Entscheidungsdatum: 11.09.2018
1. Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 18. Oktober 2017 werden verworfen.
2. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten B. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Mordes in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegen den Angeklagten S. hat es wegen Mordes in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verhängt.
Dagegen wendet sich der Angeklagte B. mit der allgemeinen Sachrüge und der Angeklagte S. mit der Rüge formellen und materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten B. eingelegten und ausdrücklich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision die Anwendung von Jugendstrafrecht auf den zur Tatzeit zwanzig Jahre und fünf Monate alten Angeklagten.
Die Revisionen haben keinen Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen der Jugendkammer wollten sich die Angeklagten S. und B. durch den Gewinn bringenden Handel mit Marihuana eine zusätzliche Einnahmequelle von einigem Gewicht und einiger Dauer verschaffen. Sie erwarben deshalb Anfang November 2016 von dem Mitangeklagten M. ein Kilogramm Marihuana für 4.000 €. 2.500 € zahlten S. und B. sofort. Der Restkaufpreis sollte in Raten abbezahlt werden. Mitte November 2016 verkauften sie das Kilogramm Marihuana an Ma. und Sk. für 5.000 € und vereinbarten bei Übergabe, dass der Kaufpreis erst in den folgenden Tagen bezahlt werden sollte.
Ma. und Sk. waren jedoch nicht zahlungswillig. Am 1. Dezember 2016 trafen die Angeklagten S. und B. Ma. in einer Spielothek an. Ma. verweigerte jedoch die Zahlung und bat seinen Freund K. telefonisch zu seiner Unterstützung herbei, weil er mit einer körperlichen Auseinandersetzung rechnete. Als K. eintraf, saßen S. und B. vor der Spielothek in dem schaltgetriebenen Fiat Punto des Angeklagten S. . Sie beobachteten, dass Ma. und K. die Spielothek wenige Minuten später verließen und vor einer nahegelegenen Sitzgruppe eng beieinander stehen blieben. S. und B. beschlossen, ihrer gemeinsamen Forderung auf Zahlung von 5.000 € drastisch Nachdruck zu verleihen.
Sie vereinbarten, zunächst mit dem von B. gesteuerten Fiat eine Runde um den Block zu fahren. Dann sollte B. nach beschleunigtem Heranfahren nahe der Sitzgruppe scharf abbremsen und der Beifahrer S. aus dem geöffneten Beifahrerfenster einen Schuss aus der scharfen Pistole Kaliber 7,65 mm in Richtung von Ma. und K. abfeuern. Nach der Schussabgabe sollte B. so schnell wie möglich wegfahren.
Von ihrem gemeinsamen Tatplan war sowohl eine Schussabgabe ohne Treffer als auch die Verletzung oder der Tod einer der beiden Männer umfasst. Ein Todeseintritt war ihnen zwar unerwünscht, sie fanden sich jedoch damit ab. Sie nahmen den Tod von Ma. oder K. billigend in Kauf, weil sie um jeden Preis eine Zahlung der 5.000 € erreichen wollten. Für den Fall, dass sie K. tödlich treffen sollten oder ihn oder Ma. nur verletzen oder verfehlen sollten, gingen sie davon aus, dass dann der verängstigte überlebende Ma. bzw. die verängstigten Ma. und Sk. zahlen würden. Sollten sie Ma. tödlich treffen, nahmen sie an, dass Sk. zahlen würde.
Sie wussten, dass der Schuss aus dem Auto nach einer starken Bremsung aus einer Entfernung von fünf bis zehn Metern bei einbrechender Dunkelheit und einsetzender Straßenbeleuchtung in Sekundenschnelle erfolgen würde und S. kein geübter Pistolenschütze war. Beide erkannten und billigten den Umstand, dass Ma. und K. nicht mit einem Schuss rechneten und keine Chance hatten zu fliehen, auszuweichen oder den Angriff abzuwehren. Diesen Umstand wollten sie ausnutzen.
