Entscheidungsdatum: 20.04.2016
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 17. November 2015 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zu den der Maßregelanordnung zugrunde liegenden rechtswidrigen Taten bleiben jedoch aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO) gemäß § 63 StGB die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat überwiegend Erfolg.
I.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Beschuldigte leidet an einer wahnhaften Störung; daneben betreibt er einen erheblichen Alkohol- und Drogenmissbrauch. Aufgrund seiner psychischen Störung wird der Beschuldigte von der Vorstellung geleitet, dass er in S. einen Milliardär kennengelernt hat und er von diesem beauftragt wurde, mit dessen Tochter ein Kind zu zeugen. Dieser sei Mitglied einer kriminellen Organisation. Zu Hause habe er diesen Milliardär wiedergesehen, der ihn seitdem beschatten lasse. Sein Bruder sei ebenfalls in S. gewesen. Der Beschuldigte ist der festen Überzeugung, dass seine Familienangehörigen, insbesondere sein Bruder H. und sein Cousin M. , Mitglieder dieser kriminellen Organisation um diesen Milliardär seien und ihm Schaden zufügen sollten, weshalb sie ihn seit längerer Zeit verfolgten. Aufgrund dieser Wahnvorstellungen entwickelte sich beim Beschuldigten ein massiver Hass gegen seinen Bruder und seinen Cousin. Hinzu kommt, dass sein Bruder H. zwischenzeitlich zu seinem Betreuer bestellt wurde und er glaubt, dass dieser ihn beseitigen wolle. Um sich gegen die vermeintliche Verfolgung seines Bruders zur Wehr zu setzen, beschloss er schließlich, diesen sowie seinen Cousin M. zu töten.
Da der Beschuldigte beide Männer in einem Hotel mit angeschlossener Jugendherberge in O. , Ortsteil Sp. , vermutete, begab er sich am Nachmittag des 28. Februar 2015 dorthin und versteckte sich zunächst in einer Scheune, in der er nach geeignetem Tötungswerkzeug suchte. Er nahm dort eine Machete mit einer Gesamtlänge von ca. 50 cm und einer Klingenlänge von etwa 25 cm an sich, mit der er gegen 21.30 Uhr die Jugendherberge über die rückwärtige Tür betrat. Von dort gelangte der Beschuldigte in die im zweiten Stock des Gebäudes gelegene Wohnung seines Cousins, wo er neben seinem Bruder und seinem Cousin dessen Lebensgefährtin B. und die Zeugin K. antraf. Auf die ihm gestellte Frage, was er hier wolle, entgegnete der Beschuldigte: „Ihr wisst ganz genau was ihr mir angetan habt; ihr wisst warum wir alle hier sind; ihr wisst ja was jetzt passiert“.
Auf die Antwort, er bilde sich nur etwas ein, holte der Beschuldigte mit der Machete aus und schlug in Tötungsabsicht auf seinen Bruder ein. Er wollte diesen an der Brust treffen, traf aber nur dessen Arm, den dieser zur Abwehr nach oben gerissen hatte. Als daraufhin sein Cousin M. in seine Richtung sprang, verletzte der Beschuldigte diesen mit der Machete am Handrücken. Er ließ nunmehr von seinem Bruder ab und verfolgte M. und B. , die auf den Balkon geflüchtet waren, durch mehrere Zimmer der Wohnung und schließlich ins Freie. Dort versetzte er zunächst B. zwei Schläge mit der Machete gegen den Kopf- und Halsbereich. Nachdem ihn sein Cousin M. mit einem Eisschaber attackieren konnte, schlug der Beschuldigte nunmehr in Tötungsabsicht auf diesen ein und verletzte ihn im Bereich der linken Schulter schwer. Als sich M. und B. wieder in das Hotel flüchten konnten, schlug der Beschuldigte mit der Machete das Fenster zum Büro des Hotels ein, stieg in das Gebäude ein und griff an der Rezeption des Hotels die Zeugen W. und Sc. an. Mit den Worten „mit dir habe ich auch noch eine Rechnung offen“ ging er auf W. los und versetzte ihm mit der Machete zwei wuchtige Schläge gegen den Kopf. Erst nachdem es dem Zeugen Sc. gelungen war, den Beschuldigten mit einem Feuerlöscher anzusprühen und zurückzudrängen, sodass W. die Flucht in das erste Obergeschoss gelang, verließ der Beschuldigte, der nunmehr erkannte, dass er sein ursprüngliches Vorhaben nicht mehr verwirklichen konnte, das Hotel und rauchte im Hinterhof eine Zigarette. Dort ließ er sich von eintreffenden Polizeibeamten widerstandslos festnehmen.
Nach den Feststellungen erkannte der Beschuldigte jederzeit die Gefahr, dass B. sowie M. und W. durch die massiven Hiebe mit der mitgeführten Machete tödliche Schädel-Hirn-Verletzungen erleiden konnten; er fand sich jedoch aus Gleichgültigkeit mit diesen Folgen ab. H. , M. und W. sowie B. erlitten durch die Schläge mit der Machete zum Teil erhebliche Verletzungen, die operativ und teilweise auch stationär behandelt werden mussten.
2. Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Frage der Schuldfähigkeit des Beschuldigten der Beurteilung des psychiatrischen Sachverständigen Or. angeschlossen, wonach der Beschuldigte bei Tatbegehung schuldunfähig gewesen sei. Das Handeln des Beschuldigten sei aufgrund seiner psychischen Störung derart wahnbestimmt gewesen, dass infolge einer krankhaften seelischen Störung seine Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines Tuns sowie seine Steuerungsfähigkeit vollständig aufgehoben gewesen seien. Die psychische Krankheit des Beschuldigten ist nach den Feststellungen des Landgerichts dadurch gekennzeichnet, dass er schon bei kleinen Reizen in erheblichem Maße fremdaggressiv reagiert, insbesondere bei zusätzlicher Intoxikation durch Alkohol oder Drogen. Es bestehe ein komplexes Wahnsystem ohne jegliche affektive Regung oder Empathiefähigkeit; eine Störungs- oder Krankheitseinsicht habe der Beschuldigte nicht. Er lehne es ab, Medikamente zu nehmen. Sein Hass gegen die Familienangehörigen bestehe unverändert weiter. So habe der Beschuldigte bedauert, dass er sein Vorhaben nicht habe vollenden können. Er sehe sich nach wie vor als Opfer einer kriminellen Organisation, in der seine Familienmitglieder eine tragende Rolle spielten. Infolge dieses Zustands sind nach Auffassung des Landgerichts von dem Beschuldigten mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig weitere gleichgelagerte erhebliche Gewaltdelikte zu erwarten. Der Beschuldigte sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich.
3. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Beschuldigte im Zustand der Schuldunfähigkeit rechtswidrig den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen, hiervon in drei Fällen in Tateinheit mit versuchtem Totschlag verwirklicht hat. Hinsichtlich seines Bruders H. hat das Landgericht einen freiwilligen Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB vom Versuch des Totschlags angenommen. Auf dieser Grundlage hat es gemäß § 63 StGB die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
II.
1. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne einer der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. März 2016 – 1 StR 402/15 und vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 mwN). Dies ist hier nicht hinreichend belegt.
a) Bereits gegen die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts bestehen durchgreifende Bedenken, sodass schon aus diesem Grund die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt sind.
aa) Wenn sich der Tatrichter – wie hier – darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Januar 2016 – 2 StR 314/15 und vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 mwN). Dies gilt auch in Fällen von Wahnvorstellungen. Denn die Diagnose einer Wahnsymptomatik führt nicht zwangsläufig zu der Feststellung einer generellen oder über längere Zeiträume andauernden gesicherten relevanten Beeinträchtigung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist daher die Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der jeweiligen Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Januar 2016 – 2 StR 314/15 und vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, jeweils mwN).
bb) Dem wird das angefochtene Urteil nicht hinreichend gerecht.
Das Landgericht geht davon aus, dass die Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei der Tatbegehung wegen einer krankhaften seelischen Störung aufgehoben war. Bei seiner Würdigung folgt es dabei dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Or. . Es legt jedoch nicht ausreichend dar, wie sich der psychische Zustand des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation auf die Handlungsmöglichkeiten und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten ausgewirkt hat. Zwar beschreibt das Landgericht die Wahnvorstellungen, von denen der Beschuldigte bei der Tatbegehung geleitet wurde. Danach habe beim Beschuldigten zur Tatzeit eine komplexe wahnhafte Symptomatik vorgelegen, die ihn glauben ließ, sein Bruder und sein Cousin seien Mitglieder einer kriminellen Organisation, die ihn aus dem Weg schaffen wollten. Dies habe zu einem massiven Verfolgungswahn und einem Hass gegen seine Familienmitglieder geführt, sodass der Beschuldigte schließlich den Entschluss gefasst habe, diese zu töten. Auch folgt das Landgericht dem Sachverständigen in der Würdigung, die Persönlichkeit des Beschuldigten und dessen Handeln sei durch diese Wahnvorstellungen derart dominiert worden, dass wegen dieser krankhaften seelischen Störung die Fähigkeit des Beschuldigten, das Unrecht seines Tuns einzusehen, und in der Folge auch seine Steuerungsfähigkeit sicher aufgehoben gewesen seien.
Damit bleibt letztlich aber offen, wie sich die vom Sachverständigen als dominierend eingestuften Wahnvorstellungen auf die Schuldfähigkeit des Beschuldigten ausgewirkt haben. Der Schuldausschluss kann grundsätzlich nicht zugleich auf fehlende Einsicht und fehlende Steuerungsfähigkeit gestützt werden. Die Frage der Steuerungsfähigkeit ist erst dann zu prüfen, wenn der Täter das Unrecht der Tat eingesehen hat oder einsehen konnte. Störungen, bei denen sowohl die Einsichtsfähigkeit als auch die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sind, stellen die Ausnahme dar (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2008 – 3 StR 304/12 mwN). Ob und ggf. aus welchen Gründen bei dem Krankheitsbild des Beschuldigten ein solcher Ausnahmefall gegeben sein könnte, lässt das Landgericht unerörtert. Die äußerst knappen Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit lassen deshalb besorgen, dass das Landgericht die Auswirkungen der vom Sachverständigen diagnostizierten Wahnsymptomatik auf die Schuldfähigkeit des Beschuldigten insgesamt nicht zutreffend erfasst hat. Der Senat kann daher letztlich nicht ausschließen, dass der Beschuldigte trotz der vorhandenen Wahnvorstellungen beim Tatgeschehen weder im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) noch im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) gehandelt hat.
b) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB kann auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht bei der Prüfung, ob von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes erhebliche weitere Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist, den ebenfalls angenommenen Hang des Beschuldigten, Haschisch im Übermaß zu konsumieren, nicht in den Blick genommen hat. Dessen hätte es jedoch bedurft, zumal das Landgericht es für möglich hält, dass der Konsum von Haschisch eine Steigerung der wahnhaften Symptomatik bewirkte (UA S. 10).
2. Die Sache muss deshalb insgesamt neu verhandelt werden. Einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den der Maßregelanordnung zugrunde liegenden rechtswidrigen Taten bedarf es jedoch nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 2003 – 2 StR 215/03). Das neue Tatgericht darf insoweit ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht im Widerspruch stehen.
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RiBGH Prof. Dr. Graf befindet |
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