Entscheidungsdatum: 20.10.2011
Zur Versagung der Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a UStG) von der Umsatzsteuer bei der Verschleierung der Identität des wahren Erwerbers, um diesem die Hinterziehung der im Bestimmungsland für den Erwerb geschuldeten Umsatzsteuer zu ermöglichen (im Anschluss an die Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache R. durch Urteil vom 7. Dezember 2010, C-285/09) .
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 17. September 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg; die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Auch die rechtliche Würdigung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand, der Angeklagte habe sich gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO der Steuerhinterziehung schuldig gemacht, weil er in den Umsatzsteuerjahreserklärungen der P. GmbH für die Jahre 2002 und 2003 steuerpflichtige Lieferungen (I.) von Gebrauchtwagen an Fahrzeughändler in Portugal vorsätzlich (II.) als steuerfrei behandelt habe.
I.
Die verfahrensgegenständlichen Fahrzeuglieferungen waren umsatzsteuerpflichtig, weil der Angeklagte nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen in einem „ausgeklügelten System“ (UA S. 8) unter Verwendung unrichtiger Belege, die er auch in die Buchhaltung der P. GmbH aufnahm, die wirklichen portugiesischen Erwerber der Fahrzeuge verschleierte und diese damit bei der Umgehung der Erwerbsbesteuerung in Portugal unterstützte.
1. Innergemeinschaftliche Lieferungen sind unter den Voraussetzungen des § 6a UStG steuerfrei (§ 4 Nr. 1 Buchstabe b UStG).
a) Die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung setzt gemäß § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG voraus, dass der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet. Darüber hinaus bestehen bei Lieferungen (abgesehen von den Fällen der Lieferung neuer Fahrzeuge) weitere, in der Person des Erwerbers zu erfüllende Voraussetzungen. Nach § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und b UStG muss es sich beim Abnehmer der Lieferung entweder um einen Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, oder um eine juristische Person handeln, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat. Der Erwerb des Gegenstands der Lieferung muss nach § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG in allen Fällen beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegen.
b) Die Steuerfreiheit beruhte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum auf Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) in der durch die Richtlinie 2000/65/EG des Rates vom 17. Oktober 2000 geänderten Fassung. Danach „befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen: a) die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt.“
2. Die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach § 6a UStG lagen hier nicht vor, weil der Angeklagte hinsichtlich der nach Portugal gelieferten Gebrauchtwagen die Identität der wahren Erwerber verschleiert hatte, um diesen dort eine Mehrwertsteuerhinterziehung zu ermöglichen. Die Versagung der Steuerbefreiung beruht auf zwei nebeneinander bestehenden Gründen:
Durch die Verschleierung der Abnehmer - und zwar kollusiv mit diesen - zum Zwecke der Umsatzsteuerhinterziehung fehlte es für die Steuerbefreiung bereits an den in § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG enthaltenen Befreiungsvoraussetzungen. Es lag nämlich eine beiderseitige Täuschung durch Lieferanten und Abnehmer vor (a). Eine Befreiung von der deutschen Umsatzsteuer kam darüber hinaus auch deshalb nicht in Betracht, weil der Angeklagte zudem einseitig - unbeschadet der Tatbeiträge der Abnehmer - gegen die sich aus § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. § 17a, § 17c UStDV ergebenden Anforderungen an den Buch- und Belegnachweis verstoßen hatte, um den wahren Erwerbern in Portugal eine Umsatzsteuerhinterziehung zu ermöglichen. Wegen der zu diesem Zweck vorgenommenen Verschleierung der Identität der Erwerber war es ihm verwehrt, sich später darauf zu berufen, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung tatsächlich stattgefunden hatte. In einem solchen Fall reicht bereits eine einseitige Täuschung durch den Lieferanten (b). Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, die in Umsetzung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 7. Dezember 2010 (Rechtssache R, C-285/09, NJW 2011, 203) ergangen ist (vgl. BFH, Urteile vom 11. August 2011 - V R 50/09, DStR 2011, 1901, vom 17. Februar 2011 - V R 28/10 - BFHE 233, 311 und vom 17. Februar 2011 - V R 30/10, wistra 2011, 354).
a) Der erste Versagungsgrund - beiderseitige kollusive Täuschung - beruht darauf, dass die sich aus § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG ergebende Voraussetzung für die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung hier schon deshalb nicht vorliegt, weil der Angeklagte kollusiv mit dem Abnehmer zusammenwirkte.
