Entscheidungsdatum: 11.05.2010
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 7. Oktober 2009 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die durch dieses dem Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen, gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 2 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
1. Der im Übrigen Unbestrafte wurde durch das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 8. Dezember 1998 wegen Vergewaltigung und versuchten Mordes (Einzelfreiheitsstrafe: neun Jahre) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt.
a) Dieser Anlassverurteilung lag zugrunde, dass der damals 22 Jahre alte Verurteilte in der Nacht auf den 17. März 1998 die 65 Jahre alte B., die er nach Hause zu fahren versprochen hatte, gegen Mitternacht an einem abgelegenen Ort gegen ihren Willen entkleidet, ihre Arme mit einem Schal an einer Kopfstütze seines Autos festgebunden und sowohl die Brüste als auch den Scheidenbereich berührt hatte. Nachdem Frau B. es abgelehnt hatte, an seinem erigierten Glied zu manipulieren und den Oralverkehr auszuführen, erzwang der Verurteilte diesen, indem er ihren Kopf festhielt. Hierdurch gelangte er nach kurzer Zeit außerhalb des Mundes zum Samenerguss. Als er im Anschluss daran weiterfuhr, entschloss er sich, Frau B. zu töten, um sie an einer Strafanzeige zu hindern. Er würgte sie mit beiden Händen, bis sie bewusstlos wurde. Der Verurteilte öffnete die Beifahrertür und legte sein von ihm für tot gehaltenes Opfer auf eine Wiese. Als er bemerkte, dass es noch lebte, schlug er ihm wiederum in direkter Tötungsabsicht mit seiner 440 g schweren, ca. 26 cm langen Metalltaschenlampe mehrmals heftig auf den Kopf. Frau B. erlitt hierdurch lange, tiefe Platzwunden und wurde blutüberströmt erneut bewusstlos. Durch zufällig vorbeikommende Passanten wurde sie am Morgen entdeckt und konnte gerettet werden.
b) Der Verurteilte beabsichtigte, im April 1998 mit seiner damaligen Verlobten zusammenzuziehen. Auch wegen dieser bevorstehenden Veränderung in seinem Leben hatte er den Eindruck, dass „´alle anderen` sein Leben regeln würden“. Den Geschlechtsverkehr mit seiner Partnerin empfand er „nicht mehr als absolut befriedigend und kam zu der Überzeugung, dass es nicht nur … ´Sex unter der Bettdecke` und in längeren Abständen von bis zu 2-3 Wochen zum nächsten Akt geben könne“. Unter Berücksichtigung dessen fand der damals mit einem Gutachten zu den Voraussetzungen der §§ 20, 21 und 63 StGB beauftragte psychiatrische Sachverständige Prof. Dr. R. „in seinen sexuellen Vorstellungen und Begehrenshaltungen … keine auffälligen Inhalte“. Vor diesem Hintergrund wurde die gemäß dem am 31. Januar 1998 in Kraft getretenen § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB formell in Betracht kommende Anordnung primärer Sicherungsverwahrung bei der Anlassverurteilung nicht in Erwägung gezogen.
2. a) Der Verurteilte verbüßte die Strafhaft seit Januar 1999 zunächst in der Justizvollzugsanstalt Ba. Am 5. Juli 2001 begann er etwa drei Monate nach seiner Aufnahme in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt W. eine Therapie. Da die Therapeuten den Verurteilten als sog. explosiven, sexuell aggressiven Täter einordneten und der Ansicht waren, die Tat habe „nichtsexuellen Bedürfnissen gedient“, bestand das Hauptziel der Therapie in der Verringerung der angenommenen Störung der Sexualpräferenz und einer umfassenden Rückfallprävention.
Der Verurteilte nahm in der Zeit bis 15. Juli 2003 aktiv und regelmäßig an insgesamt 169 tiefenpsychologisch orientierten Gruppentherapiesitzungen, acht Einzeltherapiegesprächen, 85 Gruppensitzungen der „Gruppe Sexualität“, 85 Sitzungen „Sozialtraining“, 72 Sitzungen „Gestaltungstherapie“, 69 Sitzungen „Musiktherapie“ und 74 Sitzungen „Entlassungstraining“ sowie an weiteren 107 Sitzungen teil, in denen ein persönliches Rückfallpräventionsprogramm differenziert erarbeitet wurde. Hierbei verhielt er sich kooperativ, setzte sich konstruktiv mit seinem Deliktsverhalten auseinander und erwarb eine gesteigerte Opferempathie. Insgesamt erwies sich der Verurteilte „als in seiner Persönlichkeit gereift“, so dass ihm eine „günstige Prognose“ gestellt wurde.
