankenhäusern wäre weitgehend ausgeschlossen.
Demgegenüber hat das Landesarbeitsgericht die Interessen der Beklagten zu Recht zurücktreten lassen. Der Beklagten bleibt das volle Weisungsrecht mit Ausnahme nur der Möglichkeit zur Einteilung von Nachtdiensten. Eine Herausnahme der Klägerin aus den Nachtdiensten ist möglich. Sie ist erforderlich, zumutbar und angemessen. Besondere Interessen anderer Arbeitnehmer sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Beklagte hat nicht einmal vorgetragen, es habe konkrete Beschwerden gegeben oder es sei aus bestimmten Gründen schwer, frei werdende Nachtdienste gleichmäßig zu verteilen oder andere Arbeitnehmer hierfür zu gewinnen. Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend auf die Größe des Betriebs und den geringen Anteil der Nachtdienste abgestellt. Die Auffassung der Revision, es sei der Beklagten nicht möglich, gegenüber anderen Krankenschwestern eine häufigere Ableistung von Nachtschichten anzuordnen, ist unrichtig und wird auch nicht nachvollziehbar begründet. Der von der Beklagten bemühte Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet gerade, Unterschiedliches auch unterschiedlich zu behandeln und den sachlichen, hier sogar zwingenden Gründen bei der Klägerin Rechnung zu tragen. Die von der Beklagten möglicherweise angestrebte „Generalprävention“ wäre von vornherein unzulässig.
c) Danach kann dahinstehen, ob die Klägerin den Anspruch auf Umsetzung gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a iVm. § 2 Abs. 5 Nr. 1 ArbZG geltend gemacht hat und ob dessen Voraussetzungen vorliegen.
1. Die Beklagte befand sich vom 25. Juli 2012 bis zum 31. Oktober 2012 im Annahmeverzug.
a) Die Beklagte hat die ihr mit Schreiben der Klägerin vom 14. Juni 2012 angebotene Arbeitsleistung nicht angenommen, § 293 BGB. Das wörtliche Angebot (§ 295 BGB) genügte, weil die Beklagte zuvor erklärt hatte, sie werde die Leistung nicht annehmen, weil und solange die Klägerin nachtdienstuntauglich und damit arbeitsunfähig krank sei.
b) Allerdings muss die Leistung ebenso wie nach § 294 BGB auch im Fall des § 295 BGB so angeboten werden, wie sie zu bewirken ist. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Klägerin genau dies getan: Die Klägerin war nicht arbeitsunfähig. Sie hatte einen Anspruch auf Beschäftigung als Krankenschwester, ohne zu Nachtdiensten eingeteilt zu werden. Das hat die Klägerin im Schreiben vom 14. Juni 2012 so geltend gemacht und auf dieser Grundlage die Arbeit angeboten. Sie hat damit nicht das Weisungsrecht der Beklagten angetastet, indem sie etwa eine bestimmte, möglicherweise zwar vertragsgemäße, aber seitens der Beklagten nicht zugewiesene und damit nicht geschuldete Tätigkeit angeboten hat (vgl. BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 21, BAGE 141, 34). Sie hat den Inhalt der arbeitsvertraglich nur rahmenmäßig umschriebenen Arbeitsleistung nicht selbst konkretisiert, sondern das Weisungsrecht der Beklagten in dem vollen Umfang überlassen, in dem die Beklagte es ausüben durfte. Die Beklagte hatte, wie oben zu I ausgeführt, keine andere Möglichkeit der Leistungsbestimmung, als die Klägerin mit ihrem Angebot eingeräumt hat. Es war dann Sache der Beklagten, vertragsgemäße Arbeit nach billigem Ermessen zuzuweisen.
c) Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Mai 2010 (- 5 AZR 162/09 - BAGE 134, 296). Hiernach ist das Angebot einer „leidensgerechten Arbeit“ ohne Belang, wenn der Arbeitgeber eine andere Tätigkeit nach § 106 GewO wirksam bestimmt hatte (BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - Rn. 16, aaO). Die Beklagte hat aber keine andere Arbeitsleistung wirksam bestimmt; vielmehr hat sie gemeint, die Klägerin sei wegen der unstreitig bestehenden Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig, und hat deswegen die Annahme einer Arbeitsleistung überhaupt abgelehnt. Darin liegt weder die Konkretisierung einer bestimmten Arbeitsleistung noch überhaupt eine wirksame Bestimmung. Von einer „vorläufigen Bindung“ durch Weisung (vgl. BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 24, BAGE 141, 34) kann auch deshalb keine Rede sein, weil die Unfähigkeit der Klägerin zur Ableistung von Nachtdiensten geklärt war und entsprechende Weisungen - selbst nach Auffassung der Beklagten - von vornherein ausgeschlossen waren.
d) Die Klägerin war nicht iSv. § 297 BGB außerstande, die geschuldete Leistung zu bewirken (oben zu I 2).
2. Die Arbeit ist infolge des Verzugs nicht geleistet worden. Die Ablehnung der Beschäftigung seitens der Beklagten war die einzige Ursache für den Ausfall der Arbeit.
3. Die Höhe des Anspruchs nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 BGB ist ebenso unstreitig wie der Betrag des anzurechnenden Arbeitslosengeldes, § 615 Satz 2 BGB (hierzu ErfK/Preis § 615 BGB Rn. 94).
4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.
III. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
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Mikosch |
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W. Reinfelder |
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Schmitz-Scholemann |
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Schürmann |
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Trümner |