Entscheidungsdatum: 20.09.2011
1. Innerhalb eines Auswahlverfahrens muss das Bundesministerium der Verteidigung sicherstellen, dass alle Bewerber hinsichtlich der Auswahlkriterien gleich behandelt und dass für die Feststellung ihrer Eignung die gleichen Unterlagen herangezogen werden.
2. Es verstößt gegen den Grundsatz der Chancengleichheit im Auswahlverfahren für die Zulassung von Feldwebeln für die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes, die für das Auswahljahr 2009 neu eingeführte "Potenzialfeststellung" pauschal mit der früheren "Allgemeinen Eignungsfeststellung für Unteroffiziere der Luftwaffe" gleichzustellen oder im Rahmen einer Umrechnung ihrer Ergebnisse gleich zu gewichten.
Der Antragsteller, ein Berufssoldat, beantragte für das Auswahljahr 2009 seine Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes. Er hatte im Jahr 2006 an der "Allgemeinen Eignungsfeststellung für Unteroffiziere der Luftwaffe" teilgenommen.
Nach der maßgeblichen Auswahlrichtlinie des Bundesministeriums der Verteidigung mussten sich die Laufbahnbewerber erstmals im Auswahljahr 2009 einer "Potenzialfeststellung" unterziehen, die die früheren Verfahren der Eignungsfeststellung ablöst. Bewerber, die eines der früheren Verfahren der Eignungsfeststellung absolviert hatten, waren von der Potenzialfeststellung ausgeschlossen. Die Stammdienstelle der Bundeswehr rechnete das Ergebnis des Antragstellers in der "Allgemeinen Eignungsfeststellung", das nicht in einem Zahlenindex, sondern in Textform festgestellt worden war, mit Hilfe einer internen Umrechnungstabelle in einen für die neue Potenzialfeststellung maßgeblichen Zahlenindex um. Auf dieser Basis wurde der Zulassungsantrag des Antragstellers abgelehnt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Ablehnungsentscheidung aufgehoben und den Bundesminister der Verteidigung zur Neubescheidung des Zulassungsantrags verpflichtet.
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Rechtsgrundlagen für die Zulassung zu der angestrebten Laufbahn sind § 40 Abs. 1 SLV und die aufgrund der Ermächtigung in § 44 SLV in Kapitel 8 der ZDv 20/7 vom Bundesministerium der Verteidigung getroffenen näheren Bestimmungen. Nach § 40 Abs. 1 SLV i.V.m. Nr. 801 ZDv 20/7 steht die Zulassung zu dieser Laufbahn im Ermessen des Bundesministeriums der Verteidigung und setzt Bedarf und Eignung der Bewerber voraus. Die Auswahl für die Zulassung erfolgt gemäß Nr. 805 ZDv 20/7 "nach den Richtlinien BMVg - PSZ I 1 - und den ergänzenden Regelungen zur Durchführung der Fü TSK/San", hier nach der "Richtlinie für die Auswahl von Feldwebeln für die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes" vom 19. Dezember 2008 (BMVg PSZ I 1 <30> - 16-05-12/16) - im Folgenden: Auswahlrichtlinie -, die erstmals für das Auswahlverfahren 2009 anzuwenden war.
Zur Konkretisierung des nach § 3 Abs. 1 SG und nach Nr. 1 der Auswahlrichtlinie maßgeblichen Ziels, die nach Eignung, Befähigung und Leistung am besten geeigneten Bewerberinnen und Bewerber auszuwählen und zur Zulassung vorzuschlagen, werden, soweit die Anzahl der geeigneten Bewerber den Bedarf übersteigt, Reihenfolgen gebildet. Nach Nr. 4.1 der Auswahlrichtlinie i.V.m. Anlage 1 werden die Soldatinnen und Soldaten in den einzelnen AVR/Werdegängen getrennt nach Geburtsjahrgängen in einer Vorsortierliste gereiht. Kriterien für die Erstellung der Vorsortierliste sind die letzte planmäßige Beurteilung als Feldwebel, die Laufbahnbeurteilung, das Ergebnis der Laufbahnprüfung zum Feldwebel und das Ergebnis der Potenzialfeststellung. (wird ausgeführt)
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Nr. 4.1 der Auswahlrichtlinie bestimmt als weiteres Auswahlkriterium das Ergebnis der Potenzialfeststellung. Die Stammdienststelle hat dieses Ergebnis im Auswahlverfahren 2009 im Fall des Antragstellers unter Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit ermittelt und ihrem Konferenzergebnis zugrunde gelegt.
Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Potenzialfeststellung in Anlage 1 der Auswahlrichtlinie als ein eintägiges psychologisches Verfahren zur Abschätzung des Potenzials der Bewerberinnen und Bewerber u.a. hinsichtlich des Berufsbildes "Offizier des militärfachlichen Dienstes" definiert und bestimmt, dass sie schrittweise die bisherigen Verfahren ablöse. Die bisherigen Verfahren waren die "Allgemeine Eignungsfeststellung für Unteroffiziere der Luftwaffe", der sich in der Verwaltungspraxis auch Angehörige anderer Teilstreitkräfte bzw. Organisationsbereiche unterziehen mussten, und die Psychologische Eignungsprüfung.
Die in der Auswahlrichtlinie getroffenen Regelungen über die Potenzialfeststellung als weiteres Auswahlkriterium im Auswahlverfahren für Offiziere des militärfachlichen Dienstes und als "Nachfolgerin " der bisherigen Eignungsfeststellungsverfahren sind als solche rechtlich nicht zu beanstanden. Es liegt in der Personalorganisationshoheit des Bundesministers der Verteidigung, ob er in das Zulassungsverfahren für die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zusätzliche Erkenntnisquellen einführt, die neben den verschiedenen Beurteilungsarten und bestimmten fachlichen Prüfungsergebnissen ergänzende prognostische Aussagen über die Eignung der Bewerber für die angestrebte Laufbahn oder für den laufbahnrelevanten Status (Berufssoldat) leisten können. Ebenso liegt es in seiner Personalorganisationshoheit, die inhaltlichen Voraussetzungen und Anforderungen eines solchen zusätzlichen Eignungsfeststellungsverfahrens zu ändern.
Innerhalb eines Auswahlverfahrens muss das Bundesministerium der Verteidigung allerdings sicherstellen, dass alle Bewerber hinsichtlich der Auswahlkriterien gleich behandelt und dass für die Feststellung ihrer Eignung die gleichen Unterlagen herangezogen werden (vgl. Beschlüsse vom 26. Oktober 1999 - BVerwG 1 WB 52.99 - und vom 19. Dezember 2001 - BVerwG 1 WB 59.01 - Buchholz 236.11 § 30 SLV Nr. 4). Insoweit schützt Art. 3 Abs. 1 GG das Recht jedes Bewerbers auf eine Verfahrensgestaltung, die der Sicherung des chancengleichen Zugangs zu einer beruflichen Tätigkeit, zu einem öffentlichen Amt oder zu einer Laufbahn angemessen ist; dieses Recht auf Wahrung der Chancengleichheit soll gewährleisten, dass jeder Bewerber eine faire Chance erhält, entsprechend seiner Eignung im Auswahlverfahren betrachtet und berücksichtigt zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2006 - 1 BvR 2530/04 - BVerfGE 116, 1, 12, 17; BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. Oktober 2010 - 1 BvR 1425/10 - NVwZ 2011, 113 = juris Rn. 10).
In dem Vorbereitungserlass vom 24. Juli 2007 "Verfahren zur Potenzialfeststellung für Unteroffiziere an den Zentren für Nachwuchsgewinnung" (BMVg - PSZ/PM 16-20-00) und im Erlass vom 7. Juli 2008 "Bestimmungen zur Methodik der Potenzialfeststellung für Unteroffiziere" (BMVg PSZ III 6 - 66-12-15/66-12-35) hat das Bundesministerium der Verteidigung die "neue" Potenzialfeststellung im Einzelnen geregelt, ohne Übergangsbestimmungen für die bisher angewandten Eignungsfeststellungsverfahren zu treffen. Derartige Übergangsregelungen fehlen auch in der Auswahlrichtlinie vom 19. Dezember 2008. Vielmehr bezeichnet Nr. 4.1 der Auswahlrichtlinie das Ergebnis der Potenzialfeststellung als das reguläre vierte Auswahlkriterium. Mit dem abgekürzten Zusatz "vglb." in Nr. 4.1 (offensichtlich gemeint: vergleichbar) wird lediglich lapidar die Möglichkeit angedeutet, dass vergleichbare Eignungsfeststellungen in das Auswahlverfahren einbezogen werden können; die Parameter der Vergleichbarkeit und der Gewichtung der verschiedenen Verfahren hat das Bundesministerium der Verteidigung in der Auswahlrichtlinie aber nicht ansatzweise benannt.
