Entscheidungsdatum: 31.07.2018
I
Mit Bescheid vom 4. Januar 2017 lehnte die Beklagte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab, drohte ihm für den Fall, dass er nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung ausreist, die Abschiebung nach Albanien an und befristete die Wirkung einer möglichen Abschiebung auf 30 Monate ab dem Tag des Verlassens der Bundesrepublik Deutschland.
Der Kläger erhob hiergegen Klage und führte erfolglos ein Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch. Während des Klageverfahrens kamen dem Verwaltungsgericht Zweifel, ob er sich noch unter der angegebenen Anschrift aufhielt. Es forderte daher den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Verfügung vom 22. Februar 2017 auf, dessen ladungsfähige Anschrift bis zum 3. März 2017 mitzuteilen. Unter dem 7. März 2017, zugestellt am 13. März 2017, erließ das Gericht eine Betreibensaufforderung, mit der der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Hinweis auf die Folgen nach § 92 Abs. 2 VwGO erneut aufgefordert wurde, die Anschrift des Klägers rechtzeitig mitzuteilen und zur Glaubhaftmachung eine Meldebescheinigung vorzulegen. Am 8. März 2017 teilte sein Prozessbevollmächtigter mit, der Kläger lebe weiterhin unter der mitgeteilten Adresse und erhalte seine tägliche Post. Zustellprobleme gerichtlicher Schreiben seien möglicherweise damit zu erklären, dass das Gericht seinen Vor- und Nachnamen vertauscht habe. Der Kläger versicherte darüber hinaus an Eides statt, er verfüge an der genannten Adresse über einen Briefkasten und eine Klingel, die ordnungsgemäß beschriftet seien. Eine Anfrage des Prozessbevollmächtigten vom 27. März 2017, ob die überreichten Unterlagen hinsichtlich der Betreibensaufforderung vom 7. März 2017 als ausreichend angesehen werden könnten, blieb unter Hinweis darauf, die Akte befinde sich beim Oberverwaltungsgericht, unbeantwortet. Mit Beschluss vom 7. Juni 2017 stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren ein, weil die Klage als zurückgenommen gelte. Auf einen Antrag des Klägers auf Fortsetzung des Verfahrens entschied das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. Juni 2017, dass die Klage als zurückgenommen gelte. Der Kläger habe das Verfahren innerhalb der Zweimonatsfrist nicht zureichend betrieben.
Auf Antrag des Klägers ließ das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 1. September 2017 die Berufung wegen eines Verfahrensmangels zu. Das Verwaltungsgericht habe verfahrensfehlerhaft entschieden, dass die Klage zurückgenommen sei. Der Beschluss enthielt einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Hinweis auf das Erfordernis, die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Mit Verfügung vom gleichen Tage wies das Oberverwaltungsgericht die Beteiligten auf folgendes hin: Infolge der fehlerhaften Feststellung, dass die Klage als zurückgenommen gelte, habe das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil bislang in der Sache nicht über die erhobene Klage entschieden. Im Berufungsverfahren komme daher - anstelle einer eigenen Prüfung durch den Senat - auch in Betracht, das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zum Zwecke erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Dies setze allerdings einen entsprechenden Antrag eines der Beteiligten voraus. Es werde um Äußerung gebeten, ob ein derartiger Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt werden solle. Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2017 bat der Kläger, die Sache unter Aufhebung des Urteils vom 27. Juni 2017 an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Nach vorheriger Erteilung eines Hinweises hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung mit Beschluss vom 23. November 2017 als unzulässig verworfen und einen - hilfsweise gestellten - Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt. Das Berufungsgericht hat seine Verwerfungsentscheidung darauf gestützt, der Kläger habe vorliegend nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, ob, in welchem Umfang, mit welchem Antrag und weshalb er das Berufungsverfahren durchführen will. Seinem Schriftsatz vom 2. Oktober 2017 sei - als Reaktion auf die Anfrage des Berichterstatters des Senats - nur ein Antrag nach § 130 Abs. 2 VwGO zu entnehmen. Jedwede Begründung oder auch nur eine Bezugnahme auf das vorausgegangene Zulassungsverfahren fehlten. Auch aus dem Gesamtzusammenhang und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls werde nicht hinreichend klar, ob, in welchem Umfang, mit welchem Antrag und weshalb der Kläger das Berufungsverfahren durchführen wolle. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Die Anfrage des Berichterstatters sei nicht geeignet gewesen, einen unverschuldeten Irrtum über das Erfordernis einer fristgerechten Berufungsbegründung hervorzurufen.
