Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 24.01.2012


BVerwG 24.01.2012 - 1 WB 30/11

Beurteilung; Stellungnahme; erforderliches Abstimmungsgespräch


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Wehrdienstsenat
Entscheidungsdatum:
24.01.2012
Aktenzeichen:
1 WB 30/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Die in den Beurteilungsbestimmungen der ZDv 20/6 in der Fassung der 2. Änderung vom 16. Oktober 2009 vorgeschriebenen Abstimmungsgespräche und der mit ihnen einhergehende verstärkte Einfluss des nächsthöheren Vorgesetzten finden (nunmehr) in § 2 Abs. 7 Satz 1 SLV (juris: SLV 2002) eine normative Grundlage und sind nicht zu beanstanden.

Tatbestand

Der Antragsteller ist Berufssoldat und wendet sich gegen eine neugefasste planmäßige Beurteilung seines Disziplinarvorgesetzten und die Stellungnahme des nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten, die auf den Grundlagen des § 2 SLV in der Fassung der zweiten Verordnung zur Änderung der Soldatenlaufbahnverordnung vom 23. September 2009 (BGBl S. 3128) und der Beurteilungsbestimmungen der ZDv 20/6 in der Fassung der 2. Änderung vom 16. Oktober 2009 erstellt wurden. Er macht unter anderem geltend, das nach Nr. 509 Buchst. c ZDv 20/6 vorgeschriebene Abstimmungsgespräch und dessen Ergebnis führe zur Rechtswidrigkeit seiner Beurteilung.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Antrag zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

...

17

Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet.

...

22

Der neugefassten Beurteilung und der auf diese bezogenen Stellungnahme liegen die "Bestimmungen über die Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr" (ZDv 20/6) in der Fassung der 2. Änderung vom 16. Oktober 2009 zugrunde. Diese Beurteilungsvorschriften sind maßgeblich, weil das Bundesministerium der Verteidigung im Hinblick auf die Änderung der Soldatenlaufbahnverordnung und die 2. Änderung der ZDv 20/6 den Beurteilungsstichtag der planmäßigen Beurteilung durch Erlass vom 16. Oktober 2009 (PSZ I 1 (50) Az. 16-26-05) auf den 31. Dezember 2009 verschoben hat (zur Maßgeblichkeit der zum Beurteilungsstichtag geltenden Beurteilungsbestimmungen vgl. z.B. Beschlüsse vom 15. Mai 2003 - BVerwG 1 WB 10.03 - BVerwGE 118, 197 = Buchholz 236.110 § 2 SLV 2002 Nr. 2 und vom 27. Mai 2009 - BVerwG 1 WB 47.08 - Buchholz 449.2 § 2 SLV 2002 Nr. 15).

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a) Das Abstimmungsverfahren, das der neugefassten Beurteilung vorausgegangen ist, ist rechtlich nicht zu beanstanden und führt deshalb auch nicht zur Rechtswidrigkeit der Beurteilung und der auf diese bezogenen Stellungnahme.

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Mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der Soldatenlaufbahnverordnung vom 23. September 2009 (BGBl I S. 3128) hat die Bundesregierung auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. Mai 2009 - 1 WB 48.07 - (BVerwGE 134, 59 = Buchholz 449 § 2 SLV 2002 Nr. 14) die bis dahin lediglich rudimentäre Regelung für dienstliche Beurteilungen in § 2 SLV geändert und um zahlreiche materiellrechtlichen Vorgaben ergänzt. Nach § 2 Abs. 3 SLV werden Beurteilungen in der Regel von der oder dem nächsten Disziplinarvorgesetzten sowie von der oder dem nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten als Stellung nehmender Person erstellt. § 2 Abs. 4 SLV sieht vor, dass das Bundesministerium der Verteidigung in Beurteilungsbestimmungen Vergleichsgruppen bildet, innerhalb der Soldatinnen und Soldaten nach einheitlichen Beurteilungsmaßstäben zu beurteilen sind. Sodann ermächtigt § 2 Abs. 5 SLV, den Anteil von Bewertungen in bestimmten Wertungsbereichen zu begrenzen und sieht hierfür in § 2 Abs. 6 SLV gegebenenfalls inhaltliche Vorgaben für das Richtwertesystem vor. Schließlich sieht § 2 Abs. 7 SLV vor, dass Stellung nehmende Personen vor Erstellung der Beurteilungen durch die beurteilenden Personen auf die einheitliche Anwendung des Beurteilungsmaßstabes in ihrem Bereich hinzuwirken haben. Ausdrücklich unzulässig ist es, unterstellten beurteilenden oder Stellung nehmenden Personen Bewertungen vorzugeben.