aa) Schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats stellte die Lieferung von Gegenständen durch einen inländischen Unternehmer an einen Unternehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet dann keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne des § 6a UStG dar, wenn der inländische Unternehmer in kollusivem Zusammenwirken mit dem Abnehmer die Lieferung an einen Zwischenhändler vortäuschte, um dem Abnehmer die Hinterziehung von Umsatzsteuern zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2008 - 1 StR 354/08, BGHSt 53, 45 Rn. 4, vom 19. August 2009 - 1 StR 206/09, BGHSt 54, 133). Der Senat ist dabei davon ausgegangen, dass es in solchen Fällen an der Befreiungsvoraussetzung des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG fehle, weil diese Vorschrift gemeinschaftsrechtlich dahin auszulegen sei, dass der Erwerb des Gegenstands einer Lieferung beim Abnehmer dann nicht den Vorschriften der Umsatzbesteuerung in einem anderen Mitgliedstaat im Sinne der Vorschrift unterliegt, wenn die im Bestimmungsland vorgesehene Erwerbsbesteuerung der konkreten Lieferung nach dem übereinstimmenden Willen von Unternehmer und Abnehmer durch Verschleierungsmaßnahmen und falsche Angaben gezielt umgangen werden soll, um dem Unternehmer oder dem Abnehmer einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu verschaffen (BGH, Beschluss vom 20. November 2008 - 1 StR 354/08, BGHSt 53, 45 Rn. 13). Anderes gilt, wenn die Verschleierungsmaßnahme anderen Zwecken dient (BGH aaO Rn. 13).
bb) Nachdem das Finanzgericht Baden-Württemberg Zweifel an der Richtigkeit dieser Rechtsprechung geäußert hatte (Beschluss vom 11. März 2009 - 1 V 4305/08, diesem folgend BFH, Beschluss vom 29. Juli 2009 - XI B 24/09, BFHE 226, 449), hat der Senat gemäß Art. 234 Abs. 3 EG (jetzt Art. 267 Abs. 3 AEUV) im vorliegenden Verfahren dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (jetzt: Gerichtshof der Europäischen Union; nachfolgend: Gerichtshof) mit Beschluss vom 7. Juli 2009 (wistra 2009, 441) folgende Fragen zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Art. 28c Teil A Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage vorgelegt:
„Ist Art. 28c Teil A Buchstabe a der Sechsten Richtlinie in dem Sinne auszulegen, dass einer Lieferung von Gegenständen im Sinne dieser Vorschrift die Befreiung von der Mehrwertsteuer zu versagen ist, wenn die Lieferung zwar tatsächlich ausgeführt worden ist, aber aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der steuerpflichtige Verkäufer
a) wusste, dass er sich mit der Lieferung an einem Warenumsatz beteiligt, der darauf angelegt ist, Mehrwertsteuer zu hinterziehen, oder
b) Handlungen vorgenommen hat, die darauf abzielten, die Person des wahren Erwerbers zu verschleiern, um diesem oder einem Dritten zu ermöglichen, Mehrwertsteuer zu hinterziehen?“
cc) Mit Urteil vom 7. Dezember 2010 (Rechtssache R, C-285/09, NJW 2011, 203) hat der Gerichtshof auf das Vorabentscheidungsersuchen hin für Recht erkannt:
„Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, wenn also eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen tatsächlich stattgefunden hat, der Lieferer jedoch bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen, kann der Ausgangsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Lieferung aufgrund der ihm nach dem ersten Satzteil von Art. 28c Teil A Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2000/65/EG des Rates vom 17. Oktober 2000 geänderten Fassung zustehenden Befugnisse die Mehrwertsteuerbefreiung für diesen Umsatz versagen.“
Der Gerichtshof führt in diesem Urteil weiter aus (Rn. 52), dass dann, wenn ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass der mit der fraglichen Lieferung zusammenhängende innergemeinschaftliche Erwerb im Bestimmungsmitgliedstaat der Zahlung der Mehrwertsteuer entgehen könnte, der Ausgangsmitgliedstaat dem Lieferer der Gegenstände die Befreiung sogar verweigern muss (also nicht nur verweigern kann), um zu vermeiden, dass der fragliche Umsatz jeglicher Besteuerung entgeht (EuGH aaO Rn. 52). Denn nach dem Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems werde diese Steuer auf jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang erhoben, abzüglich der Mehrwertsteuer, mit der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet worden sind (EuGH aaO). Dieser gemeinschaftsrechtlich gebotenen Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG stehen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs weder die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Rechtssicherheit noch die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit entgegen. Denn ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteiligt und das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdet, kann sich nicht mit Erfolg auf diese Grund-sätze berufen (EuGH aaO Rn. 53 f.).
