Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 22.09.2010


BVerwG 22.09.2010 - 1 D 1/10

Altfall nach Bundesdisziplinarordnung; Übergangsrecht; auf die Disziplinarmaßnahme beschränkte Berufung des Beamten; nicht ausreichende Entscheidungsgrundlage für die Bemessungsentscheidung aufgrund schwerer Verfahrensmängel


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
Disziplinarsenat
Entscheidungsdatum:
22.09.2010
Aktenzeichen:
1 D 1/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend VG Potsdam, 23. Februar 2010, Az: 18 K 2671/05.OB, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 85 Abs 1 Nr 3 BDO
§ 25 BDO
§ 18 Abs 1 BDO
§ 74 BDO
§ 75 Abs 2 S 1 BDO

Tatbestand

1

1. In dem durch Verfügung des Präsidenten des Grenzschutzpräsidiums ... vom 4. August 1999 eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren wird dem jetzt 54jährigen Beamten mit der am 15. November 2005 beim Verwaltungsgericht Potsdam eingegangenen Anschuldigungsschrift vom 10. November 2005 zur Last gelegt, schuldhaft ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen zu haben. Im Einzelnen wird dem Beamten vorgeworfen,

1. während des Dienstes in einer Vielzahl von Fällen ZEVIS- und INPOL-Daten aus dienstlichen Dateien abgefragt zu haben, ohne dass hierfür ein dienstlicher Anlass bestanden habe, und diese Daten an seinen Bekannten P. weitergegeben zu haben;

2. in 24 Fällen jeweils eine Stange Zigaretten von Polen nach Deutschland eingeführt zu haben, ohne die dafür vorgesehenen Zollabgaben zu entrichten; bei mindestens zwei Gelegenheiten habe er diese Zigaretten während seiner Dienstzeit eingeführt, indem er im Dienstfahrzeug und in Dienstuniform über die Grenze gefahren sei;

3. private Telefonate auf Kosten des Dienstherrn geführt zu haben.

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2. Wegen der Sachverhalte in den Anschuldigungspunkten 1 und 2 war der Beamte mit Strafurteil des Amtsgerichts F. vom 6. März 2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr nebst drei Geldbußen zu je 100 € verurteilt worden. Auf die Berufung und anschließende Revision des Beamten hin kam es zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht F., das gegen den Beamten letztlich durch rechtskräftiges Urteil vom 16. August 2005 wegen Geheimnisverrats in acht Fällen und Steuerhinterziehung in 24 Fällen eine Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 30 € nebst drei Geldbußen zu je 100 € verhängt hat; im Übrigen ist der Beamte freigesprochen worden.

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3. Das Verwaltungsgericht Potsdam hat den Beamten durch Urteil vom 23. Februar 2010 aus dem Dienst entfernt; eine Entscheidung über die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags hat es nicht getroffen. In den Anschuldigungspunkten 1 und 2 ist die Disziplinarkammer von den bindenden tatsächlichen Feststellungen im insoweit rechtskräftigen Strafurteil ausgegangen. Die Einlassungen des Beamten, die in den Urteilsgründen näher dargestellt werden, entlasteten ihn nicht, da sich der Sachverhalt aus den die Kammer bindenden, zum Teil anderslautenden strafrechtlichen Feststellungen ergebe. Zu Anschuldigungspunkt 3 hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen festgestellt, dass der Beamte zwischen dem 18. Januar 1999 und dem 2. Juni 1999 eine Vielzahl von Telefonaten ohne dienstlichen Bezug geführt habe; wegen der Aufstellung der Einzeltelefonate werde auf die Anlage 1 der Anschuldigungsschrift Bezug genommen (GA Bl. 15 bis 19). Der Beamte habe die sich daraus ergebenden Kosten i.H.v. 161,06 DM am 28. März 2000 beglichen.

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Die Disziplinarkammer hat den festgestellten Sachverhalt als schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 i.V.m. § 54 Satz 1 und 3 § 55 Satz 2 BBG a.F. gewertet. Die Entfernung aus dem Dienst stelle die dafür angemessene Disziplinarmaßnahme dar.