b) Der Verurteilte wurde anschließend in die Justizvollzugsanstalt Ba. verlegt und in der dortigen sozialtherapeutischen Anstalt in das sog. therapeutische Setting integriert. Zur Vorbereitung von Vollzugslockerungen wurde der Sachverständige Dr. Bl. beauftragt, ein Prognosegutachten zu erstellen. Dieser kam am 2. Juli 2004 zu dem Ergebnis, dass eine „sexuell-sadistische Determination der Tat nicht ausgeschlossen werden könne“, wenn auch die Annahme näher liege, „dass die Tat eine Sexualisierung eines nicht sexuellen Bedürfnisses darstelle“. Es bestehe sowohl auf diagnostischer als auch auf therapeutischer Ebene noch Klärungs- und Handlungsbedarf, bevor über die Gewährung von Lockerungen nachgedacht werden könne.
c) In der Folge nahm der Verurteilte erneut an einer Ärgerbewältigungs- und einer Rückfallpräventionstherapie teil. Als es nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe nicht zu einer Entlassung kam und ihm ein Justizangestellter „immer wieder vorhielt, er müsse Phantasien gehabt haben“, entschied sich der Verurteilte, auch hierüber seinem Therapeuten Be., mit dem er die Tat aufzuarbeiten versuchte, zu berichten. Bis Frühjahr 2006 teilte er diesem nach und nach mit, dass er vor der Tat Phantasien gehabt habe, die auf die Ausübung von Macht gegenüber seinem Opfer gerichtet waren. Seit Ende 1996 sei der Wunsch gewachsen, „die Geschlechtspartnerin zu dominieren und so die Grenzen der Legalität zu überschreiten“. Er stellte sich „immer öfter vor, seine imaginären Geschlechtspartnerinnen verbal einzuschüchtern, sich so über ihren Willen hinwegzusetzen, sie zu erniedrigen und eine Position der Macht zum Geschlechtsverkehr auszunutzen. Dabei musste sein Opfer machen, was er sagte, musste ihn anschauen und ihn abschließend oral befriedigen.“
Diese Phantasien hätten ihn zunächst erschreckt, ihm später aber ein gutes Gefühl gegeben, wobei er sich teilweise selbst befriedigt habe. Sie wären häufiger geworden, bis er sich entschlossen habe, sie „in der Realität 1:1 umzusetzen“. Während der Fahrt mit Frau B. habe er gedacht, jetzt habe er die Gelegenheit dazu. Bei der Tat habe er eine starke sexuelle Erregung gehabt, weil sein Bedürfnis nach Macht über sein ihm unsympathisches Opfer genau so befriedigt worden sei, wie er es sich in seinen Phantasien vorgestellt hatte. Wie in einem „Rauschzustand“ habe er einen „traumhaften“, seinen bislang besten Orgasmus erlebt. Weniger als eine Minute später habe er sich jedoch beim Anblick seines Opfers schlecht gefühlt sowie Traurigkeit und Ekel empfunden.
d) Unter Berücksichtigung dieser Phantasien diagnostizierte der erneut beauftragte Sachverständige Dr. Bl. am 5. September 2006 eine sexuell-sadistische Entwicklung des Verurteilten, bei dem ein „sehr hohes Wiederholungsrisiko für Delikte der gleichen Oberkategorie“ vorliege. Am 21. Juli 2008 gelangte der psychiatrische Sachverständige Prof. Dr. N. zu dem Ergebnis, das Rückfallrisiko des Verurteilten hänge von der Entlassungssituation und einer angemessenen Nachsorge ab. Ohne Therapie und Kontrolle liege die Rückfallwahrscheinlichkeit im Langzeitverlauf zwischen 15 und 40 %, bei optimaler Therapie könne sie unter 1 % gesenkt werden. Da die Justizvollzugsanstalt das von Prof. Dr. N. vorgeschlagene „Risikomanagement“ für „undurchführbar“ hielt, wurden dem Verurteilten weiterhin keine Lockerungen gewährt. Im Dezember 2008 nahm dieser von sich aus Kontakt zu dem in der Therapie von Straftätern erfahrenen Diplom-Psychologen Bo. aus Würzburg auf. Dieser erklärte sich zu einer Behandlung des Verurteilten bereit, da er dessen Offenheit und Therapiewillen als „sehr hoch“ bewertete.
3. Am 19. November 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg beim Landgericht die Einleitung des Verfahrens zur Unterbringung des Verurteilten in der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Mit Beschluss vom 20. Januar 2009 ordnete die Kammer dessen einstweilige Unterbringung an, die nach dem Ende der Strafhaft seit 7. Februar 2009 vollzogen wurde.
