Entscheidungsdatum: 27.08.2015
Der Antragsteller wendet sich gegen mehrere Regelungen der Zentralen Dienstvorschrift "Das äußere Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr" (ZDv A-2630/1).
Der 19.. geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des 30. November 20... Der Antragsteller wurde zuletzt am 11. August 20.. zum Stabsbootsmann befördert. Derzeit wird er als Organisationsfeldwebel Streitkräfte beim ...kommando in B. verwendet.
Mit Gültigkeit ab 1. Februar 2014 erließ das Bundesministerium der Verteidigung - FüSK II 4 - die Zentrale Dienstvorschrift "Das äußere Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr" (ZDv A-2630/1), die unter anderem die folgenden Regelungen über Kosmetik, Schmuck sowie Ausnahmen für das Tragen des Gesellschaftsanzugs enthält:
"3 Kosmetik
301. Pflegende und abdeckende Kosmetik ist für Soldatinnen und Soldaten gestattet.
302. Dekorative Kosmetik (z. B. Lippenstift, Make-up, Lidschatten und Wimperntusche) ist für Soldatinnen nur in dezenter und natürlich wirkender Form und Farbgebung gestattet. Vorgesetzte können zeitlich und räumlich befristet Einschränkungen festlegen (z. B. Wachdienst, Geländedienst, Einsatz).
...
5 Schmuck
501. Soldatinnen und Soldaten ist das Tragen von dezentem Schmuck nach den folgenden Vorgaben gestattet:
• insgesamt bis zu zwei Fingerringe,
• Manschettenknöpfe und Krawattennadeln sowie
• für Soldatinnen zum Dienstanzug Grundform mit seinen Ergänzungen/Abwandlungen zusätzlich ein dezenter Ohrstecker aus Edelmetall oder Perlmutt je Ohr (im Ohrläppchen).
502. Armbanduhren gelten nicht als Schmuck im Sinne dieser Vorschrift.
503. Das Tragen von Schmuck ist nicht erlaubt, wenn Besonderheiten des Dienstes oder Einschränkungen durch Sonderregelungen dem entgegenstehen (z. B. Einsatz, Fallschirmsprungdienst, Geländedienst, Hindernisbahn, Formaldienst, Sport, Sanitätspersonal in Funktionen, für die besondere Anforderungen an die Hygiene bestehen).
504. Das sichtbare Tragen von Armbändern (einschließlich Freundschafts- und Modebändern), Halsketten und Ähnlichem ist nicht zulässig.
...
8 Ausnahmen für das Tragen des Gesellschaftsanzuges
801. Wird der Gesellschaftsanzug getragen, ist es Soldatinnen erlaubt, von den Bestimmungen in Bezug auf "Haartracht", "Kosmetik", "Fingernägel" und "Schmuck" dem·Anlass angemessen abzuweichen."
Mit Schreiben vom 29. April 2015 erhob der Antragsteller Beschwerde, mit der er Verstöße der ZDv A-2630/1 gegen § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) geltend machte. Im Einzelnen beanstandete er, dass gemäß Nr. 302 ZDv A-2630/1 dekorative Kosmetik nur für Soldatinnen gestattet sei, dass gemäß Nr. 501 Punkt 3 ZDv A-2630/1 nur für Soldatinnen zusätzlich das Tragen eines Ohrsteckers erlaubt sei sowie dass gemäß Nr. 801 ZDv A-2630/1 wiederum nur Soldatinnen erlaubt sei, beim Tragen des Gesellschaftsanzugs von den Bestimmungen in Bezug auf Haartracht, Kosmetik, Fingernägel und Schmuck dem Anlass angemessen abzuweichen.
Das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - hat die Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet und zusammen mit seiner Stellungnahme vom 29. Juni 2015 dem Senat vorgelegt.
