Entscheidungsdatum: 20.03.2012
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 3. Mai 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tatmehrheit mit acht Fällen der (gemeinschaftlichen) Nötigung schuldig gesprochen, den Angeklagten K. darüber hinaus in allen neun Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung. Gegen den Angeklagten F. hat es wegen dieser neun Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, gegen den Angeklagten K. eine solche von drei Jahren verhängt. Mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Urteils. Die vom Generalbundesanwalt weitgehend vertretenen Revisionen haben bereits mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.
I.
1. Zum Tatgeschehen hat das Landgericht Folgendes festgestellt:
In der Zeit vom 28. September bis 7. Oktober 2010 waren die Angeklagten und der Geschädigte als Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt Landshut in nebeneinander liegenden Zellen untergebracht.
In diesem Zeitraum schlug der Angeklagte K. dem Geschädigten an neun verschiedenen Tagen während der mittäglichen „Aufschlusszeit“ entweder in der Zelle des Angeklagten F. oder der Zelle des Geschädigten W. jeweils mehrmals mit der flachen Hand kräftig auf Nacken bzw. Hinterkopf und fügte ihm dadurch bewusst und gewollt Schmerzen zu. Die Schläge gingen jeweils allein vom Angeklagten K. aus, der damit zugleich seiner Forderung Nachdruck verlieh, dass der Geschädigte sich an dem Geschlechtsteil des Angeklagten F. „zu schaffen machen“ sollte. Der hierdurch eingeschüchterte Geschädigte kam jeweils gegen seinen Willen dieser Forderung nach und fasste den Angeklagten F. im Genitalbereich an.
In acht der Fälle berührte der Geschädigte dabei den Genitalbereich des Angeklagten F. über dessen Hose. Lediglich in einem Fall hatte der Angeklagte F. zuvor seine Hose heruntergelassen und stand mit entblößtem Geschlechtsteil vor dem Geschädigten, sodass dieser mit zwei Fingern das nackte, nicht erigierte Glied des Angeklagten F. anfassen musste. In keinem der Fälle konnte das Landgericht die Dauer und Intensität der Berührung aufklären. Es ging deshalb zugunsten der Angeklagten jeweils von einer sehr kurz andauernden und ohne große Intensität vorgenommenen Berührung aus.
Der Angeklagte F. hatte die von dem Angeklagten K. ausgeführten Schläge zwar jeweils nicht veranlasst, war aber „ohne weiteres“ damit einverstanden, dass ihm der Geschädigte, wie von K. verlangt, an das Geschlechtsteil fasste. Er stellte sich bei jedem dieser Fälle freiwillig zur Verfügung, weil er Spaß daran hatte und weil ihm diese Berührungen - auch wegen seiner homoerotischen Veranlagung - nicht unangenehm waren.
2. Der Angeklagte K. hat die Tatvorwürfe bestritten, der Angeklagte F. wie festgestellt gestanden. Zwar hatte der Geschädigte die Angeklagten „in einem größeren Umfang“ belastet (UA S. 27). Im Hinblick auf den „ambivalenten Eindruck“ (UA S. 36) des Geschädigten in der Hauptverhandlung sowie eine auch zum Kerngeschehen „nicht völlig“ konstante Aussage (UA S. 29), bei der der Geschädigte auch unterschiedliche Angaben dazu machte, wie oft er die Berührungen am nackten bzw. bekleideten Geschlechtsteil ausführen musste, hat das Landgericht die Tatvorwürfe lediglich in dem Umfang als erwiesen erachtet, in dem sie auch vom Geständnis des Angeklagten F. getragen wurden. Im Übrigen hat es die Angeklagten nach dem Zweifelssatz aus tatsächlichen Gründen nicht verurteilt.
3. Das Landgericht hat die Schläge des Angeklagten K. dem Angeklagten F. nicht zugerechnet, weil er sich an diesen Schlägen nicht beteiligt habe. Es hat daher den Angeklagten F. nicht wegen Körperverletzung verurteilt. Demgegenüber hat das Landgericht dem Angeklagten F. die „willensbeugende Gewalt“ der Schläge zugerechnet, weil er sich an der Nötigungshandlung dadurch beteiligt habe, dass er sein Geschlechtsteil zu den Berührungen dargeboten habe. Sein Tatbeitrag sei auch erheblich gewesen, denn die von dem Geschädigten verlangte Handlung habe jeweils nur ausgeführt werden können, weil sich der Angeklagte F. hierfür zur Verfügung stellte (UA S. 46).
Von einer sexuellen Handlung ist das Landgericht nur in dem Fall ausgegangen, in dem der Geschädigte an das nackte Geschlechtsteil des Angeklagten F. fassen musste. Bei den übrigen Fällen hat das Landgericht angesichts der „relativ kurzfristigen Berührungen“ am Geschlechtsteil über der Kleidung die für die Annahme einer sexuellen Handlung gemäß § 184g Nr. 1 StGB erforderliche Erheblichkeit verneint.
II.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben mit der Sachrüge Erfolg.
Die Wertung des Landgerichts, die Angeklagten hätten bei den Taten der Körperverletzung nicht gemeinschaftlich gehandelt und seien deshalb nicht wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) strafbar, beruht auf lückenhaften Feststellungen und kann daher keinen Bestand haben. Es fehlt an ausreichenden Feststellungen zur Frage, ob ein gemeinsamer Tatentschluss der Angeklagten vorlag oder ob der Angeklagte F. bei Verabreichung der Schläge durch den Angeklagten K. zumindest Gehilfenvorsatz hatte.
1. Allerdings ist das Landgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass allein die Anwesenheit einer zweiten Person, die sich passiv verhält, für die Annahme einer gemeinschaftlichen Begehung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht ausreicht. Denn gemeinschaftliches Handeln bedeutet ein einverständliches Zusammenwirken, bei dem sich die abstrakte Gefährlichkeit des Tuns dadurch erhöht, dass zwei Angreifer mehr bewerkstelligen können als nur einer (vgl. Hardtung in MüKo-StGB, 1. Aufl., § 224 Rn. 25 f. mwN). Andererseits kann auch derjenige diesen Qualifikationstatbestand verwirklichen, der weder eigenhändig Verletzungshandlungen vornimmt, noch überhaupt Mittäter ist. Ausreichend ist bereits das gemeinsame Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei der Begehung einer Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2002 - 5 StR 210/02, BGHSt 47, 384, 386; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 224 Rn. 11 mwN). Ein solches liegt schon dann vor, wenn die zweite Person - auch vom Opfer wahrgenommen - unterstützungsbereit am Tatort anwesend ist (vgl. Hardtung aaO Rn. 26).
2. Diesen Grundsätzen wird das landgerichtliche Urteil nicht gerecht. Denn das Landgericht stellt ausschließlich darauf ab, dass der Angeklagte K. die Schläge allein auf seine „eigene Veranlassung“ hin ausgeführt hat (UA S. 22) und der Angeklagte F. sich weder an diesen Schlägen beteiligt noch diese unterstützt hat (UA S. 46). Feststellungen dazu, ob der Angeklagte F. dabei rein passiv blieb oder Unterstützungsbereitschaft erkennen ließ, fehlen dagegen.
Solcher Feststellungen hätte es aber bedurft, denn die am Geschädigten W. jeweils verübte Körperverletzung war keine vom weiteren Tatgeschehen losgelöste, eigenständige Tat, sondern das von beiden Angeklagten gewollte Nötigungsmittel für eine erzwungene sexualbezogene Handlung W. s an F. . Insoweit hat das Landgericht den Angeklagten in allen neun Fällen auch wegen „gemeinschaftlicher Nötigung“, also wegen Tatbegehung in Mittäterschaft, verurteilt.
Nach den Feststellungen berührte W. jeweils nur deswegen das Geschlechtsteil F. s, weil K. seiner Forderung, dies zu tun, mit kräftigen Schlägen auf Nacken bzw. Hinterkopf W. s Nachdruck verliehen hatte. Dies war auch F. bewusst, der den Nötigungserfolg der Berührung seines Geschlechtsteils selbst wollte, „weil er Spaß daran hatte und ihm die Berührungen nicht unangenehm waren“. F. förderte aktiv die Tat, indem er sich als „Objekt“ der erzwungenen Handlung zur Verfügung stellte.
Angesichts seines Interesses an den durch die Schläge abgenötigten sexualbezogenen Handlungen lag nahe, dass F. auch hinsichtlich der Schläge als Nötigungsmittel unterstützungsbereit war. Feststellungen hierzu waren daher unerlässlich. Dies gilt umso mehr, als es sich nicht um eine einzelne Tat handelte, sondern um ein sich innerhalb von zehn Tagen neunmal in gleicher Weise wiederholendes Tatgeschehen, bei dem es deshalb - jedenfalls bei den weiteren Taten - fernliegt, dass der Angeklagten F. vom Einschlagen des Angeklagten K. auf den Geschädigten W. überrascht wurde und nicht als „zweiter Angreifer“ wahrgenommen werden wollte.