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4. Gegen dieses Urteil hat der Beamte durch seinen Verteidiger fristgerecht Berufung eingelegt und diese nach Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist durch Senatsbeschluss vom 22. Juni 2010 rechtzeitig begründet. Er wendet sich allein gegen die Bemessung der Disziplinarmaßnahme und beantragt, ihn (lediglich) im Dienstgrad herabzustufen. Mit ergänzendem Schriftsatz hat er klargestellt, dass es sich um eine "auf die Disziplinarmaßnahme beschränkte Berufung" handele.

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5. Bereits im Rahmen der Einleitungsverfügung vom 4. August 1999 war angeordnet worden, dass der Beamte unter Einbehaltung von 50 v.H. seiner ihm zustehenden Dienstbezüge vorläufig des Dienstes enthoben wird. Nachdem die Bundespolizeidirektion ... durch die 6. Abänderungsverfügung vom 7. Juli 2009 den Einbehaltungssatz von zuletzt 40 v.H. auf nunmehr (wiederum) 50 v.H. der Dienstbezüge festgesetzt hatte, hat der Beamte dagegen beim Verwaltungsgericht Potsdam am 28. Juli 2009 gemäß § 85 Abs. 3 und 7 BDG i.V.m. § 95 Abs. 3 BDO Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und die Neuberechnung des Einbehaltungssatzes angegriffen. Das Verwaltungsgericht hat den von ihm nicht beschiedenen Antrag dem Senat am 25. Mai 2010 "zuständigkeitshalber" vorgelegt.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung hat insoweit Erfolg, als das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Potsdam zurückzuverweisen ist.

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Nach § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO kann der Senat im Rahmen einer zulässigen Berufung durch Beschluss das Urteil aufheben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn er weitere Aufklärungen für erforderlich hält oder wenn schwere Mängel des Verfahrens vorliegen; diese Vorschrift ist hier anwendbar (1.). Ihre Voraussetzungen sind gegeben (2.). Der Senat macht von seiner gesetzlich eröffneten Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch (3.). Der Verteidiger des Beamten hat im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 85 Abs. 2 BDO erklärt, er halte eine Zurückverweisung für geboten. Die Einleitungsbehörde ist dem entgegengetreten.

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1. Das durch Verfügung vom 4. August 1999 nach § 33 BDO eingeleitete förmliche Disziplinarverfahren ist gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG auch nach Inkrafttreten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 nach bisherigem Recht, d.h. nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung gegebenenfalls i.V.m. der Strafprozessordnung (vgl. § 25 BDO), fortzuführen (stRspr, z.B. Urteil vom 23. Februar 2005 - BVerwG 1 D 13.04 - BVerwGE 123, 75 <76> = Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 8, jeweils m.w.N.; Vorschriften des Bundesdisziplinargesetzes können in solchen Altfällen ausnahmsweise nur dann Anwendung finden, soweit diese den beschuldigten Beamten materiellrechtlich besser stellen). Für die Anschuldigung und die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens gilt ebenfalls das bisherige Recht (§ 85 Abs. 3 Satz 2 BDG), wobei anstelle des aufgelösten Bundesdisziplinargerichts das zuständige Verwaltungsgericht tritt (vgl. § 85 Abs. 7 BDG). Dies führt im vorliegenden Fall u.a. zur Anwendbarkeit der Vorschriften über die Zuständigkeit und das Verfahren der Berufung gemäß § 80 ff. BDO. Danach hat hier das Bundesverwaltungsgericht über die Zulässigkeit und Begründetheit der Berufung des Beamten und damit auch über die Frage zu entscheiden, ob eine Zurückverweisung der Sache gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO in Betracht kommt.

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Die zulässige Berufung ist ausdrücklich und auch nach ihrem Inhalt auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt eingelegt worden. Der Senat hat daher von Rechts wegen die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 25 BDO i.V.m. § 327 StPO) und nur noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.

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2. Auf dieser Grundlage kann der Senat im vorliegenden Fall jedoch nicht entscheiden. Das gerichtliche Disziplinarverfahren leidet an schweren Verfahrensmängeln, so dass sich der Senat gehindert sieht, auf dieser Grundlage eine Entscheidung über die Maßnahmebemessung zu treffen. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO.