Ergänzend zur Beschwerdebegründung hat der Antragsteller auf Nachfrage des Gerichts zu seiner konkreten persönlichen Betroffenheit durch die beanstandeten Vorschriften erklärt, dass er die Nr. 302 und Nr. 502 Punkt 3 ZDv A-2630/1 ab Juli 2015 "anwenden" wolle. Es könne nicht sein, dass gegen ihn erst eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden müsse, bevor er eine Änderung der Vorschriften erwirken könne. Zu Nr. 801 ZDv A-2630/1 erklärte der Antragsteller, dass er selbst keinen Gesellschaftsanzug besitze, er aber gleichwohl in den Genuss der Vorteile der Ausnahmeregelung kommen wolle.
Der Antragsteller beantragt,
das Bundesministerium der Verteidigung zu verpflichten,
1. in Nr. 302 ZDv A-2630/1 nach dem Wort "Soldatinnen" die Worte "und Soldaten" einzufügen,
2. in Nr. 501 Punkt 3 ZDv A-2630/1 nach dem Wort "Soldatinnen" die Worte "und Soldaten" einzufügen sowie
3. Abschnitt 8 der ZDv A-2630/1 wie folgt neu zu fassen:
"8 Ausnahmen für gesellschaftliche Anlässe
801. Hier: Dienstanzug - Grundform oder Gesellschaftsanzug.
Wird zu einem gesellschaftlichen Anlass eingeladen, ist es den Soldatinnen und Soldaten erlaubt, von den Bestimmungen in Bezug auf "Haartracht", "Kosmetik", "Fingernägel" und "Schmuck" dem Anlass angemessen abzuweichen."
Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antrag sei unzulässig. Der Antragsteller habe sein Antragsrecht verwirkt, weil er sich bereits in einem früheren Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 1 WB 31.14) gegen die Pflicht zur Abdeckung von Tätowierungen gewandt, damals jedoch die jetzt angefochtenen Regelungen nicht beanstandet habe. Darüber hinaus habe der Antragsteller nichts dazu vorgetragen, inwiefern er sein äußeres Erscheinungsbild infolge der jetzt beanstandeten Regelungen habe verändern müssen; es fehle daher an einer Beschwer und an einem Rechtsschutzbedürfnis. Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung sei schließlich auch deshalb auszuschließen, weil das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht für Soldaten gelte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung - R II 2 - Az.: 606/15 - und die Akte des abgeschlossenen Verfahrens BVerwG 1 WB 31.14 haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig.
Der Antragsteller hat nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass und inwiefern er von den von ihm beanstandeten Regelungen der ZDv A-2630/1 selbst betroffen ist (vgl. zum gesamten Folgenden bereits BVerwG, Beschlüsse vom 8. Mai 2001 - 1 WB 25.01 - Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 42
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) kann ein Soldat die Wehrdienstgerichte (nur) anrufen, wenn sein Antrag eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Vorgesetztenpflichten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Daraus folgt, dass der Soldat nur solche Maßnahmen und Unterlassungen (§ 17 Abs. 3 WBO) seiner militärischen Vorgesetzten einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen kann, die unmittelbar gegen ihn gerichtet sind oder die - obwohl an andere Soldaten gerichtet - in Form einer Rechtsverletzung oder eines Pflichtenverstoßes in seine Rechtssphäre hineinwirken. Der Antragsteller muss insoweit die Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte oder ihm gegenüber bestehender Pflichten eines Vorgesetzten substantiiert darlegen. Eine vom Einzelfall losgelöste allgemeine Nachprüfung von Anordnungen oder Erlassen auf ihre Rechtmäßigkeit im Sinne eines Normenkontrollverfahrens sieht die Wehrbeschwerdeordnung nicht vor. Das Wehrbeschwerdeverfahren dient nicht dazu, das Handeln der Vorgesetzten im Allgemeinen zu überprüfen, sondern setzt vielmehr stets einen auf einer rechtswidrigen Maßnahme oder Unterlassung beruhenden unmittelbaren Eingriff in die Rechte des Soldaten voraus.
