Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 27.07.2015


BVerfG 27.07.2015 - 1 BvR 2095/12

Nichtannahmebeschluss: Zum Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde - hier: Verfassungsrechtlich relevante Gründe für jagdrechtliche Befriedung eines Grundstücks (§§ 6, 6a BJagdG) müssen bereits im fachgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat 1. Kammer
Entscheidungsdatum:
27.07.2015
Aktenzeichen:
1 BvR 2095/12
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2015:rk20150727.1bvr209512
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
Vorinstanz:
vorgehend OVG Lüneburg, 4. September 2012, Az: 4 LA 181/11, Beschlussvorgehend VG Lüneburg, 24. Februar 2011, Az: 6 A 86/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie unzulässig ist.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer ist Mitglied einer Erbengemeinschaft, in deren Eigentum ein mit zwei Häusern bebautes, im Außenbereich gelegenes und überwiegend bewaldetes Grundstück mit einer Größe von knapp 6,85 Hektar steht. Im Jahre 2009 wurde das Grundstück durch Bescheid des Landkreises Lüneburg einem Eigenjagdbezirk angegliedert. Hiergegen wandte sich der Beschwerdeführer unter Berufung auf sein Eigentumsrecht. Er machte vor allem Bedenken geltend wegen der Sicherheit von Erholungsuchenden, die das Grundstück nutzten.

3

Die gegen den Angliederungsbescheid gerichtete Klage und der Antrag auf Zulassung der Berufung blieben ohne Erfolg.

4

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 4, Art. 14 und Art. 19 Abs. 4 GG. Er beruft sich nunmehr auch darauf, dass er die Jagd auf seinem Waldgrundstück deshalb ablehne, weil sich dort eine Gräberstätte befinde und durch die Jagd die Totenruhe und das Gedenken an die Verstorbenen beeinträchtigt würden.

5

3. Der Beschwerdeführer hat im Juli 2014 einen Antrag auf Befriedung seines Grundstücks auf Grundlage des am 6. Dezember 2013 in Kraft getretenen § 6a BJagdG gestellt. Der Landkreis teilte daraufhin im Mai 2015 mit, dass er beabsichtige, den Antrag nach Abschluss des Anhörungsverfahrens abzulehnen, weil der Schutz der Land- und Forstwirtschaft vor übermäßigen Wildschäden (Hinweis auf § 6a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BJagdG) gefährdet sei. Außerdem seien die erforderlichen ethischen Gründe für eine Befriedung nicht ausreichend vorgetragen.

II.

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1. Den Rügen einer Verletzung des Art. 4 und des Art. 14 GG steht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen.

7

a) Der in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt, dass der Beschwerdeführer alle nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung schon im fachgerichtlichen Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 134, 106 <115>).

8

Dies verlangt zwar nicht, dass der Beschwerdeführer von Beginn des fachgerichtlichen Verfahrens an verfassungsrechtliche Erwägungen und Bedenken vortragen und geltend machen muss, er sei durch die öffentliche Gewalt und insbesondere eine gerichtliche Entscheidung in seinen Grundrechten verletzt. Es ist danach nicht gefordert, dass der Beschwerdeführer bereits das fachgerichtliche Verfahren auch als "Verfassungsprozess" führt (vgl. BVerfGE 112, 50 <61>). Etwas anderes kann allerdings in den Fällen gelten, in denen bei verständiger Einschätzung der Rechtslage und der jeweiligen verfahrensrechtlichen Situation ein Begehren nur Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn verfassungsrechtliche Erwägungen in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden (vgl. BVerfGE 112, 50 <62>). Im Hinblick darauf ist der Beschwerdeführer bereits im Ausgangsverfahren gehalten, den Sachverhalt so darzulegen, dass eine verfassungsrechtliche Prüfung möglich ist (vgl. BVerfGE 112, 50 <61>).

9

b) Diesen Anforderungen hat der Beschwerdeführer nicht genügt. Der Fall hätte begründeten Anlass gegeben, hier schon im Ausgangsverfahren auf die nunmehr geltend gemachten verfassungsrechtlichen Einwände hinzuweisen.