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Entsprechend diesen normativen Vorgaben sehen die Beurteilungsbestimmungen der ZDv 20/6 in der Fassung der 2. Änderung vom 16. Oktober 2009 nunmehr Richtwerte für Wertungsbereiche der Leistungsbewertung vor, die als "Soll"-Vorschrift ausgebildet sind und deren Überschreitung wiederum durch eine "Soll"-Vorschrift begrenzt wird (Nr. 610 Buchst. b ZDv 20/6).

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Die beurteilenden Vorgesetzten sind verpflichtet, ihren Beurteilungsmaßstab an diesen Richtwerten auszurichten. Während von Vorgesetzten, die 20 oder mehr Soldaten einer Vergleichsgruppe zu beurteilen haben, die Einhaltung der Richtwerte erwartet wird, sollen Vorgesetzte, die weniger Soldaten beurteilen, ihre Beurteilungen in geeigneter Weise, dem Sinn der Richtwerte entsprechend differenzieren (Nr. 610 Buchst. c ZDv 20/6). Die in bis zu zehn Einzelmerkmalen unterteilte Aufgabenerfüllung der Beurteilten ist je selbständig und im Leistungsvergleich mit der jeweiligen Vergleichsgruppe zu bewerten (Nr. 609 Buchst. b ZDv 20/6).

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Für die Stellung nehmenden Vorgesetzten gilt dies entsprechend, wobei sie verpflichtet sind, die Anwendung eines sachgerechten Beurteilungsmaßstabs zu gewährleisten (Nr. 904 Buchst. a, Nr. 610 Buchst. d ZDv 20/6). Um eine einheitliche Anwendung der Beurteilungsbestimmungen zu erreichen und ein umfassendes Bild zu gewinnen, ordnet Nr. 509 Buchst. a ZDv 20/6 Abstimmungsgespräche zwischen den beurteilenden und den nächsthöheren, Stellung nehmenden Vorgesetzten an, die vor Erstellung der Beurteilung, jedoch nicht früher als acht Monate vor dem jeweiligen Vorlagetermin durchzuführen sind. Dabei bestimmt Nr. 509 Buchst. c ZDv 20/6, dass die Unabhängigkeit der beurteilenden Vorgesetzten durch die Abstimmungsgespräche nicht berührt werde und sie ihre Bewertung in eigener Verantwortung treffen. Ausdrücklich untersagt wird die Vorgabe konkreter Wertungen für einzelne Beurteilungen durch höhere Vorgesetzte (Nr. 509 Buchst. c ZDv 20/6). Die weiteren höheren Vorgesetzten sind verpflichtet, die Anwendung eines sachgerechten Beurteilungsmaßstabes zu überwachen. Zu diesem Zweck ist das ihnen zu meldende Ergebnis der Abstimmungsgespräche (Nr. 509 Buchst. a, Nr. 610 Buchst. e ZDv 20/6), auszuwerten. Gegebenenfalls haben sie sich die erforderlichen Erkenntnisse über die zu Beurteilenden für eine eigene Stellungnahme zur Beurteilung zu verschaffen (Nr. 610 Buchst. e ZDv 20/6).