Am Tag der Urteilsverkündung wurde der Unterbringungsbefehl aufgehoben. Der Verurteilte beabsichtigte, zunächst bei seinen Eltern, die ihn während des Freiheitsentzugs regelmäßig besucht hatten, in A. zu wohnen. Zugleich erging ein umfangreicher Beschluss zur Ausgestaltung der - unbefristeten - Führungsaufsicht. Danach hat der Verurteilte insbesondere
- sich von Montag bis Freitag täglich bei seinem Bewährungshelfer zu melden,
- eine ambulante psychotherapeutische Behandlung seiner sexuellen Störung bei dem Psychotherapeuten Bo. durchzuführen, sich diesem einmal wöchentlich vorzustellen und die Therapie dem Bewährungshelfer nachzuweisen,
- sich auf dessen Verlangen unverzüglich zu einem Psychiater zu begeben und von diesem verschriebene Medikamente einzunehmen oder sich verabreichen zu lassen,
- sich auf Verlangen des Psychotherapeuten oder des Psychiaters in eine stationäre Behandlung in einem näher bezeichneten Sozialzentrum, hilfsweise in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalten W. oder Ba. zu begeben.
Mit sämtlichen seine Behandlung betreffenden Weisungen hatte sich der Verurteilte in der Hauptverhandlung, in der er auch hinsichtlich seiner Phantasien bereitwillig Angaben gemacht hatte, einverstanden erklärt. Zudem hat er alle ihn behandelnden Ärzte und Therapeuten von ihrer Schweigepflicht namentlich gegenüber dem Gericht und der Staatsanwaltschaft entbunden.
4. Die Strafkammer hat die vom Verurteilten während des Strafvollzugs offenbarten Phantasien und die hierauf basierende, zu a) dargelegte Diagnose als Nova angesehen. Im jetzigen Verfahren hat sie Dr. Bl. und Prof. Dr. N. als psychiatrische Sachverständige gehört.
a) Aufgrund deren insoweit übereinstimmenden und unter Darlegung der Voraussetzungen näher begründeten Ausführungen gelangte sie zu der Überzeugung, dass beim Verurteilten eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer sexuell-sadistischen Ausprägung (ICD-10: F 65.8) bzw. ein sexueller Sadismus (DSM-IV: 302.84) vorliegt. Soweit seine Persönlichkeit zudem sowohl narzisstische als auch schizoide Züge aufweise, würden diese aber „bei weitem“ nicht ein Ausmaß erreichen, welches für die Annahme einer Persönlichkeitsstörung spreche.
b) Zu den maßgeblichen Faktoren für die Gefährlichkeitsprognose hat die Strafkammer ausgeführt:
aa) Ausgangspunkt sei für den Sachverständigen Dr. Bl. die sog. Basisrate erneuter Delinquenz gewesen. Diese habe er - gestützt auf internationale Rückfallforschungen - bei Vergewaltigungen auf ca. 40 %, das mittlere statistische Risiko einer neuerlichen Straftat durch einen (allgemein) verurteilten Delinquenten hingegen auf 36 % bestimmt. Um eine individuelle Prognose stellen zu können, habe der Sachverständige wissenschaftlich gesicherte (tatspezifische, biographische und psychiatrisch determinierte) Kriterien herangezogen:
Dabei habe für den Verurteilten gesprochen, dass er bislang erst eine Straftat und diese nicht aus „monetären Aspekten“ begangen habe, zudem keine familiäre Delinquenzbelastung, keine Psychose und Suchterkrankung bestünde, er keine antisozialen Wesensmerkmale aufweise, die sadistischen Elemente nicht auf andere Persönlichkeitsbereiche übergegangen seien und eine intensive therapeutische Bearbeitung des Delikts und des psychiatrischen Störungsmusters stattgefunden habe, zu der der Verurteilte weiterhin bereit sei. Negativ seien vor allem bedeutsam das niedrige Alter des Verurteilten bei der ohne „hochspezifische Täter-Opfer-Beziehung“ begangenen Tat, die dabei vielgestaltig gezeigte „exzessive Gewalt“ sowie die erhebliche Differenz zum Alter des Opfers, ferner die Art der sexuellen Störung sowie die schizoiden Persönlichkeitselemente.