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a) Ein schwerer Mangel des Verfahrens im Sinne der genannten Vorschrift liegt vor, wenn gegen eine Verfahrensbestimmung verstoßen worden ist, deren Verletzung schwerwiegend und für den Ausgang des Verfahrens (noch) von Bedeutung ist. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Rechte eines Verfahrensbeteiligten wesentlich beeinträchtigt worden sind oder wenn der Verfahrensverstoß den Zweck einer Formvorschrift wesentlich vereitelt. Für den Ausgang des Berufungsverfahrens sind solche Mängel des disziplinarrechtlichen Verfahrens dann (noch) von Bedeutung, wenn die Entscheidung über das eingelegte Rechtsmittel im Falle einer Behebung des Verfahrensfehlers anders als im Vergleich zu dessen Nichtbehebung ausfallen kann. Als schwerwiegender Mangel des Verfahrens im dargelegten Sinne ist u.a. das Fehlen von ausreichenden und widerspruchsfreien Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage anerkannt. Dies ist insbesondere bei einer auf die Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung der Fall, bei der die Tatfeststellungen des erstinstanzlichen Urteils sowie die darin vorgenommene disziplinarrechtliche Würdigung des Verhaltens des Beamten als Dienstvergehen für das Berufungsgericht nach § 25 BDO i.V.m. § 327 StPO bindend und nicht mehr nachprüfbar sind, weil der Prozessstoff des Berufungsverfahrens bei einer beschränkten Berufung durch die unnachprüfbar gewordenen Tat- und Schuldfeststellungen des Urteils des Verwaltungsgerichts festgelegt ist und vom Berufungsgericht nicht mehr geändert werden kann (vgl. speziell zur maßnahmebeschränkten Berufung nach der Bundesdisziplinarordnung z.B. Beschluss vom 8. Januar 1992 - BVerwG 1 D 41.91 - DokBer B 1992, 181, juris; Beschluss vom 27. Januar 2005 - BVerwG 1 D 16.04 - juris; zur maßnahmebeschränkten Berufung nach der Wehrdisziplinarordnung vgl. im Hinblick auf die gleichlautende gesetzliche Ermächtigung zur Zurückverweisung gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO zuletzt Beschluss vom 24. März 2010 - BVerwG 2 WD 10.09 - juris, jeweils m.w.N.).

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Im gerichtlichen Disziplinarverfahren muss der Tatrichter den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen erforschen und feststellen sowie diesen und die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen in den Urteilsgründen darlegen (§ 25 BDO i.V.m. § 244 Abs. 2 und § 267 Abs. 1 StPO). Grundsätzlich muss jedes Strafurteil und damit auch jedes Urteil in einem gerichtlichen Disziplinarverfahren aus sich selbst heraus, d.h. aus den Urteilsgründen verständlich sein. Erfüllt ein Urteil nach seinen Entscheidungsgründen diese Anforderungen nicht, liegt ein schwerwiegender Mangel des Verfahrens i.S.d. § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO vor. Denn Voraussetzung für die im Berufungsverfahren zu treffende Entscheidung über die gebotene und angemessene Disziplinarmaßnahme ist, dass die durch die Beschränkung der Berufung unangreifbar gewordenen tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, wie sie sich aus den Urteilsgründen ergeben, sowie die auf dieser Grundlage getroffenen Feststellungen zu den schuldhaften Pflichtverletzungen (= Schuldfeststellungen) des angeschuldigten Beamten hinreichend, nachvollziehbar, in sich schlüssig und widerspruchsfrei sind. Unklare, lückenhafte oder widersprüchliche Feststellungen können keine ausreichende Grundlage für das festzusetzende Disziplinarmaß abgeben.

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b) Dies ist hier der Fall. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Urteil die gesetzliche Begründungspflicht in schwerwiegender Weise verletzt. Zudem liegen weitere gewichtige Verfahrensmängel vor.