dd) Die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall ergibt: Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Steuerbefreiung des § 6a UStG bei den verfahrensgegenständlichen Gebrauchtwagenlieferungen nicht eingreift. Denn ausgehend von den vom Landgericht getroffenen Feststellungen bestehen die vom Gerichtshof vorausgesetzten „ernsthaften Gründe“ für die Annahme, dass wegen der vom Angeklagten zur Unterstützung der wahren Erwerber - kollusiv mit diesen - vorgenommenen Verschleierungshandlungen der mit den fraglichen Lieferungen zusammenhängende Erwerb im Bestimmungsland der Zahlung der Mehrwertsteuer entgehen könnte. Maßgeblich für die Steuerbefreiung sind der zwischen innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb bestehende Besteuerungszusammenhang und die damit bezweckte Verlagerung des Steueraufkommens auf den Bestimmungsmitgliedstaat durch die dort beim Abnehmer als Steuerschuldner vorzunehmende Besteuerung, die es nicht zulässt, die Steuerfreiheit trotz absichtlicher Täuschung über die Person des Abnehmers (Erwerbers) in Anspruch zu nehmen (vgl. BFH, Urteil vom 11. August 2011 - V R 50/09, DStR 2011, 1901 Rn. 24).
Die vom Gerichtshof vorgenommene gemeinschaftsrechtliche Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG bestimmt auch die Auslegung des auf dieser Richtlinie beruhenden Befreiungstatbestandes des § 6a UStG. Danach besteht unter den Umständen des vorliegenden Sachverhalts auch ausgehend von den Tatbestandsvoraussetzungen des § 6a UStG für die verfahrensgegenständlichen Lieferungen keine Steuerbefreiung. Denn die vom Angeklagten vorgenommenen Verschleierungshandlungen führten dazu, dass im Bestimmungsland der Lieferungen faktisch keine Besteuerung des Erwerbs der Fahrzeuge stattfinden konnte (vgl. auch Lohse, NStZ 2011, 165, 166), der Erwerb der Fahrzeuge mithin nicht im Sinne von § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG als beim Abnehmer im anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegend angesehen werden kann.
ee) Der Wortlaut der deutschen steuerrechtlichen Vorschriften ist ein ausreichender Anknüpfungspunkt für die gemeinschaftsrechtlich gebotene Auslegung auch des Steuerstrafrechts. Denn nach § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG liegt eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung nur dann vor, wenn der Erwerb des Gegenstands der Lieferung beim Abnehmer der Lieferung in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt. In dieser Vorschrift kommen der vom Gerichtshof hervorgehobene Besteuerungszusammenhang zwischen innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb (EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2010 in der Rechtssache R, C-285/09, NJW 2011, 203 Rn. 38) und die damit bezweckte Verlagerung des Steueraufkommens auf den Bestimmungsmitgliedstaat durch die dort beim Abnehmer als Steuerschuldner vorzunehmende Besteuerung zum Ausdruck. Deshalb ist es nicht zulässig, die Steuerfreiheit nach § 6a UStG trotz absichtlicher Täuschung über die Person des Erwerbers in Anspruch zu nehmen (vgl. BFH, Urteil vom 11. August 2011 - V R 50/09, DStR 2011, 1901). Damit wird die vom Senat im Beschluss vom 20. November 2008 (Verfahren 1 StR 354/08, BGHSt 53, 45 Rn. 13) vorgenommene Auslegung des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG von der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG getragen.
ff) Diese Auslegung des § 6a UStG durch den Senat steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch im Einklang mit den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG. Denn das - von systematischen Erwägungen getragene - Verständnis des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG, dass der Erwerb beim Abnehmer den Vorschriften der Umsatzbesteuerung tatsächlich unterworfen wird - was nicht der Fall wäre, wenn der Abnehmer die Erwerbsbesteuerung gezielt umgeht -, ist nach dem Wortlaut dieser Vorschrift möglich (BVerfG - Kammer - Beschluss vom 16. Juni 2011 - 2 BvR 542/09).
