Entscheidungsdatum: 16.10.2010
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der die Beschränkung einer als Aufzug angemeldeten Versammlung auf eine ortsfeste Kundgebung betrifft, hat keinen Erfolg.
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Wegen der meist weit tragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 <111>; stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr). Ist die Verfassungsbeschwerde weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet, sind vielmehr die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr).
Es ist nicht ersichtlich, dass die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre. Zum einen ist die Verfügung, nach der es dem Freistaat Sachsen auch im Zusammenwirken der Versammlungsbehörde mit der Landespolizei bei Aufbietung aller Kräfte angeblich nicht möglich ist, einen etwa sechs Wochen vorher angemeldeten Aufzug von laut Anmeldung erwarteten 600 Personen gegenüber Gegendemonstranten polizeilich zu sichern, nicht offensichtlich rechtmäßig. Es erscheint fraglich, ob die Verhinderung von Versammlungen in Form von Aufzügen in dieser Weise hingenommen werden kann und ob die Polizei und die Versammlungsbehörde - hier unter Verantwortung des Oberbürgermeisters der Stadt Leipzig - alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, in Kooperation mit den Veranstaltern durch eine Gestaltung der Versammlungsorte und Aufzugstrecken unter Einbeziehung von Maßnahmen auch gegenüber den Gegendemonstranten Lösungen zu finden, in deren Rahmen das Versammlungsrecht gesichert werden kann. Zum anderen ist es nicht ausgeschlossen, dass die Verwaltungsgerichte die Anforderungen von Art. 19 Abs. 4 GG im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verkannt haben. Dies kann allerdings nur in einem etwaigen Verfassungsbeschwerdeverfahren geklärt werden.
Wäre die Verfassungsbeschwerde danach weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese führt hier zu dem Ergebnis, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG abzulehnen ist. Denn die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, sind weniger gravierend als die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts ist hierbei ein strenger, mit den verwaltungsgerichtlichen Kriterien nicht deckungsgleicher Maßstab anzulegen. Die außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegenden Rechtsbehelfe vor dem Bundesverfassungsgericht sind nicht die Verlängerung des einstweiligen Rechtsschutzes vor den Fachgerichten.
Erginge eine einstweilige Anordnung, erwiese sich die Annahme der Versammlungsbehörde und des Verwaltungsgerichts, dass sich die Versammlung als Aufzug mit den verfügbaren Polizeikräften nicht hinreichend schützen lasse, jedoch als zutreffend, so entstünden erhebliche Nachteile, weil dann davon ausgegangen werden müsste, dass sowohl Demonstranten als auch Gegendemonstranten, Polizeibeamte oder Dritte zu Schaden kommen könnten.
Demgegenüber wiegen die Folgen für die Antragsteller, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, nicht so schwer, dass hier eine verfassungsgerichtliche Anordnung geboten wäre. Die angemeldete Veranstaltung könnte unter dem beabsichtigten Motto stattfinden. Mit dem ihr als Versammlungsort zugewiesenen Bereich am Hauptbahnhof kann die Versammlung darüber hinaus an einem Ort stattfinden, der zentral gelegen ist und damit ihre Öffentlichkeitswirksamkeit gewährleistet. Dies gilt umso mehr, als Anhaltspunkte dafür nicht ersichtlich sind, dass die Polizei, wie die Antragsteller unterstellen, die Versammlung dort von der Außenwelt abschneiden würde oder nicht bereit oder in der Lage wäre, sie dort wirksam vor Störungen zu schützen.
Hinzu kommt, dass dem Bundesverfassungsgericht in der Kürze der für die Entscheidung zur Verfügung stehenden Zeit eine Nachprüfung der Gefahrenprognose, die der Beschränkung der Versammlung auf eine ortsfeste Kundgebung zugrunde liegt, ebenso wenig verantwortlich möglich ist, wie es beurteilen kann, wie sich die Gefahrenlage bei dem begehrten Verbot anderer Versammlungen im Bereich der angemeldeten Aufzugstrecken oder bei einer Verlegung der Veranstaltung der Antragsteller auf den Augustusplatz darstellen würde.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.