Entscheidungsdatum: 20.09.2011
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 11. November 2010 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Von Rechts wegen
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes und mit Körperverletzung sowie wegen weiterer Fälle des sexuellen bzw. des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, teils in Tateinheit mit Körperverletzung, und wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und elf Monaten verurteilt.
Es hat außerdem seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Sie erstrebt die Anordnung der Sicherungsverwahrung zusätzlich oder anstelle der Maßregel nach § 63 StGB. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
II.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. 1995 wurde der Angeklagte in Großbritannien wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Er befand sich in England bis zum Jahr 2000 in Haft. Danach führte er mit seinem aus England überführten Schiff in M. (Italien) Tauchfahrten und Bootsausflüge für Touristen durch.
2. In der Zeit vom 21. März 2005 bis 2. April 2005 (Osterferien) befanden sich der damals 12-jährige T. G. und der damals 11-jährige K. G. gemeinsam mit ihrer Mutter zu einem Segeltörn auf dem Boot des Angeklagten. Es kam zu mindestens 20 sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf T. G. und zwei auf dessen Bruder K. G. .
a) T. G. übernachtete in der Kapitänskajüte gemeinsam mit dem Angeklagten in einem Doppelbett. Der Angeklagte forderte ihn auf, nackt zu schlafen, weil es so heiß sei. Er selbst tue dies auch. Dann fragte er ihn, ob er "wichsen" könne. Als dieser nicht wusste, was das bedeutet, erklärte der Angeklagte, er werde es ihm zeigen, das sei ganz normal unter Männern. Es kam zu zwei Handbefriedigungen. Der Angeklagte manipulierte am Penis des Kindes bis zum Samenerguss. Später band er einmal einen Schnürsenkel um den Penis des Kindes und manipulierte daran, was dieses auf Aufforderung anschließend am Penis des Angeklagten machte.
Mindestens 17 Mal kam es zum Oralverkehr an T. oder durch T. am Angeklagten. Wegen seines zu kleinen Mundes musste das Kind den Orgasmus beim Angeklagten durch Handmanipulation herbeiführen. Wenn T. sich weigerte, die sexuellen Handlungen vorzunehmen oder zu dulden, drohte der Angeklagte, er werde seiner Mutter sagen, dass er so faul und zu nichts zu gebrauchen sei. Des Weiteren schlug er ihm in mindestens zwei Fällen mit einem Stock von ca. 30 cm Länge, an dem mehrere kurze Seile angebracht waren, auf den Po. Aus Angst gab T. den sexuellen Wünschen des Angeklagten nach.
Bei einer Gelegenheit verlangte er von dem Jungen, dass er an ihm den Analverkehr ausführe "und ihm gleichzeitig einen runterhole", was auch geschah. T. führte sein steifes Glied in den After des Angeklagten ein und manipulierte zugleich mit der Hand an dessen Penis.
b) Gegenüber K. G. kam es zu einer sexuellen Handlung vor einem Kind und einem Oralverkehr an ihm. Der Angeklagte forderte K. G. auf, mit ihm zu duschen. Beide begaben sich nackt in die Dusche. Der Angeklagte erklärte, er werde ihm jetzt etwas zeigen, was nur Männer machen, und manipulierte an seinem Penis bis zum Samenerguss. K. G. fragte ihn bei einer anderen Gelegenheit, ob er mal bei ihm in der Kabine übernachten könne. Der Angeklagte antwortete, es gebe eine Regel, wonach in diesem Raum alle nackt schlafen. Auf sein Verlangen kam es im Doppelbett zu gegenseitigen Manipulationen am Penis, bis schließlich der Angeklagte das steife Glied des Kindes in den Mund nahm.
3. Zwischen dem 31. Juli 2006 und dem 11. September 2006 hielt sich der damals 17-jährige R. B. für fünf Wochen auf dem Boot des Angeklagten auf. Dieser hatte auf seinem Schiff ein "Punktesystem" eingeführt. Er verteilte für "Fehlverhalten" Punkte. Wenn aus Sicht des Angeklagten zu viele Punkte erreicht waren, folgten Hiebe mit einem dicken Seil auf den Rücken. R. B. übernachtete zunächst auf dem Flur. Dann bot ihm der Angeklagte an, bei ihm in der Kapitänskajüte zu übernachten. Nach einigen Tagen manipulierte der Angeklagte nachts im Bett am Geschlechtsteil von R. B. . Jener verbat sich dies. Der Angeklagte machte dennoch weiter und forderte R. B. auf, auch an seinem Penis zu manipulieren. Als dieser ablehnte, sagte der Angeklagte in Anspielung auf sein "Punktesystem", das würde Punkte geben und er würde ihn dann mit dem Seil schlagen. Aus Angst vor den Schlägen kam R. B. dem Verlangen des Angeklagten nach.
