Entscheidungsdatum: 31.03.2011
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 30. November 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Außerdem hat es ihn in einer Entziehungsanstalt untergebracht sowie zu einer Schadensersatz- und einer Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, ausschließlich auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zum Wegfall der Unterbringungsanordnung (§ 349 Abs. 4 StPO) und bleibt im Übrigen erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Nach den landgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte am 24. Oktober 2009 gegen 5.00 Uhr einer Spielhalle verwiesen worden, nachdem er das in einem Automaten steckende Geld eines anderen Gastes eigenmächtig verspielt hatte. Aus „Frust“ hierüber entschloss er sich, den ihm unbekannten, zufällig begegnenden A. zusammenzuschlagen. Während dieser deutlich alkoholisiert war, hatte der Angeklagte eine die Steuerungsfähigkeit nicht beeinträchtigende Blutalkoholkonzentration zwischen 0,27 und 0,69 Promille. In der Folge schlug und trat der Angeklagte seinem Zufallsopfer derart ins Gesicht, dass es mit mehreren Frakturen „regungslos und röchelnd“ am Boden liegen blieb und mehrfach operiert werden musste.
Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat das Landgericht festgestellt: Dieser ist im Oktober 2002 nach Deutschland übergesiedelt. Sowohl in den ersten sechs Monaten hier als auch zuvor in seinem Herkunftsland Kasachstan hat er „fast jeden Tag“ vor allem Bier und Wodka konsumiert, „bis er betrunken war“. Bereits in der Folge hat er seinen Alkoholkonsum reduziert, weil er deshalb „Probleme im Zusammenhang mit Schlägereien bekam“ und deswegen verurteilt wurde. Den Vorstrafen des Angeklagten, der letztmals am 2. Januar 2006 straffällig geworden ist, liegen dementsprechend u.a. drei im Jahr 2003 jeweils unter Alkoholeinfluss begangene - mit zwei Geldstrafen zu je 50 Tagessätzen sowie einer zweimonatigen Freiheitsstrafe geahndete - Körperverletzungen zugrunde. Nach der jetzigen Tat hat er seinen Alkoholkonsum auf „ein bis zwei halbe Bier an drei Tagen unter der Woche“ reduziert und an Wochenenden lediglich noch im Kreis seiner Familie Alkohol getrunken. Der Angeklagte hat Ende 2006 geheiratet und lebt mit seiner Frau und seiner im Folgejahr geborenen Tochter zusammen. Seit Ende 2005 ist er ununterbrochen bei einer Firma als angelernter Fassadenbauarbeiter beschäftigt.
3. Die vom Landgericht bejahten Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) liegen danach nicht vor. Es fehlt jedenfalls an einem Hang, Alkohol „im Übermaß“ zu sich zu nehmen. Deshalb braucht der Senat der Frage, ob die gefährliche Körperverletzung hier als Symptomtat i.S.d. § 64 StGB angesehen werden könnte, nicht nachzugehen.
a) Ein Hang i.S.d. § 64 StGB liegt nämlich nur vor, wenn entweder eine chronische, auf Sucht beruhende körperliche Abhängigkeit gegeben ist - hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte - oder ohne körperliche Abhängigkeit eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Alkohol (oder andere berauschende Mittel) zu konsumieren, und zwar „im Übermaß“. Dies wäre zu bejahen, wenn der Angeklagte aufgrund einer - allein in Betracht kommenden - psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erschiene. Da er keine sog. Beschaffungstat begangen hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210), könnte hierauf indiziell hindeuten, wenn der Angeklagte Alkohol in einem solchen Umfang zu sich nehmen würde, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR 406/03, BGHR StGB § 64 Hang 2; BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR 451/03, NStZ 2004, 384; BGH, Beschluss vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08).
b) Solches lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Das Landgericht hat vielmehr festgestellt, dass der Angeklagte seit Ende 2005 ohne Unterbrechung beim selben Arbeitgeber im Fassadenbau arbeitet, nachdem es ihm bereits etwa zwei Jahre zuvor, also im Alter von 20 Jahren, gelungen war, weniger Alkohol zu trinken. Der Angeklagte lebt seit mehreren Jahren mit seiner Familie zusammen. Auch der Umstand, dass er im Anschluss an die mehr als 13 Monate vor dem Urteil begangene Tat seinen Alkoholkonsum durchaus steuern, nämlich auf „ein bis zwei halbe Bier an drei Tagen unter der Woche“ erneut reduzieren und an Wochenenden lediglich noch auf im Kreis der Familie getrunkenen Alkohol beschränken konnte, spricht gegen eine psychische Abhängigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2008 - 2 StR 111/08). Die Tat selbst hat der Angeklagte nur geringfügig alkoholisiert, insbesondere ohne erhebliche Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit verübt. Da maßgeblich für die Feststellung des Hanges der Zeitpunkt des Urteils ist, kam den im Jahr 2003 unter Alkoholeinfluss begangenen drei Körperverletzungen entgegen der Ansicht des Landgerichts keine maßgebliche Bedeutung mehr zu. Nach alledem ist für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kein Raum.
4. Da das Landgericht die für die Beurteilung eines Hanges wesentlichen Umstände festgestellt hat, kann der Senat vorliegend ausschließen, dass eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen würden. Er erkennt daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf den Wegfall der Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR 451/03, NStZ 2004, 384 mwN).
5. Trotz dieses Teilerfolges der Revision hält es der Senat nicht für unbillig, den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Es ist nicht erkennbar, dass der Angeklagte das Urteil nicht angefochten hätte, wenn von einer Unterbringung abgesehen worden wäre (vgl. BGH aaO).
Richter am Bundesgerichtshof |
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