Entscheidungsdatum: 20.03.2012
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 23. August 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Tatvorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die von dem Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.
I.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
a) Von 2002 bis 2010 lebten die Geschädigte H. , die zu 100 % schwerbehindert ist, und der Angeklagte in der Wohnung der Geschädigten zusammen. Nachdem die Geschädigte spätestens seit einer Operation im Oktober 2008 Schmerzen beim Geschlechtsverkehr verspürte und entsprechenden Wünschen des Angeklagten eher widerwillig nachkam, zog sie vom 18. September bis zum 27. Dezember 2010 ins Frauenhaus, um keinen Geschlechtsverkehr mehr haben zu müssen. Als die Geschädigte danach in ihre Wohnung zurückkehrte, zog der Angeklagte auf ihren Wunsch am 31. Dezember 2010 aus der Wohnung aus, worauf sie anschließend das Schloss der Wohnungstür auswechseln ließ, so dass der Angeklagte keinen aktuellen Schlüssel mehr für die Wohnung besaß. Dennoch kam es bis zu dem Tatgeschehen am 14. Januar 2011 nicht ausschließbar noch vier bis fünf Mal zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin H. .
b) Am 14. Januar 2011 öffnete der Angeklagte gegen 21.00 Uhr unter Benutzung einer Scheckkarte die Wohnung der Zeugin H. , ging in die Küche, wo er sich nackt auszog, und danach ins Schlafzimmer. Die nur mit Unterwäsche bekleidete Zeugin hatte bereits geschlafen. Nach der Ankündigung des Angeklagten, er wolle jetzt ins Bett kommen, lehnte die Zeugin dies ab, was den Angeklagten aber nicht abhielt. Er zog die Bettdecke weg und würgte die Zeugin. Dadurch wollte er erfahren, wer das Türschloss ausgewechselt hatte und warum die Zeugin bei einem Telefonanruf von ihm im Laufe des Tages nicht ans Telefon gegangen war. Nachdem die Zeugin ihm insoweit Auskunft gegeben hatte, hörte er mit dem Würgen auf. Anschließend kniete er über ihrem Oberkörper und führte sein Glied in den Mund der Geschädigten ein. Dann rutschte er nach unten, zog die Unterhose der Geschädigten mit deren Hilfe aus, drang mit seinem erigierten Glied in die Scheide ein und führte den Geschlechtsverkehr aus. Dabei wehrte sich die Geschädigte nicht und sagte ihm auch nicht, dass sie keinen Geschlechtsverkehr wolle. Danach zog sich der Angeklagte an und verließ die Wohnung.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil auch der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht vorliege. Zwar habe er gegen die Zeugin H. Gewalt ausgeübt; dies sei aber nicht geschehen, um sie zu sexuellen Handlungen zu nötigen. Vielmehr habe er durch das Würgen nur in Erfahrung bringen wollen, wer das Schloss ausgetauscht und warum sie nicht mit ihm telefoniert hatte. Die beim Würgen angewendete Gewalt habe beim späteren Geschlechtsverkehr nicht weitergewirkt. Das Würgen sei zu diesem Zeitpunkt bereits beendet gewesen, und die Geschädigte habe auch keine Angst gehabt, dass der Angeklagte sie schlagen oder erneut würgen würde, falls sie den Geschlechtsverkehr nicht geduldet hätte.
Hinsichtlich des vorangegangenen Würgevorgangs hat das Landgericht keine rechtliche Würdigung vorgenommen und dazu auch keine Ausführungen gemacht. Dies könnte darauf beruhen, dass sich in den Akten kein Strafantrag der Geschädigten wegen Körperverletzung (§ 223 StGB) befindet und die Staatsanwaltschaft insoweit bei der Hauptverhandlung das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung ausdrücklich verneint hat.
3. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, dass das Landgericht die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt, dabei sich auch nicht ausreichend mit der Frage befasst habe, ob die Geschädigte möglicherweise mit ihrer Aussage dem Angeklagten helfen wollte. Auch habe das Landgericht überspannte Anforderungen an die eigene Überzeugungsbildung gestellt. Im Übrigen sei rechtsfehlerhaft nicht geprüft worden, ob sich die Angeklagte - hinsichtlich des Würgevorgangs - nicht auch wegen „vorsätzlicher (möglicherweise sogar gefährlicher) Körperverletzung sowie einer vollendeten Nötigung“ strafbar gemacht habe.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat im Umfang der Urteilsaufhebung Erfolg.