II
Die allein auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat Erfolg. Der Kläger beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht seine Berufung als unzulässig verworfen hat, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Berufungsentscheidung durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an die Berufungsbegründung im konkreten Fall überspannt hat.
1. Gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO muss die Berufung nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses durch einen gesonderten Schriftsatz innerhalb eines Monats begründet werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe, vgl. § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Mit der Einreichung der Begründungsschrift nach Zulassung der Berufung soll der Berufungskläger eindeutig zu erkennen geben, dass er nach wie vor an der Durchführung des Berufungsverfahrens interessiert ist (BVerwG, Urteil vom 8. März 2004 - 4 C 6.03 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 26 S. 30 m.w.N.; Beschluss vom 20. März 2003 - 3 B 143.02 - NJW 2003, 3288). Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass und weshalb der Berufungsführer an der Durchführung des zugelassenen Berufungsverfahrens festhalten will. Dabei kommt es wesentlich auf die Umstände des konkreten Einzelfalles an (BVerwG, Urteil vom 8. März 2004 - 4 C 6.03 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 26 S. 31; Beschluss vom 1. Dezember 2000 - 9 B 549.00 - Buchholz 310 § 133
2. Der vom Kläger gestellte Antrag auf Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht genügt unter den hier gegebenen, besonderen Umständen noch den Anforderungen an eine Berufungsbegründung. Im vorliegenden Fall bestanden weder Zweifel am Willen des Klägers, das Berufungsverfahren durchzuführen, noch an seiner Begründung und am Ziel des Verfahrens.
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat er mit der Stellung dieses in § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erwähnten Verfahrensantrags zunächst durch einen nach Zulassung der Berufung verfassten gesonderten Schriftsatz unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er das Berufungsverfahren durchführen will. Denn der Erfolg des in § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vorgesehenen Antrags setzt die Durchführung eines Berufungsverfahrens gerade voraus.
b) Es fehlt auch nicht an dem erforderlichen "bestimmten Antrag" und einer sich daraus ergebenden Klarstellung des Umfangs der Berufung. Zwar trifft es zu, dass dieser Antrag eines Klägers auch einen Sachantrag enthalten muss, also nicht lediglich auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung um ihrer selbst willen ohne Angriff in der Sache gerichtet sein darf. Das in erster Instanz erfolglos gebliebene Klagebegehren muss mindestens teilweise in der zweiten Instanz weiterverfolgt werden (vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 32; Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 124a Rn. 49). Hierzu kann aber auch ein auf Urteilsaufhebung und Zurückverweisung gerichteter Antrag genügen, wenn aus dem Gesamtzusammenhang deutlich wird, dass Ziel des Rechtsmittels die unbeschränkte Weiterverfolgung des bisherigen Sachbegehrens ist (ähnlich VGH Mannheim, Urteil vom 19. November 1996 - 4 S 3365/94 - juris Rn. 23; BGH, Urteil vom 22. März 1994 - VI ZR 227/93 - NJW 1994, 2835 <2836>). Im Zweifel soll das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang angefochten und sollen die in erster Instanz gestellten Anträge weiterverfolgt werden (vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 30; Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 124a Rn. 49).
