Entscheidungsdatum: 29.04.2010
Im soldatenrechtlichen Konkurrentenstreit kann für den Erlass einer einstweiligen Anordnung unter dem Gesichtspunkt eines beurteilungsrelevanten Erfahrungsvorsprungs ein Anordnungsgrund erst dann bejaht werden, wenn der ausgewählte Soldat eine gewisse Zeit eigenverantwortlich den strittigen Dienstposten wahrgenommen hat. Das ist in der Regel frühestens nach Ablauf von sechs Monaten anzunehmen.
Der Antragsteller hat im Rahmen eines Konkurrentenstreits den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen eine Auswahlentscheidung der Stammdienststelle der Bundeswehr beantragt. Der ausgewählte Bewerber war im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht auf den strittigen Dienstposten versetzt, sondern nur kommandiert, und befand sich in der Einarbeitungsphase.
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass zur Zeit noch kein Anordnungsgrund vorliegt.
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Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist in entsprechender Anwendung des § 123 VwGO im wehrdienstgerichtlichen Verfahren grundsätzlich statthaft. Das folgt aus der Verweisungsbestimmung in § 23a Abs. 2 WBO in der seit dem 1. Februar 2009 geltenden Fassung (Bekanntmachung vom 22. Januar 2009, BGBl I S. 81) und entsprach auch zuvor der ständigen Rechtsprechung des Senats (z.B. Beschlüsse vom 24. August 1993 - BVerwG 1 WB 56.93 - BVerwGE 93, 389 = NZWehrr 1994, 211, vom 27. September 2006 - BVerwG 1 WDS-VR 6.06 - und vom 29. März 2010 - BVerwG 1 WDS-VR 1.10 - m.w.N.).
Für den Antrag, der schon vor Rechtshängigkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung zulässig ist (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der - noch nicht anhängigen - Hauptsache sachlich zuständig (§ 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO). (... wird ausgeführt)
Es kann offenbleiben, ob sich der Antragsteller auf einen Anordnungsanspruch berufen kann.
Jedenfalls hat er den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsgrund (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) nicht dargelegt. Insofern hätte er glaubhaft machen müssen, dass ihm ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (stRspr, z.B. Beschluss vom 29. März 2010 - BVerwG 1 WDS-VR 1.10 - m.w.N.).
Ein derartiger Anordnungsgrund liegt zur Zeit nicht vor.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass sich eine einmal getroffene militärische Verwendungsentscheidung - wie die hier angefochtene Auswahl- und Versetzungsentscheidung - nicht dahin verfestigt, dass der davon begünstigte Soldat eine rechtlich gesicherte Position erwirbt, auf dem ihm übertragenen Dienstposten verbleiben zu können. Vielmehr müsste er es hinnehmen, von diesem Dienstposten wieder wegversetzt zu werden, wenn der Antragsteller bei der Stellenbesetzung ihm gegenüber rechtswidrig übergangen worden wäre (z.B. Beschlüsse vom 27. September 2006 - BVerwG 1 WDS-VR 6.06 -, vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 WB 19.08 - BA Rn. 29
Das Vorbringen des Antragstellers zu einer an das Innehaben des Dienstpostens anknüpfenden zeitnahen Statusänderung des ausgewählten Bewerbers durch Beförderung (vgl. zu dieser Konstellation, die im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit ausnahmsweise einen Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung begründen soll: OVG Münster, Beschluss vom 7. August 2006 - 1 B 653/06 - juris Rn. 29; OVG Lüneburg, Beschluss vom 25. Juni 2007 - 5 ME 143/07 - juris Rn. 7) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Soweit der Antragsteller so zu verstehen sein sollte, dass es ihm um die einstweilige Freihaltung eines militärischen Dienstpostens allein mit Rücksicht auf eine bevorstehende Beförderung des ausgewählten Soldaten geht, liefe dies auf die Überschreitung der sachlichen Kompetenz der Wehrdienstgerichte hinaus. Im wehrdienstgerichtlichen Verfahren kann sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 123 VwGO zuständigkeitsbedingt nur auf den Bereich der truppendienstlichen Verwendungsentscheidungen erstrecken. Die Verhinderung einer Beförderung des ausgewählten Soldaten auf dem strittigen Dienstposten liegt hingegen nicht in der Kompetenz der Wehrdienstgerichte; Streitigkeiten über Statusänderungen sind nach der Rechtswegzuweisung in § 82 Abs. 1 SG und unter Berücksichtigung der Rechtswegabgrenzung in § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO i.V.m. § 42 SG und § 4 Abs. 1 Nr. 3 SG den allgemeinen Verwaltungsgerichten zugewiesen. Deshalb kann ein Rechtsschutzbegehren, mit dem der übergangene Konkurrent das Unterbleiben oder die - vorläufige - Verhinderung einer Beförderung des ausgewählten Bewerbers erreichen will, nicht vor den Wehrdienstgerichten geltend gemacht werden (ebenso schon Beschluss vom 27. September 2006 - BVerwG 1 WDS-VR 6.06 -).
Ein Anordnungsgrund kann im vorliegenden Verfahren zur Zeit aber auch noch nicht aus dem Gesichtspunkt eines Erfahrungsvorsprungs bejaht werden, den der ausgewählte Bewerber auf dem strittigen Dienstposten erlangen kann und der im Falle des Obsiegens des Antragstellers in der Hauptsache bei einer erneuten Auswahlentscheidung zu berücksichtigen wäre.
Der 2. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat insoweit im Beschluss vom 11. Mai 2009 - BVerwG 2 VR 1.09 - (Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 43) ein Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer Anordnung nach § 123 VwGO bejaht, weil ein derartiger Erfahrungsvorsprung für künftige dienstliche Beurteilungen der Konkurrenten - als Grundlage einer neuen Auswahlentscheidung - relevant sei. Ein beurteilungsrelevanter Erfahrungsvorsprung kann jedoch noch nicht bei einer nur kurzen Wahrnehmung des Dienstpostens erlangt werden, sondern ist erst nach einer gewissen Zeit der eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten, die in der Regel mehr als sechs Monate betragen wird, anzunehmen. Diese Voraussetzung liegt in der Person des ausgewählten Bewerbers zur Zeit noch nicht vor. Stabsfeldwebel X. befindet sich nach Angaben der Bevollmächtigten des Antragstellers noch in der Einarbeitungsphase. Seine Versetzung auf den strittigen Dienstposten ist erst zum 1. Juni 2010 verfügt. Ein Anordnungsgrund wäre daher nur dann anzunehmen, wenn bis zur Entscheidung in der Hauptsache ein Zeitraum von deutlich mehr als sechs Monaten verstreichen sollte.