Entscheidungsdatum: 27.07.2012
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichtes Darmstadt vom 8. November 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Er hat die Kosten der Wiedereinsetzung zu tragen.
Damit ist der Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 12. März 2012, mit dem seine Revision als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird
a) das vorbezeichnete Urteil in den Fällen 103, 120, 219, 226, 349, 360, 362, 363, 370, 376, 377, 386, 414 und 415 der Urteilsgründe aufgehoben, die hierfür verhängten Einzelstrafen entfallen;
b) in den Fällen 462, 463 und 465 der Urteilsgründe die Verfolgung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts auf den Vorwurf des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB beschränkt und auf Einzelstrafen von jeweils einem Monat erkannt;
c) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte schuldig ist
- in 420 Fällen der Fälschung beweiserheblicher Daten,
- in vier Fällen der Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung,
- in zwölf Fällen der versuchten Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung,
- in zwölf Fällen der Urkundenfälschung, davon in einem Fall in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren,
- in drei Fällen des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
4. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Fälschung beweiserheblicher Daten in 434 Fällen, Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung in vier Fällen, versuchter Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung in zwölf Fällen, Urkundenfälschung in zwölf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren, sowie wegen dreier Fälle der Urkundenunterdrückung in Tateinheit mit „Missbrauch von Titeln“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner zunächst unbeschränkten und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die er hinsichtlich der Fälle 1 und 464 der Urteilsgründe wirksam zurückgenommen hat. Im verbleibenden Umfang hat sie lediglich den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
I.
Dem Angeklagten ist gegen die von ihm erkennbar nicht verschuldete Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1 StPO).
Die Zustellung des angefochtenen Urteils an die Wahlverteidigerin ist erst am 6. Februar 2012 verfügt und sodann bewirkt worden (Band XIII, Bl. 3010 Rücks.), mithin nach Ablauf der durch wirksame Zustellung an den Pflichtverteidiger am 5. Januar 2012 (Band XIII. Bl. 2986) in Gang gesetzten Revisionsbegründungsfrist, und konnte daher eine neue Frist nicht in Gang setzen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2008 - 1 StR 436/08, StraFo 2008, 509). Die zuvor erfolgte formlose Übersendung von Kopien des Urteils und des Protokolls (Bd. XIII, Bl. 3006 Rücks.) ist keine Zustellung, die gemäß § 37 Abs. 2 StPO (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. August 1990 - 3 StR 459/87, BGHR StPO § 345 Abs. 1 Fristbeginn 4) die Revisionsbegründungsfrist hätte verlängern können.
II.
Die Revision des Angeklagten führt in drei Fällen zu einer Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO und hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten (§ 349 Abs. 2 StPO) ergeben. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
1. In den Fällen 462, 463 und 465 beschränkt der Senat mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO die Strafverfolgung aus prozessökonomischen Gründen auf den Vorwurf des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB.
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen erreichte der Angeklagte, der zu keiner Zeit über eine Zulassung als Rechtsanwalt verfügte, in zwei Fällen unter Verwendung eines von ihm gefälschten Anwaltsschreibens (Fälle 462 und 463 [„ebenfalls“ - UA S. 22] der Urteilsgründe), dass ihm Akten zu zwei ihn selbst betreffenden Ermittlungsverfahren (u.a. wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung) ausgehändigt wurden. In einem weiteren Fall wurde ihm aufgrund persönlicher Vorsprache beim Amtsgericht, bei der er sich als Rechtsanwalt ausgab, die Akte zu einem ihn betreffenden Bußgeldverfahren überlassen (Fall 465 der Urteilsgründe). Der Angeklagte gab keine dieser Akten zurück, sie wurden Gericht und Staatsanwaltschaft „auf Dauer entzogen“.