So liegt der Fall hier. Mangels jeglicher Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger eine Zurückverweisung lediglich "um ihrer selbst willen" begehrte (zu einem solchen Fall vgl. VGH Mannheim, ebd.), lag es hier auf der Hand, dass er sein Sachbegehren aus erster Instanz weiterverfolgen wollte. Auch über den Umfang, in dem die Berufung durchgeführt werden sollte, konnte hier vernünftigerweise kein Zweifel bestehen. Der Kläger hatte in erster Instanz die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Januar 2017 begehrt und hat mit der Klagebegründung ausgeführt, weshalb er die - ersichtlich im Vordergrund stehende - Versagung der Aufenthaltserlaubnis für rechtswidrig hält. Dieses Begehren ist letztlich nicht weiter teilbar, zumal die neben der Versagung der Aufenthaltserlaubnis in dem Bescheid enthaltenen weiteren Entscheidungen nur Folgeentscheidungen zu dieser Versagung waren. Dem entspricht, dass auch das Berufungsgericht jedenfalls im Zulassungsverfahren offensichtlich selbst keine Zweifel daran hatte, dass das erstinstanzliche Urteil insgesamt angefochten werden sollte, obwohl bereits die Zulassungsbegründung keinen ausdrücklichen Sachantrag enthielt.
c) Einer weiteren ausdrücklichen Darlegung der Berufungsgründe bedurfte es unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht. Grundsätzlich muss die Berufungsbegründung allerdings erkennen lassen, aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und Durchdringung des Streitstoffes und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 107). Dessen bedurfte es im vorliegenden Fall aber deshalb nicht, weil das Berufungsgericht bereits im Zulassungsbeschluss die dort bestätigte Verfahrensbeendigung für verfahrensfehlerhaft und damit das Urteil, das eine Sachprüfung folgerichtig nicht vorgenommen hatte, für insgesamt unrichtig befunden hatte. Die Unrichtigkeit bezog sich auf die Gründe wie auch auf das Ergebnis (Feststellung, dass die Klage als zurückgenommen gilt). In der Verfügung vom 1. September 2017 hat der Berichterstatter erneut bestätigt, dass für das Berufungsverfahren von der Unrichtigkeit dieser Verfahrenseinstellung ausgegangen werde und in Betracht komme, mit Blick darauf, dass (auch) das Verwaltungsgericht bislang nicht zur Sache entschieden habe, im Berufungsverfahren ohne eigene Prüfung zur Sache das Verfahren an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Daran knüpft der vom Kläger mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2017 gestellte Antrag der Sache nach erkennbar an. In dieser Situation vom Kläger eine nochmalige Begründung für das bereits abschließend Geklärte oder das Vorbringen zur Sache zu verlangen, wäre reine Förmelei.
d) Soweit das Berufungsgericht darüber hinaus eine ausdrückliche Begründung für das weiterverfolgte Sachbegehren verlangt, überspannt es vorliegend die gesetzlichen Voraussetzungen an die Darlegung der Berufungsgründe. Nachdem das Berufungsurteil zu diesem Sachbegehren keinerlei Ausführungen enthielt, bestand insoweit kein Anlass zu einer Auseinandersetzung. Vielmehr wäre jedenfalls nicht zu beanstanden gewesen, wenn der Kläger auf sein Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren schlicht Bezug genommen hätte. Zwar genügt eine pauschale Bezugnahme auf den Vortrag erster Instanz grundsätzlich nicht, weil sie sich nicht mit dem angegriffenen Urteil und dessen Argumentation auseinandersetzt. Etwas anders gilt aber, wenn und soweit das Verwaltungsgericht nach (hier bereits berufungsgerichtlich bestätigter) Ansicht des Berufungsführers sein Vorbringen zu Unrecht nicht geprüft hat (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 116). Ausgehend davon bedurfte es hier auch einer solchen ausdrücklichen Bezugnahme nicht, weil es sich in der konkreten prozessualen Situation von selbst verstand, dass der Kläger an seinem - noch gänzlich unbeschiedenen - Klagevorbringen in der Sache auch für das Berufungsverfahren festhalten wollte.
3. Hat die Beschwerde nach alledem mit der oben behandelten Verfahrensrüge Erfolg, muss der Senat auf die weiteren Verfahrensrügen nicht näher eingehen.
4. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.