Nach Ansicht dieses Sachverständigen müsse im Ergebnis „mit einer sehr hohen Wiederauftretenswahrscheinlichkeit“ von der Begehung neuer Straftaten der gleichen Oberkategorie durch den Verurteilten gerechnet werden. Dieser könne auch nicht ausreichend mit einem „Risikomanagement“ begegnet werden, da insofern eine „Rundumbetreuung“ geboten sei, weil eine Entlassung „zwangsläufig zu einer Intensivierung der Gedanken mit den entsprechenden … Folgen führen würde“. Prognostisch „ungemein ungünstig“ wirke sich aus, dass sich der Verurteilte erst geöffnet habe, als es zu keiner Zwei-Drittel-Entlassung gekommen sei.
bb) Der Sachverständige Prof. Dr. N. erläuterte, dass der diagnostizierte sexuelle Sadismus nicht zwangsläufig zu einem Rückfall führen müsse, denn die Basisrate liege für diese Tätergruppe zwischen 15 und 40 %. Wende man zur individuellen Prognose anerkannte Kataloge von - denen des Sachverständigen Dr. Bl. im Wesentlichen vergleichbaren - Risikofaktoren an, so liege der Verurteilte teils in der untersten, teils in der mittleren Risikokategorie. Insgesamt würden sich die positiven und die negativen Faktoren die Waage halten. Die Rückfallwahrscheinlichkeit liege daher unter Berücksichtigung der Basisrate jedenfalls unter 50 %, d.h. die Mehrheit der Täter mit vergleichbaren Dispositionen schaffe es, nicht rückfällig zu werden. Indem die Führungsaufsicht entsprechend ausgestaltet werde, könne ein effektives Risikomanagement geschaffen und die Rückfallwahrscheinlichkeit unter 10 % reduziert werden.
II.
Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer abgelehnt. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB und hinreichende Nova vor; die Kammer hat aber unter eigener Abwägung der maßgeblichen Faktoren nicht die Überzeugung gewonnen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Straftaten besteht. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung dürfe „als äußerst belastende Maßregel … nur in außergewöhnlichen, seltenen Ausnahmefällen“ angeordnet werden. Angesichts der insoweit geltenden hohen Anforderungen sei dem Verurteilten die erforderliche Gefährlichkeitsprognose mit Blick auf die „Vielzahl positiver Prognosemerkmale“, namentlich seine Therapiebereitschaft, und die engmaschige Ausgestaltung der Führungsaufsicht nicht zu stellen.
III.
Den Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend zurückgewiesen. Die angefochtene Entscheidung ist entgegen der Ansicht der Revision frei von durchgreifenden Rechtsfehlern.
a) Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 Satz 1 StGB durch die Anlassverurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen (zumindest) einer Katalogtat zutreffend als erfüllt angesehen.
b) Die erstmalig im Jahre 2006 vom Verurteilten offen gelegten Phantasien und den infolge dessen diagnostizierten sexuellen Sadismus hat die Strafkammer als die für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung erforderlichen Nova angesehen. Die Frage, ob die Kammer diese Umstände hat insofern ausreichen lassen dürfen, braucht der Senat letztlich nicht zu entscheiden.
aa) An die Annahme neuer Tatsachen sind ohnehin stets strenge Anforderungen zu stellen (BGH, Beschl. vom 12. Januar 2010 - 3 StR 439/09), zumal die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung den Bestand eines rechtskräftigen Urteils tangiert und nach dem Willen des Gesetzgebers auf seltene Einzelfälle beschränkt sein soll (BGHSt 50, 275, 278 m.w.N.; BVerfG StV 2006, 574, 575; NJW 2009 980, 982). Als „neue Tatsachen“ kommen deshalb nur solche in Betracht, die in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (BGHR StGB § 66b Neue Tatsachen 3) und schon für sich genommen von besonderem Gewicht sind (BGH StV 2006, 67, 71).
bb) Diese Voraussetzungen können - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - im Einzelfall zwar auch psychiatrische Befundtatsachen erfüllen, nämlich dann, wenn sie die an sich bereits zuvor bekannte Gefährlichkeit eines Verurteilten in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lassen (vgl. BVerfG, Kammer, Beschl. vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06; BGH NStZ-RR 2007, 199). Der Senat neigt aber für die nachfolgend dargestellte (cc.) spezielle Konstellation dazu, eine besonders sorgfältige Prüfung des Gewichts dieser in Betracht gezogenen Befundtatsachen für notwendig zu halten.
cc) Das Landgericht hat - im Rahmen der Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose - die Meinung vertreten, § 66 StGB hätte weder zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung noch später die Anordnung von Sicherungsverwahrung bereits mit der ersten Verurteilung vorgesehen. Dies trifft nicht zu, da § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB bereits mit Wirkung zum 31. Januar 1998 in das Gesetz eingefügt worden war. Ob die im Ursprungsverfahren zuständige Kammer möglicherweise demselben Rechtsirrtum unterlegen war, teilt das angefochtene Urteil nicht mit. Wäre dies so, könnte bereits dieser Umstand der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung entgegenstehen. Denn durch die Anwendung des § 66b StGB dürfen im Ausgangsverfahren bei der Prüfung der primären Sicherungsverwahrung begangene Rechtsfehler oder Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörden nicht korrigiert werden (vgl. BGHSt 50, 121, 126; BGH, Beschl. vom 12. Januar 2010 - 3 StR 439/09; BGH, Urt. vom 13. Januar 2010 - 1 StR 372/09).