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Bei seinen Sachverhaltsfeststellungen zu den Anschuldigungspunkten 1 und 2 (Urteilsabdruck S. 4 ff.) ist die Disziplinarkammer zunächst zu Recht gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BDO von den sachgleichen bindenden Feststellungen im insoweit rechtskräftigen Strafurteil ausgegangen. § 18 Abs. 1 Satz 2 BDO ermächtigt das Disziplinargericht jedoch, die nochmalige Prüfung solcher strafgerichtlicher Feststellungen zu beschließen, deren Richtigkeit seine Mitglieder mit Stimmenmehrheit bezweifeln. Obwohl der Beamte (schriftsätzlich) erhebliche substanziierte "Einwendungen" gegen die strafgerichtlichen Feststellungen vorgebracht hatte und diese in den Urteilsgründen auch wiedergegeben werden (Urteilsabdruck S. 9 bis 11), beruft sich das Verwaltungsgericht wiederholt allein auf die Bindungswirkung gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BDO (Urteilsabdruck S. 4, 10, 11), ohne auch nur mit einem Wort auf die "Lösungsmöglichkeit" gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 BDO einzugehen; die Vorschrift wird überhaupt nicht erwähnt. Es heißt lediglich: "Die Richtigkeit dieser (strafrechtlichen) Urteilsfeststellungen wird von den Mitgliedern der Disziplinarkammer nicht bezweifelt" (Urteilsabdruck S. 9), der Vortrag des Beamten sei lebensfremd (Urteilsabdruck S. 11). Ob im vorliegenden Fall das Vorbringen des Beamten unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 2 BDO zu einer "Lösung" geführt hätte (vgl. zu den "Lösungsvoraussetzungen" z.B. Urteile vom 7. Oktober 1986 - BVerwG 1 D 46.86 - BVerwGE 83, 228 <230> und vom 29. November 2000 - BVerwG 1 D 13.99 - BVerwGE 112, 243 <245> = Buchholz 235 § 18 BDO Nr. 2 S. 5, jeweils m.w.N.), kann offen bleiben. Ein schwerer Verfahrensmangel liegt nicht nur dann vor, wenn das erstinstanzliche Gericht eine erforderliche zumindest teilweise Lösung von den tatsächlichen Feststellungen des zugrunde gelegten rechtskräftigen Strafurteils nicht in Betracht gezogen und vorgenommen hat, um die für eine rechtsfehlerfreie Entscheidung hinreichenden tatsächlichen Feststellungen zu treffen (vgl. zum Wehrdisziplinarrecht Beschluss vom 19. August 2009 - BVerwG 2 WD 31.08 - Buchholz 450.2 § 121 WDO 2002 Nr. 1), sondern auch dann, wenn sich - wie hier - die Disziplinarkammer gebunden gesehen hat, d.h. sich der gesetzlichen Lösungsmöglichkeit offensichtlich überhaupt nicht bewusst gewesen ist.

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Das erstinstanzliche Urteil stellt auch in Bezug auf Anschuldigungspunkt 3 keine ausreichende Grundlage dar, um dem Senat im Rahmen der maßnahmebeschränkten Berufung eine gesicherte Bemessungsentscheidung zu ermöglichen. Das Verwaltungsgericht hat zu Anschuldigungspunkt 3 folgenden objektiven Sachverhalt festgestellt (Urteilsabdruck S. 11):

"Zwischen dem 18. Januar 1999 und dem 2. Juni 1999 führte der Beamte eine Vielzahl von Telefonaten ohne dienstlichen Bezug; wegen der Aufstellung der Einzeltelefonate wird auf die Anlage 1 der Anschuldigungsschrift Bezug genommen (s. GA Bl. 15 bis 19). Der Beamte beglich diese sich daraus ergebenden Kosten in Höhe von 161,06 DM am 28. März 2000."