b) Eine Befreiung der verfahrensgegenständlichen Fahrzeuglieferungen nach Portugal von der deutschen Umsatzsteuer schied hier - neben dem ersten Versagungsgrund - auch deshalb aus, weil der Angeklagte, und zwar schon einseitig, gegen die sich aus § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. § 17a, § 17c UStDV ergebenden Anforderungen an den Buch- und Belegnachweis verstoßen hatte, um den wahren Erwerbern in Portugal eine Umsatzsteuerhinterziehung zu ermöglichen.
aa) Die Lieferungen nach Portugal, die unter Verstoß gegen die auf dem ersten Satzteil des Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/EWG beruhenden Pflichten zum Beleg- und Buchnachweis durchgeführt wurden, rechtfertigten gemeinschaftsrechtlich eine Steuerbefreiung nicht, wie sich insbesondere unter Heranziehung der vom Gerichtshof in den Rechtssachen Collée (EuGH, Urteil vom 27. September 2007 - C-146/05, Slg 2007, I-7861, DStR 2007, 1811) und R (Urteil vom 7. Dezember 2010 - C-285/09, NJW 2011, 203) vorgenommenen Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG ergibt.
(1) Bei einem Verstoß des Lieferanten gegen die Pflichten zum Buch- und Belegnachweis gilt nach dieser Rechtsprechung im Grundsatz: Der Unternehmer kann gemäß Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/EWG eine innergemeinschaftliche Lieferung grundsätzlich dann als steuerfrei erfassen, wenn er die bestehenden gesetzlichen Nachweispflichten erfüllt. Kommt er demgegenüber den Nachweispflichten nicht oder nur unvollständig nach oder erweisen sich die Nachweisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend oder bestehen zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben, die der Unternehmer nicht ausräumt, ist die Lieferung steuerpflichtig (vgl. BFH, Urteil vom 17. Februar 2011 - V R 30/10, wistra 2011, 354 Rn. 19). Denn dann ist der Nachweis der Steuerfreiheit vom Unternehmer nicht erbracht.
(2) Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Rechtssache Collée (aaO Rn. 31) dann, wenn trotz derartiger Nachweismängel feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind (vgl. BFH aaO Rn. 19 mwN). Diese Ausnahme greift aber nicht ein, wenn der Verstoß gegen die Nachweispflichten den „sicheren Nachweis“ - also den zweifelsfrei objektiven Nachweis - verhinderte, dass die materiellen Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt werden (vgl. BFH aaO Rn. 19). Dann verbleibt es bei dem Grundsatz der Steuerpflicht.
(3) Darüber hinaus verbleibt es auch dann bei der Steuerpflicht, wenn - obwohl die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit objektiv vorliegen - der Steuerpflichtige unter Verstoß gegen die auf dem ersten Satzteil des Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/EWG beruhenden Pflichten zum Buch- und Belegnachweis die Identität des Erwerbers verschleiert, um diesem im Bestimmungsmitgliedstaat eine Mehrwertsteuerhinterziehung zu ermöglichen (vgl. BFH, Urteil vom 11. August 2011 - V R 50/09, DStR 2011, 1901 Rn. 22 mwN).
Bei dieser Einschränkung der Steuerbefreiung handelt es sich nicht um eine vom Gerichtshof durch das Urteil in der Rechtssache R nachträglich vorgenommene Korrektur der Rechtsprechung aus dem Verfahren in der Rechtssache Collée. Vielmehr kam diese Einschränkung bereits in der Rechtssache Collée in der Formulierung zum Ausdruck, dass dem nationalen Gericht die Prüfung obliege, „ob die Verschleierung ... Züge einer Mehrwertsteuerhinterziehung" habe (Rechtssache Collée aaO Rn. 38). Allerdings hatte der Gerichtshof in der Rechtssache R Anlass, in der deutschen Rechtsprechung und Literatur entstandene Zweifel zu beseitigen, die sich daraus ergaben, dass der Rechtssache Collée ein Sachverhalt zugrunde lag, der weder eine Steuerhinterziehung noch deren Ermöglichung zum Gegenstand hatte. Denn der Unternehmer in der Rechtssache Collée hatte nicht aufgrund unzutreffender Angaben die Steuerfreiheit beansprucht, sondern aus einem vom Steuerrecht gänzlich unabhängigen Grund Verschleierungshandlungen begangen. Ziel seiner Handlungen war allein die Umgehung einer Gebietsbeschränkung des Herstellers des verkauften Gegenstandes. Nur aus diesem Grund hatte er zunächst eine steuerpflichtige Inlandslieferung erklärt und erst nach Aufdeckung des wahren Sachverhalts die Steuerfreiheit der objektiv vorliegenden innergemeinschaftlichen Lieferung beansprucht (vgl. BFH, Urteil vom 17. Februar 2011 - V R 30/10, wistra 2011, 354 Rn. 19).