In Ausnahmefällen kann auch eine Verwaltungs- oder Dienstvorschrift Gegenstand eines gerichtlichen Antragsverfahrens sein, wenn sie eine unmittelbar an den einzelnen Soldaten gerichtete Anordnung enthält, die keiner weiteren Konkretisierung durch einen Befehl mehr bedarf. Das sich im Umkehrschluss aus Nr. 302 ZDv A-2630/1 ergebende Verbot dekorativer Kosmetik für (männliche) Soldaten und die sich im Umkehrschluss aus Nr. 501 Punkt 3 ZDv A-2630/1 ergebende, ebenfalls nur für (männliche) Soldaten geltende Einschränkung beim Tragen von Schmuck stellen solche unmittelbar anfechtbaren Anordnungen dar. Unmittelbar zum Gegenstand eines gerichtlichen Antragsverfahrens kann auch die nur für Soldatinnen vorgesehene Möglichkeit von Abweichungen beim Tragen des Gesellschaftsanzugs (Abschnitt 8 der ZDv A-2630/1) gemacht werden, weil sich das Fehlen einer Ausnahmeregelung für Soldaten auf Vorschriften bezieht (Haartracht, Kosmetik, Fingernägel, Schmuck; Abschnitte 2 bis 5 der ZDv A-2630/1), die ihrerseits unmittelbar anfechtbare Anordnungen darstellen.
Da es sich bei den vom Antragsteller beanstandeten Regelungen um Daueranordnungen handelt, ist der dagegen gerichtete Antrag an keine Frist gebunden. Der Antragsteller hat sein Antragsrecht auch nicht deshalb verwirkt, weil er in einem früheren Wehrbeschwerdeverfahren lediglich die Verpflichtung zum Abdecken von Körpermodifikationen (Tätowierungen) (Nr. 603 Punkt 3 ZDv A-2630/1) und nicht zugleich die hier gegenständlichen Regelungen angefochten hat (siehe BVerwG, Beschluss vom 6. Februar 2015 - 1 WB 31.14 - NZWehrr 2015, 117); ein Antragsteller ist antragsberechtigt, sobald und solange eine Daueranordnung in seine Rechtssphäre hineinwirkt.
Die Möglichkeit der unmittelbaren Anfechtung einer Dienstvorschrift entbindet den Antragsteller jedoch nicht von seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtung, im Einzelnen darzulegen, inwieweit er durch die angefochtene Regelung in eigenen Rechten verletzt wird. Dieser Verpflichtung ist der Antragsteller vorliegend nicht nachgekommen.
Unschädlich ist dabei zunächst, dass sich der Antragsteller für die geltend gemachte Ungleichbehandlung bzw. Diskriminierung auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beruft, dessen Vorschriften nicht, auch nicht entsprechend, für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gelten (Umkehrschluss aus § 24 AGG). Spezielle Gleichbehandlungsgebote bzw. Diskriminierungsverbote wegen des Geschlechts ergeben sich jedoch, mit Geltung auch für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr (§ 6 SG), unmittelbar aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG.
Auch bei der Rüge einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts ist es allerdings erforderlich, dass der Antragsteller substantiiert darlegt, dass und inwiefern gerade er selbst von den sachlichen Regelungen, auf die sich die Ungleichbehandlung bezieht, betroffen ist und deshalb in eigenen Rechten verletzt sein kann.