Dem Urteil lässt sich jedoch hinreichend deutlich entnehmen, dass die Strafkammer des Ursprungsverfahrens bei zutreffender Beurteilung der Rechtslage die nun als Nova gewerteten Umstände auch bei sorgfältiger, am Maßstab des § 244 Abs. 2 StPO gemessener Prüfung (vgl. BGH StV 2006, 413; BGH, Urt. vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05) nicht hätte erkennen können. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass auch der mit der Begutachtung des zum damaligen Zeitpunkt über seine sexuellen Phantasien schweigenden Verurteilten beauftragte psychiatrische Sachverständige Prof. Dr. R. in dessen sexuellen Vorstellungen und Begehrenshaltungen keine auffälligen Inhalte erkennen konnte und es bis zur „Öffnung“ des Verurteilten mehreren psychologischen und psychiatrischen Fachkräften über acht Jahre hinweg nicht gelungen war, Näheres über die diesbezüglichen Vorstellungen zu erfahren (vgl. BGHSt 50, 275, 280).
c) Die Strafkammer hat jedenfalls rechtsfehlerfrei die zukünftige Gefährlichkeit des Verurteilten i.S.d. § 66b Abs. 2 StGB verneint. Dem Tatgericht kommt insofern ein Beurteilungsspielraum zu; seine Entscheidung unterliegt der revisionsgerichtlichen Überprüfung nur eingeschränkt (BGH NStZ-RR 2008, 40, 41). Diese hat keinen Rechtsfehler ergeben.
aa) Insbesondere hat das Landgericht ausführlich und sorgfältig die gebotene Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs vorgenommen und dabei einen zutreffenden Prüfungsmaßstab angelegt (BGH NStZ 2007, 92; BGH, Urt. vom 11. Oktober 2007 - 4 StR 246/07).
Ausgehend von dem (auch) durch die beiden Sachverständigen vermittelten wissenschaftlichen Kenntnisstand, namentlich den empirischen Rückfall-Basisraten, hat sie vor allem anhand tatspezifischer, biographischer und psychiatrischer Kriterien eine individuelle Gefährlichkeitsprüfung durchgeführt (vgl. BGHSt 50, 121, 130 f.; BGH, Urt. vom 11. Oktober 2007 - 4 StR 246/07). Deren Darstellung in den Urteilsgründen lässt insbesondere Lücken oder Widersprüche nicht erkennen.
Auch die Revision zeigt Rechtsfehler nicht auf. Soweit sie die „Basisrate von 40 %“ als falsch bewertet ansieht, hat der Senat unter Berücksichtigung der im Urteil mitgeteilten Daten bereits Zweifel, ob der Wert empirisch zureichend gesichert und zudem für die hier in Rede stehende Tätergruppe repräsentativ ist. Die Revision verkennt aber vor allem, dass es auf vorhandene statistische Werte gerade nicht maßgeblich ankommt, weil allein die jeweilige individuelle Prüfung der Gefährlichkeit entscheidend ist. Mit den Gutachten der beiden psychiatrischen Sachverständigen hat die Strafkammer sich im Einzelnen, umfassend und mit vertretbaren Argumenten auseinandergesetzt. Es stellt auch keinen Widerspruch dar, wenn die Strafkammer im Rahmen der Prognose es einerseits positiv wertet, dass der Verurteilte im Übrigen unbestraft ist, und es andererseits als negativ ansieht, dass zwischen dem Entstehen der Phantasien und der diese verwirklichenden Tat nur ein kurzer Zeitraum gelegen hat. Denn hiermit würdigt sie, dass der Verurteilte unabhängig von seinen Phantasien nicht straffällig geworden ist.
bb) Schließlich stellt es keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar, dass das Landgericht eine auf § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB gestützte Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung nicht ausdrücklich erwogen hat, obwohl dessen formelle Voraussetzungen ebenfalls vorlagen. Denn auch insofern hätte es der Prognose zukünftiger Gefährlichkeit des Verurteilten bedurft, die das Landgericht gerade nicht getroffen hat.
Nack Wahl Rothfuß
Jäger Sander