Entscheidungsdatum: 12.04.2017
1. Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 23. Januar 2017 - 9 Sa 1171/16 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 4.699,65 Euro festgesetzt.
I. Die Parteien streiten in der Hauptsache über die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Auf der Grundlage des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 3. Mai 2013 idF der Änderungstarifverträge vom 3. Dezember 2013 und vom 10. Dezember 2014, der aufgrund Bekanntmachung vom 6. Juli 2015 (AVE VTV 2015, BAnz. AT 14. Juli 2015 B3) für allgemeinverbindlich erklärt wurde, begehrt er vom Beklagten Beiträge für den Zeitraum Februar bis Juni 2015 iHv. 4.699,65 Euro. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat durch Beschluss vom 21. Juli 2016 (- 14 BvL 5007/15 -, - 14 BvL 5003/16 -, - 14 BvL 5004/16 -, - 14 BvL 5005/16 -) festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 6. Juli 2015 wirksam ist. Hiergegen ist ein Rechtsbeschwerdeverfahren beim Bundesarbeitsgericht anhängig (- 10 ABR 62/16 -).
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts, die nicht bestritten wurden, ist er nicht Mitglied der am Abschluss des VTV beteiligten Tarifvertragsparteien. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit der AVE VTV 2015 ausgesetzt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Kläger die Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses und Fortführung des Rechtsstreits.
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, den Rechtsstreit nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auszusetzen, ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
1. Nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist ein Rechtsstreit auszusetzen, wenn seine Entscheidung davon abhängt, ob eine AVE nach § 5 TVG oder eine Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7a AEntG oder nach § 3a AÜG wirksam ist. Die Entscheidung über die Wirksamkeit einer solchen AVE oder Rechtsverordnung darf ausschließlich im Rahmen eines gesonderten Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG erfolgen (grundlegend BAG 7. Januar 2015 - 10 AZB 109/14 - Rn. 16, BAGE 150, 254; zuletzt zB 25. Januar 2017 - 10 AZB 30/16 - Rn. 8).
2. Das Landesarbeitsgericht ist bei seiner Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG nicht in Betracht kommt, wenn der Rechtsstreit ohne Klärung der Wirksamkeit der AVE oder Rechtsverordnung entschieden werden kann (vgl. BAG 7. Januar 2015 - 10 AZB 109/14 - Rn. 23 mwN, BAGE 150, 254). Es hat insoweit festgestellt, dass die Parteien weder über die Frage streiten, ob der betriebliche Geltungsbereich des VTV eröffnet ist, noch über die Höhe des geforderten Beitrags. Des Weiteren hat es ausgeführt, dass § 17 VTV nach seiner Rechtsauffassung wirksam sei und es deshalb nur noch auf die Frage der Wirksamkeit der AVE VTV 2015 ankomme. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts genügt damit insoweit den an einen Aussetzungsbeschluss nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG zu stellenden Anforderungen (vgl. dazu BAG 7. Januar 2015 - 10 AZB 109/14 - Rn. 23, BAGE 150, 254).
3. Das Landesarbeitsgericht hat ferner berücksichtigt, dass bei der Überprüfung einer AVE von Amts wegen der erste Anschein für deren Rechtmäßigkeit spricht, weil davon auszugehen ist, dass sie unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen ausgesprochen worden ist. Es hat demzufolge ernsthafte Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 TVG verlangt, um eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG zu begründen. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. BAG 17. Februar 2016 - 10 AZR 600/14 - Rn. 12 mwN).