Stattdessen hat die Stammdienststelle in Nr. 3.3.2 der "Aktuellen Anweisung und Information zur Personalführung SDBw" (AAIP SDBw, Stand 19. Mai 2008) für das Auswahljahr 2009 festgelegt, dass an der Potenzialfeststellung alle Bewerber teilnehmen müssen, die noch nicht an der Psychologischen Eignungsprüfung oder an der Allgemeinen Eignungsprüfung der Luftwaffe teilgenommen haben; eine Wiederholung der Potenzialfeststellung wurde grundsätzlich ausgeschlossen. Außerdem hat die Stammdienststelle eine Umrechnungstabelle erstellt, mit der im Auswahljahr 2009 die Ergebnisse der AEF bzw. der Psychologischen Eignungsprüfung in die Werte der Indizes der Potenzialfeststellung umgerechnet wurden. Die Umrechnungstabelle stellt nach der Amtlichen Auskunft des Bundesministers der Verteidigung vom 29. August 2011 ein "internes Arbeitspapier" der Stammdienststelle dar, welches "die in der AAIP SDBw dargestellten jeweiligen Umrechnungsformeln berücksichtigt". Diese Umrechnungsformeln sind für Bewerber in der sanitätsdienstlichen Laufbahn in einer Übersicht der Stammdienststelle über die quantifizierbaren Bewertungskriterien enthalten, die der Bundesminister der Verteidigung als Bestandteil des AAIP SDBw 2009 (Bl. 100 der Beschwerdeakte) dem Senat vorgelegt hat. Auf dieser Grundlage hat die Stammdienststelle das Ergebnis der vom Antragsteller am 21. Dezember 2006 absolvierten AEF "H (Berufssoldat/Laufbahngruppe Unteroffiziere geeignet)" bei der Ermittlung seines Summenrangplatzwertes berücksichtigt und in einen Punktwert von 104,400 umgerechnet.
Abgesehen von der Frage, ob die Stammdienststelle zu dem von ihr geregelten und praktizierten Verfahren in Nr. 2.2 der Auswahlrichtlinie ermächtigt worden ist, steht die Umrechnung der Ergebnisse der AEF in die der neuen Potenzialfeststellung nicht mit dem Grundsatz der Chancengleichheit der Bewerber im Einklang. Der Bundesminister der Verteidigung hat trotz entsprechender Rüge des Antragstellers nicht den Nachweis geführt, dass die vom Antragsteller absolvierte AEF und die neue Potenzialfeststellung unter dem Aspekt der Chancengleichheit gleichwertig sind oder im Rahmen einer Umrechnung ihrer Ergebnisse gleich gewichtet werden können.
Zwischen der AEF und der neuen Potenzialfeststellung bestehen erhebliche formelle und materielle Unterschiede.
In Nr. 9 der "Vorläufigen Richtlinie für die Allgemeine Eignungsfeststellung für Unteroffiziere der Luftwaffe" (BMVg FüL I 1 - Az 16-05-00) vom 1. Juli 1999 war für die Durchführung der AEF eine Gesamtdauer von 21 Stunden vorgesehen. Sie dauerte damit - wie auch vom Antragsteller unwidersprochen vorgetragen - mindestens zwei Tage. Dagegen dauert die Potenzialfeststellung nur einen Tag (Nr. 101 Abs. 1 des Erlasses "Bestimmungen zur Methodik der Potenzialfeststellung für Unteroffiziere"
Die AEF war in ihren materiellen Anforderungen auf die spezifischen Belange der Luftwaffe zugeschnitten. In dem zuletzt maßgeblichen Erlass "Vorläufige Bestimmungen zur Methodik der Allgemeinen Eignungsfeststellung für die Unteroffiziere der Luftwaffe" (BMVg PSZ III 4 - Az 66-12-10) vom 30. September 1999 - im Folgenden: AEF-Erlass - wurde die AEF als Methode definiert, eine Eignungsaussage zur Bewährungswahrscheinlichkeit von länger dienenden Unteroffizieren der Luftwaffe in deren weiterer militärischer Laufbahn zu erhalten; nur der Führungsstab der Luftwaffe war neben der Abteilung PSZ des Ministeriums zuständig für die Definition der Eignungsanforderungen und für die Festlegung der zu bewertenden Eignungsmerkmale (Nr. 101 Abs. 2 und Nr. 105 Abs. 1 des AEF-Erlasses). Demgegenüber differenziert der Potenzialfeststellungs-Erlass nicht mehr nach Teilstreitkräften oder Organisationsbereichen (Nr. 101); dementsprechend ist die Zuständigkeit für die Verfahrensgrundlagen den fachlich zuständigen Referaten aller Führungsstäbe und der Abteilung PSZ, hinsichtlich der Methodik dem Referat BMVg - PSZ III 6 -, übertragen (Nr. 106). Die Umgestaltung der Eignungsfeststellung in ein neues harmonisiertes Potenzialfeststellungsverfahren für Unteroffiziere aller militärischen Organisationsbereiche war eine wesentliche Zielsetzung der Neuregelung (vgl. Abs. 1 des zitierten Vorbereitungserlasses vom 24. Juli 2007).