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Damit findet das Abstimmungsverfahren in der Ausgestaltung, die es in den Beurteilungsbestimmungen der ZDv 20/6 in der Fassung der 2. Änderung vom 16. Oktober 2009 gefunden hat, nunmehr eine normative Grundlage, die auch mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Sowohl die gegenüber dem herkömmlichen Beurteilungsverfahren gestärkte Rolle des Stellung nehmenden nächsthöheren Vorgesetzten als auch dessen Beteiligung im Vorfeld der Erstellung der Beurteilung werden von der Soldatenlaufbahnverordnung getragen und sind daher hinzunehmen. Soweit das Abstimmungsverfahren der ZDv 20/6 in der Fassung vom 17. Januar 2007 alle hierarchischen Ebenen bis zur Spitze des militärischen Organisationsbereichs in den Abstimmungsprozess einbezogen hatte, liegt das Abstimmungsverfahren nach § 2 Abs. 7 SLV nunmehr in erster Linie in der Hand der Stellung nehmenden nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten, die über eine ausreichende eigene Erkenntnis von den Leistungen der zu beurteilenden Soldaten verfügen oder zumindest in der Lage sind, die Beurteilung durch den nächsten Disziplinarvorgesetzten verantwortlich einzuschätzen. Abweichungen hiervon lässt § 2 Abs. 3 SLV nur dort zu, wo andere Personen hierzu ebenfalls in der Lage sind.

29

Danach ist das Abstimmungsverfahren, das der neugefassten Beurteilung und der auf sie bezogenen Stellungnahme vorausgegangen ist, nicht zu beanstanden. Dabei kann dahinstehen, ob die im Frühjahr 2009 auf der Grundlage der damals geltenden Beurteilungsbestimmungen durchgeführte Abstimmung nach Maßgabe der zwischenzeitlich geänderten Soldatenlaufbahnverordnung und den neuen Beurteilungsbestimmungen zu beanstanden wäre. Vor dem Hintergrund der geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen wurde unbestritten im Herbst 2009 eine erneute Abstimmung durchgeführt und im Vorfeld der Neufassung der Beurteilung ein Abstimmungsgespräch geführt, womit das im Frühjahr 2009 vorausgegangene Abstimmungsverfahren für die Rechtmäßigkeit des Beurteilungsverfahrens der neugefassten Beurteilung bedeutungslos geworden ist.

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Auch materiellrechtlich lassen sich aus der Abstimmung im Frühjahr 2009 keine Beurteilungsfehler folgern. Dies gilt zunächst für die Tatsache, dass sich an der Reihenfolge innerhalb der unverändert gebliebenen Vergleichsgruppe keine Änderungen ergeben haben. Weder aus der geänderten Soldatenlaufbahnverordnung noch aus den neuen Beurteilungsbestimmungen lässt sich ableiten, dass eine Änderung der Reihung zwingend gewesen wäre, zumal die Reihung auch im früheren Beurteilungssystem - jenseits der sich aus dem damaligen Richtwertesystem ableitenden Sachzwänge - auf dem Leistungsgrundsatz beruht hat. Nichts anderes gilt für das Vorbringen des Antragstellers, der beurteilende Vorgesetzte habe im Lichte der Abstimmung im Frühjahr 2009 pflichtwidrig, insbesondere entgegen der ihm vorliegenden eigenen Erkenntnisse die Leistungen des Antragstellers unzutreffend bewertet. Für die Annahme, aufgrund der geänderten Beurteilungsbestimmungen müsse generell und deshalb auch für den Antragsteller ein höherer Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung als tatsächlich geschehen festgelegt werden, besteht keine denkgesetzliche Notwendigkeit. Daher bedarf es auch nicht der Widerlegung durch den Bundesminister der Verteidigung, dass die Reihenfolgeliste fortgeschrieben worden ist. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, dass dem beurteilenden Referatsleiter entgegen den Vorgaben der Soldatenlaufbahnverordnung und den Beurteilungsbestimmungen verbindliche Vorgaben gemacht worden wären oder anderweitig unzulässiger Einfluss ausgeübt worden wäre, der in der Beurteilung Niederschlag gefunden hätte. Soweit der beurteilende Referatsleiter im Übrigen die sich aus dem Abstimmungsverfahren im Herbst 2009 sowie der Abstimmung im Vorfeld der neugefassten Beurteilung ergebenden Erkenntnisse und Ergebnisse tatsächlich und vergleichend berücksichtigt hat, entspricht dies seiner Verpflichtung zu einer auch vergleichend zutreffenden Beurteilung.

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