4. Bei der Beurteilung der Frage, ob „ernsthafte Zweifel“ an der Wirksamkeit einer AVE bestehen, bleibt dem Landesarbeitsgericht ein gewisser Spielraum. Das Rechtsbeschwerdegericht kann nur nachprüfen, ob das Landesarbeitsgericht den Begriff selbst verkannt hat, die Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob die Beurteilung wegen des Übersehens wesentlicher Umstände offensichtlich fehlerhaft ist (BAG 7. Januar 2015 - 10 AZB 109/14 - Rn. 22, BAGE 150, 254). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält der angegriffene Beschluss stand.
a) Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Entscheidung das Erfordernis der „ernsthaften Zweifel“ zutreffend ausgelegt, den gesamten Sachverhalt gewürdigt und alle von den Parteien für und gegen die Wirksamkeit der AVE VTV 2015 vorgebrachten Argumente berücksichtigt, wobei es sich insoweit schwerpunktmäßig mit der Wirksamkeit des § 17 VTV und den Folgen einer möglichen Unwirksamkeit dieser Norm für die AVE als Ganzes beschäftigt hat. Den Beschlussgründen lässt sich im Einzelnen entnehmen, von welchen der vorgetragenen oder gerichtsbekannten Zweifeln das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist und welche Tatsachen es dieser Annahme zugrunde gelegt hat. Die in sich widerspruchsfreie und ohne Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze erfolgte Würdigung, wonach im Hinblick auf § 17 VTV ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der AVE VTV 2015 bestehen, überschreitet nicht den dem Landesarbeitsgericht insoweit zustehenden Beurteilungsspielraum.
aa) Das Landesarbeitsgericht hält es für ernsthaft denkbar, dass in einem Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG das Gericht zu dem Schluss käme, dass die AVE VTV 2015 wegen Ermessensfehlgebrauch insgesamt nicht hätte erlassen werden dürfen, wenn § 17 VTV rechtsunwirksam wäre. Dabei verweist es insbesondere darauf, dass diese Frage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist und auch in der Wissenschaft umstritten sei, ob das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine AVE nur teilweise erlassen dürfe oder ob der Tarifvertrag insoweit aufgespalten werden könne.
bb) Im Hinblick auf die Frage der Unwirksamkeit von § 17 VTV benennt das Landesarbeitsgericht die in der Rechtsprechung und im Schrifttum vertretenen Zweifel, ob die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien Betriebe ohne Beschäftigte umfasse. Es verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auch auf ein anhängiges Revisionsverfahren (- 10 AZR 60/16 -), bei dem die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung dieser Rechtsfrage zugelassen worden war.
b) Schließlich geht das Landesarbeitsgericht davon aus, dass es nicht selbst weitere Schritte zur Überprüfung der Wirksamkeit der AVE VTV 2015 unternehmen darf, weil diese gemäß § 98 ArbGG kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung dem dortigen Rechtsstreit vorbehalten ist (vgl. BAG 7. Januar 2015 - 10 AZB 109/14 - Rn. 22, BAGE 150, 254).
c) Abschließend hat das Landesarbeitsgericht erwogen, ob das Interesse des Klägers an einer Beschleunigung des Verfahrens Vorrang vor dem Interesse des Beklagten an der Aussetzung des Rechtsstreits haben könnte.
5. Die in der Rechtsbeschwerde gegen die Aussetzung erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Zwar trifft es zu, dass das Landesarbeitsgericht von der Wirksamkeit des § 17 VTV ausgeht. Diese Prüfung des Landesarbeitsgerichts betrifft jedoch nur die Frage, ob es entscheidungserheblich auf die Wirksamkeit der AVE VTV 2015 ankommt. Die Beschwerde übersieht aber, dass das Landesarbeitsgericht die Auswirkungen einer möglichen Unwirksamkeit des § 17 VTV auf die Wirksamkeit der AVE VTV 2015 weder im Verfahren über die Aussetzung des Rechtsstreits noch im Hauptsacheverfahren selbst abschließend entscheiden darf, sondern diese dem Verfahren nach § 98 ArbGG vorbehalten ist. Deshalb ist es aus Sicht des Landesarbeitsgerichts konsequent, den Ausgangsrechtsstreit auszusetzen, wenn es selbst zwar von der Wirksamkeit des § 17 VTV ausgeht, aber ernsthafte Zweifel hieran erkennt und benennt.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 GKG.
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Linck |
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Schlünder |
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W. Reinfelder |
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