Entscheidungsdatum: 27.07.2017
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 29. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Der Angeklagte wurde wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung sowie zweier tatmehrheitlicher Fälle der Beihilfe zur versuchten Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, wovon zwei Monate bereits als vollstreckt gelten. Die Gesamtfreiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Seine Revision hat mit der Beanstandung Erfolg, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 338 Nr. 1 StPO). Auf die weitere Verfahrens- und Sachrüge kommt es daher nicht an.
Die Rüge des Angeklagten ist zulässig und auch begründet.
1. Der Besetzungsrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Die 5. Strafkammer des Landgerichts München I hatte mit der Eröffnung des Verfahrens gegen den Angeklagten und zwei weitere Mitangeklagte am 3. Dezember 2013 beschlossen, dass sie mit drei Richtern, einschließlich Vorsitzendem, besetzt ist. Während der bereits laufenden Hauptverhandlung im Kalenderjahr 2014 wurde das Verfahren gegen den Angeklagten wegen einer Erkrankung am 15. April 2014 abgetrennt und ausgesetzt. Die beiden Mitangeklagten wurden am 15. April 2014 verurteilt. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2015 bestätigte der Bundesgerichtshof den Schuldspruch gegen die Mitangeklagten, wies die Sache jedoch im Hinblick auf den Strafausspruch zu neuer Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.
Daraufhin verfügte die zu diesem Zeitpunkt neue Vorsitzende der 5. Strafkammer des Landgerichts München I am 21. April 2016, dass das Verfahren gegen den Angeklagten nunmehr in Zweierbesetzung, nämlich durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht W. sowie Richter am Landgericht S. als Beisitzer, durchgeführt werde. Dies wurde dem Angeklagten schriftlich mitgeteilt.
Mit Schreiben vom 10. Juni 2016 wurde der Angeklagte zudem auf Verfügung der Vorsitzenden darüber benachrichtigt, dass in der am 17. Juni 2016 beginnenden Hauptverhandlung eine Ergänzungsrichterin mitwirken würde. Als Ergänzungsrichterin wurde Richterin am Landgericht H. bestimmt.
Am ersten Hauptverhandlungstag, dem 17. Juni 2016, teilte die Vorsitzende Richterin mit, Richter am Landgericht S. sei erkrankt und werde durch die Richterin am Landgericht H. als Beisitzerin ersetzt.
Danach verlas der Verteidiger des Angeklagten einen Besetzungseinwand und gab diesen als Anlage zu Protokoll. Mit seinem Besetzungseinwand rügte er, die Strafkammer hätte mit drei Richtern einschließlich Vorsitzendem und zwei Schöffen besetzt sein müssen. Die Kammer habe mit Eröffnung des Verfahrens vom 3. Dezember 2013 eine Dreierbesetzung beschlossen. Mit Verfügung der Vorsitzenden vom 21. April 2016 sei die Besetzung der Kammer auf zwei Berufsrichter einschließlich Vorsitzender reduziert und später eine Ergänzungsrichterin bestimmt worden. Die Besetzung der Kammer erweise sich als vorschriftswidrig, da die Kammer mit dem Eröffnungsbeschluss bestimmt hatte, dass sie mit drei Berufsrichtern einschließlich Vorsitzendem besetzt sei.
Die Hauptverhandlung wurde nach kurzer Unterbrechung fortgesetzt. Die Vorsitzende verkündete den nach geheimer Beratung des Gerichts gefassten Beschluss, mit dem der Besetzungseinwand, mit der Begründung, nach Aussetzung des Verfahrens könne die Besetzungsentscheidung geändert werden, zurückgewiesen wurde. Der Umfang der Sache erfordere nicht (mehr) die Mitwirkung eines dritten Richters. Es seien nur fünf Verhandlungstage angesetzt. Die Hauptverhandlung richte sich nunmehr gegen einen Angeklagten.
Die Hauptverhandlung wurde mit den zwei Berufsrichtern, der Vorsitzenden Richterin am Landgericht W. und der Richterin am Landgericht H. , durchgeführt.
2. Vor diesem Hintergrund rügt der Angeklagte zu Recht, dass das Landgericht in der Hauptverhandlung nur mit zwei Berufsrichtern besetzt war, obwohl eine Besetzung mit drei Berufsrichtern beschlossen worden war.
a) Die Rüge ist zulässig.
aa) Sie lässt eindeutig erkennen, dass der Angeklagte die von der beschlossenen Besetzungsentscheidung abweichende Besetzung in der Hauptverhandlung, also eine Besetzung mit zwei anstatt der beschlossenen Besetzung mit drei Berufsrichtern beanstandet.