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Ungeachtet der Tatsache, dass lediglich von einer völlig unbestimmten "Vielzahl von Telefonaten ohne dienstlichen Bezug" die Rede ist, genügen die Urteilsgründe insoweit auch im Übrigen nicht den Anforderungen des gemäß § 25 BDO im gerichtlichen Disziplinarverfahren entsprechend anzuwendenden § 267 Abs. 1 StPO. Danach muss jedes (erstinstanzliche) Strafurteil und damit auch jedes (erstinstanzliche) Urteil in einem gerichtlichen Disziplinarverfahren aus sich selbst, d.h. aus den Urteilsgründen heraus, verständlich sein; Bezugnahmen auf Aktenteile sind unzulässig (vgl. z.B. Meyer/Goßner, StPO, 53. Aufl., 2010, § 267 Rn. 2 m.w.N.). Die Urteilsgründe müssen in einer geschlossenen Darstellung die in der Hauptverhandlung (vgl. § 74, § 75 Abs. 2 Satz 1 BDO) getroffenen Feststellungen wiedergeben. Diese eigenen Feststellungen dürfen nicht durch eine Verweisung auf die Anschuldigungsschrift ersetzt werden (vgl. zur entsprechenden Rechtslage im Wehrdisziplinarrecht Beschluss vom 11. Mai 1978 - BVerwG 2 WD 36.78 - BVerwGE 63, 72 <73>). Das erstinstanzliche Urteil wird diesen gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht. Ihnen kommt im gerichtlichen Disziplinarverfahren durch den Berufungsbegründungszwang (§ 82 BDO) besondere Bedeutung zu. Nur ein Urteil, das ordnungsgemäße und vollständige Tatfeststellungen enthält, erlaubt es dem Berufungsführer, sich substanziiert dagegen zu wenden.

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Das erstinstanzliche Urteil leidet auch insoweit an einem schweren Verfahrensmangel, als die getroffene Schuldfeststellung zu § 55 Satz 2 BBG a.F. nur im Ergebnis mitgeteilt wird, ohne sie näher zu begründen, wie von § 25 BDO i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO gefordert. Nach § 55 Satz 2 BBG a.F. ist der Beamte verpflichtet, die von seinen Vorgesetzten erlassenen Anordnungen auszuführen und ihre allgemeinen Richtlinien zu befolgen, sofern es sich nicht um Fälle handelt, in denen er nach besonderer gesetzlicher Vorschrift an Weisungen nicht gebunden und nur dem Gesetz unterworfen ist. In den Urteilsgründen (Urteilsabdruck S. 12) werden lediglich Teile des Gesetzeswortlauts wiedergegeben, wobei sich die Subsumtion auf den Satz beschränkt:

"Hinzu kommen in diesem Zusammenhang die wiederholten Pflichtverstöße des Beamten gegen die Befolgung von klaren und verbindlichen Anordnungen seines Vorgesetzten" (Urteilsabdruck S. 13).

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Eine Dienstpflichtverletzung gemäß § 55 Satz 2 BBG a.F. setzt voraus, dass der Beamte eine bestimmte dienstliche Anordnung (Gebots- oder Verbotsnorm) nicht befolgt hat; § 55 Satz 2 BBG a.F. hat für sich allein keine eigenständige disziplinarrechtliche Bedeutung (vgl. Urteil vom 22. Januar 1991 - BVerwG 1 D 23.90 - DokBer B 1991, 161 ff., juris, m.w.N.). Eine dienstliche Anordnung in diesem Sinne liegt vor, wenn nach dem objektiven Erklärungsgehalt eine schriftliche oder mündliche Äußerung bzw. ein Verhalten des Vorgesetzten den Beamten zu einem dienstlichen Handeln oder Unterlassen rechtlich verpflichten will (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2000 - BVerwG 1 D 34.98 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 2 S. 27). Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, gegen welche Anordnungen der Beamte in den Anschuldigungspunkten 1, 2 und/oder 3 verstoßen hat. Bei fehlender Begründung können die Verfahrensbeteiligten nicht feststellen, aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen das Verwaltungsgericht seine nur im Ergebnis mitgeteilte Schuldfeststellung getroffen hat. Eine verantwortliche Prüfung und Entscheidung, ob ein Rechtsmittel eingelegt werden soll, wird ihnen damit dem Gesetz zuwider in unzumutbarer Weise erschwert (vgl. dazu z.B. Beschluss vom 19. August 2009 a.a.O.).

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Verfahrensfehlerhaft ist die erstinstanzliche Urteilsbegründung auch insoweit, als sie jegliche Feststellungen zum subjektiven Disziplinartatbestand des Dienstvergehens gemäß § 77 Abs. 1 BBG a.F. vermissen lässt. Auch wenn vieles dafür sprechen dürfte, dass das Verwaltungsgericht - insbesondere vor dem Hintergrund der feststehenden Straftaten in den Anschuldigungspunkten 1 und 2 sowie der ausgesprochenen disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme - wohl insgesamt von vorsätzlichem Verhalten des Beamten ausgegangen ist, kann auf entsprechende ausdrückliche Feststellungen zur Schuldform schon im Hinblick auf das Vorhandensein einer auszureichenden Grundlage zur Bemessung der Disziplinarmaßnahme nicht verzichtet werden; vorsätzliches Fehlverhalten wird regelmäßig strenger geahndet als fahrlässige Dienstpflichtverletzungen. In diesem Zusammenhang führt auch ein Blick auf die Anschuldigungsschrift vom 10. November 2005, deren Inhalt bei einer auf die Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung ohnehin seine Bedeutung verloren hat (vgl. Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., 1994, § 82 Rn. 7), nicht weiter. Die Anschuldigungsschrift lässt ebenfalls nicht zweifelsfrei erkennen, in welcher Schuldform dem Beamten seine "schuldhaften" Pflichtverletzungen zur Last gelegt werden. Für das Wehrdisziplinarrecht ist entschieden (vgl. Beschluss vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 WD 4.08 - BVerwGE 133, 129 f. = Buchholz 450.2 § 99 WDO 2002 Nr. 2), dass eine Anschuldigungsschrift unter Anderem erkennen lassen muss, ob eine vorsätzliche oder nur fahrlässige bzw. eine vorsätzliche, hilfsweise fahrlässige Begehungsweise angeschuldigt ist. Für das Beamtendisziplinarrecht nach der Bundesdisziplinarordnung gilt aufgrund vergleichbarer Gesetzeslage nichts anderes.

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Verfahrensfehlerhaft ist es schließlich auch, dass es die Disziplinarkammer bei ihrer Entscheidung, den Beamten gemäß § 11 BDO aus dem Dienst zu entfernen, unterlassen hat, gemäß § 77 BDO ausdrücklich über die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages dem Grunde und der Höhe nach zu befinden.

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3. Die dargestellten schweren Verfahrensmängel führen insgesamt zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht.

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Die Entscheidung hierüber steht gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO im gerichtlichen Ermessen. Da der Senat mangels eindeutiger und ausreichender verfahrensfehlerfreier Tat- und Schuldfeststellungen sowie disziplinarrechtlicher Sachverhaltswürdigung bei der vorliegenden "beschränkten Berufung" nicht in der Sache entscheiden kann, ist eine Zurückverweisung geboten (vgl. zur Wehrdisziplinarordnung z.B. Beschluss vom 24. März 2010 a.a.O. m.w.N.). Der Beschleunigungsgrundsatz (vgl. jetzt § 4 BDG) steht einer solchen Entscheidung schon deshalb nicht entgegen, weil die gesetzlich vorgesehene Zurückverweisung zur Herbeiführung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage und zur Sicherstellung des Anspruchs auf ein rechtstaatliches disziplinargerichtliches Verfahren (speziell zum wehrdisziplinarrechtlichen Verfahren BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Juni 2000 - 2 BvR 993/94 - ZPR 2001, 208) unvermeidbar ist; dies gilt hier umso mehr, als es um die Verhängung der disziplinarischen Höchstmaßnahme geht.

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4. Mit der Zurückverweisung der Sache wird das Disziplinarverfahren wieder beim Verwaltungsgericht Potsdam anhängig. Dies gilt auch für den noch nicht beschiedenen Rechtsschutzantrag nach § 95 Abs. 3 BDO (Neuberechnung des Einbehaltungssatzes). Denn die Zuständigkeit des beschließenden Gerichts in diesem Nebenverfahren folgt dem Stand des Hauptverfahrens (vgl. Behnke, BDO, 2. Aufl., 1970, § 95 Rn. 20; Weiß in: GKÖD, BDO, § 95 Rn. 62 m.w.N.).

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5. Die Kostenentscheidung ist dem Verwaltungsgericht auch für das Berufungsverfahren vorzubehalten, weil erst seine erneute Entscheidung zeigen wird, ob und ggf. inwieweit die Berufung des Beamten in der Sache Erfolg hat.