Nach der Fahrt um den Block näherten sie sich wie geplant erneut der Sitzgruppe. B. bremste das Fahrzeug stark ab. S. gab unmittelbar nach dem Stillstand des Fahrzeugs durch das vollständig geöffnete Beifahrerfenster aus einer Entfernung von fünf bis sieben Metern einen Schuss in Richtung der nahe zusammenstehenden Ma. und K. ab. Er traf K. mitten ins Herz. K. verstarb sofort.
2. a) Zur Entwicklung des Angeklagten B. führte die Jugendkammer aus, dass der Angeklagte vor knapp drei Jahren wegen Arbeitslosigkeit und schlechter beruflicher Perspektive in Italien auf Rat seines Vaters nach Deutschland gegangen sei, sich mit verschiedenen Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, bei seiner Großmutter gewohnt habe und zwischen Italien und Deutschland gependelt sei. Als sich sein Vater vor etwa zwei Jahren entschlossen hätte, ebenfalls nach Deutschland zu ziehen und ihm eine Stelle als Hilfsarbeiter in einer Zimmerei vermittelt habe, habe der Angeklagte ab März 2015 mit einem Nettoeinkommen von etwa 1.500 € in der Zimmerei und an den Wochenenden bei einer anderen Firma mit einem Nettoeinkommen von etwa 400 € gearbeitet. Sein Vater habe alle finanziellen Angelegenheiten für ihn verwaltet, ihm die jährliche Steuererklärung erstellt, die EC-Karte verwahrt und ihm monatlich Geld zugeteilt. Bei anstehenden Entscheidungen habe der Angeklagte stets seinen Vater um Rat gefragt. Der Angeklagte plane eine Ausbildung zum Dachdecker bei seinem Arbeitgeber, um sich dann gemeinsam mit seinem Vater als Dachdecker selbstständig zu machen. Seine in Italien lebende Freundin, mit der er seit fünf Jahren eine Beziehung führe, wolle er zeitnah heiraten.
b) Das Landgericht hat auf den Angeklagten B. Jugendstrafrecht angewandt und gemäß § 17 Abs. 2 JGG wegen schädlicher Neigungen auf Jugendstrafe erkannt.
Die Anwendung von Jugendstrafrecht hat die Jugendkammer damit begründet, dass es dem Angeklagten bisher nicht gelungen sei, sich von seiner Familie zu lösen. Er meide eigenverantwortliche Entscheidungen. Auch sein sozialer Umgang sei auf seine Familie und den Angeklagten S. beschränkt. Seine schlechten Deutschkenntnisse hätten den Aufbau eines eigenen gleichaltrigen Freundeskreises verhindert und dazu geführt, dass er zur Tatzeit noch stark von seiner Familie abhängig gewesen sei. In den Taten komme zum Ausdruck, dass er naiv gehandelt hätte und noch nicht über das bei einem ausgereiften Heranwachsenden zu erwartende Konfliktmanagement und die nötige Kontrolle seiner Emotionen verfügt habe. So habe er gemeinsam mit dem Angeklagten S. in der bloßen Hoffnung, von Ma. und Sk. den für das Kilogramm Marihuana vereinbarten Kaufpreis in Höhe von 5.000 € zu erhalten, den beiden das Marihuana ohne Sicherheit und ohne Anzahlung überlassen. Deren anhaltende Zahlungsverweigerung habe ihn dazu gebracht, nur wegen 5.000 € den Schuss aus dem Auto heraus zu ermöglichen. Ein solches aus Verärgerung entstandenes Verhalten unter billigender Inkaufnahme des Todes eines Menschen entspräche eher jugendtypischen Verhaltensmustern als dem Bild eines ausgereiften und selbst kontrollierten Heranwachsenden. Der mangelnde Anschluss an Altersgenossen habe sich auch nach seiner Inhaftierung fortgesetzt, in der Haft habe er vor allem die von jüngeren Gefangenen genutzten Fortbildungsmöglichkeiten in Anspruch genommen. Darüber hinaus sprächen auch die Zukunftspläne des Angeklagten in Form von „Tagträumen“ für eine für Jugendliche und nicht ausgereifte Heranwachsende typische Selbstüberschätzung. So plane der bisher nur als Arbeiter in einer Zimmerei beschäftigte und nur wenig Deutsch sprechende Angeklagte bereits, eine Ausbildung als Zimmermann zu absolvieren, nach deren erfolgreichem Abschluss eine eigene Firma zu gründen und sich als Zimmermann