Entscheidungsdatum: 08.08.2013
Das am 28. März 2013 verkündete Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts St. Goar - 31 C 570/12 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht St. Goar zurückverwiesen.
Damit wird der Beschluss des Amtsgerichts St. Goar vom 25. April 2013 - 31 C 570/12 - gegenstandslos.
Das Land Rheinland-Pfalz hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde beanstandet die Beschwerdeführerin, dass das Amtsgericht ihren Klageabweisungsantrag als Anerkenntnis ausgelegt hat.
I.
1. Im Dezember 2012 erhob die S. AG & Co. KG (im Folgenden: Klägerin) gegen die "L. & Co. Nachf. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer A. L." beim Amtsgericht eine Klage mit dem Ziel, dass die Beklagte den Ausbau eines Stromzählers duldet. Das Amtsgericht ordnete gemäß § 495a ZPO das schriftliche Verfahren an.
In einem Schriftsatz, der auf einem Briefbogen mit der Angabe "L. & Co. Nachf." erstellt wurde, teilte "A. L." mit, sich verteidigen zu wollen. In einem weiteren, auf dem gleichen Briefbogen verfassten Schriftsatz beantragte "A. L.", die Klage abzuweisen und die Kosten der Klägerin aufzuerlegen, da die beklagte GmbH nicht existiere. Nur vorsorglich führe er aus, dass die Klage grundlos eingereicht worden sei. Denn seit über zwei Jahren sei gebeten worden, dass der Zähler ausgebaut werde.
Die Klägerin bestritt darauf hin, dass es die GmbH nicht mehr gebe. Nach einer beim Gewerberegister eingeholten Auskunft sei die GmbH noch tätig. Außerdem trete die Beklagte im Schriftverkehr nach außen ausweislich der Briefbögen auch als GmbH auf. Sie rege an, dass der Beklagte den Klageanspruch anerkenne.
Der "L. & Co. Nachf. GmbH" wurde keine Frist zur Erwiderung auf dieses Vorbringen gesetzt. Zuvor hatte das Amtsgericht bereits als Verkündungstermin den 28. März 2013 festgelegt.
2. a) Mit dem angegriffenen, am 28. März 2013 verkündeten Anerkenntnisurteil verurteilte das Amtsgericht die "L. & Co. Nachf. GmbH" antragsgemäß und legte ihr die Kosten des Rechtsstreits auf. Der zulässigen Klage sei im Wege des Anerkenntnisurteiles als kostengünstigste Variante zur Erledigung des Rechtsstreits antragsgemäß stattzugeben, weil die Beklagte in der Klageerwiderung ausdrücklich erklärt habe, dass der Stromzähler überflüssig sei und ausgebaut werden solle. Das Gericht werte diese Erklärung als Anerkenntnis. Soweit die Beklagte ihre Passivlegitimation in Frage stelle, ergebe sich aus dem Gewerberegister, dass die Beklagte in der Rechtsform einer GmbH tätig sei.
b) Nach Verkündung des Urteils ging beim Amtsgericht ein Schriftsatz der "L. & Co. Nachf." ein. "A. L." führt unter anderem aus, wenn die Klägerin vortrage, dass sie sich auf ihren Briefbögen als GmbH ausweise, sei dies falsch. Des Weiteren gebe es keine "L. & Co. Nachf. GmbH"; an einer GmbH sei sie niemals beteiligt gewesen.
3. Gegen das Urteil erhob die "L. & Co. Nachf." Gehörsrüge. A. L. trug vor, ein Anerkenntnis sei von ihm gerade nicht abgegeben worden und lasse sich aus seinem Vorbringen auch nicht ansatzweise ableiten. Falls es wider Erwarten ein Anerkenntnis geben sollte, wären doch zumindest ein richterlicher Hinweis sowie eine ausreichende Frist zur Stellungnahme notwendig gewesen.
4. Mit Beschluss vom 25. April 2013 wies das Amtsgericht die Gehörsrüge als unbegründet zurück. Alle von den Parteien innerhalb der Stellungnahmefrist vorgetragenen Argumente habe das Gericht berücksichtigt. Im Hinblick auf § 296a ZPO habe der Sachvortrag der Beklagten vom 28. März 2013 nicht mehr berücksichtigt werden können. Die Beklagte habe sich in ihrer Klageerwiderung widersprüchlich verhalten, so dass ihr Begehren habe ausgelegt werden müssen. Einerseits sei Klageabweisung beantragt, andererseits wiederholt erklärt worden, man habe seit Jahren um den Ausbau des Zählers gebeten. Da der Klägerin ein Anspruch auf Ausbau und Wegnahme des Stromzählers zweifelsfrei zugestanden habe, habe das Gericht die für die Beklagte kostengünstigste Erledigungsvariante gewählt, um den Rechtsstreit zu beenden.
