Entscheidungsdatum: 25.09.2012
Die Vorlage des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) betrifft die Frage, ob die Regelung des § 1318 BGB, soweit sie auch bei einem Verstoß gegen das Verbot der Doppelehe bestimmte gesetzliche Scheidungsfolgenregelungen für entsprechend anwendbar erklärt, mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist.
§ 1318 BGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Juli 2009 (BGBl I S. 1696) hat folgenden Wortlaut:
§ 1318 Folgen der Aufhebung
(1) Die Folgen der Aufhebung einer Ehe bestimmen sich nur in den nachfolgend genannten Fällen nach den Vorschriften über die Scheidung.
(2) Die §§ 1569 bis 1586b finden entsprechende Anwendung
1. zugunsten eines Ehegatten, der bei Verstoß gegen die §§ 1303, 1304, 1306, 1307 oder § 1311 oder in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 die Aufhebbarkeit der Ehe bei der Eheschließung nicht gekannt hat oder der in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 von dem anderen Ehegatten oder mit dessen Wissen getäuscht oder bedroht worden ist;
2. zugunsten beider Ehegatten bei Verstoß gegen die §§ 1306, 1307 oder § 1311, wenn beide Ehegatten die Aufhebbarkeit kannten; dies gilt nicht bei Verstoß gegen § 1306, soweit der Anspruch eines Ehegatten auf Unterhalt einen entsprechenden Anspruch der dritten Person beeinträchtigen würde.
Die Vorschriften über den Unterhalt wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes finden auch insoweit entsprechende Anwendung, als eine Versagung des Unterhalts im Hinblick auf die Belange des Kindes grob unbillig wäre.
(3) Die §§ 1363 bis 1390 und 1587 finden entsprechende Anwendung, soweit dies nicht im Hinblick auf die Umstände bei der Eheschließung oder bei Verstoß gegen § 1306 im Hinblick auf die Belange der dritten Person grob unbillig wäre.
(4) Die §§ 1568a und 1568b finden entsprechende Anwendung; dabei sind die Umstände bei der Eheschließung und bei Verstoß gegen § 1306 die Belange der dritten Person besonders zu berücksichtigen.
(5) § 1931 findet zugunsten eines Ehegatten, der bei Verstoß gegen die §§ 1304, 1306, 1307 oder § 1311 oder im Falle des § 1314 Abs. 2 Nr. 1 die Aufhebbarkeit der Ehe bei der Eheschließung gekannt hat, keine Anwendung.
Der Vorlage liegt ein familiengerichtliches Verfahren zugrunde, in dem die dortige Antragstellerin nach Aufhebung ihrer Ehe güterrechtliche Ansprüche geltend macht.
1. Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden Ehefrau) und der Antragsgegner zu 1) des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Ehemann) gingen im Jahr 1983 in Deutschland die Ehe ein. Seinerzeit hatte die Ehefrau die philippinische Staatsangehörigkeit, der Ehemann war und ist deutscher Staatsangehöriger.
2. Im Mai 2006 beantragte der Ehemann beim Amtsgericht Schöneberg in Berlin die Aufhebung der Ehe, unter anderem mit der Begründung, die Ehefrau sei zur Zeit der Eheschließung noch mit einem anderen Mann verheiratet gewesen, und das von ihr vorgelegte Ehefähigkeitszeugnis sei gefälscht. Mit rechtskräftigem Urteil vom 31. Oktober 2007 hob das Amtsgericht Schöneberg die Ehe auf. Die Voraussetzungen der Eheaufhebung richteten sich für den Ehemann nach deutschem Recht. Es liege der Aufhebungsgrund der Doppelehe (§ 1314 Abs. 1, § 1306 BGB) vor. Nach den durch das Gericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen hat die Ehefrau im Alter von 15 oder 16 Jahren auf den Philippinen eine nach dem insoweit maßgeblichen philippinischen Recht wirksame Ehe mit einem anderen Mann geschlossen, welche zum Zeitpunkt der neuerlichen Eheschließung im Jahr 1983 weiterhin Bestand gehabt habe.
3. In dem der Vorlage zugrunde liegenden Ausgangsverfahren macht die Ehefrau nunmehr gegen den Ehemann sowie gegen die Erben seines Bruders Ansprüche auf Zugewinnausgleich aus der aufgehobenen Ehe gemäß §§ 1318, 1372 ff. BGB geltend.
Mit Beschluss vom 25. Februar 2011 hat das Amtsgericht Kempten (Allgäu) das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 1318 BGB beim vorliegenden Verstoß gegen das Verbot der Doppelehe nach § 1306 BGB mit dem durch Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleisteten Prinzip der Einehe im Rahmen der grundgesetzlich geschützten Institutsgarantie der Ehe vereinbar ist.
