Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 23.08.2016


BGH 23.08.2016 - 1 StR 204/16

Hinterziehung von Tabaksteuer: Verfallsanordnung hinsichtlich der geschmuggelten Zigaretten; Tabaksteuer als ersparte Aufwendungen; Auswirkungen der Verfallsanordnung auf die Gesamtstrafenbildung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
23.08.2016
Aktenzeichen:
1 StR 204/16
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:230816B1STR204.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Lübeck, 2. Februar 2016, Az: 6 KLs 16/15
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 2. Februar 2016 aufgehoben

a) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe,

b) hinsichtlich des Verfalls und

c) soweit das Landgericht festgestellt hat, dass hinsichtlich Beträgen in Höhe von 28.650,-- Euro und 12.972,12 Euro die Ansprüche Verletzter der Anordnung des Verfalls von Wertersatz entgegenstehen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird das Urteil zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 55 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zudem hat es hinsichtlich eines Betrages von 100.000,-- Euro den Verfall (gemeint: des Wertersatzes) angeordnet. Hinsichtlich sichergestellten Bargelds in Höhe von 28.650,-- Euro und Bankguthaben von insgesamt 12.972,12 Euro hat das Landgericht festgestellt, dass wegen Ansprüchen Verletzter nicht auf Verfall erkannt wird. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

Aufgrund eines gemeinsam mit dem Angeklagten gefassten Tatplans ließ der gesondert Verfolgte D. im Zeitraum vom 11. Januar 2014 bis zum  15. Juni 2015 in 55 Fällen unversteuerte Zigaretten verschiedener Marken in einer Gesamtmenge von 62.593 Stangen zu je 200 Zigaretten von Polen aus über die deutsch-polnische Grenze nach Deutschland verbringen. Der Angeklagte, der die Zigaretten vorher bestellt hatte, nahm sie jeweils in G. bei  H. in Empfang, um sie sodann mit einem Aufschlag von 2,-- Euro pro  Stange Zigaretten auf den an D. gezahlten Einkaufspreis an zwei Großabnehmer weiterzuverkaufen. Dem Tatplan entsprechend gaben weder  D. noch der Angeklagte bei den Zollbehörden Steuererklärungen für die  nach Deutschland verbrachten Zigaretten ab. Der Angeklagte wollte die Tabaksteuer nicht abführen, um aus den von ihm deutlich unter dem handelsüblichen Preis verkauften Zigaretten noch einen Gewinn für sich zu erzielen. Die 478.280 Stück unversteuerter Zigaretten aus der letzten Lieferung vom 15. Juni 2015 wurden von einer Spezialeinheit des Zolls in G. sichergestellt.

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Nach der Berechnung des Landgerichts verkürzte der Angeklagte durch den Verstoß gegen die ihn gemäß § 23 TabStG treffenden Erklärungspflichten im Rahmen der 55 Transporte – ausgehend von der jeweiligen Mindeststeuer – Tabaksteuer von insgesamt mindestens 1.887.689,84 Euro.

II.

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Die Verfahrensrügen dringen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen nicht durch. Demgegenüber hat die Revision mit der Sachrüge hinsichtlich der Aussprüche über die Gesamtfreiheitsstrafe und den Verfall (des Wertersatzes) sowie hinsichtlich der gemäß § 111i Abs. 2 StPO getroffenen Feststellung Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

6

1. Der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in 55 Fällen wird von den rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen getragen. Die Tabaksteuer entstand beim Grenzübertritt von Polen nach Deutschland, weil die Tabakwaren entgegen § 17 Abs. 1 TabStG ohne deutsche Steuerzeichen aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbracht und dabei zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten wurden (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG). Der Angeklagte verstieß jeweils gegen seine Pflicht aus § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 TabStG, als Steuerschuldner über die Tabakwaren, für die die Steuer entstanden war, unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben (vgl. dazu Jäger in Joecks/Jäger/ Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370 AO Rn. 386 mit Nachweisen aus der Rspr.). Auch der Ausspruch über die Einzelstrafen weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 349 Abs. 2 StPO).

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2. Demgegenüber hat die Anordnung des Verfalls (des Wertersatzes) keinen Bestand.

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a) Das Landgericht hat die Anordnung des Verfalls eines Betrages von 100.000,-- Euro als Wertersatz auf § 73 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 73a StGB gestützt. Es ist der Auffassung, der Angeklagte habe die Zigaretten aus den verfahrensgegenständlichen Taten der Steuerhinterziehung erlangt. § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB erlaube, den Verfall auf Gegenstände zu erstrecken, die der Täter oder Teilnehmer durch die Veräußerung des erlangten Gegenstandes erworben habe. Durch die Veräußerung der 60.243 Stangen Zigaretten aus den Taten 1 bis 54 der Urteilsgründe habe der Angeklagte einen Gewinn von 2,-- Euro je Stange Zigaretten erlangt. Weil dieser Betrag gegenständlich nicht mehr vorhanden sei, sei gemäß § 73a StGB der Verfall von Wertersatz anzuordnen. Die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB stehe dem Verfall nicht entgegen, weil dem Fiskus aus dem Verkauf der Zigaretten kein Anspruch entstanden sei. Gemäß § 73c Abs. 1 Nr. 2 StGB brachte das Landgericht im Hinblick darauf, dass der Angeklagte auf die Rückgabe seines Fahrzeugs verzichtet hatte, von dem erlangten Gewinn 20.486,-- Euro in Abzug.