II.
1. Mit ihrer am 4. Mai 2013 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die "L. & Co. Nachf." (im Folgenden: Beschwerdeführerin) eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 103 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
2. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 10. Mai 2013 den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Eine einstweilige Anordnung sei nicht im Sinne von § 32 Abs. 1 BVerfGG zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten, denn auch die Beschwerdeführerin sei mit der Entfernung des Stromzählers einverstanden.
3. Das Land Rheinland-Pfalz und die Klägerin des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme ist zur Durchsetzung eines in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechts der Beschwerdeführerin angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits geklärt, die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Die Annahme des Amtsgerichts in seinem Urteil, die Beschwerdeführerin habe den geltend gemachten Anspruch anerkannt, ist willkürlich und verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Ob das Urteil darüber hinaus den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG oder ihr Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, kann offen bleiben. Damit wird der Beschluss des Amtsgerichts über die Anhörungsrüge gegenstandslos.
1. Auslegung und Anwendung des Gesetzes sind Aufgabe der Fachgerichte und werden vom Bundesverfassungsgericht nur eingeschränkt, namentlich auf Verstöße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz wegen Missachtung des Willkürverbots, überprüft. Gegen den Gleichheitssatz wird nicht bereits dann verstoßen, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren des Fachgerichts fehlerhaft sind. Hinzukommen muss vielmehr, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht; dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf (stRspr; vgl. nur BVerfGE 83, 82 <84>).
2. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ein Anerkenntnis gemäß § 307 ZPO zu entnehmen, ist nicht mehr vertretbar.
a) Bei der Auslegung einer Prozesserklärung - wie des hier ausdrücklich gestellten Antrags auf Abweisung der Klage - darf eine Partei nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden, sondern es ist davon auszugehen, dass sie mit ihrer Prozesshandlung das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - XI ZB 15/09 -, NJW-RR 2010, S. 275 <276 [Tz. 9]> m.w.N.). Dabei bestimmen allerdings nicht allein die tatsächlichen Interessen der erklärenden Partei das Verständnis der abgegebenen Erklärung. Vielmehr müssen sich diese aus den im Zeitpunkt der Erklärung äußerlich in Erscheinung tretenden Umständen ersehen lassen. Maßgebend ist unter Beachtung der durch die gewählte Formulierung gezogenen Auslegungsgrenzen der objektiv zum Ausdruck kommende Wille des Erklärenden.
b) Beantragt eine Partei - wie hier die Beschwerdeführerin - ausdrücklich die Abweisung einer Klage, so dürfte die Annahme eines Anerkenntnisses allenfalls in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Klageabweisung und Anerkennung eines geltend gemachten Anspruches schließen sich aus. Ein Anerkenntnis führt regelmäßig dazu, dass dem Anerkennenden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden (vgl. die Ausnahmevorschrift des § 93 ZPO). Zudem ist ein Anerkenntnisurteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (§ 708 Nr. 1 ZPO). Beides entspricht nicht der Interessenlage desjenigen, der die Abweisung einer Klage beantragt. Dass dies im Fall der Beschwerdeführerin anders sein soll, behauptet das Amtsgericht nicht einmal. Es stellt lediglich darauf ab, dass die Annahme eines Anerkenntnisses für die Beschwerdeführerin die kostengünstigste Variante sei. Die Abweisung der Klage mit der Folge der Kostentragungspflicht der Klägerin wäre für die Beschwerdeführerin jedoch offensichtlich kostengünstiger gewesen. Einen solchen Ausgang des Klageverfahrens von vornherein auszuschließen, wie es das Amtsgericht ausweislich seiner entsprechenden Ausführungen im Beschluss über die Anhörungsrüge getan hat, ist angesichts der Einwände der Beschwerdeführerin gegen die Bezeichnung der Beklagten im Ausgangsverfahren offensichtlich fehlerhaft, zumal das Gewerberegister, auf das sich das Amtsgericht insoweit beruft, keinen öffentlichen Glauben genießt (vgl. Martinez, in: Beck'scher Online-Kommentar, GewO, § 14 Rn. 58a [Stand: 1. Januar 2013]); dies gilt erst recht hinsichtlich der Rechtsform, in der die gewerbliche Betätigung ausgeübt wird.
Das Anerkenntnisurteil beruht auch auf der nicht vertretbaren Annahme eines Anerkenntnisses. Das Urteil wird aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung ergibt sich aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.