Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 19.04.2016


BGH 19.04.2016 - 1 StR 95/16

Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld: Berücksichtigung des Erziehungsgedankens im Rahmen der Strafzumessung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
19.04.2016
Aktenzeichen:
1 StR 95/16
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:190416B1STR95.16.01
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 28. Oktober 2015, Az: JK I KLs 607 Js 37085/15
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten D.          wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. Oktober 2015 im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten D.          sowie die Revision des Angeklagten M.         werden als unbegründet verworfen.

3. Der Angeklagte M.         hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Die Jugendkammer des Landgerichts hat den Angeklagten D.         wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt sowie gegen den Angeklagten M.          wegen vorsätzlicher Körperverletzung zwei Freizeitarreste verhängt.

2

Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel des Angeklagten D.          hat lediglich in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

3

Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel des Angeklagten M.          ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts insgesamt unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

4

Die erhobene Sachrüge deckt zum Schuldspruch und in Bezug auf die Verhängung einer Jugendstrafe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten D.          auf (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass wegen der Schuldschwere die Verhängung von Jugendstrafe erforderlich ist. Die Erwägungen des Landgerichts zur Höhe der verhängten Jugendstrafe halten hingegen revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand, da sie nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG entsprechen.

5

1. Auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe ist gemäß § 18 Abs. 2 JGG die Höhe der Strafe so zu bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist (BGH, Beschlüsse vom 21. Juli 1995 - 2 StR 309/95, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 10 und vom 18. August 1992 - 4 StR 313/92, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8). Grundsätzlich ist zwar die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck gelangende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu berücksichtigen. Keinesfalls darf aber die Begründung wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abzuwägen (BGH, Beschluss vom 18. August 1992 - 4 StR 313/92, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8; Eisenberg JGG 18. Aufl., § 18 Rn. 42). Denn auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe bemisst sich ihre Höhe vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist (BGH, Beschluss vom 22. April 2015 - 2 StR 503/14, NStZ 2016, 105).

6

2. Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts nicht. Das Landgericht hat sich bei der konkreten Bemessung der Jugendstrafe im Rahmen seiner mit „Strafzumessung im Einzelnen“ überschriebenen Darstellung nur an der Bewertung des in der Schwere des in der Straftat hervorgetretenen Unrechts orientiert, wie sie in der Strafandrohung der allgemeinen Gesetze Ausdruck gefunden hat. So hat das Landgericht bei der Prüfung des Provokationstatbestands nach § 213 Alt. 1 StGB zwar die letzten Äußerungen („Hurensohn“) des Tatopfers dem Angeklagten D.         gegenüber berücksichtigt. Es hat jedoch die Faustschläge des Tatopfers gegen ihn und die vorausgegangenen Äußerungen einschließlich der zwei Ohrfeigen gegenüber dem Angeklagten M.          jeweils nur isoliert betrachtet, ohne dieses Verhalten in seiner Gesamtheit schon in die Beurteilung nach § 213 Alt. 1 StGB einzubeziehen. Zu Lasten des Angeklagten D.          berücksichtigt das Landgericht schließlich im Rahmen seiner „Strafzumessung“ - auch wenn § 46 Abs. 3 StGB hier jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar ist -, dass „der Angeklagte nicht vermocht hat, deeskalierend zu wirken“. Dies ist schon für sich genommen nicht rechtsfehlerfrei.

7

Jedenfalls aber berücksichtigt das Landgericht damit ausschließlich Umstände, die auch bei Erwachsenen berücksichtigt werden müssen, lässt hingegen wesentliche erzieherische Gesichtspunkte völlig außer Betracht, die für die Bemessung der Jugendstrafe Bedeutung haben und deren Erörterung sich deshalb für das Landgericht aufdrängte. Auch fehlt die erforderliche Abwägung zwischen dem Tatunrecht und den Folgen der Verbüßung der verhängten Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 19. Februar 2014 - 2 StR 413/13, NStZ 2014, 407; BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2012 - 3 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 186, 187; vom 11. April 1989 - 1 StR 108/89, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 3 und vom 14. Januar 1992 - 5 StR 657/91, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 7; 18. August 1992 - 4 StR 313/92, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8 und vom 14. Juli 1994 - 4 StR 367/94, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 9). So wäre im Rahmen der Abwägung etwa zu erörtern gewesen, dass die Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten D.          nach den Feststellungen des Landgerichts bisher im Wesentlichen problemlos verlaufen ist, er insbesondere nicht straffällig geworden ist und nach abgeschlossener Berufsausbildung bis zur Tat ununterbrochen in einem festen Arbeitsverhältnis stand. Zum Tatzeitpunkt lebte der Angeklagte D.          auch mit seiner Freundin, mit der er sich inzwischen verlobte, in einer eigenen Wohnung und gefestigten Beziehung zusammen. Des Weiteren hätte es der Erörterung bedurft, welche erzieherischen Wirkungen die vollzogene Untersuchungshaft auf den bis dahin nicht vorbestraften Angeklagten gehabt hat (BGH, Beschluss vom 10. September 1985 - 1 StR 416/85, StV 1986, 68).

II.

8

Das Urteil ist somit auf die Revision des Angeklagten D.         in Bezug auf den Ausspruch der Höhe der Jugendstrafe aufzuheben. Die Feststellungen können bestehen bleiben, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind; ergänzende Feststellungen zu den erzieherischen Aspekten sind aber möglich. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

Raum                           Graf                            Cirener

                 Radtke                         Bär