In der Rechtssache R hat der Gerichtshof die Grenzen, in denen Verstöße gegen die Nachweispflichten die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht gefährden, deutlich hervorgehoben. Er hat dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verweigerung der Steuerbefreiung in einem Fall, in dem eine nach nationalem Recht vorgesehene Verpflichtung nicht eingehalten wurde - etwa die Verpflichtung der Angabe des Empfängers einer innergemeinschaftlichen Lieferung - eine abschreckende Wirkung hat, die die Durchsetzung dieser Verpflichtung gewährleisten und Steuerhinterziehungen oder –umgehungen verhüten soll (EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2010, Rechtssache R, C-285/09, NJW 2011, 203 Rn. 50). Hierbei hat der Gerichtshof betont, dass die Vorlage von Scheinrechnungen oder die Übermittlung unrichtiger Angaben sowie sonstige Manipulationen die genaue Erhebung der Steuer verhindern und das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in Frage stellen könne. Derartige Handlungen wögen umso schwerer, wenn sie - wie hier - im Rahmen der Übergangsregelung für die Besteuerung innergemeinschaftlicher Umsätze begangen werden, die auf Beweisen beruht, die von den Steuerpflichtigen zu erbringen sind (EuGH aaO Rn. 48). Eine solche Vorgehensweise trägt daher - in der Terminologie des Gerichtshofs - „Züge einer Mehrwertsteuerhinterziehung“ und steht deshalb wegen missbräuchlichen Verhaltens einer Berufung auf Gemeinschaftsrecht entgegen (vgl. EuGH, Urteil vom 27. September 2007 in der Rechtssache Collée - C-146/05, Slg 2007, I-7861, DStR 2007, 1811 Rn. 38; Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 - Kittel und Recolta Recycling, Slg 2006, I-6161, DStR 2006, 1274 Rn. 54).
(4) So verhält es sich auch hier. Der Angeklagte verhinderte zum einen durch das Verschweigen seiner tatsächlichen Abnehmer den „sicheren Nachweis", dass die materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllt waren. Zum anderen verschleierte er deren Identität, um ihnen im Bestimmungsmitgliedstaat eine Mehrwertsteuerhinterziehung zu ermöglichen (vgl. auch BFH, Urteil vom 11. August 2011 - V R 50/09, DStR 2011, 1901). Auf die - hier zu verneinende (s.o.) - Frage, ob die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung „objektiv" vorlagen, käme es daher im vorliegenden Fall nicht einmal an.
bb) Diese gemeinschaftsrechtlich gebotene Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG ist auch bei der Auslegung der nationalen Vorschrift des § 6a UStG zu beachten. Die Beschränkung der Steuerbefreiung auf die Fälle, in denen die in § 6a Abs. 1 und Abs. 2 UStG beschriebenen Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung vom Unternehmer nach Maßgabe der Vorschriften über den Buch- und Belegnachweis in § 17a, § 17c UStDV nachgewiesen sind, ist in § 6a Abs. 3 UStG ausdrücklich gesetzlich bestimmt. Damit sind auch insoweit die sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Bestimmtheitsanforderungen erfüllt.
II.
Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler festgestellt, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat (zu den Anforderungen an den Tatvorsatz bei Steuerhinterziehung vgl. auch BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11). Die Einlassung des Angeklagten, sein Ziel sei ausschließlich die Verhinderung der Erwerbsbesteuerung in Portugal, nicht aber die Verkürzung in Deutschland gewesen, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei als widerlegt angesehen.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander