Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 29.08.2011


BVerfG 29.08.2011 - 1 BvR 280/09

Anordnung der Auslagenerstattung für das Verfassungsbeschwerdeverfahren nach Erledigterklärung - Gegenstandswertfestsetzung auf 10.000 Euro - Gleichbehandlung von in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebenden Versorgungsempfängern mit Ehegatten im Hinblick auf Zusatzversorgungsbezüge


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat 3. Kammer
Entscheidungsdatum:
29.08.2011
Aktenzeichen:
1 BvR 280/09
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2011:rk20110829.1bvr028009
Dokumenttyp:
Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren
Vorinstanz:
vorgehend BGH, 14. Februar 2007, Az: IV ZR 267/04, Urteilvorgehend OLG Karlsruhe, 21. Oktober 2004, Az: 12 U 195/04, Urteilvorgehend LG Karlsruhe, 26. März 2004, Az: 6 O 968/03, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 1 EGRL 78/2000
Art 2 EGRL 78/2000
Art 3 Abs 1 Buchst c EGRL 78/2000
§ 41 Abs 2c Buchst a VBLSa
§ 41aF Abs 2c Buchst a VBLSa

Tenor

Das Land Baden-Württemberg und die Bundesrepublik Deutschland haben dem Beschwerdeführer die durch die Verfassungsbeschwerde entstandenen notwendigen Auslagen je zur Hälfte zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betraf die Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern und verheirateten Personen bei der Berechnung von Betriebsrentenanwartschaften in Form sogenannter Startgutschriften anlässlich einer Systemumstellung der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. Bei der Berechnung der Startgutschriften kam es unter anderem als Berechnungsgröße auf das (fiktive) Nettoarbeitsentgelt der Versicherten an, das unter Zugrundelegung der Satzung der VBL in ihrer bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (VBLS a.F.) berechnet wurde. Diese sah vor, dass bei Ermittlung des fiktiven Nettoarbeitsentgelts hinsichtlich der Einkommensteuer bei verheirateten Personen pauschal - und damit unabhängig von der tatsächlichen Steuerklasse - die Steuerklasse III/0 zugrunde zu legen war (§ 41 Abs. 2c Buchstabe a VBLS a.F.). Für eingetragene Lebenspartnerschaften fehlte es an einer entsprechenden Regelung.

2

Der Beschwerdeführer ist im öffentlichen Dienst beschäftigt und bei der VBL zusatzversichert. Er lebt seit 2001 in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Die VBL berechnete anlässlich der Systemumstellung seine Startgutschrift und legte dabei die Steuerklasse I/0 zugrunde. Die auf Neuberechnung seiner Startgutschrift unter Zugrundelegung der Steuerklasse III/0 gerichtete Klage blieb in allen Instanzen erfolglos. Der Beschwerdeführer stützte seine Verfassungsbeschwerde auf eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Urteile.

3

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschied durch Urteil vom 10. Mai 2011 - C-147/08 - (NJW 2011, S. 2187-2191), dass Art. 1 in Verbindung mit den Art. 2 und 3 Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 2000/78 einer Regelung entgegensteht, wonach ein in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebender Versorgungsempfänger keine Zusatzversorgungsbezüge erhält, die den einem nicht dauernd getrennt lebenden verheirateten Versorgungsempfänger gewährten entsprechen, obwohl nach nationalem Recht die eingetragene Lebenspartnerschaft die Personen gleichen Geschlechts in eine Situation versetzt, die in Bezug auf diese Versorgungsbezüge mit der Situation von Ehegatten vergleichbar ist.

4

Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung berechnete die VBL die Startgutschrift des Beschwerdeführers neu unter Zugrundelegung der Steuerklasse III/0. Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 22. Juli 2011 das Verfassungsbeschwerdeverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, dem Land Baden-Württemberg und der Bundesrepublik Deutschland die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers aufzuerlegen.

II.

5

Dem Beschwerdeführer sind seine notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren in vollem Umfang zu erstatten.

6

1. Über die Hauptsache ist infolge der Erledigungserklärung nicht mehr zu entscheiden (vgl. BVerfGE 85, 109 <113>). Über die Erstattung der Auslagen ist nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (§ 34a Abs. 3 BVerfGG). Dabei kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, so kann, falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind, davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In diesem Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und dem Beschwerdeführer die Erstattung seiner Auslagen in gleicher Weise zuzubilligen, wie wenn seiner Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (vgl. BVerfGE 85, 109 <115>; 87, 394 <397>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Februar 1998 - 2 BvR 356/97 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2004 - 1 BvR 363/04 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Oktober 2004 - 1 BvR 781/04 -, juris; BVerfGK 5, 316 <327 f.>).

7

2. Nach diesen Grundsätzen erscheint es im vorliegenden Fall billig, die Auslagenerstattung anzuordnen. Die VBL berechnete die Startgutschrift des Beschwerdeführers neu und beseitigte die Beschwer damit selbst. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers in Ansehung des Urteils des EuGH vom 10. Mai 2011 (a.a.O.), auf das sie in dem Mitteilungsschreiben über die Neuberechnung ausdrücklich Bezug nahm, inzwischen selbst als berechtigt erachtet. Hieran kann die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung festgehalten und die Auslagenerstattung des Beschwerdeführers in gleicher Weise zugebilligt werden, wie wenn der Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre. Demzufolge haben das Land Baden-Württemberg und die Bundesrepublik Deutschland dem Beschwerdeführer je zur Hälfte seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

8

3. Die Entscheidung über den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.