Entscheidungsdatum: 13.11.2017
I
Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verhinderung seiner Abschiebung.
Mit Verfügung vom 16. März 2017 ordnete der Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen die Abschiebung des Antragstellers nach Algerien an. Die Entscheidung wurde auf § 58a AufenthG gestützt und damit begründet, dass vom Antragsteller die Gefahr eines terroristischen Anschlags ausgehe. Die hiergegen erhobene Klage ist beim Bundesverwaltungsgericht anhängig (1 A 5.17).
Mit Beschluss vom 31. Mai 2017 - 1 VR 4.17 - hat der Senat einen Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO mit der Maßgabe abgelehnt, dass der Antragsteller erst nach Erlangung einer Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle abgeschoben werden darf, wonach ihm in Algerien keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht (Art. 3 EMRK). Die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 - nicht zur Entscheidung angenommen. Einen auf § 80 Abs. 7 VwGO gestützten Abänderungsantrag der Antragsgegnerin, der damit begründet wurde, dass dem Antragsteller nach neueren Erkenntnissen in Algerien keine menschenrechtswidrige Behandlung drohe, der algerische Staat aber aus generellen Erwägungen nicht bereit sei, dies durch eine entsprechende Zusicherung zu bestätigen, hat der Senat mit Beschluss vom 26. Juli 2017 - 1 VR 6.17 - abgelehnt.
Nach Einholung diverser Verbalnoten des algerischen Außenministeriums beabsichtigt die Antragsgegnerin, den Antragsteller am 17. November 2017 nach Algerien abzuschieben. Hiergegen wendet sich der Antragsteller. Die Antragsgegnerin ist dem Begehren entgegengetreten.
II
1. Der Senat legt das Begehren des Antragstellers sachdienlich als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aus mit dem Ziel, der Antragsgegnerin eine Abschiebung auf der Grundlage der bisher eingegangenen Äußerungen des algerischen Außenministeriums zu untersagen, weil diese nicht den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten und vom Bundesverfassungsgericht bekräftigten Anforderungen an das Vorliegen einer für seine Abschiebung erforderlichen diplomatischen Zusicherung durch eine algerische Regierungsstelle genügten. Einer gesonderten Feststellung, dass den Anforderungen nicht genügt ist, bedarf es in Fällen der vorliegenden Art nicht; dem Antragsteller geht es um die Erfüllung der Maßgabe in dem Beschluss vom 31. Mai 2017, nicht um dessen Änderung nach § 80 Abs. 7 VwGO.
Der so ausgelegte Antrag, über den nach § 50 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hat, ist zulässig und begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht u.a. eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch (a) und einen Anordnungsgrund (b) glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO).
a) Der Senat hat den Vollzug der gegen den Antragsteller ergangenen Abschiebungsanordnung mit Beschluss vom 31. Mai 2017 - 1 VR 4.17 - von der Einholung einer Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle abhängig gemacht, dass dem Antragsteller in Algerien keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht (Art. 3 EMRK). Begründet hat er dies damit, dass den algerischen Behörden spätestens bei der im Falle einer Abschiebung zu erwartenden Befragung durch die Polizei bekannt würde, dass der Antragsteller wegen der Gefahr der Begehung einer terroristischen Tat abgeschoben wird. Des Weiteren hat der Senat in seinen Beschlüssen vom 31. Mai 2017 - 1 VR 4.17 - und 26. Juli 2017 - 1 VR 6.17 - dargelegt, aus welchen Gründen zu befürchten ist, dass der Antragsteller in diesem Zusammenhang für einige Zeit in Polizeigewahrsam genommen wird und trotz des in Algerien eingeleiteten Reformprozesses ernsthafte und stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass er dabei Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden, und es daher im Einzelfall des Antragstellers einer auf diesen bezogenen Zusicherung bedarf. Dieser Einschätzung hat sich das Bundesverfassungsgericht angeschlossen und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Einholung einer Zusicherung im vorliegenden Verfahren erforderlich ist und - über den Tenor des Senatsbeschlusses hinaus - mit spezifischen Garantien verbunden sein muss, die eine Überprüfung der (eventuellen) Haftbedingungen des Antragstellers im Falle einer Inhaftierung und insbesondere den ungehinderten Zugang zu seinen Prozessbevollmächtigten erlaubt, und zwar sowohl bei einer Inhaftierung durch die Polizei als auch durch den Geheimdienst (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 - Rn. 46 und 50).
Diesen Anforderungen hinsichtlich der Haftbedingungen im Falle einer Inhaftierung des Antragstellers in Algerien durch die Polizei oder den Geheimdienst werden die diversen von der Antragsgegnerin vorgelegten Verbalnoten des algerischen Außenministeriums und die hierin in Bezug genommenen Äußerungen algerischer Stellen nicht gerecht.
