Entscheidungsdatum: 16.06.2016
Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 4. August 2015 (3 Oa 1/15) verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht Hamburg zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer ein Drittel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts, mit denen über einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, eine Anhörungsrüge und ein Ablehnungsgesuch entschieden wurde.
Der Beschwerdeführer beantragte für eine beabsichtigte Klage auf Entschädigung wegen überlanger Dauer mehrerer arbeitsgerichtlicher Verfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Der dem Antrag beigefügte Klageentwurf war geprägt von Verunglimpfungen und Beschimpfungen der Justiz im Allgemeinen und auch von einzelnen, namentlich genannten Richtern.
Das Landesarbeitsgericht wies den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurück, weil für die beabsichtigte Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten bestünden. Die schriftlichen Äußerungen des Beschwerdeführers in seinem Klageentwurf, mit denen er gegen die mit den zugrunde liegenden Verfahren betrauten Richterinnen und Richtern in äußerst beleidigender Weise schwerwiegende Vorwürfe erhoben habe, seien nur vor dem Hintergrund erklärbar, dass dem Beschwerdeführer jeglicher Realitätsbezug fehle. Es lägen Anhaltspunkte vor, dass er unter einer wahnhaften Entwicklung im Sinne eines sogenannten Querulantenwahns leide. Es sei mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer zumindest partiell geschäftsunfähig und damit auch prozessunfähig sei. Die Rechtsbeschwerde wurde vom Landesarbeitsgericht nicht zugelassen.
Daraufhin erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge und lehnte den Vorsitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Mit beidem blieb der Beschwerdeführer erfolglos.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG. Das Landesarbeitsgericht habe ihn insbesondere weder persönlich angehört noch ein Sachverständigengutachten über die Frage der Prozessfähigkeit eingeholt.
Die Verfassungsbeschwerde wurde der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg zugestellt, die keine Stellungnahme abgegeben hat. Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.
Nicht zur Entscheidung anzunehmen ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen die das Ablehnungsgesuch und die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschlüsse richtet. Sie ist insoweit nicht hinreichend substantiiert begründet (§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG).
Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, soweit sie sich gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Landesarbeitsgerichts wendet, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Eine insoweit stattgebende Entscheidung kann die Kammer treffen, da die maßgeblichen Fragen vom Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde in diesem Umfang zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93b Satz 1 i.V.m. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Inhalt und Tragweite des aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG erwachsenden Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit geklärt (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>).
Die gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss gerichtete Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde stehen etwaige Zweifel an der Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers nicht entgegen. Wegen der besonderen Eigenart der verfassungsgerichtlichen Verfahren können im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht die Bestimmungen anderer Verfahrensordnungen, die hinsichtlich der Prozessfähigkeit an die Geschäftsfähigkeit anknüpfen, nicht ohne weiteres angewendet werden (vgl. BVerfGE 1, 87 <89>; 19, 93 <100 f.>). Die Verfahrensfähigkeit ist insbesondere zuzuerkennen, wenn sich nur so ein effektiver Grundrechtsschutz verwirklichen lässt. Das ist hier der Fall.
2. Unabhängig davon, dass das Landesarbeitsgericht die Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers nicht im Rahmen der Zulässigkeit des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, sondern allein als Frage der Begründetheit behandelt hat, was Bedenken aufwirft (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 9. Juni 1997 - 1 W 24/97 -, juris, Rn. 2; OLG Hamm, Beschlüsse vom 22. Februar 2012 - I-13 W 44/11, 13 W 44/11 -, juris, Rn. 2, und vom 10. Juni 2014 - I-11 SchH 27/12, 11 SchH 27/12 -, juris, Rn. 10; Geimer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 117 Rn. 5), verletzt der Beschluss des Landesarbeitsgerichts den Beschwerdeführer in seinem in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten, sondern nur eine weitgehende Angleichung. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es danach, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>). Eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren ist zwar in eng begrenztem Rahmen zulässig. Kommt jedoch eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil Beschwerdeführender ausgehen würde, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten ihres Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. August 2014 - 1 BvR 3001/11 -, juris, Rn. 12).
Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen. Auslegung und Anwendung der §§ 114 ff. ZPO obliegen dabei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Verfassungsrecht wird jedoch dann verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der grundrechtlich verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>).
b) Danach hat das Landesarbeitsgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwiderlaufend überspannt. Es hat bei der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten allein darauf abgestellt, dass der Beschwerdeführer nach Aktenlage mit großer Wahrscheinlichkeit prozessunfähig ist und die beabsichtigte Klage daher keinen Erfolg haben kann. Dabei hat das Landesarbeitsgericht verkannt, dass es, um die Prozessfähigkeit von Verfahrensbeteiligten beurteilen zu können, erforderlich ist, sämtliche Beweismittel auszuschöpfen, (vgl. BAG, Beschluss vom 28. Mai 2009 - 6 AZN 17/09 -, juris, Rn. 4, m.w.N.; BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 - VI ZR 284/08 -, juris, Rn. 8, m.w.N.), insbesondere ein Sachverständigengutachten einzuholen und vor einer Beweisaufnahme zur Prozessfähigkeit eine persönliche Anhörung durchzuführen ist (vgl. BVerfGK 6, 380 <383>).Unbeachtet geblieben ist zudem die Pflicht, dass Gerichte bei angenommener Prozessunfähigkeit auf die Bestellung einer Betreuungsperson hinzuwirken haben (BAG, Beschluss vom 28. Mai 2009 - 6 AZN 17/09 -, juris, Rn. 6, m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 22. Februar 2012 - I-13 W 44/11, 13 W 44/11 -, juris, Rn. 3). Dass eine Beweisaufnahme über die Frage der Prozessfähigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit das Ergebnis erbrächte, der Beschwerdeführer sei prozessunfähig, ist nicht offensichtlich. Ebenso wenig kann ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Prozessunfähigkeit für eine ordnungsgemäße Vertretung gesorgt hätte, indem er sich um die Bestellung einer Betreuungsperson bemüht hätte.
Der die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagende Beschluss ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.