Das Gericht hält die Regelung des § 1318 BGB für verfassungswidrig. Indem sich die Folgen der Aufhebung einer Ehe in den in § 1318 Abs. 2 bis 5 BGB genannten Fällen nach den Vorschriften über die Scheidung bestimmten, werde rechts- und verfassungswidrig unter Missachtung des Monogamiegebots des Art. 6 Abs. 1 GG im Grundsatz die Existenz zweier gültiger Ehen nebeneinander anerkannt. Das Monogamiegebot gehöre zum absolut geschützten Kernbereich der Ehe, der insoweit auch dem gesetzgeberischen Zugriff entzogen sei. Durch die Regelung werde der bigamischen Ehe eine zivilrechtliche Wirksamkeit zugebilligt, obwohl diese Ehe den Straftatbestand des § 172 StGB erfülle. Dem könne auch nicht mit einer verfassungskonformen Auslegung der Norm entgegengetreten werden, denn für eine Auslegung dahingehend, dass die Eheaufhebung im Falle eines Verstoßes gegen das Verbot der Doppelehe ausnahmsweise eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Eheschließung entfalte, seien weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte zu finden. Insofern bestehe auch keine gesetzliche Regelungslücke, die im Wege der verfassungskonformen Auslegung geschlossen werden könne.
Die Vorlage ist unzulässig.
Nach Art. 100 Abs. 1 GG kann ein Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Unvereinbarkeit einer gesetzlichen Vorschrift mit einer übergeordneten Rechtsnorm, insbesondere mit einer solchen des Grundgesetzes, einholen. Die Begründung der Vorlage muss gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG angeben, inwiefern die zur Überprüfung gestellte Vorschrift entscheidungserheblich ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm das vorlegende Gericht sie für unvereinbar hält.
1. Für die Frage der Entscheidungserheblichkeit ist grundsätzlich die Rechtsansicht des vorlegenden Gerichts maßgeblich (vgl. BVerfGE 2, 380 <389>; 7, 171 <175>; 12, 264 <268>; stRspr). Der Vorlagebeschluss muss jedoch aus sich heraus ohne Beiziehung der Akten verständlich sein und hinreichend deutlich erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis (das heißt zu einer anderen Endentscheidung, vgl. BVerfGE 76, 100 <104>) käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 86, 71 <77>; 107, 59 <85>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 2. Mai 2012 - 1 BvL 20/09 -, juris; stRspr).
2. Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der betreffenden Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen, die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar darstellen und jedenfalls auf naheliegende tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte eingehen sowie die in der Literatur und in der Rechtsprechung - einschließlich derjenigen des Bundesverfassungsgerichts - entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 100 <104>; 79, 240 <243 f.>; 86, 52 <57>). Bei der Prüfung der Vereinbarkeit der einfachgesetzlichen Norm mit dem Grundgesetz hat das vorlegende Gericht vorrangig eine verfassungskonforme Auslegung in Betracht zu ziehen (vgl. BVerfGE 76, 100 <105>; 86, 71 <77>).
Diesen Anforderungen wird der Vorlagebeschluss vom 25. Februar 2011 nicht gerecht.
1. In dem Vorlagebeschluss wird nicht dargetan, inwieweit die Entscheidung des Ausgangsverfahrens von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt. Der Vorlagebeschluss lässt jegliche Aussage dazu vermissen, welche Entscheidung das vorlegende Gericht im Fall der Gültigkeit von § 1318 BGB einerseits und im Fall der Ungültigkeit oder Nichtigkeit dieser Norm andererseits zu treffen beabsichtigt. So ist der Begründung schon nicht zu entnehmen, inwieweit das vorlegende Gericht die Sache - vorbehaltlich der Verfassungswidrigkeit des § 1318 BGB - für entscheidungsreif hält und inwieweit der Antrag der Ehefrau auf der Grundlage der geltenden Rechtslage überhaupt Erfolg hätte. Sollte sich nämlich der Antrag unabhängig von der Anwendung des § 1318 BGB als unzulässig oder unbegründet erweisen, wäre die Gültigkeit dieser Vorschrift nicht entscheidungserheblich. Da es für die Entscheidungserheblichkeit grundsätzlich auf die Ansicht des vorlegenden Gerichts ankommt (vgl. oben I 1), ist das Bundesverfassungsgericht auch nicht dazu berufen, die genannten Fragen anhand der Verfahrensakten selbst zu beurteilen.
2. Ob die knappen Ausführungen des Gerichts zur Unvereinbarkeit des § 1318 BGB mit Art. 6 Abs. 1 GG, die insbesondere nicht auf die Gesamtsystematik der Eheaufhebungsfolgen und auf die in § 1318 Abs. 3 BGB enthaltene Billigkeitsklausel eingehen, den Anforderungen an eine Darlegung der Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm (vgl. oben I 2) genügen, bedarf damit keiner Entscheidung mehr.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.