In der Verbalnote des algerischen Außenministeriums vom 30. Juli 2017 erklärt sich die algerische Regierung mit der Rückführung des Antragstellers einverstanden. Dies wird mit der Feststellung verbunden, dass der Antragsteller in Algerien auf justizieller Ebene unbekannt und gegen ihn kein Strafverfahren anhängig ist. In Bezug auf die von der deutschen Botschaft geforderten diplomatischen Zusicherungen zum Schutz des Antragstellers vor einer menschenrechtswidrigen Behandlung wird hingegen nur allgemein darauf hingewiesen, dass in Algerien die unabhängige Justiz für die Wahrung aller in der Verfassung verankerter und durch die algerischen Gesetze sowie die in internationalen Übereinkommen festgelegten Rechte und Grundfreiheiten in Bezug auf die Nichtanwendung strenger, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung sorge. Hierin liegt entgegen der Einschätzung der Antragsgegnerin keine "umfassende Garantie" der algerischen Regierung für eine menschenrechtskonforme Behandlung von Rückkehrern. Der bloße Verweis auf die geltende Rechtslage und die Kontrollfunktion der Gerichte ist nicht geeignet, das ungeachtet des eingeleiteten Reformprozesses vom Senat festgestellte und vom Bundesverfassungsgericht bestätigte (Rest-)Risiko einer menschenrechtswidrigen Behandlung des Antragstellers auszuschließen, zumal die Tatsachenmitteilung, es sei gegen den Antragsteller kein Strafverfahren anhängig, sich schon nicht zur Lage nach der Rückführung verhält.
Die geforderte Zusicherung ist auch nicht den weiteren Verbalnoten des algerischen Außenministeriums vom 6. September 2017 und vom 19. September 2017 zu entnehmen. Die dort in Bezug genommenen Verbalnoten vom 1. August 2016 und vom 13. Februar 2017 betrafen Auslieferungsverfahren. Soweit das algerische Justizministerium in der mit Verbalnote vom 1. August 2016 vorgelegten Stellungnahme vom Juli 2016 auf die Haftbedingungen in Algerien eingeht, beziehen sich die Ausführungen auf die beabsichtigte Unterbringung der auszuliefernden Personen in einer bestimmten Haftanstalt in Algier und die im algerischen "Gesetz über die Organisation des Strafvollzugs und die soziale Wiedereingliederung von Inhaftierten" vom 6. Februar 2005 enthaltenen Besuchs-, Kontroll- und Zugangsmöglichkeiten. Insoweit räumt die Antragsgegnerin selbst ein, dass dieses Gesetz nur für Straf- und Untersuchungshaft gilt. Zu den Haftbedingungen im Polizei- oder Geheimdienstgewahrsam verhält sich die Stellungnahme des algerischen Justizministeriums nicht. Auch der Hinweis in der Verbalnote vom 13. Februar 2017 auf ein Memorandum aus dem Jahr 1999 mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz betrifft nur den Besuch von Häftlingen in Justizvollzugsanstalten.
Allein der Umstand, dass das algerische Außenministerium der Auffassung ist, mit seinen Verbalnoten den Anforderungen an die von Deutschland erbetene diplomatische Zusicherung in Bezug auf den Antragsteller vollständig nachgekommen zu sein, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn die bisherigen Äußerungen aus Algerien sind bei objektiver Würdigung ihres Inhalts auch in der Gesamtschau nicht geeignet, eine menschenrechtswidrige Behandlung des Antragstellers im Falle einer Ingewahrsamnahme durch die Polizei oder den Geheimdienst hinreichend verlässlich auszuschließen (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Januar 2012 - Nr. 8139/09, Othman/Vereinigtes Königreich - NVwZ 2013, 487 Rn. 189). Insoweit räumt die Antragsgegnerin im Übrigen selbst ein, dass nach der algerischen Anti-Terrorismus-Verordnung vom 30. Oktober 1992 Sicherheitskräfte bei Terrorismusverdacht Personen bis zu 12 Tagen ohne Vorführung festhalten können.
b) Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da nach Mitteilung der Antragsgegnerin geplant ist, den Antragsteller auf der Grundlage der eingeholten Verbalnoten des algerischen Außenministeriums am 17. November 2017 nach Algerien abzuschieben.
2. Die Ausführungen der Antragsgegnerin zur aktuellen Menschenrechtslage in Algerien geben dem Senat auch in Ansehung des Vorbringens der Antragsgegnerin, insbesondere auch des Ad-hoc-Berichts des Auswärtigen Amts vom 25. Juli 2017, weiterhin keine Veranlassung, von Amts wegen seinen Beschluss vom 31. Mai 2017 dahingehend abzuändern, dass der Antragsteller auch ohne die geforderte Zusicherung abgeschoben werden kann. Dabei wird nicht verkannt, dass sich die algerische Regierung erkennbar um eine Verbesserung der Menschenrechtslage bemüht. Der Erfolg dieser Bemühungen ist aber nicht zuletzt deswegen nur schwer einschätzbar, weil die algerische Regierung zugleich den UN-Sonderberichterstattern zu Themen wie Folter und andere Misshandlungen, Antiterrormaßnahmen und Verschwindenlassen sowie internationalen Organisationen wie Amnesty International nicht erlaubt, Menschenrechtsverletzungen vor Ort zu untersuchen (vgl. Amnesty International Report 2016/2017 Algeria).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.