Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 20.10.2017


BVerwG 20.10.2017 - 1 WB 21/17

Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgerichtlichen Verfahren


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Wehrdienstsenat
Entscheidungsdatum:
20.10.2017
Aktenzeichen:
1 WB 21/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2017:201017B1WB21.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tatbestand

1

Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgerichtlichen Wehrbeschwerdeverfahren notwendig war.

2

Der ... geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des 31. März ... Zum Oberstleutnant wurde er am 31. Oktober ... ernannt. Derzeit wird er als Informations- und Telekommunikationstechnikstabsoffizier beim ... in ... verwendet.

3

Mit Schreiben vom 10. Mai 2016 beantragte der Antragsteller seine Versetzung auf den Dienstposten ... beim ... in .../USA. Mit Schreiben des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr (im Folgenden: Bundesamt für das Personalmanagement) vom 16. November 2016 erhielt der Antragsteller eine positive Vororientierung für eine Versetzung auf diesen Dienstposten zum 1. April 2017. In der Folgezeit nahm das Bundesamt für das Personalmanagement aufgrund einer Änderung im Anforderungsprofil des Dienstpostens wieder Abstand von der Versetzungsabsicht. Dies wurde dem Antragsteller in einem Personalgespräch am 2. Februar 2017 erläutert, in dessen Rahmen der Antragsteller auch um erneute Mitbetrachtung bei der Besetzung des Dienstpostens bat.

4

Gegen die in dem Personalgespräch mitgeteilte Aufhebung der Vororientierung, in der er zugleich eine Ablehnung seines Versetzungsantrags sah, erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 13. Februar 2017 Beschwerde, die noch beim Bundesministerium der Verteidigung anhängig ist, und beantragte eine Entscheidung gemäß § 3 Abs. 2 WBO, die das Bundesministerium der Verteidigung mit Bescheid vom 30. März 2017 ablehnte. Mit Schreiben vom 20. März 2017 teilte das Bundesministerium der Verteidigung dem Antragsteller außerdem mit, dass das Bundesamt für das Personalmanagement die Nachbesetzungsplanung/-entscheidung bis zu einer Entscheidung über die Beschwerde vom 13. Februar 2017 ausgesetzt habe.

5

Mit Bescheid vom 19. April 2017, eröffnet am 24. April 2017, lehnte das Bundesamt für das Personalmanagement den Versetzungsantrag des Antragstellers "auch nach wiederholter Prüfung" ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller die Bedarfsträgerforderungen nicht erfülle, weil er eine der zwingend geforderten Vorverwendungen aus dem Dienstbereich ...dienst nicht vorweisen könne.

6

Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 2. Mai 2017, bei seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten eingegangen am selben Tage, Beschwerde, die er mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 3. Mai 2017 begründete.

7

Mit E-Mail vom 4. Mai 2017 wandte sich das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - an das Bundesamt für das Personalmanagement und teilte diesem mit, es habe durch den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages erfahren, dass der Versetzungsantrag des Antragstellers unter dem 19. April 2017 abschließend abgelehnt worden sei. Dies stehe im Widerspruch zu der Erklärung des Bundesamts für das Personalmanagement, das Nachbesetzungsverfahren bis zum Abschluss des diesbezüglichen Wehrbeschwerdeverfahrens auszusetzen. Das Bundesamt für das Personalmanagement werde angewiesen, den Bescheid vom 19. April 2017 unverzüglich aufzuheben und den Antragsteller sowie dessen Bevollmächtigte darüber in Kenntnis zu setzen.

8

Das Bundesamt für das Personalmanagement hob daraufhin unter dem 4. Mai 2017 den Bescheid vom 19. April 2017 mit sofortiger Wirkung auf. Zur Begründung führte es aus, dass für die Dauer eines Wehrbeschwerde- oder Klageverfahrens alle beabsichtigten Personalmaßnahmen in Zusammenhang mit dem Beschwerdegegenstand vor deren Vollziehung mit dem Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - abzustimmen seien, was hier nicht erfolgt sei. Die Entscheidung über die Besetzung des Dienstpostens sei somit unverändert ausgesetzt und erfolge nach Abschluss des Verfahrens.

9

Mit Schreiben vom 5. Mai 2017 verwiesen die Bevollmächtigten des Antragstellers auf ihre Bestellung im vorliegenden Verfahren sowie die eingereichte Beschwerdebegründung und beantragten, die Aufhebungsentscheidung dahingehend zu ergänzen, die Kosten des Verfahrens dem Bund aufzuerlegen und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären.

