Entscheidungsdatum: 22.01.2019
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 27. März 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat die Angeklagte von dem Vorwurf des Totschlags freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entwickelte die Angeklagte nach dem Selbstmord ihres Lebensgefährten eine ausgeprägte depressive Symptomatik mit Suizidgedanken. Sie war jedoch ratlos, was mit ihrer am 8. März 2007 geborenen Tochter N. im Falle eines eigenen Suizids geschehen solle. Die Angeklagte war krankheitsbedingt der Überzeugung, dass ihre Tochter an ihrem Selbstmord zerbrechen würde und wollte sie nicht alleine zurücklassen. Schließlich entschloss sie sich, sich selbst zu töten und ihre Tochter mit in den Tod zu nehmen. Am Abend des 12. September 2016 bereitete die Angeklagte für N. einen Tee und fügte ein Schlafmittel hinzu. Sie wollte dadurch erreichen, dass N. nach dessen Konsum einschlafen und auch nicht aufwachen würde, wenn sie sie später mit einem Kissen ersticken würde. Aufgrund des bitteren Geschmacks trank ihre Tochter jedoch nur wenig davon und schlief gegen 23.00 Uhr ein. Eine Stunde später drückte die Angeklagte ihrer Tochter ein Kissen auf das Gesicht, um diese zu töten. N. wachte jedoch auf und wehrte sich. Die Angeklagte drückte das Kissen weiter auf den Kopf ihrer Tochter, bis diese starb. Dann nahm sie mindestens 70 Tabletten mit den Wirkstoffen Bromazepam, Diphenhydramin und Opipramol ein, um nun auch sich zu töten.
Am 14. September 2016 verständigte ihr Arbeitgeber die Polizei. Diese öffnete die Wohnungstür gewaltsam und stellte den Tod von N. fest. Die Angeklagte wurde in ein Krankenhaus verbracht.
2. Die Strafkammer hat sich den Ausführungen des Sachverständigen S. angeschlossen, der die Angeklagte am 15. September 2016 medizinisch-psychiatrisch im Hinblick auf ihre Haftfähigkeit untersucht und am 20. Oktober 2016 exploriert hatte, und eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten bei der Tat angenommen.
Der Sachverständige S. habe bei der Untersuchung der Angeklagten am 15. September 2016 die Symptome einer schweren depressiven Episode mit einer gedanklichen Einengung auf den verstorbenen Partner festgestellt. Aufgrund dessen sei ihre Steuerungsfähigkeit vollständig aufgehoben gewesen, weil ihr Wunsch, wieder mit dem Partner vereint zu sein, alles andere überlagert und gleichzeitig eine subjektiv erlebte, ausweglose Ratlosigkeit bestanden habe, was mit N. geschehen solle. Die Angeklagte sei der festen Überzeugung gewesen, dass N. an dem Suizid ihrer Mutter zerbrechen würde. Aus psychiatrischer Sicht habe bei der Angeklagten zum Tatzeitpunkt krankheitsbedingt eine derart tiefgreifende Beeinträchtigung der inneren Freiheitsgrade und Handlungsspielräume bestanden, dass sie rationale Steuerungsmechanismen gegenüber Impulsen nicht mehr ermöglicht hätten. Zum Tatzeitpunkt habe sie keine Handlungsalternativen mehr gehabt. Ihr planvolles Handeln stehe dem nicht entgegen.
Soweit der Sachverständige G. nur eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit angenommen habe, weil aufgrund der gedanklich ausgearbeiteten Vorplanung bei der Angeklagten die Fähigkeit zur Bezugnahme auf ihr Umfeld und zur sinnvollen Kommunikation mit vorhandenen Ansprechpersonen nicht - wie bei schwersten depressiven Erkrankungen - völlig oder weitestgehend eingeschränkt gewesen sei, ein Planungshorizont über die eigene Situation und Befindlichkeit hinaus bestanden und die Einbeziehung ihres Kindes in die Planung ihres eigenen Suizids durchaus abwägend stattgefunden habe, könne dies die Überzeugung der Kammer nicht erschüttern, weil Suizid und Mitnahmesuizid stets bereits eine gewisse Planung voraussetzten. Auf Nachfrage habe sich der Sachverständige G. jedenfalls nicht nachvollziehbar zu den Ausführungen des Sachverständigen S. geäußert.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet, weil das Urteil einen durchgreifenden Darstellungsmangel aufweist.
Bei der Bewertung voneinander abweichender Gutachten ist es erforderlich, dass der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen der Sachverständigen im Urteil wiedergibt, also die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen eines Gutachtens anknüpfen, und die Schlussfolgerungen selbst wenigstens soweit im Urteil mitteilt, als dies zum Verständnis der Gutachten und zur Beurteilung ihrer gedanklichen Schlüssigkeit für das Revisionsgericht erforderlich ist (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 5 StR 372/05, NStZ 2006, 296 mwN).
Die Strafkammer ist von einer Schuldunfähigkeit der Angeklagten infolge einer krankhaften seelischen Störung in Form einer schweren depressiven Episode ausgegangen, hat aber die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen der beiden Sachverständigen anknüpfen, nicht ausreichend im Urteil wiedergegeben. Dies wäre jedoch insbesondere angesichts einer für die Annahme einer vollständigen Aufhebung der Steuerungsfähigkeit nicht typischen Symptomatik erforderlich gewesen, weil die Gutachten, jedenfalls soweit sie das Ausmaß der möglichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten betreffen, in Widerspruch zueinander stehen. Dem Revisionsgericht ist es dadurch nicht möglich, deren gedankliche Schlüssigkeit zu überprüfen. Die Strafkammer wäre insofern gehalten gewesen, darzulegen, wie sich die Sachverständigen konkret zu den Ausführungen des jeweils anderen Gutachters verhalten haben. Die Strafkammer beschränkt sich jedoch darauf, festzustellen, der Sachverständige G. habe sich zu den Ausführungen des Sachverständigen S. nicht nachvollziehbar äußern können. Dies genügt für eine inhaltliche Auseinandersetzung der Strafkammer mit den voneinander abweichenden Inhalten der Gutachten nicht. Es hätte zumindest dargestellt werden müssen, was die Strafkammer als nicht nachvollziehbar angesehen hat.
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