Entscheidungsdatum: 19.06.2013
1. Das Urteil des Landgerichts Kiel vom 12. November 2012 - 7 S 101/11 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Der Beschluss des Landgerichts Kiel vom 7. Januar 2013 - 7 S 101/11 - wird damit gegenstandslos. Die Sache wird an das Landgericht Kiel zurückverwiesen.
2. Das Land Schleswig-Holstein hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Streitigkeit aus dem Dienst- und Werkvertragsrecht.
1. Die Beschwerdeführerin und Beklagte des Ausgangsverfahrens wurde von der Klägerin des Ausgangsverfahrens auf Zahlung von Werklohn für die Reparatur eines auf sie zugelassenen Kraftfahrzeugs in Anspruch genommen. Die Beschwerdeführerin bestritt die Beauftragung und die Erbringung der Werkleistung. Das Amtsgericht wies auf einen Einspruch der Beschwerdeführerin gegen ein zunächst ergangenes Versäumnisurteil die Klage ab, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststehe, dass die Klägerin mit der Beschwerdeführerin einen Werkvertrag geschlossen habe.
Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein. In ihrer Erwiderung wies die Beschwerdeführerin unter anderem darauf hin, dass sie bereits erstinstanzlich neben dem Bestreiten der Beauftragung außerdem die Durchführung der Arbeiten bestritten habe, für die nunmehr Werklohn verlangt werde. Das Landgericht verurteilte die Beschwerdeführerin zunächst durch Versäumnisurteil zur Zahlung des von der Klägerin begehrten Werklohnes. Dieses Versäumnisurteil wurde nach einem Einspruch der Beschwerdeführerin vom Landgericht durch Urteil aufrechterhalten, weil die Klage begründet sei. Die Beschwerdeführerin sei aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der Anscheinsvollmacht als Auftraggeberin der Werkleistung anzusehen.
Mit ihrer hiergegen erhobenen Anhörungsrüge machte die Beschwerdeführerin darauf aufmerksam, dass sie erstinstanzlich und in der Berufungserwiderung die Ausführung der Reparaturarbeiten bestritten habe und es deshalb unerfindlich sei, wie der Klage ohne eine Beweisaufnahme hierzu habe stattgegeben werden können, zumal die Klägerin eine Abnahme der Arbeiten nicht einmal behauptet habe. Das Landgericht wies die Anhörungsrüge zurück, weil die Kammer das Vorbringen zur Erteilung des Reparaturauftrages berücksichtigt, jedoch daraus und aus dem Tatsachenvortrag der Beschwerdeführerin mit der Annahme einer Anscheinsvollmacht andere rechtliche Schlüsse gezogen habe.
2. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Das Landgericht habe die Ansprüche der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren verletzt, indem es ihr entscheidungserhebliches Bestreiten der Durchführung der Arbeiten und der Abnahme schlicht ignoriert habe. Aufgrund dieses Bestreitens habe das Landgericht den Werklohn nicht ohne die Durchführung einer Beweisaufnahme zusprechen können. Die vom Landgericht angenommene Anscheinsvollmacht könne lediglich die Vollmacht ersetzen, nicht aber einen Beweis für die bestrittene Durchführung der Arbeiten.
3. Zu der Verfassungsbeschwerde hatten das Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein und die Klägerin des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Äußerung. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag der Kammer vor.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts der Beschwerdeführerin aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.
1. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 42, 364 <367 f.>; 63, 80 <85> m.w.N.). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 25, 137 <140>; 34, 344 <347>). Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfGE 40, 101 <104 f.>). Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (vgl. BVerfGE 5, 22 <24>; 13, 132 <149>; 42, 364 <368>), namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen (vgl. BVerfGE 50, 287 <289 f.>). Deshalb müssen, damit das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 27, 248 <251 f.>; 42, 364 <368>; 47, 182 <188>; 65, 293 <295>; 70, 288 <293>). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 47, 182 <189>; 86, 133 <146>).
b) Hier hat die Beschwerdeführerin die Durchführung der abgerechneten Reparaturarbeiten bestritten. Dieses Vorbringen bildete neben dem Bestreiten der Beauftragung den wesentlichen Teil der Verteidigung der Beschwerdeführerin gegenüber der Klageforderung. Es musste gerade nach der Rechtsauffassung des Landgerichts, wonach eine Beauftragung nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht vorlag, von zentraler Bedeutung sein. Denn das Bestreiten der Herstellung des Werkes führte dazu, dass der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Werklohnes unabhängig von der ebenfalls unklaren Frage der Abnahme noch nicht fällig war. Das Bestreiten der Durchführung der in Rechnung gestellten Reparaturarbeiten lässt eindeutig den Willen erkennen, die eigene Leistung auch im Hinblick auf das Ausbleiben der Gegenleistung zurückzubehalten, was für die Erhebung der Einrede des nicht erfüllten Vertrags nach § 320 BGB ausreichend ist (vgl. BGHZ 168, 64 <78>) .
Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass das Landgericht das Bestreiten der Durchführung von Reparaturarbeiten in Erwägung gezogen hat. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es dieses Bestreiten zur Kenntnis genommen, aber - etwa wegen mangelnder Substantiierung oder einem unzulässigen Bestreiten mit Nichtwissen - als unwesentlich beurteilt haben könnte. Bereits das Amtsgericht hatte die Durchführung der Arbeiten im unstreitigen Teil des Tatbestands genannt, was sich angesichts der Beweiswürdigung zur Bevollmächtigung jedoch nicht auf das Ergebnis auswirkte. Dass das Landgericht dem zur Kenntnis genommenen Bestreiten keine rechtliche Bedeutung beigemessen haben könnte, kann der Begründung der Berufungsentscheidung nicht entnommen werden; vielmehr ist aus dem Fehlen einer rechtlichen Würdigung des Bestreitens der Durchführung der Reparaturarbeiten sowie aus der Begründung der Entscheidung über die Anhörungsrüge zu schließen, dass es vom Landgericht bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt wurde.
c) Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem Gehörsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht, hätte es sich damit auseinandergesetzt, dass die Beschwerdeführerin die Durchführung der Reparaturarbeiten bestritten hatte, zu einem anderen, der Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Es ist möglich, dass das Landgericht zu der von der Klägerin behaupteten Durchführung der Reparaturarbeiten Beweis erhoben hätte und je nach Ergebnis der Beweisaufnahme zu einer Klageabweisung gelangt wäre, wenn es das Bestreiten der Beschwerdeführerin berücksichtigt hätte.
2. Die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG hat besonderes Gewicht. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, den Betroffenen von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährleisteten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder wenn sie rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Im vorliegenden Fall ist von einer krassen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör auszugehen. Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Landgericht den genannten Vortrag der Beschwerdeführerin schlicht aus dem Blick verloren hat, etwa weil bereits das Amtsgericht die Durchführung der Reparaturarbeiten fehlerhaft in den unstreitigen Teil des Tatbestands aufgenommen hatte. Denn sowohl in ihrer Erwiderung auf das Berufungsvorbringen der Klägerin als auch in der Anhörungsrüge hat die Beschwerdeführerin nachdrücklich auf ihr Bestreiten der Durchführung der Reparaturarbeiten bereits seit der ersten Instanz hingewiesen. Stattdessen beschränkt sich das Landgericht beharrlich auf Ausführungen zur Bevollmächtigung, ohne auf die weiteren, von der Beschwerdeführerin bestrittenen Voraussetzungen des geltend gemachten Werklohnanspruches einzugehen.
3. Ob auch bezüglich der von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Rechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG die Annahmevoraussetzungen vorliegen, bedarf damit keiner Entscheidung.
Das Urteil des Landgerichts ist hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Der die Anhörungsrüge zurückweisende Beschluss des Landgerichts wird damit gegenstandslos.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Damit erledigt sich der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts (vgl. BVerfGE 62, 392 <397>; 71, 122 <136 f.>; 105, 239 <252>).