Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 24.05.2011


BVerwG 24.05.2011 - 1 WB 39/10

Antragsbefugnis; subjektives Recht; Wahrnehmungszuständigkeit in hierarchischer Organisation


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Wehrdienstsenat
Entscheidungsdatum:
24.05.2011
Aktenzeichen:
1 WB 39/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Die einem Dienstposteninhaber innerhalb einer hierarchischen Militär- oder Behördenorganisation zugewiesene Wahrnehmungszuständigkeit begründet kein subjektives Recht des betreffenden Soldaten, das er mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach der Wehrbeschwerdeordnung gegen (behauptete) Beeinträchtigungen bei der Aufgabenerfüllung durch andere Soldaten geltend machen kann.

Tatbestand

Der Antragsteller ist Berufssoldat in einem Stabsoffiziersdienstgrad und wird als Dezernatsleiter in einer Dienststelle der Bundeswehr verwendet. Er wandte sich an den zuständigen Referenten des Bundesministeriums der Verteidigung mit der Bitte, ihm zur Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben ein bestimmtes Dokument eines UN-Projekts zur Entwicklung technischer Richtlinien sowie die dazu ergangenen Mitprüfungsbemerkungen des Bundesministeriums der Verteidigung und des Streitkräfteunterstützungskommandos zu überlassen. Der Antragsteller erhielt daraufhin das bezeichnete Dokument, jedoch nicht die Mitprüfungsbemerkungen. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass auch die Kenntnis der Mitprüfungsbemerkungen wichtig für die Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben sei, und sieht in deren Vorenthaltung eine Erschwernis seiner dienstlichen Tätigkeit.

Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach der Wehrbeschwerdeordnung begehrt er die Verpflichtung des Bundesministers der Verteidigung, ihm, dem Antragsteller, die Mitprüfungsbemerkungen zur Verfügung zu stellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Antrag als unzulässig verworfen.

Entscheidungsgründe

...

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Der Antrag ist unzulässig, weil dem Antragsteller die Antragsbefugnis fehlt.

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Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) kann ein Soldat die Wehrdienstgerichte anrufen, wenn sein Antrag bzw. seine Beschwerde eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Pflichten eines Vorgesetzten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Das gerichtliche Verfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung dient damit dem individuellen, subjektiven Rechtsschutz des Soldaten; es ist kein Instrument einer objektiven Rechtskontrolle oder einer allgemeinen Aufsicht über die Bundeswehr. Der Soldat kann nur ein ihm persönlich zustehendes Recht ("sein Recht") bzw. eine Verletzung ihm persönlich dienender Pflichten ("Pflichten ... ihm gegenüber") geltend machen.

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Zu den danach grundsätzlich beschwerdefähigen Rechten bzw. Vorgesetztenpflichten zählen die vom Antragsteller als verletzt gerügte Fürsorgepflicht des Vorgesetzten (§ 10 Abs. 3 SG) und die allgemeine Kameradschaftspflicht aller Soldaten (§ 12 SG). Allerdings stehen auch diese generalklauselartigen Pflichten unter dem Vorbehalt, dass auf sie ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässigerweise nur insoweit gestützt werden kann, als es um den individuellen, subjektiven Rechtsschutz des Soldaten geht. Sollen aus der Fürsorgepflicht oder der Kameradschaftspflicht konkrete Einzelpflichten hergeleitet werden, so bedarf es stets der Prüfung und Begründung, ob dieser Einzelpflicht ein gerade dem Soldaten zustehendes persönliches Recht, ihre Erfüllung einzufordern, korrespondiert.