Der Antragsteller hat in der Beschwerde-/Antragsschrift vom 29. April 2015 seine Ungleichbehandlung (als männlicher Soldat) gegenüber Soldatinnen durch die Vorschriften der Nr. 302, Nr. 501 Punkt 3 und Nr. 801 ZDv A-2630/1 lediglich in abstrakter Form geltend gemacht. Das Gericht hat den Antragsteller - auch im Hinblick darauf, dass er nicht anwaltlich vertreten ist - bereits mit der Erstzustellung aufgefordert darzulegen, inwiefern er durch die von ihm beanstandeten Vorschriften selbst beeinträchtigt sei, und ggf. konkrete Situationen oder Anlässe zu schildern, bei denen beispielsweise eine verwendete Kosmetik beanstandet, das Abnehmen eines Ohrsteckers befohlen oder beim Tragen des Gesellschaftsanzugs die Abweichung von den sonst geltenden Bestimmungen verweigert worden sei. Mit Verfügung des Gerichts vom 10. Juli 2015 wurde der Antragsteller nochmals darauf hingewiesen, dass sein bisheriger Vortrag keine konkrete Situation erkennen lasse, in der ihm seit Geltung der beanstandeten Vorschriften ein bestimmtes Auftreten untersagt worden sei oder er mit Rücksicht auf diese Vorschriften davon abgesehen habe, sich bei einem konkreten dienstlichen Anlass dekorativ zu schminken oder zu schmücken; der Antragsteller wurde nochmals und insbesondere mit Blick auf die noch verbleibenden rund vier Monate seiner Dienstzeit aufgefordert, konkret darzulegen, in welcher Weise und bei welchen Anlässen die beanstandeten Vorschriften für ihn Bedeutung haben.
Der Antragsteller hat - mit Schreiben vom 9. Juli 2015 und 3. August 2015 - hierzu lediglich erklärt, dass er die Nr. 302 und Nr. 501 Punkt 3 ZDv A-2630/1 ab Juli 2015 "anwenden" wolle. Damit ist keine konkrete Situation und kein konkreter Anlass beschrieben, in denen sich die beanstandeten Vorschriften im Dienstbetrieb für den Antragsteller auswirken würden. Der Antragsteller hat auch nicht etwa dargelegt, dass er im privaten Bereich regelmäßig „dekorative Kosmetik (z. B. Lippenstift, Make-up, Lidschatten und Wimperntusche)“ in bestimmter Form gebrauche oder Ohrstecker trage, was dem Wunsch, die Nr. 302 und Nr. 501 Punkt 3 ZDv A-2630/1 im dienstlichen Bereich "anzuwenden", möglicherweise eine gewisse Plausibilität verliehen hätte.
Zu der Ausnahmeregelung in Nr. 801 ZDv A-2630/1 hat der Antragsteller erklärt, dass er selbst keinen Gesellschaftsanzug besitze; insofern fehlt es bereits von vorneherein an einer persönlichen Betroffenheit. Soweit der Antragsteller die Ausnahmeregelung auf den Dienstanzug Grundform erstreckt wissen will, liegt nach geltender Vorschriftenlage eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts, um die es dem Antragsteller primär geht, nicht vor; denn auch Soldatinnen ist es beim Tragen des Dienstanzugs Grundform nicht erlaubt, von den allgemein geltenden Vorschriften abzuweichen. Unabhängig davon hat der Antragsteller auch zu Nr. 801 ZDv A-2630/1 nicht vorgetragen, in welcher Form und bei welchen dienstlichen Anlässen er sein Erscheinungsbild abweichend von den allgemein geltenden Vorschriften gestalten will.
Da es bereits an der substantiierten Darlegung einer persönlichen Betroffenheit fehlt, kommt es auf den Einwand des Antragstellers, es könne nicht sein, dass gegen ihn erst eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden müsse, nicht an. Im Übrigen ist nach den gängigen Gepflogenheiten die sofortige Verhängung einer Disziplinarmaßnahme nicht zu erwarten; üblicherweise hat es, auch in militärischen Dienststellen und Einheiten, bei - wie hier - leicht behebbaren Verstößen von geringer Bedeutung zunächst mit der Aufforderung oder dem Befehl, den Verstoß abzustellen (hier: Abschminken, Abnehmen des Ohrsteckers), sein Bewenden.
Insgesamt geht es dem Antragsteller damit erkennbar um eine abstrakte Kontrolle von Dienstvorschriften, für die das Wehrbeschwerdeverfahren nicht geschaffen ist.
Der Senat sieht davon ab, dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (§ 20 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO).