Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 21.10.2010


BVerwG 21.10.2010 - 1 WB 16/10

Sicherheitsüberprüfungsverfahren; Anhörungspflicht; Hinzuziehung eines Rechtsanwalts


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Wehrdienstsenat
Entscheidungsdatum:
21.10.2010
Aktenzeichen:
1 WB 16/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Die Anhörung des Betroffenen im Verfahren einer Sicherheitsüberprüfung muss nicht notwendig persönlich erfolgen; sie kann auch im schriftlichen Verfahren durchgeführt werden. Es obliegt dem Betroffenen, seinen Wunsch nach Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu einer persönlichen Anhörung gegenüber dem anhörungspflichtigen Geheimschutzbeauftragten geltend zu machen.

Tatbestand

Der Antragsteller, ein Oberstleutnant, wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen durch den Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung. Gegen den Antragsteller waren wegen ehrverletzender Äußerungen und handgreiflicher Tätlichkeiten gegenüber anderen Offizieren zwei Disziplinarmaßnahmen verhängt worden. Außerdem war er wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der Antragsteller hat gegen die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten unter anderem eingewandt, dass man ihm vor ihrem Erlass keine persönliche Anhörung in Gegenwart seines Bevollmächtigten ermöglicht habe.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

...

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Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte in den disziplinar- und strafrechtlich geahndeten Verfehlungen des Antragstellers hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an dessen Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit erkannt hat. Der Geheimschutzbeauftragte hat mit dieser Einschätzung weder den anzuwendenden Begriff noch den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt; er hat insoweit auch nicht allgemeingültige Wertmaßstäbe missachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt.

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Tatsächliche Anhaltspunkte, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG in Verbindung mit Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und damit ein Sicherheitsrisiko begründen, können sich nach der Rechtsprechung des Senats auch daraus ergeben, dass der Betroffene eine Straftat begangen hat, die ohne speziellen Bezug zu Geheimhaltungsvorschriften oder zur dienstlichen Tätigkeit ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung erkennen lässt (vgl. Beschlüsse vom 12. April 2000 - BVerwG 1 WB 12.00 -, vom 20. August 2003 - BVerwG 1 WB 15.03 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 16 = NZWehrr 2004, 168 und vom 20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 - m.w.N.).

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Tatsächliche Anhaltspunkte im vorgenannten Sinne können sich außerdem daraus ergeben, dass der Betroffene eine Dienstpflichtverletzung begangen hat. In Übereinstimmung hiermit nennt Hinweis Nr. 9 zu Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C (Anlage C 18) als Beispiel für entsprechende Anhaltspunkte Verstöße des Betroffenen gegen Dienstpflichten (vgl. dazu im Einzelnen: Beschluss vom 24. November 2009 - BVerwG 1 WB 6.09 -).

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Bei der sicherheitsmäßigen Beurteilung der vom Antragsteller begangenen Dienstpflichtverletzungen und der Straftat hat der Geheimschutzbeauftragte die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums nicht überschritten. Ohne Rechtsfehler hat er das Verhalten des Antragstellers, das mit den Disziplinarbußen geahndet worden ist, als ein ernstzunehmendes Fehlverhalten gewertet, das Zweifel an dessen sicherheitsrechtlicher Zuverlässigkeit begründet. Ehrverletzende Äußerungen gegenüber anderen Soldaten - seien sie Kameraden gleichen Dienstgrades oder Vorgesetzte - haben nach ständiger Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich erhebliches Gewicht. Zu den Rechten, deren Schutz ein Soldat gemäß § 6 Satz 1 SG in Anspruch nehmen kann, gehört der Schutz seiner persönlichen Ehre. Der Soldat kann danach verlangen, dass seine persönliche Ehre, sein Ansehen und sein Ruf als Bürger und Soldat geachtet und nicht geschädigt werden. Dieser Ehrenschutz, der dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuzuordnen ist und seine Grundlage in der verfassungsrechtlich verbürgten Achtung der Menschenwürde und der freien Persönlichkeitsentfaltung findet (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG), ist notwendig auch auf die Wahrung des Ansehens in der Öffentlichkeit gerichtet sowie darauf, nicht ehrverletzenden Äußerungen ohne rechtfertigenden Grund ausgesetzt zu werden (vgl. Urteile vom 4. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 9.05 - Buchholz 449 § 6 SG Nr. 3 und vom 9. Januar 2007 - BVerwG 2 WD 20.05 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 20 = NZWehrr 2007, 167). Ehrverletzende Äußerungen lassen Rückschlüsse auf gravierende Charaktermängel des jeweiligen Täters zu. Entsprechendes gilt für das Verhalten eines Offiziers, der gegenüber einem anderen Offizier - obendrein vor anderen Soldaten - verbal ausfallend und handgreiflich tätlich wird. Eine derartige Vorgehensweise ist entgegen der Auffassung des Antragstellers in keiner Weise zu rechtfertigen, auch nicht als sozialadäquate "Biertisch-Usance" zu verharmlosen. Das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr mit einer hohen Blutalkoholkonzentration (hier von 2,00 ‰) lässt ebenfalls auf ein nachhaltig mangelndes Verantwortungsbewusstsein schließen. Mit dieser Einschätzung wird der gesetzliche Begriff der Zuverlässigkeit nicht verkannt oder fehlerhaft gewichtet. Darüber hinaus durfte der Geheimschutzbeauftragte die in kurzer Folge - jeweils im Abstand von einem Jahr zwischen 2006 und 2008 - aufgetretenen Verfehlungen des Antragstellers als gravierendes Indiz dafür werten, dass der Antragsteller nicht bereit ist, Disziplinarmaßnahmen oder eine Strafe in ihrer Warnfunktion zu erkennen und auf dieser Grundlage sein Verhalten für die Zukunft angemessen einzurichten. ...

