Entscheidungsdatum: 11.02.2015
Auf die Revision des Angeklagten L. M. wird das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 28. Juli 2014 im Strafausspruch, auch soweit es den Angeklagten B. M. betrifft, aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Nach Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten der Angeklagten hat das Landgericht sie wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von jeweils vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte L. M. mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, der auf den Mitangeklagten zu erstrecken ist.
1. a) Nach den Feststellungen der Strafkammer entwickelten sich im Sommer 2011 Streitigkeiten zwischen den Angeklagten und dem Geschädigten. Als die angeklagten Brüder ihn im September 2011 auf ihrem Nachhauseweg sahen, fassten sie deswegen den Entschluss, ihm aufzulauern und ihm sodann eine Abreibung zu verpassen. In Umsetzung dieses Vorhabens passten sie ihn an einem Straßenübergang ab. Sie stiegen aus ihrem Fahrzeug aus, wobei der Angeklagte B. M. mit Kenntnis seines Bruders einen hölzernen Knüppel mit sich führte, und setzten dem Geschädigten nach. Nachdem sie ihn eingeholt hatten, schubste der Angeklagte L. M. den Geschädigten gezielt in Richtung seines Bruders, des Angeklagten B. M. . Dieser versetzte ihm mindestens zwei mit großer Wucht geführte Schläge auf den Kopf. Beide Angeklagte nahmen dabei den Tod des Geschädigten billigend in Kauf. Aufgrund der Schläge erlitt der Geschädigte zwei Schädelfrakturen, die eine akute Lebensgefahr auslösten, und eine offene Wunde am Kopf. Aufgrund dieser Verletzungen kam er zu Fall. Er stürzte auf sein Gesicht, wodurch er sich eine Kiefer- und Jochbeinfraktur sowie Schürfwunden im Gesicht zuzog. Die Angeklagten, die erkannten, dass die Kopfverletzungen tödlich sein konnten (UA S. 8), flüchteten.
b) Das Landgericht hat sich vor allem im Hinblick auf die bei den Schlägen aufgewandte "ganz erhebliche Krafteinwirkung" vom Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes bei beiden Angeklagten überzeugt. Es ist daher vom versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in den Begehungsvarianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB ausgegangen.
Im Rahmen der Strafzumessung hat es - für beide Angeklagte gleichlautend - zunächst geprüft, ob ein minder schwerer Fall der gefährlichen Körperverletzung vorliegt, einen solchen aber auch wegen der besonderen Rohheit der Tatausführung abgelehnt. Sodann hat es das Vorliegen eines minder schweren Falls des Totschlags nach "§ 213 StGB" geprüft, dies aber ebenfalls abgelehnt. Dabei hat es sowohl auf die Schwere der Verletzungen und die psychischen Folgen für den Geschädigten abgestellt, als auch auf die schon bei der Prüfung der Voraussetzungen des minder schweren Falls der Körperverletzung erörterten Aspekte. Sodann hat es den Strafrahmen gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert. Bei den dann folgenden Zumessungserwägungen innerhalb des so gefundenen Strafrahmens hat es auch den "geänderten Schuldspruch berücksichtigt".
2. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, auch soweit es sich vom Handeln mit bedingtem Tötungsvorsatz überzeugt hat, weist keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe den bedingten Tötungsvorsatz auf den "Bewusstseinszustand bei dem anschließenden Unterlassen" gegründet und rechtsfehlerhaft nicht die Voraussetzungen einer Unterlassensstrafbarkeit geprüft, geht sie fehl. Denn als Tathandlung knüpft das Landgericht an die Schläge mit dem Knüppel, mithin an aktives Tun, an. Auf diesen Zeitpunkt bezieht es auch die Prüfung des Wissens- und Willenselements des bedingten Vorsatzes. Das unmittelbare Nachtatverhalten, das Zurücklassen des auf dem Boden liegenden, ersichtlich erheblich verletzten Geschädigten, hat es lediglich bei der für die Prüfung erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; vom 21. Dezember 2011 - 1 StR 400/11, NStZ-RR 2012, 105 und vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f.) eingestellt.
Einen Rücktritt vom Versuch des Totschlags hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint und das Vorliegen einer tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) ohne Rechtsfehler bejaht.