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Im vorliegenden Fall kann dem Antragsteller bereits abstrakt gesehen kein Recht zustehen, vom Bundesminister der Verteidigung zu verlangen, ihm zur Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben die Mitprüfungsbemerkungen des Bundesministeriums der Verteidigung und des Streitkräfteunterstützungskommandos zu dem UN-Projekt zu überlassen. Denn die einem Dienstposteninhaber innerhalb einer hierarchischen Militär- oder Behördenorganisation zugewiesene Wahrnehmungszuständigkeit begründet kein subjektives Recht des betreffenden Soldaten, mit dem er mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen (vermeintliche) Beeinträchtigungen bei der Aufgabenerfüllung durch andere Soldaten vorgehen könnte.

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Zwar ist es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass im Binnenbereich der Exekutive Organe oder Teile von Organen mit eigenen Rechten ausgestattet sind, die auch mit prozessualen Mitteln verteidigt werden können. So ist etwa im Bereich des allgemeinen Verwaltungsprozessrechts die Statthaftigkeit sog. kommunalverfassungsrechtlicher Streitigkeiten (z.B. zwischen Gemeinderat und Bürgermeister oder Gemeinderatsmitglied und Gemeinderat) oder entsprechender Streitigkeiten zwischen den Organen bzw. Organteilen öffentlicher Hochschulen oder Rundfunkanstalten anerkannt (vgl. z.B. Beschluss vom 9. Oktober 1984 - BVerwG 7 B 187.84 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 106; vgl. ferner Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Mai 2010, § 42 Abs. 2 Rn. 91 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 42 Rn. 80, jeweils m.w.N.). Voraussetzung und Kennzeichen solcher subjektiver organschaftlicher Rechte ist allerdings in der Regel, dass die betreffenden Organe bzw. Organteile nach der rechtlichen Konstruktion, die ihren Zuständigkeiten zugrunde liegt, als selbständige Funktionsträger mit eigenem Gewicht ("Kontrastorgane") an einem pluralistisch strukturierten Willensbildungsprozess teilnehmen sollen (vgl. auch OVG Berlin, Beschluss vom 29. November 2004 - 8 S 146.04 - juris Rn. 6, 9; Kisker, Insichprozess und Einheit der Verwaltung, 1968, S. 38 ff.).

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Anders verhält es sich in hierarchisch strukturierten Organisationsformen, wie sie sich häufig in der unmittelbaren Staatsverwaltung und - idealtypisch - im Bereich der Bundeswehr finden. Konflikte, die bei der Wahrnehmung von Zuständigkeiten entstehen, werden hier - wie auch im vorliegenden Fall - nach Maßgabe der Vorgesetztenverhältnisse sowie der hierarchischen Über- und Unterordnung innerhalb der jeweiligen Behörde und im Verhältnis der Behörden zueinander im Wege der Weisung gelöst. Wahrnehmungszuständigkeiten sind demgemäß nicht als subjektives Recht des jeweiligen Dienstposteninhabers ausgestaltet; auch eine dahingehende Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften kommt nicht in Betracht. Die individuelle Position des Dienstposteninhabers ist insoweit vielmehr durch Weisungsgebundenheit (§ 35 BeamtStG), Folgepflicht (§ 62 BBG) und (militärischen) Gehorsam (§ 11 SG) einerseits sowie die Möglichkeit der Remonstration mit einer entsprechenden Verlagerung der Verantwortung (§ 36 BeamtStG, § 63 BBG) bzw. die Verantwortung des Vorgesetzten für seine Befehle (§ 10 Abs. 5 Satz 1 SG) andererseits gekennzeichnet. Um letzteres geht es dem Antragsteller jedoch nicht.

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Da der Antrag auf gerichtliche Entscheidung mangels Antragsbefugnis unzulässig ist, bedarf die Frage keiner Klärung, ob die Kenntnis der begehrten Mitprüfungsbemerkungen für die Erfüllung der dem Antragsteller übertragenen Aufgaben erforderlich ist. Ebenso kann offen bleiben, ob und ggf. in welchem Umfang sich aus der Fürsorgepflicht und/oder der Kameradschaftspflicht (Einzel-)Pflichten zur innerdienstlichen Informationserteilung ergeben können.