Nach Nr. 101 Abs. 1 des Potenzialfeststellungs-Erlasses steht die Eignungsaussage für die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes im Vordergrund der Betrachtung der Unteroffiziere, während Nr. 203 Abs. 2 des AEF-Erlasses die Prüfung der Unteroffiziere primär auf ihr Potenzial zum Berufssoldaten konzentrierte und erst nach positivem Abschluss dieses ersten Prüfschritts die Beurteilung des Potenzials für die Verwendung als Offizier des militärfachlichen Dienstes ermöglichte.
Wesentliche methodische Abweichungen ergeben sich daraus, dass der AEF-Erlass im Verfahren den Physical-Fitness-Test verlangte (Nr. 203 und Nr.206), auf den der Potenzialfeststellungs-Erlass verzichtet. Nach Nr. 203 und Nr. 205 des AEF-Erlasses hatten die Bewerber ein "Rundgespräch" mit mehreren Soldaten zu absolvieren, das nunmehr entfällt; stattdessen hat der Bewerber allein einen Kurzvortrag zu halten (Nr. 102 Abs. 2 und Nr. 208 des Potenzialfeststellungs-Erlasses). Das "Planspiel" nach Nr. 203 und Nr. 207 des AEF-Erlasses ist in ein "Gruppensituationsverfahren" umgestaltet worden (Nr. 207 des Potenzialfeststellungserlasses).
Diese erheblichen Unterschiede zwischen den Verfahren der AEF und der Potenzialfeststellung haben in der von der Stammdienststelle gewählten Umrechnungsmethode unter dem Aspekt der Chancengleichheit der Bewerber keinen nachvollziehbaren Niederschlag gefunden. Es ist bereits nicht plausibel, wie das Ergebnis der AEF des Antragstellers, das entsprechend Nr. 304 des AEF-Erlasses mit einem Buchstaben (hier: H) zu benennen war, arithmetisch in eine Zahl (hier: 3,52) umgerechnet worden ist. Die Übersicht der Stammdienststelle über die quantifizierbaren Kriterien in der AAIP SDBw (Bl.100 der Beschwerdeakte) stellt insoweit keine berechnungstechnische Beziehung zwischen den Buchstaben und den zu ermittelnden zahlenmäßigen Indexpunkten her. Außerdem hat der Bundesminister der Verteidigung nicht erläutert und belegt, auf welcher Grundlage es zu der Gewichtung der AEF und der Potenzialfeststellung mit den Faktoren 6 und 96 in der Umrechnungsformel der Stammdienststelle gekommen ist.
Angesichts der daraus resultierenden Verletzung des Rechts des Antragstellers auf Wahrung der Chancengleichheit ist das Auswahlverfahren 2009 zu seinen Lasten fehlerhaft durchgeführt worden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller bei der Teilnahme an der neuen Potenzialfeststellung eine so hohe Platzziffer in der Vorsortierliste erreicht hätte, dass er dem Personalamt ebenfalls zur Zulassung empfohlen worden wäre. Die Entscheidung des Personalamts, wegen fehlender Empfehlung der Auswahlkonferenz keine Zulassung des Antragstellers auszusprechen, ist danach ermessensfehlerhaft.