10

aa) Ausgehend von den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen hat er im gesamten Ausgangsverfahren zur Begründung seiner Ablehnung der Einbeziehung des Grundstücks in den Eigenjagdbezirk der Beigeladenen lediglich auf die von der Jagd ausgehenden Gefahren hingewiesen. Dies hat er in der Schilderung des "Sachverhalts" in der Verfassungsbeschwerde ausdrücklich bestätigt. Selbst vor dem Oberverwaltungsgericht hat er, obgleich er dort offensichtlich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (GK) vom 26. Juni 2012 (Herrmann v. Deutschland, Nr. 9300/07) hingewiesen hat, seine ablehnende Haltung gegen den Angliederungsbescheid nicht anders oder zusätzlich begründet.

11

Erst im Verfahren der Verfassungsbeschwerde verweist der Beschwerdeführer nunmehr auf seine "Glaubens- und Gewissensausübung" gerade auch im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Verstorbenen auf der auf dem Waldgrundstück befindlichen "Friedhofsstätte", die der Ausübung der Jagd auf dem Grundstück entgegenstehe. Mit einem derartigen - gänzlich neuen - Vortrag konnten sich Ausgangsbehörde und die Fachgerichte im Ausgangsverfahren nicht beschäftigen.

12

bb) Der Beschwerdeführer hat ausweislich der vorgelegten Unterlagen im Ausgangsverfahren zudem auch nicht die nun vorgetragenen Diskriminierungsvorwürfe erhoben. In der Begründung seiner Verfassungsbeschwerde trägt er gleichfalls nicht vor, dass er auf eine Ungleichbehandlung mit Eigentümern von Flächen, auf denen die Jagd ruht (vgl. § 6 BJagdG) oder die eine Größe von mindestens 75 Hektar aufweisen (vgl. § 7 BJagdG), hingewiesen hätte. Dementsprechend bestand in den angegriffenen Entscheidungen auch kein Anlass, auf diese Fragen einzugehen.

13

2. Die Verfassungsbeschwerde genügt im Übrigen auch nicht den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ergebenden Anforderungen an eine ausreichende Begründung.

14

a) So trägt der Beschwerdeführer nichts dazu vor, inwieweit er ungeachtet der zwischenzeitlich am 6. Dezember 2013 in Kraft getretenen Neuregelung des § 6a BJagdG noch über ein berechtigtes Interesse an der verfassungsgerichtlichen Klärung etwaiger Grundrechtsverstöße durch die angegriffenen Entscheidungen verfügt.

15

Die Möglichkeit, zu einem Jagdbezirk gehörende Grundflächen auf Antrag des Grundeigentümers aus ethischen Gründen zu befriedeten Bezirken erklären zu lassen, wurde vom Gesetzgeber mit dem neuen § 6a BJagdG in Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (GK) vom 26. Juni 2012 (Nr. 9300/07 [Herrmann v. Deutschland] - NJW 2012, 3629) geschaffen. Soweit der Beschwerdeführer künftige, von ihm als Grundrechtsverletzungen beanstandete Beeinträchtigungen durch die Ausübung der Jagd auf seinem Grundstück verhindern will, gebietet der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, dass er gegen die angekündigte Ablehnung seines Antrags nach § 6a BJagdG zunächst den Rechtsweg beschreitet, damit die Fachgerichte sich mit der Auslegung und Anwendung des § 6a BJagdG befassen und hierzu im Falle des Beschwerdeführers den Sachverhalt klären, bevor das Bundesverfassungsgericht damit befasst wird.

16

Zu der Frage, ob er nach der Neuregelung des § 6a BJagdG für die Vergangenheit ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der von ihm geltend gemachten Grundrechtswidrigkeit des Angliederungsbescheides hat, oder gar noch dessen Aufhebung und die der ihn bestätigenden Gerichtsentscheidungen verlangen kann, hat er nichts vorgetragen. So lässt sich der Verfassungsbeschwerde insbesondere nichts dazu entnehmen, ob und in welchem Umfang bisher überhaupt die Jagd auf dem in Streit stehenden Grundstück ausgeübt wurde und ob es dabei zu Gefährdungen von Erholungsuchenden oder der Beeinträchtigung des Gedenkens der Verstorbenen auf der "Friedhofsstätte" gekommen ist. Ohne solche Angaben kann nicht beurteilt werden, ob ungeachtet der zwischenzeitlich durch § 6a BJagdG zugunsten des Beschwerdeführers veränderten Rechtslage ausnahmsweise noch ein berechtigtes Interesse an der Klärung und Feststellung der Vereinbarkeit der angegriffenen Hoheitsakte mit den Grundrechten für die Vergangenheit besteht.

17

b) Die Rüge der Verletzung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt offensichtlich nicht den Anforderungen an eine ausreichende Begründung.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.