Auch steht § 373 Abs. 2 Satz 1 StPO der - gegenüber dem Vorverfahren (jeweils Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung) - Verschärfung des Schuldspruchs nicht entgegen. Das in dieser Vorschrift enthaltene Verbot der Schlechterstellung bei Wiederaufnahme zugunsten des Angeklagten entspricht dem Regelungsgehalt der § 331, § 358 Abs. 2 StPO (BGH, Urteil vom 29. November 1972 - 2 StR 498/72, MDR 1973, 191 bei Dallinger; Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., § 373 Rn. 13). Danach richtet sich das Verbot nicht gegen eine ungünstigere Beurteilung der Schuldfrage (RG, Urteil vom 25. Juni 1925 - II 166/25, RGSt 59, 291, 292; BGH, Urteil vom 14. Oktober 1959 - 2 StR 291/59, BGHSt 14, 5, 7 und vom 13. Februar 1985 - 3 StR 525/84, NStZ 1986, 206, 209 bei Pfeiffer/Miebach).
3. Jedoch kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.
a) Das Landgericht hat die gebotene Prüfungsreihenfolge nicht beachtet. Sieht das Gesetz einen minder schweren Fall vor und ist - wie hier gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB - auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl zunächst vorrangig geprüft werden, ob ein minder schwerer Fall vorliegt. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zuerst auf die allgemeinen Milderungsgründe abzustellen. Vermögen sie die Annahme eines minder schweren Falls allein zu tragen, stehen die den gesetzlich vertypten Milderungsgrund verwirklichenden Umstände noch für eine (weitere) Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB zur Verfügung. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind auch die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die Bewertung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (BGH, Beschluss vom 8. August 2012 - 2 StR 279/12, NStZ-RR 2013, 7, 8; Urteil vom 28. Februar 2013 - 4 StR 430/12; Beschlüsse vom 8. Juli 2014 - 2 StR 144/14 und vom 5. August 2014 - 3 StR 138/14).
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Indem das Landgericht für die Verneinung eines minder schweren Falls lediglich allgemeine Strafzumessungsgründe gewürdigt hat, hat es die Prüfung versäumt, ob nicht wegen Vorliegens des vertypten Milderungsgrundes nach § 23 Abs. 2 StGB ein sonstiger minder schwerer Fall des Totschlags nach § 213 Alt. 2 StGB vorliegt, der einen dem Angeklagten günstigeren Strafrahmen eröffnet.
b) Die über die Bezugnahme in die Prüfung auch des minder schweren Falls des Totschlags eingestellte Berücksichtigung der besonderen Rohheit der Tatausführung begegnet hier im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB Bedenken. Das Landgericht erläutert den strafschärfend berücksichtigten Umstand nicht näher. Sollte es hiermit - was nahe liegt - allein den erheblichen Kraftaufwand bei Beibringung der Verletzungen erfasst haben, wäre damit ein den Tötungsvorsatz maßgeblich begründender Faktor und die zur Umsetzung dieses Vorsatzes erforderliche Gewalt nochmals nachteilig berücksichtigt.
c) Der Senat kann weder ausschließen, dass das Landgericht von einem anderen Strafrahmen ausgegangen wäre, noch dass es dann zu niedrigeren Strafen gelangt wäre.
4. Nach § 357 Satz 1 StPO ist die Aufhebung auf den nicht revidierenden Mitangeklagten B. M. zu erstrecken, denn insoweit beruht die Zumessung der Freiheitsstrafe auf demselben sachlich-rechtlichen Mangel.
5. Die Feststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deswegen bestehen bleiben. Die neu entscheidende Strafkammer ist jedoch nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen.
6. Für das neu zuständige Tatgericht weist der Senat auf Folgendes hin:
Gemäß § 52 Abs. 2 StGB ist die Strafe bei Tateinheit der Vorschrift zu entnehmen, die die schwerste Strafe androht. Dies ist aber hier § 212 StGB, selbst bei Annahme eines minder schweren Falls würde nichts anderes gelten. Vorangestellte Erörterungen zur Annahme eines minder schweren Falls der gefährlichen Körperverletzung sind daher nicht veranlasst.
Eine Berücksichtigung des gegenüber dem ersten Urteil geänderten Schuldspruchs erfolgt bereits über die Wahl des schwereren Strafrahmens. Weitere strafzumessungsrelevante Umstände in diesem Zusammenhang wären inhaltlich auszufüllen.
Rothfuß Cirener Radtke
Mosbacher Fischer