Entscheidungsdatum: 19.01.2011
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. Januar 2009 - II-5 UF 117/08 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen.
2. ...
3. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 50.000 € (in Worten: fünfzigtausend Euro) festgesetzt.
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Versagung der Beteiligung an der elterlichen Sorge für seine beiden Töchter.
1. a) Der Beschwerdeführer ist der Vater der aus der nichtehelichen Beziehung zur Kindesmutter hervorgegangenen Kinder L. J., geboren im Juni 1995, und L. S., geboren im Januar 2000. Die Kindesmutter ist für beide Kinder allein sorgeberechtigt. Der Beschwerdeführer lebte bis zur Trennung der Kindeseltern im Oktober 2002 mit der Kindesmutter und seinen beiden Töchtern in einem Haushalt zusammen. Seit der Trennung leben die beiden Kinder im Haushalt der Kindesmutter. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Umgangskontakt mit seinen Töchtern. Zunächst verbrachten die Kinder zwei Tage pro Woche nach Absprache mit der Kindesmutter beim Beschwerdeführer und übernachteten auch bei ihm. Ab Januar 2007 erhöhte sich der Umgangskontakt auf drei Tage pro Woche. Im Juni 2007 wurde zur Abwicklung der Umgangskontakte noch eine gesonderte Vereinbarung beim Jugendamt getroffen.
b) Nachdem die Kindesmutter nicht bereit gewesen war, eine Sorgeerklärung zur Ausübung der gemeinsamen Sorge für beide Kinder abzugeben, beantragte der Beschwerdeführer im Februar 2008 beim Amtsgericht H., am Sorgerecht für seine Töchter beteiligt zu werden.
Mit - nicht angegriffenem - Beschluss vom 18. Juni 2008 wies das Amtsgericht H. nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten den Antrag des Beschwerdeführers zurück.
Die Ersetzung der Zustimmung der Kindesmutter zur gemeinsamen Sorgetragung diene nicht dem Kindeswohl. Zwischen den Verfahrensbeteiligten sei schon kein Mindestmaß an Konsens- beziehungsweise Kooperationsfähigkeit zur Ausübung der elterlichen Sorge zu erkennen. Die Kindeseltern hätten im Rahmen der Anhörung übereinstimmend bekundet, dass gemeinsame Gespräche kaum möglich seien und Absprachen bezüglich der Umgangskontakte überwiegend per SMS-Nachrichten über Mobiltelefon stattfinden würden. Darüber hinaus bestehe zwischen den Kindeseltern auch Einigkeit, dass es im Rahmen der Umgangskontakte des Beschwerdeführers mit seinen Töchtern immer wieder zu Problemen komme und diese Probleme nur dadurch gelöst werden könnten, dass die Kindesmutter aufgrund ihres alleinigen Sorgerechts bestimme, ob und wann die Kinder den Beschwerdeführer besuchten. Damit diene die Ausübung der alleinigen Sorge der Kindesmutter gerade dazu, die Streitigkeiten zwischen den Eltern zu beheben, ohne dass die Kinder davon in Mitleidenschaft gezogen würden.
c) Mit - angegriffenem - Beschluss vom 14. Januar 2009 wies das Oberlandesgericht Hamm die gegen die amtsgerichtliche Entscheidung gerichtete befristete Beschwerde des Beschwerdeführers zurück.
Der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf Begründung eines gemeinsamen elterlichen Sorgerechts für beide Kinder. So stehe ihm schon kein Anspruch auf gerichtliche Ersetzung der nach § 1626a Abs. 1 BGB erforderlichen Sorgeerklärung der Kindesmutter zu, deren Abgabe sie verweigere. Die Sorgeerklärung im Sinne des § 1626a Abs. 1 BGB stelle eine höchstpersönlich abzugebende Erklärung dar, die als solche weder von einem gesetzlichen Vertreter abgegeben noch vom Vormundschaftsgericht oder Familiengericht ersetzt werden könne. Lebten nicht miteinander verheiratete Eltern dauernd getrennt, so ermögliche § 1672 Abs. 1 BGB im Interesse des Kindeswohls eine Übertragung der elterlichen Sorge oder von Teilen davon auf den Kindesvater mit Zustimmung der sorgeberechtigten Mutter. Beide Vorschriften setzten danach die Zustimmung der Kindesmutter voraus. Die hierdurch begründete starke Stellung der nicht mit dem Kindesvater verheirateten Kindesmutter sei gesetzlich so gewollt. Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen bestünden keine Bedenken. Die Übergangsvorschrift nach Art. 224 § 2 Abs. 3 EGBGB sei nicht anwendbar. Im Übrigen seien keinerlei Anhaltspunkte für eine konkrete Kindeswohlgefährdung im Sinne des vorliegend allein in Betracht kommenden § 1666 BGB ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, der Kindesmutter das Sorgerecht zu entziehen. Darüber hinaus nahm das Gericht Bezug auf die amtsgerichtlichen Ausführungen.
2. Mit seiner gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 sowie Art. 6 Abs. 5 GG.
3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, der Kindesmutter und dem Jugendamt H. zugestellt; die Beteiligten hatten auch Gelegenheit zur Stellungnahme zum Gegenstandswert.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt.
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Elternrechts des Beschwerdeführers geboten (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. Januar 2009 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
Die Entscheidung stützt sich hauptsächlich auf die Regelungen der § 1626a Abs. 1 Nr. 1 und § 1672 Abs. 1 BGB. Diese wurden durch Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 - 1 BvR 420/09 - für unvereinbar mit Art. 6 Abs. 2 GG erklärt. Die angegriffene Entscheidung beruht daher - ebenso wie die im Verfahren 1 BvR 420/09 gegenständlichen Entscheidungen - auf einer Verkennung des Elternrechts des Beschwerdeführers. Insoweit sind auch die aufgrund der Erwägungen des Amtsgerichts in seinem nicht angegriffenen Beschluss möglichen Zweifel unerheblich, ob eine gemeinsame Sorgetragung im vorliegenden Fall überhaupt in Betracht kommt. Diese Frage war nur im Wege eines allgemein gehaltenen Verweises auf die amtsgerichtliche Entscheidung Gegenstand des angegriffenen Beschlusses des Oberlandesgerichts. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht aufgrund der geänderten Rechtslage und einer erneuten Prüfung der Voraussetzungen für die Begründung einer gemeinsamen Sorge zu einer anderen Einschätzung gelangt. Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung ist § 1626a BGB nämlich nach dem Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juli 2010 - 1 BvR 420/09 - mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht.
2. Da der Beschluss des Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer bereits in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt, kann dahinstehen, ob der Beschwerdeführer durch diese Entscheidung darüber hinaus in den weiteren von ihm gerügten Grundrechten aus Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 sowie Art. 6 Abs. 5 GG verletzt wird.
3. Die Feststellung der Grundrechtsverletzung ergibt sich aus § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Nach § 95 Abs. 2 BVerfGG ist die Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
5. Der Gegenstandswert war nach § 37 Abs. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG festzusetzen.