Entscheidungsdatum: 01.06.2017
1. Die Ablehnung eines Asylantrages als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG (juris: AsylVfG 1992) ist mit der Anfechtungsklage anzugreifen (wie BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16).
2. Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht "sichere Drittstaaten" im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 26a Abs. 2 AsylG, Art. 16a Abs. 2 GG (wie BVerwG, Beschluss vom 23. März 2017 - 1 C 17.16).
Die Klägerinnen, russische Staatsangehörige und nach eigenen Angaben tschetschenischer Volkszugehörigkeit, wenden sich gegen die Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), dass ihnen aufgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht.
Die Klägerin zu 2 ist die Mutter der im Jahre 2008 geborenen Klägerin zu 3. Die Klägerinnen reisten im September 2010 nach Polen ein und beantragten dort erfolglos Asyl. Nach Widerspruch beim Rat für Flüchtlingsangelegenheiten wurden für sie nationale Abschiebungsverbote festgestellt. Die Klägerinnen erhielten bis zum 30. April 2013 gültige polnische Aufenthaltskarten.
Die Klägerinnen reisten gemeinsam mit dem nach islamischen Ritus angetrauten Ehemann der Klägerin zu 2 im Juni 2012 nach Berlin und stellten am 19. Juni 2012 beim Bundesamt unbeschränkte Asylanträge. Auf das Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamtes vom 13. Februar 2013 erklärte Polen am 18. Februar 2013 seine Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Klägerinnen. Mit Bescheid vom 13. März 2013 stellte das Bundesamt fest, dass die Asylanträge der Klägerinnen nach § 27a AsylVfG a.F. unzulässig seien (Ziffer 1) und ordnete ihre Überstellung nach Polen an. Die Klägerinnen erhoben hiergegen Klage. Wegen einer Risiko-Schwangerschaft der Klägerin zu 2 kam es nicht zu der für den 10. April 2013 geplanten Überstellung. Das Bundesamt hob mit Bescheid vom 24. September 2013 den Bescheid vom 13. März 2013 auf, weil die Bundesrepublik Deutschland wegen Ablaufs der Überstellungsfrist für die Bearbeitung und Bescheidung der Anträge international zuständig geworden sei.
Nach Anhörung der Klägerinnen zu ihrem Verfolgungsschicksal stellte das Bundesamt zuletzt mit Bescheid vom 23. Juni 2014 fest, dass den Klägerinnen in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht/internationaler Schutz zustehe (Ziffer 1) und ordnete deren Abschiebung nach Polen an (Ziffer 2). Die Klägerinnen hätten wegen der Schutzgewähr in Polen keinen Anspruch auf Feststellung internationalen Schutzes in Deutschland und könnten sich wegen ihrer Einreise aus Polen, einem sicheren Drittstaat, nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen.
Hiergegen erhoben die Klägerinnen Klage und beantragten erfolglos die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Das Verwaltungsgericht Potsdam hat mit Gerichtsbescheid vom 20. Oktober 2014 die Klage abgewiesen und hieran in seinem aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19. Mai 2015 ergangenen Urteil festgehalten.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 21. April 2016 unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Klägerinnen den Bescheid des Bundesamtes vom 23. Juni 2014 aufgehoben. Die Klägerinnen könnten lediglich mit der Anfechtungsklage die für sie negative Feststellung des Bundesamtes angreifen, nicht aber mit der Verpflichtungsklage (weitergehenden) Schutz begehren. Die Feststellung, dass den Klägerinnen in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zustehe, weil sie aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG eingereist seien, sei rechtswidrig. § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG sei hier nicht anwendbar, weil eine Ausnahme nach § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG vorliege, nach der die Drittstaatenregelung nicht greife, wenn die Bundesrepublik Deutschland nach Unionsrecht zuständig sei. Dies sei hier der Fall. Für die Prüfung der Asylzweitanträge der Klägerinnen sei nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 der hier auch anzuwendenden Dublin II-VO die Bundesrepublik Deutschland zuständig (geworden). In Polen sei über die Asylanträge der Klägerinnen nicht endgültig entschieden worden, weil ihnen lediglich Abschiebungsschutz nach nationalem Recht zuerkannt worden sei. Für die auf die Flüchtlingsanerkennung gerichteten Aufstockungsanträge sei nach der Dublin II-VO Polen zwar zunächst zuständig und wiederaufnahmepflichtig gewesen. Die erklärte Übernahmebereitschaft sei indes nicht ausgenutzt worden, so dass die Zuständigkeit durch Ablauf der Überstellungsfrist auf die Beklagte übergegangen sei. Wegen der Asylantragstellung vor dem 20. Juli 2015 sei auch noch die Altfassung der Asylverfahrensrichtlinie anzuwenden, so dass eine Zuerkennung subsidiären Schutzes unerheblich sei. Art. 25 Abs. 2 Richtlinie 2005/85/EG lasse die Abweisung eines Asylantrages ohne materielles Prüfungsverfahren nur zu, wenn ein anderer Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe. Auf den Zuständigkeitsübergang könnten sich die Klägerinnen auch berufen, weil keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine (fortwirkende) Übernahmebereitschaft Polens vorlägen. Die Abschiebungsanordnung sei wegen der Rechtswidrigkeit der Feststellung nach §§ 26a, 31 Abs. 4 AsylG rechtswidrig.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 26a AsylG i.V.m. § 31 Abs. 4 AsylG. Sie macht geltend, dass die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts unzutreffend sei, dass auch ein nach Antragstellung in Deutschland im Lauf des weiteren Aufenthalts eintretender Zuständigkeitsübergang den Tatbestand von § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG erfülle. § 26a AsylG sei anwendbar und mit den Vorgaben der Richtlinie 2005/85/EG vereinbar. Eine Ablehnung auf der Grundlage des § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG sei im Vergleich zu einer durch Art. 25 Richtlinie 2005/85/EG bzw. Art. 33 Richtlinie 2013/32/EU eröffneten Möglichkeit der Ablehnung ohne inhaltliche Antragsprüfung eine für den Antragsteller günstigere Bestimmung, die nach Art. 5 Richtlinie 2005/85/EG beibehalten werden könne. Denn anders als eine Ablehnung nach Art. 25 Richtlinie 2005/85/EG/Art. 33 Richtlinie 2013/32/EU verpflichte § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG zur Prüfung, ob der Staat, aus dem der Ausländer nach Deutschland eingereist ist, ein sicherer Drittstaat ist. Rechtsfehlerhaft sei auch die Beschränkung der Klägerinnen auf eine reine Anfechtungsklage. Mit weiterem Bescheid vom 29. Mai 2017 hat das Bundesamt die Asylanträge der Klägerinnen (erneut) als unzulässig abgelehnt, festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation und der Republik Polen nicht vorliegen, die Klägerinnen zur Ausreise aufgefordert und ihnen für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Russische Föderation oder nach Polen angedroht.
Die Klägerinnen verteidigen die angegriffene Entscheidung.
Mit in der mündlichen Verhandlung verkündetem Beschluss vom 1. Juni 2017 hat das Bundesverwaltungsgericht das vorliegende Verfahren der beiden Klägerinnen von dem zuvor gemeinsam mit dem Ehemann der Klägerin zu 2 geführten Verfahren 1 C 22.16 abgetrennt. Die Beteiligten haben das Revisionsverfahren in der mündlichen Verhandlung am 1. Juni 2017 übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt, nachdem die Beklagte den Bescheid vom 23. Juni 2014 aufgehoben hatte, soweit dieser die Abschiebung der Klägerinnen nach Polen angeordnet hatte (Ziffer 2 des Bescheides).
Das Verfahren ist einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben; insoweit sind das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 19. Mai 2015 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. April 2016 unwirksam.
Im Übrigen ist die Revision der Beklagten nicht begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg steht, soweit es in Bezug auf die Klägerinnen mit der Revision angegriffen worden ist, im Ergebnis (§ 144 Abs. 4 VwGO) mit Bundesrecht im Einklang. Offenbleiben kann, ob die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zutrifft, § 26a AsylG sei hier bereits deswegen nicht anwendbar, weil die Bundesrepublik Deutschland international zuständig geworden sei. Der Bescheid ist jedenfalls deswegen auf die hier allein statthafte Anfechtungsklage (dazu 2.) hin aufzuheben, weil er nicht auf § 29 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG gestützt werden kann (dazu 3.1) und eine Umdeutung in einen rechtmäßigen Bescheid, der den Asylantrag aus anderem Rechtsgrund als unzulässig ablehnt, nicht möglich ist (dazu 3.2).
1. Die rechtliche Beurteilung der auf Aufhebung von Ziffer 1 des Bescheides vom 23. Juni 2014 gerichteten Anfechtungsklagen und damit auch der Revision richtet sich nach dem Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 10. November 2016 in Kraft getretene Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (StrÄndG 50) vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460); die Änderungen durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögenabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) treten erst am 1. Juli 2017 in Kraft. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte. Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die aktuelle Rechtslage zugrunde legen. Dazu gehört auch die durch das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) mit Wirkung vom 6. August 2016 geschaffene Neufassung des § 29 AsylG.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nach der Trennung des Verfahrens von dem Verfahren 1 C 22.16 das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg allein insoweit, als es den Bescheid des Bundesamtes vom 23. Juni 2014 aufhebt, soweit dieser die Klägerinnen betrifft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 29. Mai 2017 hat Ziffer 1 des Bescheids weder ausdrücklich noch konkludent aufgehoben, so dass sich der Rechtsstreit nicht auch insoweit erledigt hat. Der neue Bescheid ist auch nicht kraft Gesetzes oder durch die Erklärung der Beklagten im Schriftsatz vom 31. Mai 2017 zum Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden, diese Entscheidung und deren Begründung wurden "zum Gegenstand des Revisionsverfahrens" gemacht. Eine gesetzliche Erweiterung des Prüfungsgegenstandes des Revisionsverfahrens auf diesen zusätzlichen, selbstständig neben den Bescheid vom 23. Juni 2014 tretenden Bescheid scheidet mangels Rechtsgrundlage aus. Die Klägerinnen haben auch keine Erklärung abgegeben, dass sie (zusätzlich) diesen Bescheid in dem vorliegenden Verfahren angreifen wollen. Einer solchen Erklärung hätte überdies das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren entgegengestanden (§ 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Anfechtungsklage gegen den Bescheid als (allein) statthaft angesehen und hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens die weitergehende Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen; das Berufungsurteil ist in dem Aufhebungsausspruch daher nicht schon deswegen aufzuheben, weil die Klägerinnen die Abweisung der Verpflichtungsklage haben rechtskräftig werden lassen.
Die Feststellung in dem Bescheid vom 23. Juni 2014, dass sich die Klägerinnen aufgrund ihrer Einreise aus Polen, einem sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage I zum AsylG nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen können und in solchen Fällen grundsätzlich auch weder über das Vorliegen der Voraussetzungen der Zuerkennungen des internationalen Schutzes noch über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden ist, stellt sich nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes der Sache nach als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG dar. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 - InfAuslR 2017, 162 = juris Rn. 17 ff.) sind jedenfalls seit der Zusammenfassung der verschiedenen Unzulässigkeitsgründe in § 29 Abs. 1 AsylG Bescheide, die einen Asylantrag ohne Prüfung der materiellrechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen, also ohne weitere Sachprüfung, als unzulässig ablehnen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen; insoweit kommt auch kein eingeschränkter, auf die Durchführung eines Asylverfahrens beschränkter Verpflichtungsantrag in Betracht. Das Gericht hat vor der Aufhebung einer rechtswidrigen Unzulässigkeitsentscheidung lediglich zu prüfen, ob diese auf der Grundlage eines anderen, auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestandes aufrechterhalten bleiben kann. Dies gilt auch für die Klage gegen eine auf § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 26a AsylG gestützte Unzulässigkeitsentscheidung wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat.
3. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend den Bescheid vom 23. März 2014 zu Ziffer 1 aufgehoben. Der Bescheid kann nicht auf § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG gestützt werden, weil die Republik Polen bei unionsrechtskonformer Auslegung im Sinne des § 26a AsylG kein sicherer Drittstaat sein kann. (3.1). Dieser Bescheid kann auch nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten bleiben (3.2).
3.1 § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG scheidet als Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheides aus. Dabei bedarf die zwischen den Beteiligten im Berufungsverfahren umstrittene Frage keiner Entscheidung, ob - wie vom Berufungsgericht bejaht - § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG auch dann greift, wenn die internationale Zuständigkeit erst nach der Einreise und der Antragstellung auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist, oder - so die Beklagte - Fälle eines nachträglichen Zuständigkeitsübergangs nicht erfasst sind. Denn auf eine Einreise aus der Republik Polen, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, ist § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG (i.V.m. § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG, Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG) nicht anwendbar, weil "sicherer Drittstaat" in diesem Sinne bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung nur ein Staat sein kann, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist (BVerwG, Beschluss vom 23. März 2017 - 1 C 17.16 - juris Rn. 13 ff.). Hierzu hat der Senat in diesem Beschluss, der den Beteiligten bekannt ist und an dem der Senat festhält, ausgeführt:
"Zwar ist die Drittstaatenregelung des § 26a AsylG, an die § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG anknüpft, weiter gefasst. Sichere Drittstaaten sind gemäß § 26a Abs. 2 AsylG, der Art. 16a Abs. 2 GG entspricht, nämlich alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie die in Anlage I zum Asylgesetz bezeichneten Staaten, zu denen derzeit nur Norwegen und die Schweiz zählen. Dieser weite Anwendungsbereich der deutschen Drittstaatenregelung steht jedoch nicht im Einklang mit der Richtlinie 2013/32/EU. Er ist wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts dahin einzuschränken, dass der Verweis auf einen sicheren Drittstaat jedenfalls bei der Versagung internationalen Schutzes nur hinsichtlich der Staaten der Anlage I möglich ist. In Bezug auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union darf hingegen von dem im nationalen Recht geregelten Konzept sicherer Drittstaaten kein Gebrauch gemacht werden. Diese Vorgabe des Unionsrechts ergibt sich aus Art. 33 Abs. 2 Richtlinie 2013/32/EU, der die Gründe, aus denen die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten dürfen, abschließend aufzählt. Danach kommen als unionsrechtliche Grundlage für eine nationale Drittstaatenregelung Art. 33 Abs. 2 Buchst. b und c Richtlinie 2013/32/EU in Betracht. Diese Vorschriften verweisen auf die in Art. 35 und 38 der Richtlinie geregelten Konzepte des ersten Asylstaats bzw. des sicheren Drittstaats, erklären diese jedoch jeweils nur in Bezug auf Staaten für anwendbar, die keine Mitgliedstaaten sind. Ob das Konzept des europäischen sicheren Drittstaats nach Art. 39 der Richtlinie ebenfalls zu einer Unzulässigkeitsentscheidung berechtigt, obwohl es in Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie nicht genannt ist, kann der Senat offenlassen. Denn auch dieses Konzept zielt nicht auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auf europäische Staaten, die (noch) nicht deren Mitglied sind (vgl. Vedsted-Hansen, in: Hailbronner/Thym
Von dieser Begrenzung auf Drittstaaten im Sinne des Unionsrechts ist wohl auch der deutsche Gesetzgeber bei Erlass des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ausgegangen, wenngleich er dies nicht durch eine Änderung von § 26a Abs. 2 AsylG zum Ausdruck gebracht hat. Denn aus den Materialien zu § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG geht hervor, dass mit Drittstaaten im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG nur solche Staaten gemeint sind, die durch Aufnahme in Anlage I des Asylgesetzes als sicherer Drittstaat eingestuft worden sind (vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 18/8883 S. 7). Dies schließt die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aus, da diese keiner Eintragung bedürfen."
3.2 Die vom Bundesamt getroffene Drittstaatenentscheidung kann auch nicht in eine andere, nach § 29 Abs. 1 AsylG rechtmäßige Entscheidung umgedeutet werden.
a) Einer Umdeutung in einen Bescheid nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG steht entgegen, dass die Beklagte selbst anerkannt hat, dass die Regelungen der VO (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-VO) auf den vorliegenden Fall anwendbar sind und hier zu einem Übergang der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland geführt haben. Der Senat hält diese Rechtsanwendung für zutreffend und sieht keinen Anlass, hieran zu zweifeln. Insbesondere ergeben sich solche Zweifel nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 5. April 2017 (C-36/17 [ECLI:EU:C:2017:273]). Den Klägerinnen des vorliegenden Verfahrens ist kein internationaler Schutz gewährt worden, ihre Anträge haben sie auch vor den in Art. 49 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) genannten Stichtagen und zudem vor dem Inkrafttreten sowohl dieser Verordnung als auch der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung, ABl. L 180 S. 60 - Richtlinie 2013/32/EU) gestellt.
b) In einen Bescheid nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann der Bescheid nicht umgedeutet werden, weil schon dessen Voraussetzung nicht erfüllt ist, dass den Klägerinnen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden ist.
c) Dass ein sonstiger Drittstaat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, zur Wiederaufnahme der Klägerinnen bereit ist und daher eine Umdeutung in einen Bescheid nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG in Betracht käme, ist nicht erkennbar und wird von den Beteiligten auch nicht vorgetragen.
d) In eine Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG kann der Bescheid schon deswegen nicht umgedeutet werden, weil es sich bei einer auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. §§ 71, 71a AsylG gestützten (Unzulässigkeits-)Entscheidung prozessual um einen anderen Streitgegenstand mit für die Klägerinnen ungünstigeren Rechtsfolgen handelte; denn sie hätte zur Folge, dass der (Folge/Zweit)-Antrag der Klägerinnen auch von keinem anderen Staat geprüft würde und die Klägerinnen grundsätzlich in jeden zu ihrer Aufnahme bereiten Staat einschließlich ihres Herkunftslands abgeschoben werden könnten (BVerwG, Urteile vom 16. November 2015 - 1 C 4.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 78 Rn. 26 ff. und vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 21). Dies anerkennt letztlich auch der (neuerliche) Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2017, in dem überdies in erheblichem Umfange entscheidungserhebliche Tatsachen herangezogen werden, zu denen keine tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts getroffen worden sind. Eine Umdeutung ist zwar auch noch im Revisionsverfahren möglich, setzt aber u.a. voraus, dass die das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen ausreichen (BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 - 1 C 4.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 78 Rn. 30).
4. Die Kostenentscheidung folgt, soweit das Verfahren eingestellt worden ist, aus § 161 Abs. 2 VwGO und berücksichtigt, dass die Beklagte insoweit den angegriffenen Bescheid aufgehoben hat. Im Übrigen folgt die Kostenentscheidung mit Blick auf die erfolgte Abtrennung, die hier auch bei der Kostenentscheidung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und vor dem Oberverwaltungsgericht zu berücksichtigen ist, für das Revisionsverfahren aus § 154 Abs. 2 VwGO und in Bezug auf die Vorinstanzen aus § 155 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.