Zutreffend hat das Landgericht dies jeweils als ein Vergehen des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet. Ob sich der Angeklagte wegen dieses Sachverhalts darüber hinaus schon deswegen der Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) strafbar gemacht hat, weil (entgegen BGH, Beschluss vom 15. Juli 2010 - 4 StR 164/10, NStZ-RR 2011, 276 mwN) die Absicht der Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs von dieser Vorschrift erfasst ist (vgl. mit beachtlichen Argumenten bereits Schneider NStZ 1993, 16, 18 f.; auch Puppe in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl., § 274 Rn. 12 ff.), bedarf mit Blick auf die Verfahrensbeschränkung ebenso wenig einer abschließenden Entscheidung wie die Frage, ob das Verhalten des Angeklagten in diesen Fällen auch einen Verwahrungsbruch (§ 133 StGB) darstellt, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausführt (vgl. aber Ostendorf in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl., § 133 Rn. 14).
b) Der Senat setzt - in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts - die Einzelstrafen in den genannten Fällen gemäß § 354 Abs. 1 StPO auf die Mindestfreiheitsstrafe von einem Monat fest. Angesichts der mehr als vierhundert weiteren von der Strafkammer verhängten Einzelfreiheitsstrafen ist auszuschließen, dass die Strafkammer eine Geldstrafe verhängt hätte.
2. Die Feststellungen zu den Fällen 2 bis 434 der Urteilsgründe - der Angeklagte übermittelte jeweils selbst erstellte elektronische Lohnsteuerbescheinigungen für von ihm erfundene Personen mit fiktiven Arbeitsverhältnissen und fiktiven Lohnsteuerzahlungen an Finanzämter - belegen im Hinblick auf Doppel- und Dreifachnennungen der angeblichen Aussteller in den Urteilsgründen insgesamt nur 420 Fälle der Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 StGB).
Die hierdurch erforderliche Korrektur des Schuldspruchs zieht den Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen 103, 120, 219, 226, 349, 360, 362, 363, 370, 376, 377, 386, 414 und 415 der Urteilsgründe nach sich.
3. Nach den Feststellungen des Landgerichts zu den Fällen 436 bis 451 der Urteilsgründe gab der Angeklagte für die vorgeblichen Arbeitnehmer (s.o. 2.) zunächst auf elektronischem Weg (ELSTER) und jeweils wenige Tage später in Papierform eine Einkommensteuererklärung ab. In vier Fällen erreichte er so aufgrund der Anrechnung vermeintlich abgeführter Lohnsteuer ungerechtfertigte Auszahlungen an sich, in zwölf weiteren Fällen kam es wegen entdeckter Unstimmigkeiten in den Steuererklärungen zu keiner Auszahlung.
Zutreffend hat das Landgericht dies jeweils als Steuerhinterziehung bzw. versuchte Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung gewertet. Soweit es den Angeklagten in diesen Fällen nicht auch wegen Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 StGB) verurteilt hat, ist er jedenfalls nicht beschwert (zu den Konkurrenzen vgl. einerseits Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 269 Rn. 12; Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 269 Rn. 25; Hilgendorf in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 269 Rn. 12; andererseits Zieschang in LK-StGB, 12. Aufl., § 269 Rn. 29 ff.; Puppe in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl., § 269 Rn. 39 ff.; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 269 Rn. 12; ausführlich auch Radtke, ZStW 115 [2003], 26 ff.); der Senat sieht insoweit von der vom Generalbundesanwalt beantragten Schuldspruchänderung ab.
4. Der Wegfall und die Herabsetzung von Einzelstrafen lässt die Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe unberührt. Der Senat schließt angesichts der verbleibenden Vielzahl von Einzelstrafen und deren Höhe (vier Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr und zwei Monaten, 442 Einzelfreiheitsstrafen von je acht Monaten, zwei Einzelfreiheitsstrafen von je sechs Monaten und drei Einzelfreiheitsstrafen von - nunmehr - je einem Monat) aus, dass das Landgericht auf eine noch mildere Gesamtfreiheitsstrafe als eine solche von zwei Jahren und neun Monaten erkannt hätte.
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