Entscheidungsdatum: 06.02.2015
Eine Verwaltungs- oder Dienstvorschrift kann Gegenstand eines gerichtlichen Antragsverfahrens sein, wenn sie eine unmittelbar an den einzelnen Soldaten gerichtete Anordnung enthält, die keiner weiteren Konkretisierung durch einen Befehl mehr bedarf (hier: die Pflicht, beim Tragen der Uniform sichtbare Tätowierungen in geeigneter und dezenter Weise abzudecken). Diese Möglichkeit entbindet den Antragsteller jedoch nicht von seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtung, im Einzelnen darzulegen, inwieweit er durch die angefochtene Regelung in eigenen Rechten verletzt wird (Bestätigung von BVerwG, Beschlüsse vom 8. Mai 2001 - 1 WB 25.01 - Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 42 und vom 3. Juli 2001 - 1 WB 29.01 - Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 43).
Das Wehrbeschwerdeverfahren betraf die Neuregelung für Tätowierungen in der Zentralen Dienstvorschrift „Das äußere Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr“ (ZDv A-2630/1).
Der 1961 geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des 30. November 2015. Der Antragsteller wurde am 11. August 2006 zum Stabsbootsmann befördert. Derzeit wird er als Organisationsfeldwebel Streitkräfte beim ... in B. verwendet.
Der Antragsteller trägt seit 1982 ein ca. 12 x 10 cm großes Tattoo am rechten Unterarm. Es stellt eine Sonne mit darauf liegendem Herz und Namensschild sowie eine rote Rose dar.
Mit Gültigkeit ab 1. Februar 2014 erließ das Bundesministerium der Verteidigung - FüSK II 4 - in Abschnitt 6 der ZDv A-2630/1 („Das äußere Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr“) eine Neuregelung über „Körpermodifikationen und Körperbemalungen“. Gemäß Nr. 603 Punkt 3 ZDv A-2630/1 sind Körpermodifikationen und Körperbemalungen mit der Einschränkung erlaubt, dass abnehmbare Körpermodifikationen, soweit sie beim Tragen einer Uniform sichtbar sind, abgelegt werden müssen; ist dieses aufgrund ihrer Verbindung mit dem Körper nicht möglich (z.B. bei Tätowierungen), so sind sie in geeigneter und dezenter Weise abzudecken.
Gegen diese Regelung erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 2. Juni 2014 Beschwerde. Es sei ihm unverständlich, dass er sein Tattoo im Inland und während 18 1/2 Jahren Fahrt zur See und bei Landgängen in Europa, Afrika und den USA auch in Uniform habe zeigen dürfen und dies nun nicht mehr erlaubt sein solle. Er bitte daher um Überarbeitung von Nr. 603 Punkt 3 ZDv A-2630/1.
Das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - wertete die Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung und legte diesen zusammen mit seiner Stellungnahme vom 16. Juli 2014 dem Senat vor.
Nach Entscheidung des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom 24. November 2014 gab das Bundesministerium der Verteidigung - FüSK II 4 - mit Schreiben vom 18. Dezember 2014 die folgende Handlungshilfe für Vorgesetzte zu Nr. 603 ZDv A-2630/1 heraus:
„Nach derzeitiger Fassung der Nr. 603, 3. Punktaufzählung, Satz 2 der ZDv A-2630/1 sind nicht abnehmbare Körpermodifikationen in geeigneter und dezenter Weise abzudecken. Im Vorgriff auf die zum 31. Dezember 2015 angeordnete Überprüfung der gesamten Vorschrift ist aufgrund der bisherigen Erfahrungswerte ab dem 1. Januar 2015 der Anwendungsbereich der vorgenannten Nummer wie folgt eingeschränkt:
Diese Verpflichtung gilt nicht während des Dienstes innerhalb militärischer Bereiche, militärischer Sicherheitsbereiche, auf Schiffen und Booten der Deutschen Marine sowie an Bord von Luftfahrzeugen des Bundes.
Die vorgenannte Ausnahme (= Lockerung der Verpflichtung) ist nicht anzuwenden auf Soldatinnen und Soldaten bei Teilnahme an Veranstaltungen der Bundeswehr (einschließlich des Bundesministeriums der Verteidigung) mit Außenwirkung/öffentlichem Charakter (z.B. bei feierlichen Gelöbnissen, Tagen der offenen Tür, Truppenbesuchen, Veranstaltungen mit bundeswehrfremder Medienbegleitung, Flügen der Flugbereitschaft der Bundeswehr mit externen Passagieren).
