Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 10.01.2013


BGH 10.01.2013 - 1 StR 560/12

Polizeiliche Beschuldigtenvernehmung: Aussageverwertung nach Rechtsbelehrung und Wunsch der Anwesenheit eines Strafverteidigers


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
10.01.2013
Aktenzeichen:
1 StR 560/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Tübingen, 17. April 2012, Az: 5 Ks 21 Js 10073/11
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 17. April 2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat:

1. Die Rüge eines Verstoßes gegen ein Beweisverwertungsverbot für die Angaben eines als Zeugen vernommenen Polizeibeamten bleibt erfolglos.

Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Nach ihrer Festnahme am Morgen war die Angeklagte durch einen Polizeibeamten gemäß § 163a Abs. 4, § 136 Abs. 1 StPO belehrt worden und hatte darum gebeten, mit einer von ihr namentlich genannten Verteidigerin sprechen zu können; dieselbe Verteidigerin benannte nach Belehrung auch der mitbeschuldigte Ehemann der Angeklagten. Nachdem vergeblich versucht worden war, die Verteidigerin telefonisch zu erreichen, hatten die Angeklagte und ihr Ehemann unabhängig voneinander von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Nachdem die Verteidigerin sich auch bis zum Mittag desselben Tages nicht zurückgemeldet hatte, unternahm der Polizeibeamte J.  einen weiteren Vernehmungsversuch, bei dem er die Angeklagte erneut gemäß § 163a StPO belehrte. Die Angeklagte ließ sich nunmehr zur Sache ein. In der Hauptverhandlung sagte der Zeuge J.  zum Inhalt der Einlassung aus.

Insoweit reklamiert die Revision ein Verwertungsverbot, weil der Zeuge die Angeklagte in der (zweiten) Belehrung weder ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass die Verteidigerin noch nicht erreicht worden sei, noch dass sie nicht dieselbe Verteidigerin wie ihr Ehemann wählen könne; der Zeuge habe es deshalb versäumt, der Angeklagten die Gelegenheit zur Wahl eines anderen Verteidigers zu geben.

Die Rüge ist unbegründet. Ein Verwertungsverbot besteht nicht.

Das Vorbringen lässt nicht erkennen, dass die Angeklagte durch den unterbliebenen Hinweis auf den bis dahin fehlgeschlagenen Kontaktversuch zu der Verteidigerin in ihrem Recht auf Verteidigerkonsultation beeinträchtigt worden ist. Die Angeklagte war über dieses Recht am Beginn beider Vernehmungen belehrt worden; ihren zunächst geäußerten Wunsch auf Verteidigerkonsultation vor der Vernehmung hatten die Beamten respektiert (vgl. demgegenüber BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374). Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte nach der zu Beginn der zweiten Vernehmung erfolgten erneuten Belehrung keine frei verantwortliche Entscheidung über die Ausübung ihres Schweigerechts hätte treffen können (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21. Mai 1996 - 1 StR 154/96, BGHSt 42, 170), sind nicht ersichtlich. Unbeschadet der Frage, ob nach den Umständen des Einzelfalls eine darüber hinausgehende Hilfestellung bei der Verteidigersuche überhaupt noch erforderlich gewesen wäre (zu einem solchen Fall vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1996 - 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 19; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 - 5 StR 588/01, BGHSt 47, 233, 234), hatten sich die Beamten jedenfalls aktiv und ernstlich um die Kontaktaufnahme zu der von der Angeklagten gewählten Verteidigerin bemüht.

Auch ein besonderer Hinweis an die Angeklagte, dass sie und ihr Ehemann um Kontaktaufnahme mit derselben Verteidigerin gebeten hatten, war nicht erforderlich. Eine Mehrfachverteidigung lag bereits objektiv nicht vor, weil die Verteidigerin im Zeitpunkt der zweiten polizeilichen Vernehmung der Angeklagten noch kein konkurrierendes Mandat übernommen hatte. Das Verbot ist zudem - worauf bereits der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat - an ein förmliches gerichtliches Zurückweisungsverfahren (§ 146a Abs. 1 StPO) geknüpft. Die Annahme eines Verwertungsverbotes lag dabei schon wegen der weiteren Wirksamkeit der bis zur Zurückweisung vorgenommenen Handlungen des Verteidigers (§ 146a Abs. 2 StPO) fern.

2. Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge, ein Antrag auf (erneute) Vernehmung des Zeugen J.   sei unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 StPO abgelehnt worden, ist jedenfalls unbegründet. Das Vorbringen versagt schon deshalb, weil der Nachweis der behaupteten Tatsachen - die nicht den Schuld- und Strafausspruch, sondern Verfahrensabläufe betrafen - im Freibeweisverfahren hätte geführt werden können. Die dortige Beweiserhebung unterliegt nicht den Anforderungen des § 244 Abs. 3 StPO; ob das Gericht entsprechenden Anträgen nachkommen muss, beurteilt sich allein nach Maßgabe der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO, vgl. Bachler in Graf (Hrsg.), StPO-OK, § 244 Rn. 8). Was das Landgericht zu weiteren Beweiserhebungen hätte drängen sollen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

3. Die Grausamkeit der (versuchten) Tötung steht, jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art, außer Frage und bedarf keiner näheren Erörterung.

Nack                         Wahl                           Rothfuß

              Sander                         Radtke