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b) Bereits die Annahme, der Angeklagte habe aus den Taten der Steuerhinterziehung die ohne deutsche Steuerzeichen nach Deutschland verbrachten Zigaretten erlangt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar ist beim Delikt der Steuerhinterziehung auch ein Betrag in Höhe der verkürzten Steuern erlangtes „etwas“, im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB, weil sich der Täter die Aufwendungen für diese Steuern erspart (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2016 – 1 StR 118/16, StraFo 2016, 349; vom 27. Januar 2015 – 1 StR 613/14, wistra 2015, 236; vom 28. Juni 2011 – 1 StR 37/11, wistra 2011, 394 und vom 13. Juli 2010 – 1 StR 239/10, wistra 2010, 406; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 73 Rn. 9). Die Waren, auf die sich die Hinterziehung von Verbrauchsteuern bezieht, sind als solche jedoch nicht durch die Steuerhinterziehung erlangt. Sie unterliegen deshalb nicht dem Verfall gemäß § 73 StGB, können aber gemäß § 375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO eingezogen werden.

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c) Soweit sich der Angeklagte die Aufwendungen für die verkürzten Steuern erspart hat, ist hier eine Verfallsanordnung deshalb ausgeschlossen, weil Ansprüche des Steuerfiskus im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2016 – 1 StR 118/16, StraFo 2016, 349; vom 27. Januar 2015 – 1 StR 613/14, wistra 2015, 236 und vom 28. Juni 2011 – 1 StR 37/11, wistra 2011, 394: BGH, Beschluss vom 28. November 2000 – 5 StR 371/00, NStZ 2001, 155). Die im Hinblick auf § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB im Ansatz zutreffende Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO hält hier jedoch aus den vom Generalbundesanwalt aufgezeigten Gründen ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht stand und bedarf neuer tatrichterlicher Prüfung.

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d) Allerdings kommt gemäß § 74c StGB eine Einziehung des Wertersatzes der Zigaretten in Betracht. § 375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ordnet als Nebenfolge einer Steuerhinterziehung, die sich auf die Hinterziehung von Verbrauchsteuern bezieht, die Möglichkeit der Einziehung der verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnisse als Beziehungsgegenstände an. Hat der Täter – wie hier – den Gegenstand, der ihm zur Zeit der Tat gehörte oder zustand und auf dessen Einziehung hätte erkannt werden können, vor der Entscheidung über die Einziehung veräußert, so kann das Gericht gegen ihn gemäß § 74c StGB die Einziehung eines Geldbetrags bis zu der Höhe anordnen, die dem Wert des Gegenstandes entspricht. Diese Einziehungsmöglichkeit besteht gemäß § 369 Abs. 2 AO auch im Steuerstrafrecht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2016  – 1 StR 118/16, StraFo 2016, 349).

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Da jedoch sowohl die Frage des Ob als auch des Umfangs einer Einziehung des Wertersatzes gemäß § 74c Abs. 1 StGB dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts unterliegt („kann“), ist es dem Senat verwehrt, die Entscheidung über die Einziehung selbst zu treffen.

13

3. Die Möglichkeit, dass anstelle des vom Landgericht angeordneten Verfalls von Wertersatz eine Einziehung von Wertersatz in Betracht kommt, zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe nach sich. Denn die auf § 375 Abs. 2 AO gestützte Einziehung hat den Charakter einer Nebenstrafe (vgl. Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 375 AO Rn. 32) und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar. Wird dem Täter auf diese Weise eine ihm gehörende Sache von nicht unerheblichem Wert entzogen, ist dies ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (vgl. zu § 74 StGB: BGH, Beschlüsse vom 12. März 2013 – 2 StR 43/13, StV 2013, 565 und vom 16. Februar 2012 – 3 StR 470/11, NStZ-RR 2012, 169, jeweils mwN). Für die Einziehung des Wertersatzes gemäß § 74c StGB – ebenfalls eine Nebenstrafe (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 1952 – 2 StR 47/51, BGHSt 3, 163, 164 zu § 401 Abs. 2 RAO; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 74c Rn. 1) – gilt nichts anderes (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2016 – 1 StR 118/16, StraFo 2016, 349 mwN). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet hätte, wenn es statt des Verfalls des Wertersatzes (§ 73a StGB) die Einziehung des Wertersatzes (§ 74c StGB) angeordnet hätte. Der Strafausspruch im Übrigen hat dagegen Bestand.

III.

14

Die Sache ist somit im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Bei der Ermessensentscheidung über die Einziehung des Wertersatzes der veräußerten Zigaretten wird das neue Tatgericht in den Blick nehmen, inwieweit der Angeklagte gemäß § 71 AO für die verkürzten Steuern haftet.

15

Da die Urteilsfeststellungen von den dargestellten Rechtsfehlern nicht betroffen sind, bleiben sie bestehen. Das neue Tatgericht kann weitere Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht im Widerspruch stehen.

Raum                                  Graf                                  Jäger

                   Radtke                             Mosbacher