Nach alledem ist die Annahme, die Verletzungshandlungen seien dem Angeklagten F. nicht im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, wohl aber als gemeinschaftlich begangene Nötigungshandlungen zuzurechnen, auch in sich widersprüchlich.
Der Senat hebt nicht nur den Schuld- und Strafausspruch, sondern zugleich alle Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht zu ermöglichen, insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zum gesamten Tatgeschehen zu treffen.
III.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Sollte auf der Grundlage der neu zu treffenden Feststellungen zum Tatgeschehen das vom Geschädigten W. abgenötigte Verhalten als sexuelle Handlung im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB einzustufen sein, kann auch eine Verurteilung der Angeklagten wegen sexueller Nötigung (§ 177 Abs. 1 StGB) oder wegen Nötigung in einem besonders schweren Fall gemäß § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB (Nötigung zu einer sexuellen Handlung) in Betracht kommen.
Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn das neue Tatgericht wiederum zu denselben Feststellungen zu Art und Intensität des abgenötigten Verhaltens gelangt. Denn solche Feststellungen legen - entgegen der Auffassung des Landgerichts - das Vorliegen sexueller Handlungen im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB nahe.
Das Landgericht hatte angenommen, dass kurze oder flüchtige Berührungen an einem Geschlechtsorgan für das Erreichen der Erheblichkeitsschwelle einer sexuellen Handlung grundsätzlich nicht ausreichend sind, wenn diese Berührungen über der Kleidung erfolgen (UA S. 47). Dies trifft hier indes nicht zu.
Zwar sind nach § 184g Nr. 1 StGB sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind. Auch kurze Berührungen über der Kleidung können aber diese Erheblichkeitsschwelle überschreiten.
Die Beurteilung einer Handlung als erheblich im Sinne des § 184g Nr. 1 StGB hängt in erster Linie von Art, Intensität und Dauer ihres sexualbezogenen Teils ab. Von wesentlicher Bedeutung sind aber auch der Handlungsrahmen, in dem der unmittelbar sexualbezogene Akt begangen wird, und die Beziehung der Beteiligten untereinander. Denn auch sie können dem sexuellen Zugriff im engeren Sinne mehr oder weniger Gewicht verschaffen. Ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten wurde, bestimmt sich somit nach dem Grad der Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; lediglich unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus (BGH, Urteil vom 3. April 1991 - 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4 mwN; BGH, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, NStZ 1992, 432; BGH, Beschluss vom 8. September 1999 - 3 StR 357/99, StV 2000, 197).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist zwar bei Berührungen des Täters am Opfer die Erheblichkeitsschwelle des § 184g Nr. 1 StGB nicht ohne weiteres erreicht, wenn es sich um kurze Griffe über der Kleidung an Brust oder Gesäß handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553). Auch ist eine sexuell getönte Handlung gegenüber einem Kind eher erheblich als gegenüber einem Erwachsenen (BGH, Urteil vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07, NStZ 2007, 700). In allen Fällen - auch solchen, in denen nicht eine am Opfer vorgenommene Handlung, sondern eine vom Opfer am Täter oder einem Dritten vorgenommene Handlung inmitten steht - kann aber nicht allein auf die Dauer und Stärke der sexualbezogenen Handlung abgestellt werden. Vielmehr bedarf es einer Gesamtbewertung der Umstände unter Berücksichtigung des Handlungsrahmens und der sonstigen Begleitumstände, in dem der unmittelbar sexualbezogene Akt begangen wird (vgl. dazu BGH, Urteil vom 3. April 1991 - 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 StGB Erheblichkeit 4 mwN).
Dieser Handlungsrahmen ist hier nicht zuletzt durch eine über die vorangehende Gewaltanwendung und das dadurch geschaffene „Nötigungsszenario“ sogar hinausgehende Ausweglosigkeit für das Opfer geprägt. Jedenfalls bei einer derart erzwungenen Vornahme einer sexualbezogenen Handlung an einem anderen entfällt die Erheblichkeit der Handlung im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB nicht schon deswegen, weil die Berührung nicht kräftig und nachhaltig war (vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. Januar 2001 - 4 StR 569/00, BGH NStZ 2001, 370; Laufhütte/Roggenbuck in LK-StGB, 12. Aufl., § 184g Rn. 10 und Fn. 15 mwN).
2. Der neue Tatrichter wird wiederum Gelegenheit haben, beim Angeklagten F. wegen eines Täter-Opfer-Ausgleiches mit dem Geschädigten W. eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a Nr. 1 StGB zu prüfen.
IV.
Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten, die eine Aufhebung des Urteils zu deren Gunsten bedingen würden (§ 301 StPO), liegen nicht vor.
Nack Wahl Graf
Jäger Sander