1. Dabei kann dahinstehen, ob die von der Revision beanstandeten Mängel in der Beweiswürdigung gegeben sind. Denn auch auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen erweist sich das Urteil schon deshalb als rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht den Unrechtsgehalt der festgestellten Tat nicht ausgeschöpft hat und somit seiner Kognitionspflicht nicht nachgekommen ist.
a) Nach § 264 StPO muss das Gericht die in der Anklage bezeichnete Tat so, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt, unter allen rechtlichen Gesichtspunkten aburteilen. Es ist verpflichtet, den Unrechtsgehalt der Tat voll auszuschöpfen, sofern keine rechtlichen Hindernisse im Wege stehen (BGH, Beschluss vom 9. November 1972 - 4 StR 457/71, BGHSt 25, 72). Der Tatbegriff des § 264 Abs. 1 StPO entspricht dabei demjenigen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO (BGH, Beschluss vom 30. März 2011 - 4 StR 42/11).
b) Die Feststellungen des Landgerichts legen es nahe, dass sich der Angeklagte nicht nur wegen Nötigung (§ 240 StGB) zum Nachteil der Geschädigten H. , sondern auch wegen einer tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) strafbar gemacht hat.
Nach den Feststellungen bemächtigte sich der Angeklagte der Geschädigten zwar zunächst nicht, um sie zur Duldung des Geschlechtsverkehrs zu nötigen. Jedoch können Würgegriffe am Hals lebensgefährlich sein, wobei allerdings nicht jeder Griff an den Hals ausreicht. Von maßgeblicher Bedeutung sind hierbei vielmehr Dauer und Stärke der Einwirkung, die zwar nicht dazu führen muss, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät. Erforderlich, aber auch genügend ist, dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls geeignet ist, das Leben des Opfers zu gefährden; einer konkreten Gefährdung bedarf es nicht (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 - 4 StR 575/09, NStZ-RR 2010, 176).
Dazu hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen, obgleich der fehlende Strafantrag der Geschädigten nur einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung, nicht auch wegen gefährlicher Körperverletzung entgegengestanden hätte. Schließlich hat der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts mit dem Würgen auch erfolgreich den Zweck verfolgt, von der Geschädigten in Erfahrung zu bringen, wer das Schloss an der Wohnungstür ausgetauscht und weshalb sie seinen Telefonanruf am Nachmittag nicht angenommen hatte, so dass insoweit eine vollendete Nötigung vorliegt, für deren Verfolgung es keines Strafantrags bedarf.
An der Aburteilung dieses Verhaltens unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten war das Landgericht nicht gehindert, auch wenn die Geschädigte offenbar keinen Strafantrag gestellt und die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung verneint hat.
Danach konnte vorliegend mangels Strafantrags zwar keine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung ergehen; dies betrifft aber nicht die (mögliche) Nötigung der Geschädigten und eine eventuell vorliegende gefährliche Körperverletzung durch das Würgen.
Diese von der Anklage umfassten Tathandlungen hatte das Gericht - ggf. unter Erfüllung seiner Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 - 3 StR 222/02, BGHSt 48, 221, 223) - bei seiner Urteilsfindung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend zu prüfen. Dieser Pflicht ist das Landgericht vorliegend jedoch rechtsfehlerhaft nicht nachgekommen. Dies stellt nicht nur eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 264 StPO dar, sondern auch einen sachlich-rechtlichen Mangel, auf dem das Urteil beruht (vgl. BGH, Urteile vom 10. Dezember 1974 - 5 StR 578/74 und vom 16. Dezember 1982 - 4 StR 644/82, NStZ 1983, 174 mwN).
III.
Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils, da sich die Feststellungen zur fehlenden Fortwirkung der Nötigung bei Durchführung des Geschlechtsverkehrs nicht von den Feststellungen zum übrigen Tatgeschehen trennen lassen.
Nack Wahl Graf
Jäger Sander