10

Mit Bescheid vom 22. Mai 2017 entschied das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 -, dass das Wehrbeschwerdeverfahren gegenstandslos geworden sei und dem Antragsteller die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen erstattet würden, die Hinzuziehung seiner Bevollmächtigten jedoch nicht notwendig gewesen sei. Zur Begründung des letzteren Punkts wurde ausgeführt, dass die Einlegung einer Wehrbeschwerde an sich keine besonderen Rechtskenntnisse erfordere. Noch vor Eingang der Beschwerde vom 2. Mai 2017 beim Bundesministerium der Verteidigung sei das Bundesamt für das Personalmanagement unmittelbar angewiesen worden, den ablehnenden Bescheid aufzuheben. Dies sei in Unkenntnis des Rechtsbehelfs, jedenfalls aber ohne Mitwirken der Bevollmächtigten des Antragstellers erfolgt. Deren Hinzuziehung sei damit nicht kausal für die Abhilfe gewesen.

11

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 21. Juni 2017 hat der Antragsteller wegen der Ablehnung, die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten festzustellen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt und zur Begründung insbesondere ausgeführt:

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sei nicht zur Einlegung, jedoch zur Begründung der Beschwerde angezeigt gewesen. Dies gelte hier insbesondere wegen der komplexen Verfahrenshistorie. Er, der Antragsteller, habe einen ablehnenden Bescheid erhalten, obwohl ihm zuvor erklärt worden sei, dass eine Entscheidung über die Nachbesetzung des Dienstpostens bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens unterbleiben werde. Maßgeblich sei die ex ante-Sicht zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung und der Mandatierung der Bevollmächtigten. Am 3. Mai 2017 sei nicht bekannt gewesen, dass die ablehnende Entscheidung auf Anweisung des Bundesministeriums der Verteidigung aufgehoben werden würde. Es komme nicht darauf an, ob die Aufhebung unter Mitwirkung der Bevollmächtigten oder ohne deren Mitwirkung erfolgt sei.

12

Der Antragsteller beantragt,

unter Abänderung der Entscheidung des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 19. April 2017, der Aufhebungsentscheidung des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 4. Mai 2017 und der Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung - R II 2 - vom 22. Mai 2017 die letztere Entscheidung dahingehend abzuändern, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

13

Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

14

Es verweist auf die Gründe seiner Entscheidung vom 22. Mai 2017 und betont ergänzend, dass es von dem ablehnenden Bescheid vom 19. April 2017 am 3. Mai 2017 durch den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Kenntnis erlangt habe. Am 4. Mai 2017 sei das Bundesamt für das Personalmanagement angewiesen worden, die ablehnende Entscheidung aufzuheben, was noch am selben Tag umgesetzt worden sei. Die Beschwerdebegründung der Bevollmächtigten des Antragstellers vom 3. Mai 2017 sei erst am 8. Mai 2017 beim Bundesamt für das Personalmanagement eingegangen. Die darin enthaltenen Ausführungen hätten schon aus diesem Grund keinen Einfluss auf die bereits am 4. Mai 2017 erfolgten Abhilfemaßnahmen nehmen können. Dies gelte erst recht für den Schriftsatz vom 5. Mai 2017, der erst nach Erhalt des Aufhebungsbescheids verfasst worden sei. Die Tätigkeit der Bevollmächtigten des Antragstellers sei deshalb nicht kausal für die Abhilfe im Beschwerdeverfahren gewesen, weshalb es einer Hinzuziehung nicht bedurft habe.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung - R II 2 - Az.: ... - hat dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

Entscheidungsgründe

16

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, über den der Senat gemäß § 16a Abs. 5 Satz 3 und 4 WBO in der Besetzung ohne ehrenamtliche Richter entscheidet (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. September 2009 - 1 WB 31.09 - Buchholz 450.1 § 16a WBO Nr. 1 Rn. 16 f. und vom 5. August 2015 - 1 WB 14.15 - Buchholz 450.1 § 16a WBO Nr. 5 Rn. 21 m.w.N.), hat Erfolg. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Antragsteller im vorgerichtlichen Verfahren war notwendig (§ 16a Abs. 3 und 4 WBO).

17

Das Bundesministerium der Verteidigung hat in Nr. 2 der Entscheidung vom 22. Mai 2017 ausgesprochen, dass dem Antragsteller gemäß § 16a Abs. 2 und 4 WBO die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen erstattet werden. Diese Kostengrundentscheidung, die eine Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltskosten darstellt, ist im vorliegenden Verfahren zugrundezulegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2010 - 1 WB 9.10 - Rn. 13).

18

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Dezember 2009 - 1 WB 61.09 - Buchholz 450.1 § 16a WBO Nr. 2 Rn. 18 und vom 4. September 2014 - 1 WB 50.13 - juris Rn. 11 m.w.N.) ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgerichtlichen Verfahren unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein "vernünftiger Soldat" mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung wird auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Beschwerdeführer bestimmt. Aus dem Begriff der "Notwendigkeit" folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit im Vorverfahren eine Ausnahme bleiben müsste. Insoweit ist nicht das Begriffspaar "Regel/Ausnahme" maßgeblich, sondern vielmehr die gesetzgeberische Differenzierung, dass die Erstattungsfähigkeit nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen ist. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist dabei auf den Zeitpunkt der Bevollmächtigung abzustellen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Dezember 2011 - 1 WB 51.11 - Buchholz 450.1 § 16a WBO Nr. 3 Rn. 19 f., vom 5. August 2015 - 1 WB 14.15 - Buchholz 450.1 § 16a WBO Nr. 5 Rn. 39 und vom 18. November 2016 - 1 WB 32.16 - juris Rn. 29).

