Entscheidungsdatum: 07.11.2018
1. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 11. Oktober 2017 - soweit es ihn betrifft - mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) im Schuld- und Strafausspruch in den Fällen C.II.33 bis 37 sowie C.III.44 bis 48 der Urteilsgründe sowie
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in zwölf Fällen, versuchten Betrugs in zwei Fällen sowie Steuerhinterziehung in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Daneben hat es gegen ihn die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 30.000 Euro angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Betrugs in sieben Fällen und versuchten Betrugs in zwei Fällen zum Nachteil der D. zu Einzelfreiheitsstrafen sowie die Anordnung der an diesen Taten anknüpfenden Einziehung von Taterträgen in Höhe von 30.000 Euro sind rechtsfehlerfrei.
2. Demgegenüber hält die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen sowie wegen Betrugs in fünf Fällen zum Nachteil des Kreises R. („Sozialleistungsbetrug“) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen fünf Fällen der Hinterziehung von Umsatzsteuer gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO für die Jahre 2009 bis 2013 verurteilt hat (Fälle C.III.44 bis 48 der Urteilsgründe), beruhen die festgestellten Besteuerungsgrundlagen auf keiner tragfähigen Beweiswürdigung; dies entzieht hier bereits dem Schuldspruch die Grundlage.
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts tätigte der Angeklagte in den Jahren 2009 bis 2013 als selbständiger „Rentenberater“ jeweils Bruttoumsätze von insgesamt 20.000 Euro und verkürzte die sich hieraus ergebende Umsatzsteuer von 3.193,28 Euro pro Jahr, weil er pflichtwidrig vorsätzlich keine Umsatzsteuerjahreserklärungen abgab (UA S. 76, 91). Die Feststellungen zum Umfang der „steuerpflichtigen Bruttoumsätze“ stützt das Landgericht allein auf die geständige Einlassung des Angeklagten.
bb) Die Beweiswürdigung zur Höhe der von dem Angeklagten getätigten steuerbaren (§ 1 UStG) und steuerpflichtigen (§ 4 UStG) Umsätze ist durchgreifend rechtsfehlerhaft.
(1) Allerdings ist das Landgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass die Feststellungen über die von einem Unternehmer getätigten Umsätze auf dessen Geständnis gestützt werden können, wenn der Unternehmer den Umfang der Umsätze kennt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. August 2018 - 1 StR 374/18, juris Rn. 4 mwN). Dies war hier jedoch bei dem Angeklagten B. im Gegensatz zum Mitangeklagten C. ersichtlich nicht der Fall. Während das Geständnis des Mitangeklagten genaue Beträge mit Nachkommastellen enthielt, gab der Angeklagte - erkennbar als Ergebnis einer Schätzung - an, in allen fünf Jahren jeweils 20.000 Euro steuerpflichtige Bruttoumsätze erzielt zu haben. Auf welcher Grundlage der Angeklagte diesen runden und jährlich gleichen Betrag geschätzt hat, teilt das Landgericht nicht mit. Dass es sich hierbei lediglich um die Schätzung eines jährlichen Mindestbetrages für die Umsätze gehandelt haben könnte, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
(2) Ausgehend hiervon hätte das Landgericht eine eigene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vornehmen müssen. Die Voraussetzungen einer Schätzung lagen vor, weil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Schätzung im Steuerstrafverfahren dann in Betracht kommt, wenn - wie hier - zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, aber ungewiss ist, welches Ausmaß die Besteuerungsgrundlagen haben (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 29. August 2018 - 1 StR 374/18, juris Rn. 7 mwN).
(3) Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen hat das Landgericht jedoch nicht vorgenommen. Es hat lediglich den von dem Angeklagten genannten Betrag von 20.000 Euro Umsatz pro Jahr ungeprüft übernommen. Ob es sich hierbei um die vereinbarten oder die vereinnahmten Entgelte handelt, bleibt ebenfalls offen. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht von zu hohen Gesamtumsätzen und damit von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen ist.
(4) Angesichts dieses Rechtsfehlers kann hier bereits der Schuldspruch keinen Bestand haben. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei rechtsfehlerfreier Schätzung der von dem Angeklagten getätigten Umsätze die Voraussetzungen der Kleinunternehmerregelung des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG erfüllt wären. Nach dieser Regelung wird die für Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geschuldete Umsatzsteuer von Unternehmern nicht erhoben, wenn der in Satz 2 dieser Vorschrift bezeichnete Umsatz zuzüglich der darauf entfallenen Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 Euro nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 Euro voraussichtlich nicht übersteigen wird. Wird aber nach § 19 Abs. 1 UStG Umsatzsteuer nicht erhoben, kann diese auch nicht im Sinne von § 370 Abs. 1, Abs. 4 AO verkürzt werden.
Für das Jahr 2009 fehlt es zudem schon an der für § 19 Abs. 1 UStG bedeutsamen Feststellung, in welcher Höhe der Angeklagte im vorangegangenen Jahr steuerpflichtige Umsätze getätigt hat. Feststellungen dazu, dass der Angeklagte auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG verzichtet haben könnte, enthalten die Urteilsgründe nicht. Ebenso wenig ist festgestellt, dass der Angeklagte für die von ihm getätigten Umsätze in Rechnungen Umsatzsteuer ausgewiesen hat, die er dann hätte anmelden müssen.
b) Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Betrugs („Sozialleistungsbetrug“) in fünf Fällen zum Nachteil des Kreises R. verurteilt hat (Fälle C.II.33 bis 37 der Urteilsgründe), hält der Schuldspruch ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts beantragte der Angeklagte in den Jahren 2010 bis 2014 unberechtigt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, wobei er seine Einkünfte als „Rentenberater“ bewusst verschwieg. Ihm wurden jeweils - obwohl er wegen dieser Einkünfte nach der Berechnung des Landgerichts hierauf keinen Anspruch hatte - Sozialleistungen nach dem SGB II gewährt.
bb) Wie bereits beim Tatvorwurf der Steuerhinterziehung hinsichtlich der vom Angeklagten getätigten Umsätze beruht auch die Feststellung der von ihm bei der Beantragung von Sozialleistungen nach dem SGB II verschwiegenen Einkünfte auf keiner tragfähigen Beweiswürdigung. Auch insoweit hat das Landgericht die Angaben des Angeklagten über die (von ihm ersichtlich geschätzte) Höhe seiner Einkünfte - jeweils gleichhohe runde Beträge - ungeprüft übernommen, ohne die hier gebotene eigene Schätzung der Höhe der Einkünfte vorzunehmen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass ausgehend von einer rechtsfehlerfreien tatrichterlichen Schätzung von einem Anspruch des Angeklagten auf Sozialleistungen bis hin zur Höhe der geleisteten Zahlungen auszugehen wäre. Daher kann auch insoweit bereits der Schuldspruch wegen Betrugs keinen Bestand haben.
3. Im Hinblick auf die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen C.II.33 bis 37 und III.44 bis 48 der Urteilsgründe hat auch der den Angeklagten betreffende Gesamtstrafausspruch keinen Bestand.
4. Eine Erstreckung der Aufhebung gemäß § 357 StPO auf den nichtrevidierenden Mitangeklagten C. kommt nicht in Betracht. Ungeachtet des Umstands, dass dieser Mitangeklagte genaue und keine geschätzten Beträge angegeben hat, liegt bei ihm ein Erörterungsmangel in der Beweiswürdigung schon deshalb nicht vor, weil die insoweit maßgeblichen Darstellungspflichten hinsichtlich des nichtrevidierenden Mitangeklagten in einem nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Urteil nicht bestehen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2004 - 5 StR 376/03, NStZ 2005, 223).
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