4. Der damals 12-jährige L. H. verbrachte die Zeit vom 30. August 2009 bis 13. September 2009 auf dem Schiff des Angeklagten. Seine Familie ließ ihn dort wegen ihrer Seekrankheit allein zurück. Als der Angeklagte und L. beim Fernsehen nebeneinander auf der Couch saßen, onanierte der Angeklagte nach Entblößen am Penis des Kindes bis dieser steif wurde. Im Bett der Kapitänskajüte, in dem beide nackt schliefen, kam es zweimal auf Aufforderung des Angeklagten zum gegenseitigen onanieren. Ein drittes Mal erfolgte aufgrund der Weigerung von L. erst nach Androhen von Schlägen mit einem Stock im Rahmen des "Punktesystems" durch den Angeklagten.
In den Weihnachtsferien 2009/2010 besuchte L. den Angeklagten in O. . In der Zeit kam es in dem Anwesen zu drei sexuellen Übergriffen auf L. . Es gab einen Oralverkehr an dem Kind, auf Verlangen des Angeklagten einen wechselseitigen Oralverkehr und Schläge auf den nackten Po als Strafe nach verhängten Minuspunkten. Um sich sexuell zu erregen, verlangte der Angeklagte, dass L. sich im Keller mit nacktem Po über einen Hocker beugte, und schlug mit einem Holzstab sechs Mal zu, wodurch das Kind erhebliche Schmerzen erlitt.
Bei einem späteren Besuch in dem Anwesen, vor dem 1. März 2010, führte der Angeklagte an L. einen schmerzhaften Analverkehr aus, indem er einen Finger in den After steckte.
5. Die sachverständig beratene Kammer stellte fest, dass beim Angeklagten mehrere Persönlichkeitsstörungen kombiniert vorliegen. Er weise dissoziale, psychopathische und narzisstische Züge auf. Bei ihm bestehe eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer homoerotischen Pädophilie mit analsadistischen Anteilen. Insgesamt habe das Störungsbild nach Überzeugung der Kammer das Ausmaß einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erreicht. Aufgrund derer sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei den Taten erheblich vermindert gewesen.
6. Unter Zubilligung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verhängte das Landgericht gegen den Angeklagten wegen der beiden Vergewaltigungen nach § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB je fünf Jahre, wegen des Analverkehrs an L. H. - eines schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Körperverletzung (§ 176a Abs. 2 Nr. 1, § 223 StGB) - drei Jahre und sechs Monate, 21 mal drei Jahre sowie weitere Einzelstrafen. Im Anschluss an die Sachverständige geht die Kammer davon aus, dass vom Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
7. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat sie abgesehen. Sie bejaht zwar die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB, wonach auch ohne frühere Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. Auch nimmt sie in Übereinstimmung mit der Sachverständigen an, dass der Angeklagte infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Gleichwohl hat sie ihr Ermessen unter Hinweis auf § 72 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StGB dahin ausgeübt, dass sie keine Sicherungsverwahrung angeordnet hat.
III.
Rechtsfehler zum Vor- oder zum Nachteil des Angeklagten (§ 301 StPO) lässt das Urteil nicht erkennen.
Es ist insbesondere revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer darauf verzichtet hat, neben der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus auch seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen.
1. Sie hat eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß § 21 StGB positiv festgestellt. Dem Urteil ist entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die verminderte Schuldfähigkeit auf der Gesamtheit der beim Angeklagten vorliegenden Persönlichkeitsstörungen beruht. Nach Feststellung der mehreren oben aufgezeigten Störungen hat die Kammer im Anschluss an die Sachverständige die Eingangsmerkmale des § 20 StGB geprüft, eine schwere andere seelische Abartigkeit bejaht und alle übrigen Eingangsmerkmale ausdrücklich verneint (UA S. 19, 20). Daraus folgt, dass sie das aus mehreren Faktoren bestehende Störungsbild, bei dem die Pädophilie im Vordergrund steht, nur in seiner Gesamtheit als forensisch relevant ansieht und insoweit unter dieses einzige Eingangsmerkmal subsumiert. Dafür sprechen auch die Formulierungen "Insgesamt habe das Störungsbild das Ausmaß einer anderen schweren seelischen Abartigkeit erreicht" (UA S. 20, erster Absatz) und bei der fakultativen Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB, bei der die Kammer ausdrücklich berücksichtigt, "dass bei dem Angeklagten mehrere Persönlichkeitsstörungen kombiniert vorlagen" (UA S. 20, zweite Zeile unten).
