Entscheidungsdatum: 25.08.2010
Eine starke Erhöhung der Einsatzstrafe legt einen Rechtsfehler bei der Gesamtstrafenbildung gemäß § 54 StGB nicht ohne weiteres nahe.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 22. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts merkt der Senat an:
Entgegen dem Revisionsvorbringen erfolgte die Bildung der Gesamtstrafe gemäß § 54 StGB ohne Rechtsfehler. Der Tatrichter war nicht gehindert, die verwirkte höchste Einzelstrafe (zwei Jahre) auf sechs Jahre und neun Monate zu erhöhen.
1. Die Bemessung der Gesamtstrafe ist im Wege einer Gesamtschau des Unrechtsgehalts und des Schuldumfangs vorzunehmen. Erforderlich ist bei der Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 1 StGB ein eigenständiger Zumessungsakt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2008 - 3 StR 485/08). Der Summe der Einzelstrafen kommt nur ein geringes Gewicht zu, maßgeblich ist die angemessene Erhöhung der Einsatzstrafe unter zusammenfassender Würdigung der Person des Täters und der einzelnen Straftaten (§ 54 Abs. 1 Satz 3 StGB). Die Erhöhung der Einsatzstrafe kann geringer ausfallen, wenn zwischen den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang besteht. Die wiederholte Begehung gleichartiger Taten kann der Ausdruck einer niedriger werdenden Hemmschwelle sein. Andererseits kann hierin je nach den Umständen des Einzelfalles ein Indiz für eine besondere kriminelle Energie (§ 46 Abs. 2 StGB) gesehen werden. Denn aus hartnäckiger Tatwiederholung in schneller Folge können sich durchaus gesamtstrafen-schärfende Umstände ergeben (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 54 Rn. 10). Gerade bei Sexualdelikten wird die Milderungsmöglichkeit der sinkenden Hemmschwelle durch den ständigen Druck ausgeglichen, dem das Opfer dadurch ausgesetzt ist, dass es jederzeit mit einer neuen Tat rechnen muss (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 664).
An die Begründung der Gesamtstrafenhöhe sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr sich die Strafe der oberen oder unteren Grenze des Zulässigen nähert. Eine starke Erhöhung der Einsatzstrafe bedarf dann besonderer Begründung, wenn sich diese nicht aus den fehlerfrei getroffenen Feststellungen von selbst ergibt. Da eine "Mathematisierung" der Strafzumessung fremd ist, kann - anders als der Revisionsführer meint - kein Rechtsfehler allein darin gesehen werden, dass die Einsatzstrafe mehr als verdreifacht wurde (vgl. hierzu Fischer, aaO, § 54 Rn. 7a). Derartige Überlegungen finden im Gesetz keine Stütze. Der Tatrichter kann auch nicht dazu gezwungen werden, eine schuldunangemessene erhöhte Einsatzstrafe festzusetzen, um die rechtsfehlerfreie Verhängung einer tat- und schuldangemessenen Gesamtstrafe zu ermöglichen (vgl. auch BGHR StGB § 54 Strafhöhe 1).
Das Revisionsgericht hat nur auf Rechtsfehler einzugreifen. Diese können insbesondere dann vorliegen, wenn die Gesamtstrafe sich nicht innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens befindet oder die gebotene Begründung für die Gesamtstrafe fehlt, oder wenn die Besorgnis besteht, der Tatrichter habe sich von der Summe der Einzelstrafen leiten lassen (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 3. Februar 1999 - 2 StR 678/98 - mwN). Denn eine ungewöhnlich hohe Divergenz zwischen Einsatzstrafe und Gesamtstrafe kann (jedenfalls beim Fehlen einer tragfähigen Begründung) die Besorgnis begründen, dass das Gericht sich in zu starkem Maße von der Summe der Einzelstrafen hat leiten lassen (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 661 mwN).
2. Solche Rechtsfehler sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Tatrichter hat die Erhöhung der Einsatzstrafe nicht nur durch zulässige (vgl. u.a. BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 1, 4) Bezugnahme auf die den Einzelstrafen zugrunde liegenden Strafzumessungserwägungen begründet. Er hat vielmehr zusätzlich einerseits auf "die Sexualstraftaten im sozialen Nahraum innewohnende Wiederholungsdynamik" abgestellt und andererseits auf das "Gesamtgewicht der Taten". Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Gerade das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts hat nach dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen zur fortgesetzten Handlung bei der Gesamtstrafenbildung besondere Bedeutung erlangt. Dies gilt vor allem bei Sexualstraftaten, wo die insbesondere psychischen Folgen beim Opfer einzelnen Taten nur schwer zugeordnet werden können, aber in ihrem Gesamtgewicht als Ergebnis aller Einzeltaten sicher feststehen (vgl. BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 3 mwN). In diesen Fällen ist ohnehin nicht die Zahl der Taten, sondern die durch die Taten erfolgte Beeinträchtigung des Opfers maßgeblicher Strafzumessungsgrund (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 664).
Im Übrigen ergibt sich hier aus den fehlerfrei getroffenen Feststellungen, dass der Angeklagte weit über 100 erhebliche Sexualstraftaten an zwei verschiedenen Opfern begangen hat, wobei "beide Stieftöchter den erlebten Missbrauch psychisch noch nicht verarbeiten konnten" (UA S. 49). Grundsätzlich lässt nicht jede deutliche Erhöhung der Einsatzstrafe besorgen, der Tatrichter habe sich rechtsfehlerhaft (vgl. hierzu BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 12) bei Bemessung der Gesamtstrafe an der Obergrenze des Strafrahmens oder gar an der Summe der Einzelstrafen orientiert. Im vorliegenden Fall ist diese Besorgnis ohnehin fern liegend. Der Tatrichter hat sich bei der Festsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten ersichtlich nicht von der Obergrenze des Strafrahmens (15 Jahre; § 54 Abs. 2 StGB) oder gar der Summe der Einzelstrafen (über 130 Jahre) leiten lassen.
Nack Wahl Rothfuß
Jäger Sander