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Die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten weist auch keine Verfahrensfehler auf.

44

Ohne Erfolg rügt der Antragsteller eine Verletzung seines Anhörungsrechts nach § 14 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 SÜG. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SÜG ist dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den sicherheitserheblichen Erkenntnissen zu äußern. Diese Anhörungspflicht trifft hier nach § 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG den Geheimschutzbeauftragten als die zuständige entscheidende Stelle. Aus dem Gesetzeswortlaut folgt unmissverständlich, dass die Anhörung als solche grundsätzlich zwingend ist; die Art und Weise ihrer Durchführung muss allerdings nicht notwendig persönlich erfolgen. Vielmehr ist auch eine Anhörung im schriftlichen Verfahren möglich (Denneborg, Kommentar zum Sicherheitsüberprüfungsgesetz, § 6 SÜG, Rn. 5). Es liegt damit in der Initiative des anzuhörenden Betroffenen, es entweder mit einer schriftlichen Äußerung bewenden zu lassen oder auf einer persönlichen Anhörung - ggf. nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 Satz 2 SÜG mit einem Rechtsanwalt - zu bestehen. Eine derartige Möglichkeit sieht auch Nr. 2708 ZDv 2/30 Teil C vor, wonach die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zur Anhörung "zulässig" ist. Eine diesbezügliche Initiative hat der Antragsteller aber auf die Anhörungsverfügungen des Geheimschutzbeauftragten vom 16. April 2008 und vom 20. März 2009 nicht ergriffen. Insbesondere nach dem Informationsschreiben des Geheimschutzbeauftragten vom 29. August 2008 an den Bevollmächtigten des Antragstellers hätte Gelegenheit bestanden, die darin angekündigte Entscheidung nach Aktenlage noch abzuwenden und um eine persönliche Anhörung - ggf. mit anwaltlicher Begleitung - zu bitten. Auch diese Reaktion ist unterblieben. Der Antragsteller hatte damit im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 SÜG hinreichend "Gelegenheit", sich entweder persönlich und mit anwaltlichem Beistand oder - wie von seinem Bevollmächtigten mit Schriftsätzen vom 27. August 2008 und vom 18. Mai 2009 wahrgenommen - schriftlich zu äußern.

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Soweit der Antragsteller einen Anhörungsmangel (auch) darin sieht, dass - wie er darlegt - anlässlich seiner Befragung durch den Militärischen Abschirmdienst eine Hinzuziehung seines Bevollmächtigten abgelehnt worden sei, liegt ebenfalls kein Verfahrensfehler vor. Die "Befragung des Betroffenen" lässt § 35 Abs. 3, Abs. 4 SÜG i.V.m. Nr. 2604 Abs. 4 ZDv 2/30 Teil C für den Militärischen Abschirmdienst als mitwirkende Behörde im Sicherheitsüberprüfungsverfahren nicht als verfahrenssichernde Anhörung, sondern lediglich als zusätzliches Aufklärungs- und Erkenntnismittel bei der Erhebung sicherheitsrechtlicher Erkenntnisse zu; sie ist Bestandteil des in § 13 und § 14 SÜG abgebildeten mehrstufigen Verfahrens, das erst mit der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten nach § 14 Abs. 3 SÜG abgeschlossen wird. Für die Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist maßgeblich, dass der Entscheidungsträger - hier der Geheimschutzbeauftragte - die Anhörung des Betroffenen ermöglicht. Das ist hier geschehen. ...