Entscheidungsdatum: 22.05.2017
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 2. November 2016 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer anderweitigen rechtskräftigen Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision, die in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg hat.
1. Aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aufgezeigten Gründen bleibt der Angriff der Revision auf den Schuldspruch erfolglos.
2. Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch schon auf die Sachrüge hin keinen Bestand haben.
a) Das sachverständig beratene Landgericht hat keinen Hang im Sinne des § 64 StGB festgestellt und deswegen die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt. Hierfür hat es darauf abgestellt, dass die Sachverständige bei dem Angeklagten kein Abhängigkeitssyndrom zu diagnostizieren vermochte, da weder Entzugssymptome dokumentiert, noch Organschäden erkennbar seien. Da aber im Einklang mit den vom Angeklagten geschilderten Trinkgewohnheiten eine gewisse Toleranzentwicklung erkennbar sei, liege ein schädlicher Gebrauch von Alkohol vor. An einem Hang fehle es dennoch, da „die Zeit des problematischen - allein auf den Angaben des Angeklagten beruhenden - Alkoholkonsums vergleichsweise kurz gewesen sei und eine klinische Vorgeschichte unabhängig von strafrechtlichen Bezügen fehle“. Die Einengung der Interessen des Angeklagten auf den Alkoholkonsum sei zudem noch nicht soweit ausgeprägt, dass von einer eingewurzelten intensiven Neigung gesprochen werden könne. Zwar sei die berufliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten „möglicherweise beeinträchtigt“, sein soziales Umfeld sei aber durch den Alkoholkonsum jedenfalls nicht wesentlich beeinträchtigt gewesen, da er zu Hause keinen Alkohol getrunken habe. Auch gebe es keine Anzeichen einer Verwahrlosung oder eines Kontrollverlustes über den Konsum, er habe vielmehr immer wieder kurzzeitig auf Alkohol verzichten können.
b) Diese Ausführungen lassen - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis des Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist und enthalten keine hinreichende und widerspruchsfreie Abwägung aller maßgeblichen Umstände zur Beurteilung des Vorliegens eines Hanges. Hierfür ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 - 1 StR 219/16, NStZ-RR 2017, 7; Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271).
Hieran gemessen begegnen die Ausführungen des Landgerichts durchgreifenden Bedenken. Denn es fehlt eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem Trinkverhalten des Angeklagten und der sich hieraus für ihn ergebenden Konsequenzen. Hierzu hätte über den - für sich genommen zudem unklaren und mit den Feststellungen in einem gewissen Spannungsverhältnis stehenden - Hinweis auf die vergleichsweise kurze Zeit des problematischen Konsums wegen folgender Umstände Anlass bestanden:
So steigerte der Angeklagte ausweislich der Feststellungen bereits knapp zwei Jahre vor der Tat seinen schon etliche Jahre andauernden regelmäßigen Alkoholkonsum weiter. Infolge seines Trinkverhaltens ließ er sich mehrfach krankschreiben und blieb unentschuldigt seinem Ausbildungsplatz fern, was zu einer Kündigung wegen unentschuldigter Fehlzeiten führte. Nach dieser Kündigung steigerte sich der Alkoholkonsum erneut. Ende September 2015, also etwa ein halbes Jahr vor der Tat, beging der deutlich alkoholisierte Angeklagte eine gefährliche Körperverletzung. Auch den folgenden Arbeitsplatz verlor er wenige Wochen vor der hiesigen Tat ebenfalls wegen unentschuldigter und verspätet angezeigter Fehlzeiten. Diese Fehlzeiten gingen darauf zurück, dass der Angeklagte wegen des nächtlichen Alkoholkonsums und dem damit einhergehenden Freizeitverhalten Schwierigkeiten mit dem Aufstehen hatte. Schließlich wies der Angeklagte etwa zwei Stunden nach der Tat eine Blutalkoholkonzentration von 2,12 Promille auf.
Die Ausführungen zu „jedenfalls nicht wesentlich beeinträchtigt[en]“ Beziehungen zum sozialen Umfeld und zu seiner Fähigkeit zum kurzzeitigen Verzicht lassen vor diesem Hintergrund zudem besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen Maßstab für die Annahme des Hanges ausgegangen ist. So kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 415/15 und vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschluss vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15; Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271). Dies gilt umso mehr, als hier das Landgericht von einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit ausgegangen ist, diese trotz zweimaligen Arbeitsplatzverlustes aber nicht als gewichtig genug eingestuft hat. Ebenso wenig steht die Tatsache, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271 und Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204; vgl. auch Fischer, StGB, 64. Aufl., § 64 Rn. 7a).
c) Da auch die übrigen Voraussetzungen zur Anordnung der Maßregel des § 64 StGB nicht fernliegen, konnte die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keinen Bestand haben. Dass nur der die Nichtanwendung des § 64 StGB ausdrücklich als rechtsfehlerhaft beanstandende Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
d) Ausnahmsweise kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass der Rechtsfehler sich auf den Strafausspruch ausgewirkt hat. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„Die rechtsfehlerhaften Ausführungen zum Hang berühren auch den Strafausspruch, da das Landgericht maßgeblich aufgrund der selbstverschuldeten Alkoholintoxikation von einer Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgesehen hat ...“.
Dem kann sich der Senat letztlich nicht verschließen. Zwar wird in der Regel auszuschließen sein, dass das Tatgericht bei Anordnung der Unterbringung auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 15. März 2016 - 1 StR 526/15 Rn. 28, StV 2017, 29 und vom 28. April 2014 - 1 StR 594/14 Rn. 23). Hier besteht aber eine vom Landgericht durch einen Verweis hergestellte Verknüpfung zwischen den vom Rechtsfehler behafteten Ausführungen zum Vorliegen eines Hanges und der Strafrahmenwahl. Denn das Landgericht hat trotz Vorliegens einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit von der Möglichkeit der Strafrahmenverschiebung keinen Gebrauch gemacht. Hierfür hat es - auf dem Boden der aktuellen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239) - darauf abgestellt, dass es für den Angeklagten voraussehbar war, dass sich sein Risiko der Begehung von Gewaltstraftaten unter Alkoholkonsum erhöht und er sich „uneingeschränkt vorwerfbar“ betrunken hat. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Ausführungen zum Hang hat es ausgeschlossen, dass der Angeklagte „alkoholkrank war oder aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weit beherrschenden Hangs trank“.
Graf |
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