selbstständig zu machen. Er plane also nicht in rationaler Weise einen Schritt nach dem anderen, sondern überspiele seine Unsicherheit durch den Wunsch zur frühen Selbstständigkeit. In die gleiche Richtung ziele sein Wunsch, seine in Italien lebende Verlobte zu heiraten und eine Familie zu gründen. Zwar sei er eigener Einlassung zufolge bereits seit fünf Jahren mit seiner Verlobten in einer Beziehung, doch habe sich diese Beziehung mit Ausnahme der wenigen Besuche des Angeklagten in Italien auf bloße Kommunikation per Telefon beschränkt, das Bild dieser Beziehung entspräche daher zumindest derzeit noch nicht der einer gefestigten Beziehung, die Grundlage für eine Heirat und die Gründung einer Familie sei und als Indiz für eine eigenständige und konkrete Lebensplanung herangezogen werden könnte.
II. Revisionen der Angeklagten
Der Schuldspruch und der Strafausspruch enthalten keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten. Insoweit und hinsichtlich der Verfahrensrügen wird auf die Antragsschriften des Generalbundesanwalts Bezug genommen.
Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass die Beweiswürdigung der Jugendkammer, auf die sie ihre Überzeugung stützt, die Schussabgabe sei durch den Beifahrer S. erfolgt, nicht zu beanstanden ist. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Insbesondere hat die Strafkammer aus der enormen Geschwindigkeit der Tatausführung und dem Fehlen auffälliger Bewegungen im Fahrzeuginneren ein Abfeuern des Schusses durch den Beifahrer S. für erwiesen erachtet und eine Schussabgabe durch den Fahrer B. mit überzeugenden Erwägungen, auch unter Berücksichtigung möglicher Positionen bzw. Armhaltungen des Schützen, ausgeschlossen.
III. Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
Die Jugendkammer hat auf den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten Jugendstrafrecht angewendet, da er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichgestanden habe (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG). Die Jugendkammer hat die Anwendung von Jugendstrafrecht rechtsfehlerfrei begründet.
Gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist auf einen Heranwachsenden Jugendstrafrecht anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand. Einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte und prägbare Heranwachsende, bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind. Ist das nicht der Fall und stehen Reiferückstände nicht im Vordergrund, hat der Täter vielmehr die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, ist auf ihn allgemeines Strafrecht anzuwenden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 23. Oktober 1958 – 4 StR 327/58, BGHSt 12, 116, 118; vom 16. Januar 1968 – 1 StR 604/67, BGHSt 22, 41, 42; vom 6. Dezember 1988 – 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37, 39; vom 20. Mai 2002 – 2 StR 2/02, BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand 8 und vom 20. Mai 2014 – 1 StR 610/13, NStZ 2015, 230 f.). Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit und unter Berücksichtigung der sozialen Lebensbedingungen und Umweltbedingungen zu beurteilen. Dem Tatrichter steht hierbei ein weiter Beurteilungsspielraum zu (BGH, Urteile vom 6. Dezember 1988 – 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37 f. mwN; vom 11. März 2003 – 1 StR 507/02, NStZ-RR 2003, 186 ff. und vom 20. Mai 2014 – 1 StR 610/13, NStZ 2015, 230 f.; Beschluss vom 14. August 2012 – 5 StR 318/12, NStZ 2013, 289 f.). Diesen Beurteilungsspielraum hat die Jugendkammer nicht überschritten. Ihr ist auch nicht aus dem Blick geraten, dass der Angeklagte eine nicht unbedeutende Rolle bei dem dem Tötungsdelikt vorausgegangenen Drogengeschäft gespielt hat.
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