19

Nach diesen Maßstäben ist die Vergütung der Bevollmächtigten des Antragstellers erstattungsfähig. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten war im Hinblick auf die Schwierigkeit und Bedeutung der Sache und den Verlauf des vorangegangenen Verfahrens notwendig im Sinne des § 16a Abs. 3 WBO.

20

Gegenstand des Verfahrens ist die Besetzung eines zwar für den Antragsteller nicht höherwertigen, jedoch herausgehobenen Auslandsdienstpostens. Der Antragsteller erhielt für diesen Dienstposten zunächst eine positive Vororientierung, die anschließend wegen einer nachträglichen Änderung im Anforderungsprofil des Dienstpostens - ungeachtet einer fachlichen Stellungnahme, der zufolge der Antragsteller nach dieser Änderung "jetzt eigentlich geradezu idealtypisch das geforderte Tätigkeitsbild" erfülle (E-Mail Leiter Stabsgruppe und Stv ... vom 1. Februar 2017) - wieder aufgehoben wurde. Eine in dem diese Aufhebung betreffenden Beschwerdeverfahren (Beschwerde vom 13. Februar 2017) von den Bevollmächtigten des Antragstellers erbetene "umfassende Akteneinsicht" wurde bis zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung im vorliegenden Beschwerdeverfahren (3. Mai 2017) weder gewährt noch mit Gründen verweigert. Die Ablehnung des Versetzungsantrags durch den Bescheid des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr (im Folgenden: Bundesamt für das Personalmanagement) vom 19. April 2017 erfolgte schließlich, obwohl dem Antragsteller zuvor durch das Bundesministerium der Verteidigung mitgeteilt worden war, dass der gegenständliche Dienstposten seit dem 1. März 2017 vakant und das Nachbesetzungsverfahren von Amts wegen bis zum Abschluss des die Beschwerde vom 13. Februar 2017 betreffenden Wehrbeschwerdeverfahrens ausgesetzt sei. Jedenfalls vor dem Hintergrund dieser komplexen Verfahrenshistorie war es dem Antragsteller nicht zuzumuten, das Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid vom 19. April 2017, den er als abschließende Ablehnung seines Versetzungsbegehrens betrachten durfte, ohne Zuziehung eines Rechtsanwalts selbst zu führen.

21

Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten wird nicht dadurch rückwirkend beseitigt, dass der angefochtene Bescheid bereits am 4. Mai 2017 auf Weisung des Bundesministeriums der Verteidigung, das nach seiner Darstellung zu diesem Zeitpunkt weder von der Einlegung der Beschwerde (das bei den Akten befindliche Exemplar trägt allerdings den Stempel "Eingang R II 2 am 04. Mai 2017") noch von deren Begründung mit Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 3. Mai 2017 Kenntnis hatte, durch das Bundesamt für das Personalmanagement wieder aufgehoben und der Beschwerde damit abgeholfen wurde. Dieser Ablauf war für den Antragsteller in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Bevollmächtigung nicht vorauszusehen und ist deshalb ohne Einfluss auf die Beurteilung der Notwendigkeit für die Hinzuziehung seiner Rechtsanwälte (insoweit im Unterschied zu der Fallgestaltung in BVerwG, Beschluss vom 18. November 2016 - 1 WB 32.16 - juris Rn. 33). Für die Erstattungsfähigkeit der Vergütung eines Rechtsanwalts ist es unerheblich, ob dessen Tätigkeit kausal für die erfolgte Abhilfe war. Maßgeblich ist vielmehr allein die Notwendigkeit der Hinzuziehung im Sinne des § 16a Abs. 3 WBO; liegt diese - wie hier - vor, so sind die aufgrund der Beauftragung und Tätigkeit des Rechtsanwalts entstandenen Kosten für den Antragsteller erstattungsfähig.

22

Die beantragte Änderung der Entscheidungen des Bundesamts für das Personalmanagement vom 19. April 2017 und 4. Mai 2017 ist nicht erforderlich. Der ablehnende Bescheid vom 19. April 2017 ist durch den Bescheid vom 4. Mai 2017 insgesamt aufgehoben; der Bescheid vom 4. Mai 2017 musste keine Kostenentscheidung enthalten, weil diese in dem anhängigen Beschwerdeverfahren zu treffen ist (§ 16a Abs. 2 bis 4 WBO). Auszusprechen war deshalb lediglich die Änderung von Nr. 3 der Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung - R II 2 - vom 22. Mai 2017.

23

Die Kostenentscheidung für das gerichtliche Antragsverfahren beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.