Die Möglichkeit der Anordnung von Abweichungen bzw. der Genehmigung von Sonderregelungen nach Nr. 105 durch die zuständigen Stellen bleibt unberührt.“
Mit Schreiben vom 20. Januar 2015 teilte der Antragsteller daraufhin mit, dass er mit dieser Handlungshilfe die von ihm begehrte Überarbeitung der Nr. 603 Punkt 3 ZDv A-2630/1 als durchgeführt ansehe, und erklärte seine Beschwerde für erledigt. Das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - schloss sich der Erledigungserklärung mit Schreiben vom 27. Januar 2015 an.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung - R II 2 - Az.: 716/14 - und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 3 WBO nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Für die Kostenentscheidung sind die im Prozessrecht allgemein geltenden Grundsätze maßgebend. Danach ist bei übereinstimmender Erledigungserklärung über die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden (§ 20 Abs. 3 WBO, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO; stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22. April 2008 - 1 WB 4.08 - Rn. 8 m.w.N.).
Danach ist der Bund vorliegend nicht mit Verfahrenskosten zu belasten. Zwar entspricht es nach ständiger Rechtsprechung des Senats der Billigkeit, die notwendigen Auslagen dem Bund aufzuerlegen, wenn dieser den Antragsteller klaglos gestellt hat. Ob der Antragsteller mit seiner Bitte um „Überarbeitung“ der Nr. 603 Punkt 3 ZDv A-2630/1 einen hinreichend bestimmten Sachantrag gestellt hat und das Bundesministerium der Verteidigung - FüSK II 4 - mit der Handlungshilfe vom 18. Dezember 2014 diesem Begehren in vollem Umfang nachgekommen ist, kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre von vornherein als unzulässig zu verwerfen gewesen, weil der Antragsteller keine Verletzung in eigenen Rechten durch die von ihm angefochtene Regelung geltend gemacht hat (vgl. zum gesamten Folgenden bereits BVerwG, Beschlüsse des Senats vom 8. Mai 2001 - 1 WB 25.01 - Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 42 zur Haar- und Barttracht von Soldaten sowie vom 3. Juli 2001 - 1 WB 29.01 - Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 43 zum Tragen von Schmuck zur Uniform).
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) kann ein Soldat die Wehrdienstgerichte (nur) anrufen, wenn sein Antrag eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Vorgesetztenpflichten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Daraus folgt, dass der Soldat nur solche Maßnahmen und Unterlassungen (§ 17 Abs. 3 WBO) seiner militärischen Vorgesetzten einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen kann, die unmittelbar gegen ihn gerichtet sind oder die - obwohl an andere Soldaten gerichtet - in Form einer Rechtsverletzung oder eines Pflichtenverstoßes in seine Rechtssphäre hineinwirken. Der Antragsteller muss insoweit die Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte oder ihm gegenüber bestehender Pflichten eines Vorgesetzten substantiiert darlegen. Eine vom Einzelfall losgelöste allgemeine Nachprüfung von Anordnungen oder Erlassen auf ihre Rechtmäßigkeit im Sinne eines Normenkontrollverfahrens sieht die Wehrbeschwerdeordnung nicht vor. Das Wehrbeschwerdeverfahren dient nicht dazu, das Handeln der Vorgesetzten im Allgemeinen zu überprüfen, sondern setzt vielmehr stets einen auf einer rechtswidrigen Maßnahme oder Unterlassung beruhenden unmittelbaren Eingriff in die Rechte des Soldaten voraus.
In Ausnahmefällen kann auch eine Verwaltungs- oder Dienstvorschrift Gegenstand eines gerichtlichen Antragsverfahrens sein, wenn sie eine unmittelbar an den einzelnen Soldaten gerichtete Anordnung enthält, die keiner weiteren Konkretisierung durch einen Befehl mehr bedarf. Die in Nr. 603 Punkt 3 ZDv A-2630/1 enthaltene Pflicht, beim Tragen der Uniform sichtbare Tätowierungen in geeigneter und dezenter Weise abzudecken, stellt eine solche unmittelbar anfechtbare Anordnung dar. Da es sich dabei um eine Daueranordnung handelt, ist der dagegen gerichtete Antrag an keine Frist gebunden.
Die Möglichkeit der unmittelbaren Anfechtung dieser Dienstvorschrift entbindet den Antragsteller jedoch nicht von seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtung, im Einzelnen darzulegen, inwieweit er durch die angefochtene Regelung in eigenen Rechten verletzt wird. Dieser Verpflichtung ist der Antragsteller nicht nachgekommen.
Der Antragsteller hat nichts dafür vorgetragen, dass er sein äußeres Erscheinungsbild, von den allgemein geltenden Uniformvorschriften abgesehen, gerade infolge der Neuregelung durch Nr. 603 Punkt 3 ZDv A-2630/1 in irgendeiner Weise hätte verändern müssen. Er hat - auch auf Nachfragen durch das Gericht (Verfügungen vom 6. August 2014 und 14. Januar 2015) - keine Situation und keinen Anlass dargelegt, in dem z.B. seine Tätowierung im dienstlichen Bereich beanstandet und er zum Abdecken der Tätowierung aufgefordert wurde. Damit fehlt es an einer persönlichen Beschwer, die Voraussetzung für einen zulässigen Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist. Dafür spricht auch seine Anmerkung, dass es nicht allein um seine Person gegangen sei, sondern allgemein um die Sache.