Mit dieser Angriffsrichtung hat der Angeklagte den Einwand der fehlerhaften Besetzung rechtzeitig in der Hauptverhandlung, nämlich bis zu dem in § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO genannten Zeitpunkt geltend gemacht. Der Einwand enthielt auch alle Tatsachen, aus denen sich die Vorschriftswidrigkeit der Besetzung ergeben soll (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 7. September 2016 – 1 StR 422/15, BGHR StPO § 222b Abs. 1 Satz 2 Präklusion 4 Rn. 29 ff.). So war eine Darstellung aller für die Besetzung relevanten Verfahrensvorgänge enthalten; insbesondere ist vorgetragen worden, dass mit der Eröffnung des Hauptverfahrens eine Besetzung mit drei Berufsrichtern beschlossen und die Hauptverhandlung im April 2014 sodann ausgesetzt worden war. Dass der Revisionsführer sich dabei nicht, wie vom Generalbundesanwalt vermisst, mit der Möglichkeit der Änderung der Besetzungsentscheidung auseinandersetzt, ist jedenfalls hier unschädlich. Denn dem Gesamtzusammenhang des Vorbringens, das alle die Besetzung betreffenden gerichtlichen Handlungen berichtet, lässt sich hinreichend deutlich entnehmen, dass bis zur Mitteilung der Besetzung durch die Vorsitzende im Juni 2016 keine andere relevante gerichtliche Befassung mit Besetzungsfragen stattgefunden hat. Dies genügt; einer rechtlichen Auseinandersetzung damit, ob die Voraussetzungen über eine Änderung der Besetzung gemäß § 76 Abs. 5 GVG vorgelegen hätten, bedarf es deswegen hier nicht.
Da die Angriffsrichtung des Besetzungseinwands – wie auch der Revisionsrüge – die der erfolgten Beschlussfassung widersprechende Besetzung mit zwei Berufsrichtern erfasste, bedurfte es auch nicht der konkreten Benennung des weiteren zur Mitwirkung berufenen Richters. Denn der Einwand war nicht auf die Vorschriftswidrigkeit des Nichtmitwirkens eines an sich zur Entscheidung berufenen statt eines anderen Richters gerichtet; beanstandet wurde allein, dass das Gericht mit einem Richter zu wenig besetzt war. Insoweit unterscheidet sich der vorliegend erhobene Besetzungseinwand von der dem Urteil des Senats vom 7. September 2016 (1 StR 422/15, BGHR StPO § 222b Abs. 1 Satz 2 Präklusion 4) zugrunde liegenden Konstellation.
b) Die Rüge ist auch begründet.
aa) Die Strafkammer hätte in der Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen verhandeln müssen. Denn es lag keine wirksame Reduzierung der Besetzung gemäß § 76 Abs. 2 Satz 4 bzw. Abs. 5 GVG vor. Die Verhandlung mit zwei Berufsrichtern nebst Schöffen verstieß gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 GVG, § 338 Nr. 1 StPO und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
bb) Das Gesetz sieht Beschlüsse über die Reduzierung der Besetzung der Strafkammer im Allgemeinen nur außerhalb der Hauptverhandlung vor. Die Entscheidung über die Besetzung ist grundsätzlich bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG) und in derselben Besetzung (BGH, Urteil vom 20. Mai 2015 – 2 StR 45/14, BGHSt 60, 248 Rn. 12). Dies ist vorliegend zunächst durch den Beschluss der Strafkammer vom 3. Dezember 2013 geschehen.
Nach den Voraussetzungen des § 76 Abs. 5 GVG kann die jeweils zuständige Strafkammer erneut nach Maßgabe von § 76 Abs. 2 und 3 GVG über ihre Besetzung entscheiden. Auch dann erfolgt die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung.
cc) Ein wirksamer Beschluss über die Besetzungsreduzierung liegt indes nicht vor. Der Beschluss der Strafkammer am ersten Hauptverhandlungstag über den Besetzungseinwand, stellt keinen solchen (wirksamen) Beschluss dar. Denn selbst wenn aufgrund eines Besetzungseinwands in der Hauptverhandlung über die Besetzung der Strafkammer zu entscheiden ist, bleibt hierfür die Strafkammer in ihrer Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung zuständig (§ 222b Abs. 2 Satz 1 StPO; BGH, Urteil vom 20. Mai 2015 – 2 StR 45/14, BGHSt 60, 248 Rn. 13).
Die Besetzungsentscheidung durch zwei Berufsrichter und zwei Schöffen ist daher fehlerhaft getroffen worden und unwirksam. Dies führt dazu, dass der Besetzungsbeschluss der Kammer vom 3. Dezember 2013 weiterhin maßgeblich war und die Kammer in Dreierbesetzung hätte verhandeln müssen.
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