2. Die Strafkammer hat ersichtlich angenommen, dass der Hang i.S.v. § 66 StGB zu erheblichen Straftaten hier ausschließlich auf dem Zustand des Angeklagten i.S.v. § 63 StGB beruht und zwar auf dem Gesamtbild seiner kombinierten Persönlichkeitsstörungen. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie zur Begründung eines eingeschliffenen Verhaltensmusters allein die verfahrensgegenständlichen Taten als ausreichend erachtet. Diese sind aber, wie festgestellt, eine Folge des krankheitswertigen psychischen Zustands des Angeklagten.
3. Das Landgericht hat durchaus gesehen, dass gemäß § 72 Abs. 2 StGB die kumulative Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der Sicherungsverwahrung möglich ist, weil erstere gegenüber letzterer "kein geringeres, sondern ein anderes Übel" ist (st. Rspr., BGH, Beschluss vom 6. August 1997 - 2 StR 199/97, NStZ 1998, 35 mwN). Es hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hier ausreicht, um die Allgemeinheit dauerhaft vor weiteren, vom Angeklagten drohenden Straftaten zu schützen. Die Gefahrenabwehr ist der gemeinsame Zweck beider Maßregeln. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zielt auf Heilung des psychischen Zustandes ab, um diesen Zweck zu erreichen. Ihr kann gegenüber der Sicherungsverwahrung der Vorrang eingeräumt werden, wenn der Hang zu erheblichen Straftaten auf einen psychischen Defekt zurückzuführen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Sicherungsverwahrung ultima-ratio-Charakter zukommt (vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a. Rn. 112, NJW 2011, 1931, 1938).
Die Strafkammer vertritt in Übereinstimmung mit der Sachverständigen die Auffassung, dass die Gefahr weiterer Straftaten durch den Angeklagten in erster Linie im Rahmen einer stationären psychotherapeutischen Maßnahme reduziert werden kann. Dabei stellt sie nicht nur auf spezifische Programme für Sexualstraftäter ab, sondern weist auf spezielle therapeutische Behandlungsmodule zum Antiaggressionstraining, zur kognitiven Umstrukturierung und zur sozialen Kompetenzerlangung für die Therapierung des Angeklagten hin. Sie meint, dem Angeklagten könnten auch deliktsunspezifische Aspekte und Wissen über eigene kriminogene Persönlichkeitsstrukturen vermittelt werden. Dies zeigt, dass die Kammer von der Behandlungsbedürftigkeit und der Behandlungsmöglichkeit des Gesamtbildes der kombinierten Persönlichkeitsstörungen des Angeklagten ausgeht.
4. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt den Erfolg einer Therapie nicht zwingend voraus (BGH, Beschluss vom 28. April 1995 - 2 StR 134/95, NStZ 1995, 588; Schönke/Schröder-Stree StGB, 27. Aufl., § 63 Rn. 20 mwN). Auch solche Täter, bei denen die Aussicht auf Besserung von vorneherein zweifelhaft ist, sind von einer Maßnahme nach § 63 StGB nicht ausgenommen. Sollte sich während des Aufenthaltes in einem psychiatrischen Krankenhaus herausstellen, dass entgegen der ursprünglichen Prognose eine erfolgreiche Behandlung nicht möglich ist, hat sich damit die Maßregel nicht zwangsläufig erledigt. Denn mit der Unterbringung nach § 63 StGB wird ergänzend über die Behandlung hinaus ein bloßer Sicherungszweck verfolgt. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dauert daher fort, solange vom Angeklagten die in § 63 StGB genannte Gefahr ausgeht (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2002 - 1 StR 546/01, NStZ 2002, 533 und Urteil vom 8. Juli 2010 - 4 StR 210/10). Diese Auffassung stützt sich auf § 136 StVollzG. Danach soll der Untergebrachte behandelt und - soweit möglich - geheilt oder sein Zustand soweit gebessert werden, dass er nicht mehr gefährlich ist. Wird dieses Ziel nicht erreicht, so beschränkt sich die Verpflichtung der Anstalt darauf, ihm die nötige Aufsicht, Betreuung und Pflege zuteil werden zu lassen (§ 136 Satz 3 StVollzG). Die zusätzliche Anordnung von Sicherungsverwahrung (§ 72 Abs. 2 StGB) kommt neben der Unterbringung nach § 63 StGB nur dann in Betracht, wenn nach Wegfall des von § 63 StGB vorausgesetzten Zustands die Gefährlichkeit des Täters aufgrund eines aus anderen Gründen gegebenen Hanges zu erheblichen Straftaten fortbesteht. Das ist hier nicht der Fall.
IV.
Bei Erfolglosigkeit der zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft haben die Nebenkläger die ihnen im Revisionsverfahren erwachsenen Auslagen selbst zu tragen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2004 - 2 StR 178/04).
Nack Rothfuß Hebenstreit
Elf Jäger